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Von Köln nach Ballinlough


Von Köln nach Ballinlough

Eine deutsch-irische Nachkriegskindheit
1. Auflage

von: Herbert Remmel

9,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 08.08.2016
ISBN/EAN: 9783956557071
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 209

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Nahezu über Nacht gelangte der neunjährige Kölner Herbert Remmel aus seiner total zerbombten und hungernden Heimatstadt in das von Neonlichtern glitzernde Dublin mit seinen überquellenden Geschäften, seinen unzerstörten Häusern und seinem prallem Leben. Das Irische Rote Kreuz hatte 1946 die Kinderhilfsaktion „Operation Shamrock“ ins Leben gerufen, in deren Ergebnis der junge Kölner das Glück hatte, von einer Dubliner Familie für kurze Zeit aufgenommen zu werden, während der er die irische Hauptstadt nahezu wie seine Hosentasche kennenlernte. Zwei Jahre jedoch verbrachte er auf einer kleinen Farm im Westen der Insel fernab von städtischer Zivilisation ohne elektrischen Strom und fließendes Wasser. Hier wurde er als German boy schnell integriert, ging zur Schule, spielte Irish football, kutschierte mit Pferd und Esel, ging mit seinem Farmer ins Moor Torf stechen, half bei der Heu- und Kartoffelernte und war zum Fair Day auf dem Viehmarkt. Kurzum: er war so sehr in dieses kleine Milieu irischer Bauern integriert, dass ein Wissenschaftler der Universiät Cork seinem Essay über diesen Deutschen den Titel „The half-Irish Herbert Remmel“ gab.
Über seine irische Biografie hat der Autor 2006 ein Büchlein geschrieben, das hier, zum 70. Jahrestag der Operation Shamrock, in der zweiten Auflage erscheint. 2009 war das ins Englische übersetzte Buch in Irland ein großer Erfolg. Die „IrishTimes“ schrieb: „Das Buch ist ein so wertvoller Schatz von Details des ländlichen irischen Lebens, dass man sich wünschte, mehr Deutsche kämen zu uns, um über uns zu schreiben.“
Dem irischen Teil seiner Biographie vorausgesetzt hat der Autor seine Kindheit im Kriege bis zu dessen Ende, das er in der Evakuierung in Sachsen-Anhalt erlebte.
Ein Wort vorweg
Die Siedlung Neurath
Mutter und Vater, Oma und Opa
Spiele mit Knuutse und Staniolstreifen
Der Neurather Bunker
Privatevakuierung nach Hindenburg, Oberschlesien
Wieder in Köln
Schule Honschaftstraße
Evakuierung nach Sachsen-Anhalt
Vater wird vermisst
Zschornewitz
Die Amerikaner kommen
Die Russen sind da
Zo Foß noh Kölle
500 Kilometer bis Köln
Neurath in den Nachkriegsmonaten
Irland?
Operation Shamrock
Kurs Irland
Céad mile fáilte - tausendfach Willkommen!
Castlebellingham
Glencree
Bei den Cunninghams in Inchicore, Dublin
Zur Hölle nach Mayo?
Welcome to Mayo, welcome to the Nally family!
Meine irische Farm
Mein Freund Jack
The Blizzard
Tawny Lake
Facefield National School
Alltag in Ballinlough
Die heilige Kartoffel
Ein Tag im Torfmoor
Heuernte in Ballinlough
Nach Murneen und nach Belcarra
Abenteuer Fair Day
Meine irische Granny
Ein Sportfest mit Folgen
Berührung mit irischer Politik
Wildkaninchen und Lämmerschwänze
Post vom Roten Kreuz
Abschied
Heimkehr nach Köln
Die Geschichte des Umschlagfotos
1936 in Köln in einer Arbeiterfamilie geboren. 1942 Evakuierung nach Hindenburg (Zabrze) Oberschlesien, dort Einschulung, danach Volksschule in Köln. Dort 1943 ausgebombt. Ende 1944 Zwangs-Evakuierung nach Sachsen-Anhalt. Von 1946 bis 1949 Aufenthalt in Irland im Rahmen einer Kinderhilfsaktion der Irischen Rotkreuz-Gesellschaft. Temporäre Adoption durch eine Farmerfamilie im Westen der Insel, Besuch der Irish National School.
Nach Rückkehr Beendigung der Volksschule (8.Klasse) in Köln. Lehre und Beruf als Grauguss- Former.
November 1956 Übersiedlung in die DDR, Arbeit als Former in Leipzig. 1957 bis 1961 freiwillig Dienst in der NVA. 1961 bis 1965 Studium Deutsch / Geschichte an der PH Leipzig, danach Schuldienst an der POS Bergfelde bei Berlin, 1967 Umzug nach Schwerin, in der Erwachsenenbildung tätig. 1967-1970 Fernstudium Philosophie an der Uni Greifswald.
August 1990 Journalist / Redakteur bei der Schweriner Volkszeitung. 1998 in Rente.
Verheiratet zwei Kinder, Tochter 2015 verstorben.

Bibliografie:
Beiträge zur Dorfgeschichte von Pinnow-Petersberg. Gemeinde Pinnow, Pinnow 2009
From Cologne to Ballinlough. A German and Irish Boyhood in World War II and Post-war Years 1946-49. Aubane Historical Society, 2009
Von Köln nach Ballinlough. Eine deutsch-irische Kindheit. EDITION digital, Pinnow 2016
Am nächsten Morgen wurde mir von Eugene erst einmal das zivilisatorische Niveau meiner neuen Heimstatt klar gemacht, als ich nach dem stillen Örtchen fragte. »Also, Herbert, jetzt im Winter kannst du, wenn du willst, fürs große Geschäft in den Kuhstall gehen. Du kannst dich aber auch behind the ditch, also hinter die Hecke verkrümeln, das ist sozusagen unsere Sommertoilette, die aber auch im Winter funktioniert.« Als ich mein kleines Geschäft an anderer Stelle erledigt hatte und meine Morgentoilette beginnen wollte, suchte ich den Wasserhahn. »Also Herbert, du kannst dir die Waschschüssel hier aus dem Eimer mit dem Quellwasser füllen. Dann aber musst du dafür sorgen, dass der Eimer wieder gefüllt wird, also zur Quelle gehen. Den Weg dorthin zeige ich dir noch. Du kannst aber auch das Waschwasser aus dem Regenwasserbassin am Giebel des Hauses holen, das füllt sich ja von selbst wieder.« Dass ich es nach dem Ende der Kälteperiode vorzog, meine beileibe nicht immer gründliche Körperpflege unter allen Wetter- und Unwetterbedingungen draußen am Regenwasser-Auffangbecken durchzuführen, sei nur deshalb erwähnt, weil ich wohl aufgrund dieser Abhärtungstour nicht ein einziges Mal hier in Irland unter irgendwelchen Erkältungen zu leiden hatte. Kurzum: Nicht nur im County Mayo des Jahres 1947 gab es auf dem Lande keine Elektrizität, kein fließendes Wasser und, soweit ich das überblicken konnte, in der Regel auch keine Toiletten, nicht mal ein Plumpsklo habe ich irgendwo gesehen. Und - das gefiel mir!
Nach dem Frühstück, Eugene war nach dem Melken mit dem Fahrrad irgendwohin verschwunden, forderte mich Mae auf, mich umzusehen. Das weiß getünchte Haus, das ich abends zuvor im Scheinwerferlicht des Autos gesehen hatte, entpuppte sich als the Old House, als das alte, aus Feldsteinen errichtete niedrige Haus, in dem die Nallys wohnten, bevor das jetzige Wohnhaus gebaut worden war. Der ehemalige Wohnraum war jetzt Futterküche. Ein mächtiger, total verrußter Kamin mit dem bekannten Galgen, an dem ein gusseiserner Kugeltopf von einer bis dahin nie gesehenen Größe hing, in welchem die Kartoffeln fürs Schweinefutter gekocht wurden. In einer Ecke bildeten schmale, halb hohe Betonmauern ein kleines Gehege, in das die Milchkälbchen kamen. Eine Halbtür führte in den Hof. Dort nahm eine an drei Seiten von niedrigen Betonmauern eingefasste Dunggrube den meisten Platz ein.
Rechtwinklig zum Old House ein Stallgebäude, der Kuhstall. Darin standen die alte Kuh (irische Bauern geben ihrem Hornvieh in der Regel keine Namen), eine jüngere Kuh, eine tragende Färse und - ein ebenfalls namen- und zudem noch hodenloser Esel, der sich vorerst als sturer und eigensinniger Kotzbrocken entpuppen sollte, der mich anfänglich permanent zur Weißglut trieb. Im Winkel zwischen diesem Stall und dem Old House, in dessen ehemaligen Schlafzimmer jetzt ein Schweinestall eingerichtet war, grunzte eine Sau bei ihren Ferkeln. Am anderen Ende des Old House noch ein Stall: sechs Ochsen, drei links, drei rechts angebunden. Der Schuppen mit dem Großen Tor erwies sich im vorderen Drittel als »Remise« für eine schöne kleine Ponykutsche, der ich jedoch mangels Pony nur den Esel vorspannen konnte, wenn ich Granny sonntags zur Kirche kutschierte. In dem hinteren Zweidrittel dieses Schuppens der fensterlose Pferdestall. Der war so eng, dass der Gaul nur rückwärts zur Tür raus konnte. Der Gaul war ein kräftiger, gut im Futter stehender Wallach namens Charly - Pferde haben in Irland Namen - der mir viel Freude bereiten sollte. Bleiben noch der Hühnerstall, der zwischen Old House und Schuppen eingeklemmt war und die Wellblech-Scheune seitlich hinter dem Kuhstall im Garten, deren Gerüst aus ausgedienten Eisenbahnschienen bestand. Weil das Wellblech, das übrigens auch alle soeben beschriebenen Gebäude deckte, verzinkt war, sprach man stets von Galvanized Sheds, von galvanisierten Scheunen, die in den 1920er und 1930er Jahre in Irland wie Pilze aus der Erde geschossen sein mussten. Sie gab und gibt es noch überall im Lande. Unbedingt erwähnt werden muss noch die Torfpyramide (turf reek) vor dem Wohnhaus auf der gegenüberliegenden Seite des Weges. Hier lagerte, kunstvoll aus Torfsoden zu einer länglichen Pyramide »aufgemauert«, der Heizvorrat für den Winter und Kochmaterial für den Sommer. Die Tage im Torfmoor (the bog, auch peat bog), an denen der Torf gestochen und geborgen wird, werden mit zu den schönsten zählen, die ich in Irland erlebt habe.
Nallys Farm umfasst etwa 20 Acre (ca 8 Hektar), eine Streifenflur, deren Felder sich vor und hinter dem Haus erstrecken, vergleichbar mit den Hagenhufen in Mecklenburg. Hinzu kommt noch ein Stück »Bog Land«, ein ausgetorftes Stück Torfmoor etwa einen Kilometer abseits, und weiter entfernt noch Pachtland von etwa 6 Acre, »Black Jacks« genannt. Die Farm eines irischen Kleinbauern ist etwa vergleichbar mit den Büdnereien in Mecklenburg. Dörfer gibt es nicht, jeder Bauer wohnt auf seiner Scholle. Die Farmen reihen sich wie auf einer Perlenschnur, jedoch in unterschiedlichen Abständen, entlang des jeweiligen Landweges, deren schmälste Bordeen genannt werden. Eine solche mehr oder weniger zusammenhängende Ansiedlung nennt sich »Village«. Meine Village war Ballinlough, (gälisch/irisch: Baile an Locha = Siedlung am See). In der Postadresse erscheint noch Balla, ein kleines nahebei befindliches Städtchen, das zusammen mit den entfernter liegenden Städtchen Claremorris und Kiltimagh ein Dreieck bildet, in dessen Mitte sich unsere Village befand.
Das alles war also mein künftiges Reich - meine Farm! Toll, einfach toll. Ich konnte es wieder mal nicht fassen, ich war überwältigt. Zur Hölle mit dem Spruch »Zur Hölle oder nach Mayo«. Mayo ist mein Paradies!

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