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Antennenaugust


Antennenaugust


1. Auflage

von: Kurt David

5,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 25.04.2023
ISBN/EAN: 9783965219144
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 63

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

„Ich hab was für dich! Du wirst staunen, Junge!“, sagte Herr Buchholz. Er faltete behutsam das graublaue Tuch auseinander. Da hockte ein Tier, das noch gar nicht wie ein Tier aussah, eher einer Kugel braunweißgesprenkelter, flauschiger Wolle ähnelte. - In diesem Moment ahnte noch keiner, welche Probleme der kleine Bussard einmal in das Dorf bringen würde; vorerst brauchte er Schutz und Hilfe.
Am 13. Juli 1924 in Reichenau in Sachsen geboren. Kurt David absolvierte nach dem Besuch der Handelsschule eine kaufmännische Ausbildung. Von 1942 bis 1945 nahm er als Soldat der Wehrmacht am Zweiten Weltkrieg teil. Von 1945 bis 1946 war er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Den Plan einer Ausbildung zum Musiker musste er wegen einer Kriegsverwundung aufgeben. David gehörte vier Jahre der Volkspolizei der DDR an und war anschließend zwei Jahre lang Kreissekretär beim Kulturbund der DDR. Seit 1954 lebte er als freier Schriftsteller zuerst in Oberseifersdorf/Zittau, danach bis zu seinem Tod in Oybin. In den 1960er Jahren unternahm er mehrfach Reisen in die Mongolei und durch Polen. 1970 erhielt er den Alex-Wedding-Preis, 1973 den Nationalpreis, 1980 den Vaterländischen Verdienstorden und 1984 den Lion-Feuchtwanger-Preis. Er starb am 2. Februar 1994 in Görlitz.
Davids frühe Werke haben die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit unter dem Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg zum Thema. Es folgten Bände mit Reiseberichten. Den größten Teil in Davids Werk bilden die Kinder- und Jugendbücher, von denen vor allem der humoristische Band „Freitags wird gebadet“ in der DDR ein großer Publikumserfolg, auch in der Fassung als Fernsehserie, war. Eine weitere Facette in Davids Schaffen bilden historische Romane, die Themen aus der Geschichte der Mongolen behandeln. Außerdem schrieb David Biografien über die Komponisten Beethoven und Schubert.
Nicht nur Frau Kalunke war es, die uns Fleisch brachte, und nicht nur Herr Buchholtz, der uns drei Eier auf den Tisch gelegt hatte. Unsere Nachbarn zeigten sich August gegenüber durchweg sehr großzügig. Natürlich hätten wir ihn auch allein satt bekommen, doch als die Zeit heranreifte, da er lieber Sperlinge und Mäuse fraß, musste ich mich nach Hilfe umsehen, nach Lieferanten gewissermaßen, die mich mit ziemlicher Regelmäßigkeit unterstützen konnten.
Zum Glück befand sich unter den Zuschauern am Zaun ein Taxifahrer aus unserem Dorf, ein jüngerer, kleiner Mann mit einer Zigarre im Mund – ich erwähne die Zigarre, weil ich ihn nie ohne Zigarre gesehen habe –, der zu mir sagte: „Gib mir einen Beutel mit; was du für den brauchst, lese ich von der Landstraße auf und bring es dir!“ So einfallsreich war der Mann. Er muss eine Vorliebe für Bussarde gehabt haben. Welch fremder Mensch übernimmt schon so eine Aufgabe und sammelt verunglückte Spatzen? August brauchte mindestens vier Stück am Tag. Später verlangte er sechs. Den mausetoten Spatzen zertrümmerte er überflüssigerweise mit dem Schnabel den Schädel, und bevor er sie verspeiste, rupfte er sie so sorgfältig, bis sie federlos und nackt im Gras lagen. Mäusen gegenüber verhielt er sich freundlicher. Sie würgte er ohne jede Zubereitung im Ganzen hinunter.
Mutter hatte für diese Art von Mahlzeiten kein Verständnis und lief jedes Mal mit geschlossenen Augen und seltsame Laute ausstoßend davon. Mit Vergnügen erinnerte sie sich der mühevollen Verfütterung von Eiern. „Das war schön“, sagte sie, „da war er noch klein, niedlich und unbeholfen.“ Hin und wieder versuchte sie daher, Augusts heftige Lust, Spatzenschädel zu zertrümmern und Mäuse komplett zu verschlingen, einzuschränken, wenn nicht gar abzugewöhnen: Sie kaufte ihm beim Fleischer Koteletts. „Aber bitte ohne Fettrand“, fügte sie hinzu.
August reagierte wie ein Mensch, dem man plötzlich statt Koteletts nackte Sperlinge serviert. Er veranstaltete ein Geschrei auf der Wiese, mit dem er zumindest die Männer und Kinder auf seine Seite brachte. Die fanden es natürlich, dass sich August auf Mäuse und Spatzen spezialisiert hatte. Ich übrigens auch. Mutter aber kippte die Straßenausbeute des netten Taxifahrers weg und legte August heimlich Koteletts hin. Das erfuhr ich sofort. August kam mir eines Mittags entgegengelaufen, zerrte ein Kotelett über die Gehwegplatten vor meine Füße und jammerte los. Was mir bisher nicht gelungen war, gelang Herrn Buchholtz, der Mutter wissenschaftlich fundiert auseinandersetzte: „Lassen Sie das, sonst gewöhnt er sich zu sehr an Haus und Mensch, ist zu guter Letzt kein echter Bussard mehr und wird später keinen Anschluss im Walde finden; denn dort gibt’s ja keine Koteletts!“
Wir werden noch sehen, dass an diesem Satz nur stimmte: Im Wald gibt’s keine Koteletts!
Mutter jedoch achtete Herrn Buchholtz’ gut gemeinten Rat, stellte die Geheimaktion „Koteletts ohne Fettrand für August“ ein und konnte so wenig wie Herr Buchholtz und ich ahnen, dass unser Bussard wissenschaftliche Erkenntnisse total missachten würde.
Fortan mied sie jede Beteiligung an Augusts Spatzen- und Mäusemahlzeiten. Nicht einmal die Tüte mit der Aufschrift „Zentrum-Einkauf macht Freude“ nahm sie dem Taxifahrer mehr ab. Wenn ich nicht anwesend war, musste er sie mit den toten Vögeln im Schuppen abstellen. Das tat er allerdings, ohne zu murren. So groß war seine Liebe zu unserem Bussard.
Am fünfzigsten Tag brachte er einen gelben Luftballon mit: „Pass auf, Junge, ich hab eine Idee! Wir bringen August das Fliegen bei.“
„Mit dem Ballon? Im Wald hat er auch keinen Luftballon und fliegt, wenn er fliegen kann?“
„Gewiss, aber wir wollen erreichen, dass er eher fliegt, nicht?“
Mir leuchtete nicht ein, wie ein Bussard fliegen sollte können, wenn er noch gar nicht fliegen kann, war jedoch neugierig, was der Mann mit dem Ballon anstellen wollte. „Wir werden ihn reizen, seine Fluglust forcieren!“
„Forsieren? Was ist denn das?“
Nachdenklich lutschte er an seiner Zigarre. „Forcieren? Forcieren ist eben, das ist, wenn man was forciert“, statt weiterer Worte krochen dicke Rauchwolken aus seinem Mund, „da geht es schneller, wenn man’s forciert.“ Er schien mit seiner Auskunft nicht völlig zufrieden zu sein, sah sich etwas im Hof um, erblickte unsere Leiter, stieg auf ihr zum Schuppendach hinauf. „Ich zeig dir’s gleich“, rief er von oben, und plötzlich krachte es. Die gelben Fetzen des zerplatzten Ballons segelten vom Dach.
„Das ist forcieren?“
„Quatsch; ich bin mit der Zigarre drangekommen!“
Und ich hatte fast vermutet, das gehöre zu seinem Programm. Auf solche Pannen schien er gut vorbereitet zu sein. Er holte einen neuen Ballon hervor, diesmal einen roten. „Siehste, ich hab genügend mit!“ Zum ersten Mal sah ich ihn seinen Zigarrenstummel aus dem Mund nehmen. Im hohen Bogen warf er ihn in Buchholtzes Garten und blies den Ballon auf.
August saß wie ein strenger Wächter still auf dem Feldstein an der Hauswand und ließ sich von der Sonne warmscheinen. Dem Mann auf dem Dach widmete er keine besondere Aufmerksamkeit. Anders die Leute am Zaun: stumm und andächtig schauten sie zu ihm hoch. Sicherlich waren einige auch gespannt, ob Forcieren das war, was sie sich darunter vorstellten.
„Und wo kommt der Wind her?“, rief der Taximann.
„Von hinten.“
„Günstig, günstig!“ Er streckte den rechten Arm in die Höhe. Der Ballon schwebte hoch, trieb auf die Wiese.
August war von seinem Feldstein gesprungen, den Luftballon im Blick, lief er durchs Gras.
„Siehste, das haut hin! Siehste!“, schrie der Taxifahrer und zeigte auf August.
Tatsächlich, der Bussard öffnete ein wenig seine Flügel, trabte mit zum Himmel gedrehtem Schnabel weiter.
„Eure Obstbäume stören“, sagte der Taxifahrer. „Wenn der Ballon zwischen die Äste trudelt, missglückt das Experiment!“ Er trudelte zwischen die Äste, verklemmte sich in einer Astgabel.
„Aus! Aus! Aus! Ich hab ja gesagt: Die Obstbäume sind im Wege!“ Ärgerlich blickte er vom Dach auf die Baumkronen herunter und kratzte sich die Stirn.
Während ich mit einem längeren Stock den Ballon aus den Zweigen stieß, lief August, dem die Blätter jede Sicht zum Luftballon versperrten, zu seinem Feldstein und sprang auf ihn zurück wie auf einen Startblock.
„Bitte Bindfaden, am besten Zwirn!“
„Und ich dachte“, rief Mutter aus dem Fenster, „Sie wollen eine Säge und unsere Bäume umlegen!“
Einfälle hatte der Mann, das war nicht zu leugnen. Er knüpfte den Zwirnsfaden an den roten Ballon und ließ ihn nur so weit wegfliegen, dass er zwischen Schuppendach und erstem Obstbaum über der Freien Wiese baumelte.
Blitzschnell jagte August vom Feldstein hinüber, stieß einen jammernden Laut aus, stoppte genau unter dem Luftballon seinen Lauf und war ganz aufgeregt.

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