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Die Ameisenstraße


Die Ameisenstraße


1. Auflage

von: Reinhard Bernhof

5,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 12.07.2023
ISBN/EAN: 9783965219571
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 75

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Nichts ist erfunden in diesem Buch. Alles, was der namenlose Junge in den 25 Geschichten erlebt, erfährt, erduldet, träumt, hat sich kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges und in den ersten Jahren danach so oder ganz ähnlich zugetragen. Der Autor war in jener Zeit ein Junge wie der, von dem er erzählt: ein Junge, dem der Krieg den Vater genommen hatte, ein Flüchtlingskind, das der Hunger von Brot und anderen herrlichen Dingen träumen ließ.
Der Junge, der er einmal war, ihm wollte er keinen Namen geben. Namen sagen sowieso nichts aus über einen Jungen in jener Zeit. Auch war er sich, als er über einen dieser Jungen schrieb, nicht sicher, ob jener Junge wirklich er war. Denn zwischen heute und damals liegt eine große Zeitspanne. Vielleicht sind sie - der Junge von damals und der Mann, der aus ihm geworden ist - inzwischen auch zwei völlig fremde Menschen geworden. Doch während der Autor in seiner Erinnerung an ihm gearbeitet hat, um festzustellen, wer er einmal war, was sonst niemand über ihn erfahren hätte, über sein ihm heute so fernes Land des Krieges, schrieben sich diese kleinen Geschichten, die jeder lesen kann, jedes Kind und jeder Erwachsene.
Zum Geleit
Die Ameisenstraße
Stromsperre
Das Phosphorlicht
Hundetage
Am Bahndamm
Im Kinosaal
Die Februarnacht
Der Kellersonnenstrahl
Das Kirschglas
Die Trinkhalle
Die Brotmarken
Wanzenzählen
Der Verwundete
Die Schneiderpuppe
Ährenlesen
Der Bogensägespieler
Auf der Elbwiese
Kartoffelstoppeln
Das unglaubliche Ei
Das kleine braune Huhn
Der Karpfenfund
Der Aluminiumhülsenreifen
Das zusammengedrückte Brot
Der Ölberg
Der Kompass
Geboren am 6. Juni 1940 in Breslau, aufgewachsen und Schulbesuch im Ruhrgebiet. Von 1955 bis 1958 Schlosserlehre in Duisburg. Dort gehörte er zu den Initiatoren der Ostermärsche nach Duisburg.
Aus familiären Gründen übersiedelte er 1963 in die DDR. Von 1965 bis 1967 studierte er am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig und arbeitet seitdem als freischaffender Schriftsteller.
1989 gehörte er zu den Mitbegründern des „Neuen Forums“. 1993 lehrte er am Grinnel-College in Iowa in den USA.
Die Februarnacht
„Aber das Feuer kommt nicht zu uns“, hörte der Junge die Frau sagen, die das Haus besaß. „Es ist zu weit weg.“
„Da können wir von Glück reden“, sagte die Mutter, „dass wir den Zug verlassen haben und in dieses Dorf gekommen sind. Sonst wären wir jetzt in der brennenden Stadt.“
Der Junge ging ans Fenster und wunderte sich über die vielen Leute, die alle auf den nahe gelegenen Berg stiegen, obwohl es mitten in der Nacht war. Er zog sich schnell an und lief nach draußen, den Leuten nach.
Oben angekommen, sah er nichts weiter als eine Röte am Horizont, die Versammelten starrten wie gebannt auf sie. Und dann wurde sie für Sekunden heller, als würde jemand in ein glühendes Brikett pusten. – Plötzlich fasste ihn die Mutter an der Hand, und sie schimpfte nicht, dass er aufgestanden und ihr und den vielen Leuten nachgegangen war.
„Da können wir von Glück reden“, sagte sie.
„Wenn wir kein Glück gehabt hätten“, dachte der Junge, „wenn wir bis in die Stadt weitergefahren wären … Sie hätten uns bestimmt in einem Kino untergebracht, in einer Turnhalle … Für so viele Menschen hätte es doch gar nicht genügend Bunkerplätze gegeben. Und ob man sie auch rechtzeitig erreicht hätte?“
Er sah sich durch die Stadt rennen, sah, wie überall die Scheiben zersprangen und die Flammen aus Fenstern und Türen schlugen, aber vor ihm auswichen, sah, wie eine verlassene Straßenbahn mit Anhänger umkippte, wie vereinzelte Dachziegel auf seinen Kopf fielen, ohne ihn zu verletzen, wie er über eine Stoffpuppe, aus der das Werg hervorquoll, stolperte und wie er sie aufhob, wie er mit ihr in ein Kellerloch stürzte, während über ihm das Haus zusammensackte, und wie es vor seinen Augen dunkel wurde … Doch immer wieder fühlte er seine Beine, seine Hände –, so warm, so lebend. „Wenn man sich doch bloß den Tod vorstellen könnte“, dachte der Junge.
Fortwährend starrte er zum Horizont. Fortwährend verharrten die Leute auf dem Berg.
„Mir ist kalt“, sagte der Junge.
„Ja, wir gehen wieder“, sagte die Mutter. „Das Feuer kommt nicht zu uns.“
Am nächsten Morgen erzählte er der Mutter, was er geträumt hatte. „Ich befand mich auf einem Berg, inmitten von vielen Leuten. ‚Die Stadt wird bombardiert‘, sagten sie und blickten zum Horizont, der ab und zu heller und wieder dunkler wurde. So eine schöne funkelnde Röte … Zwischendurch bin ich durch die Stadt gelaufen und habe die vielen einstürzenden Häuser gesehen.“
„Heute Nacht warst du wirklich munter“, sagte die Mutter. „Hast Stimmen gehört und bist aufgestanden. Sahst Leute den Berg hinaufsteigen und bist ihnen nachgelaufen. Oben haben wir uns getroffen, und beide haben wir den Krieg gesehen. Hast mich gefragt, warum das Feuer nicht gelöscht werde. Habe dir geantwortet, dass so ein großes Feuer gar nicht gelöscht werden kann, weil bestimmt auch Feuerwehrautos und Feuerwehrwachen von den Flammen zerstört worden sind. Dann hast du noch gefragt, warum denn die Leute so gerne zusehen, wenn irgendwo ein großes Feuer ist. Antwortete dir, dass es so ein großes Feuer noch nie gegeben hat und dass man auch gar nicht schlafen kann, wenn die Stadt, wenn der ganze Horizont brennt. Und dann hast du noch gefragt, warum es zu so einem großen Feuer überhaupt gekommen sei.“
„Nein!“, sagte der Junge. „Das war doch nur ein Traum!“ Aber er grübelte, weil er sich von dem, was er gesehen hatte, nicht lösen konnte. Bis die Hausbesitzerin kam und sagte, die ganze Stadt sei in Schutt und Asche versunken. Da wusste er, er war nachts wirklich aufgestanden, und er hatte die Röte am Horizont, die ab und zu heller und wieder dunkler wurde, gesehen. Und dass er versucht hatte, sich den Tod vorzustellen.

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