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Tiberius


Tiberius

Erinnerungen eines vernünftigen Menschen
1. Auflage

von: Volker Ebersbach

8,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 22.03.2022
ISBN/EAN: 9783965216426
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 386

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Hier schreibt einer seine Memoiren. Dieser eine ist nicht irgendwer, sondern Tiberius, der zweite römische Kaiser und einer der am längsten allein regierte. Aber jetzt war er nicht mehr in Rom, sondern im fernen Capri – allein, krank und leidend. Und sein Reich ist auch längst nicht mehr das, was es einmal war, sein einstiger Glanz ist am Verlöschen. Die Rechenschaft des Tiberius, der erst mit 56 Jahren Kaiser wurde, fällt traurig, geradezu deprimiert aus:
Mancher, dem es der Mühe wert schien, seinen Lebensbericht zu verfassen, schrieb wie ein Mann, der die Welt und sich selbst durchschaute. Entweder wollte er noch über die eigene Asche hinaus die Welt belügen, oder er kannte sich weniger, als er annahm. Denn wer wirklich die Welt und sich selbst durchschaut hätte, fände keinen Lebensbericht, wie wahr er auch sei, einer Mühe wert. So sicher, wie er wüsste, was er sagte und wovon er spräche, müsste er auch erwarten, dass ihm andere entweder den Glauben oder ihr Einverständnis verweigern. Wer also hätte von ihm noch etwas zu erfahren? Nicht einmal die Wahrheit wäre denen willkommen, die ihn überleben. Solange das Herz eines Menschen schlägt, folgt er Täuschungen, jeder Herzschlag nährt sie, denn keine Kraft, die sich ihrer selbst bewusst wird, will vergebens gewirkt haben. So weigern wir Menschen uns, blindlings dahinzuleben wie Tiere, und häufen, in der Hoffnung, den unsterblichen Göttern ähnlich zu werden, zu den Jahren, die uns vom Tod noch trennen, ein Wissen, das uns von seiner Unvermeidlichkeit ablenken soll. Zu spät begreifen wir, dass die Jahre schwinden und mit sich den Wert dieses Wissens dahinraffen, bis nur noch eins bleibt, das Wissen um den Tod. Mit Reichtümern verhält es sich ebenso wie mit dem Wissen, das ich nur zuerst nenne, weil es mir früh am Herzen lag. Und ich gehörte zu den wenigen, denen Macht dasselbe bedeutete, weil ich ihr immer nahestand. Doch als ich sie zu fassen bekam, war ich bereits so reich an Wissen, an Gütern und an Jahren, dass ich auch sie nur noch gering schätzen konnte.

Die einstige Residenz des Tiberius auf Capri, die Villa Jovis, ist als Ruine erhalten. Und vielleicht noch interessant: In der Ära des Tiberius löste die Kreuzigung Jesu im Jahr 30, der von Pontius Pilatus als Aufrührer hingerichtet wurde, weder besondere Aufmerksamkeit in Rom noch irgendeinen größeren Aufstand aus. Judäa galt damals als relativ ruhige Region. Auch Tacitus erwähnt in seiner Schilderung der Herrschaft des Tiberius Jesus mit keinem Wort.
ERZÄHLERISCHE STECKBRIEFE
PROOEMIUM
ERSTES BUCH
I. LIVIA MATER
II. VALERIA VIRGO
III. PIETAS IMPERATRIX
IV. VIPSANIA CONIUNX
V. JULIA ADULTERA
VI. MINERVA SAPIENS
ZWEITES BUCH
VII. BELLONA CRUENTA
VIII. IULIA AUGUSTA
IX. VENUS VARIA
X. ROMA LUPA
XI. AMICITIA MENDAX
XII. SOLITUDO BLANDISSIMA
NACHSÄTZE
ZEITTAFEL
Volker Ebersbach ist am 6. September 1942 in Bernburg/Saale geboren und dort aufgewachsen. Nach Abitur und Schlosserlehre studierte er von 1961 bis 1966 Klassische Philologie und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1967 promovierte er über den römischen Satiriker Titus Petronius. Danach lehrte er Deutsch als Fremdsprache ab 1967 in Leipzig, 1968 in Bagdad, 1971 bis 1974 an der Universität Budapest, wo er auch mit seiner Familie lebte.
Seit 1976 ist er freier Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. Er schreibt Erzählungen und Romane, Kurzprosa, Gedichte, Essays, Kinderbücher, Biografien und Anekdoten. Er übersetzte aus dem Lateinischen ausgewählte Werke von Catull, Vergil, Ovid, Petronius, das Waltharilied, Janus Pannonius und Jan Kochanowski. Einzelne Werke wurden ins Slowenische und Koreanische übersetzt.
Von 1997 bis 2002 war er Stadtschreiber in Bernburg. Danach lehrte er bis 2004 an der Universität Leipzig.
2 Weil ich nicht zu einem künftigen Herrscher bestimmt war, sondern zu seinem treusten Handlanger, bin ich mit besonderer Strenge erzogen worden. Meine Laufbahn blieb, von seltenen Ausnahmen abgesehen, Stufe um Stufe in der Ordnung, während die des Marcellus, des Agrippa, meines Bruders Drusus und die der beiden jungen Caesaren Gajus und Lucius, auf die ich später zurückkommen werde, jeweils von Ausnahmen bestimmt war. Mir konnte niemand nachsagen, dass ich etwa begünstigt wurde, und um die Zurücksetzung, die ich empfand, nachzuweisen, hätte ich das Machtgelüst eingestehen müssen, das in mir erwachte. Ich spürte die Lächerlichkeit, der ich mich preisgeben würde, und fügte mich wortlos in alles, auch wenn es meinem Willen widerstrebte. Immerhin ersparte mir Augustus das Angebot neu geschaffener Ämter, die er außerhalb der für Senatoren üblichen Reihenfolge den niederen Günstlingen, die sich an den Tag verkaufen mussten, und ehemaligen Gegnern zur Bewährung vorbehielt, die Aufsicht über öffentliche Arbeiten wie Wegebau, Wasserwirtschaft, Regulierung des Tiberbettes, Kehrichtbeseitigung. Ich überwachte als Adil zunächst Straßen, Tempel und Märkte Roms. Hier begegnete mir Merkur in all den Händlern und ihren Waren. Doch ich sah zugleich, dass seinen Flügelschuhen Mars in den Soldatenstiefeln vorausgeschritten war, die auch mich bald wieder an die Grenzen des Reiches tragen sollten. Wie leicht macht Gewinn die Wunden vergessen. Haben nicht die unterworfenen Völker, in Einsicht, wozu es sich lohnt, die römische Bedrückung zu dulden, zuerst Merkur von uns unter ihre Götter übernommen als Adsmerius, Arvernorix, Cimbranius, Teutates? Sein Heroldstab aus Olivenholz, von Girlanden umwunden, ist das Urbild der römischen Feldzeichen, wie sie durch Jahrhunderte in die Welt hinausgetragen wurden. Die ältesten Bildnisse des Gottes, die ich in meiner Sammlung habe, hölzerne und erzene Hermen, die, noch bevor diese Form für marmorne Schulterporträts benutzt wurde, als Wegmarkierungen in Steinhaufen steckten, lassen aus ihrem sonst völlig glatten, wie ein vierkantiger Keil sich nach unten verjüngenden Unterteil einen auffällig gesteiften Phallus hervortreten, der dem Wanderer, Soldat oder Händler die Richtung weist, in der es etwas zu gewinnen gibt. Wie das Weib gegenüber dem Mann, wissen die Bundesgenossen Roms, dass Unterwerfung Frucht bringt. Nichts anderes scheinen mir noch heute unsere siegreichen Feldzeichen zu bedeuten. Doch ich, das klärte sich mir früh, führte sie selbst als Unterworfener, der sich verstellen musste um eines unvergleichlichen Gewinnes willen, der mir freilich erst zufiel, als ich ihn nicht mehr wollte, die Macht. Heute erhoffe ich mir von dem schönen, zarten Jüngling, als den der letzte und feinste Geschmack Alexandrias den Götterboten in mein Haus gestellt hat, einem Ebenbild meiner unwiederbringlichen Jugend, ein sanftes, von freundlichen Gesprächen verkürztes Geleit zu den Schatten der Unterwelt.
3 Der Bauer, wie mein Ahnherr Clausus in Saturnischer Zeit einer war, ist dem engen Kreislauf seiner Wirtschaft verpflichtet. Seine kleine Welt braucht sich in keine Abhängigkeit zu begeben als in die der Natur, die ihm die Unschuld bewahrt. Er ist träge in all seiner Plackerei, er ist unkriegerisch, er unterhält kein Gemeinwesen als das mit seinesgleichen. Ich hingegen war bis ans Ende meiner besten Jahre eine je nach Bedarf geknüpfte Masche in dem Netz, das der Erste Bürger Roms, der Erhabene mit dem dämonischen Willen, aber auch mit dem tückischen und niederträchtigen Gebaren eines Gladiators über die ganze bekannte Welt warf. Die frühe Erfahrung des Kindes, weder List noch offene Weigerung, weder Spott noch Aufruhr werde ihm helfen, mag meine vorherrschend düstere Laune, meine Grämlichkeit und Verdrossenheit erklären. Ich war immer pflichtergeben, obwohl ich die Pflicht verabscheute. Sie verkörperte sich in Augustus, meinem Stiefvater und Vorgesetzten, dem obersten Kriegsherrn und Imperator, dem Ersten Soldaten, Ersten Senator, Ersten Bürger, dem Ersten in jeder Hinsicht. Ich überragte ihn bereits und sah auf sein gewelltes gelbliches Haar. Doch wenn der scharfe Blick seiner hellen Augen mich traf, wandte ich mich ab wie geblendet. Es genügte, dass er mich bei der Schulter packte und herumriss, mir grimmig seinen harten Blick aufzwang und seine schlechten, lückenhaften Zähne zu einem im voraus triumphierenden Lächeln entblößte, um dann wortlos davonzugehen, und mein Widerspruch brach, ebenfalls wortlos, in sich zusammen. Dennoch sprach die Pflicht stets mit weiblicher Stimme zu mir. Noch immer zehrte mein Respekt vor diesem Mann davon, dass meine Mutter ihn meinem Vater vorgezogen hatte. Und weil ich alles, was mit meiner Mutter, was irgend mit Weiblichkeit zu tun hatte, schwernahm, hatte auch die Pflicht an mir eine leichte Beute. Sie nistete sich in mir ein wie die schmarotzende Mistel im Gezweig eines Laubbaumes. Sie machte mich langsam und bedächtig, nachdenklich bis zur Grübelei, aber auch beharrlich und ehrlich. Heute durchschaue ich alle diese gemeinhin für gut erachteten Eigenschaften: Ich war, weil ich hinter jedem Versäumnis einen Abgrund gähnen sah, in allem, was ich tat, bestrebt, jedem Tadel, jeder mir in meinem eigenen überaus strengen Urteil denkbaren Beanstandung zuvorzukommen, jedweden Einwand gegen mich schon zu entkräften, bevor er sich regte.
4 Hinter dieser unerbittlichen Selbstzucht blieb ich im Innersten kleinmütig und zaghaft. Und da sie der Angst geschuldet war, brütete sie neue Minderwertigkeitsgefühle aus, zeugten sich Hemmungen und Selbstzweifel fort. Mit der Zeit lernte ich es, meine Menschenscheu in die römischen Modegewänder der Schlichtheit, Einfachheit, Bescheidenheit zu kleiden. Doch in einer stillen Qual verachtete ich bald nicht nur die Menschen, die etwas von mir verlangten, sondern auch die, zu deren Gedeih ich es leisten sollte. Mein ständig überforderter Stolz schlug um in Ekel, Ekel vor den Mitmenschen und Ekel vor mir selber, bis ich mich in jene Ausbrüche von Überheblichkeit verrannte, die noch heute in aller Munde sind. Man sah mich oft still bleiben, man sah mich selten hochfahren. Man nannte mich einen Mucker und Heuchler. In Wahrheit bewegte ich mich wie ein gefangenes Tier auf nutzloser Flucht beständig im Kreis. Ich floh vor den Widerwärtigkeiten einer theatralisch auftretenden Großfamilie, indem ich mich an alle Regeln mit ausgesuchter Pünktlichkeit hielt, vor den öffentlichen Obliegenheiten, indem ich mich blindwütig in sie stürzte, und vor dem Kummer über Valerias Hochzeit mit Marcus Lollius, indem ich mich in meine anerkanntermaßen schöne Stiefschwester Julia verliebte. Die frischgeschlossene Ehe mit Claudius Marcellus, dem Schwestersohn des Augustus, führte mir diese einzige Tochter, die ihm aus seiner Verbindung mit der verstoßenen Scribonia herangewachsen war, bei Gastmählern und Zerstreuungen aller Art oft genug unter die Augen, machte sie aber zugleich so unnahbar, dass ich mich in meiner Scheu vor den Wirklichkeiten der Liebe nach Herzenslust aufs Schmachten verlegen konnte. Es beruhte auf lauter Einbildungen, das kann ich heute sagen, nachdem ich auch alle Schlammfluten des Hasses auf dieses Weib habe durchwaten müssen. Damals ruhte mein Blick mit heimlichem Neid auf ihrem Gatten, und hinter dem Wunsch, ihm die Frau wegzunehmen, wie es einst Octavian mit meinem Vater getan hatte, arbeiteten meine gerade erwachten Machtgelüste, die ihm den Tod wünschten. Hegte ich tatsächlich Wünsche? Es waren Vorstellungen, an die sich nie Pläne knüpften.
5 Als Sohn der Octavia, der Schwester des Ersten, die unter den weiblichen Gliedern der palatinischen Familie der Livia nur wenig nachstand und es gelegentlich darauf ankommen ließ, ihr den Rang streitig zu machen, nahm Marcellus längst für Augustus die Stelle des eigenen Sohns ein, den Livias Schoß ihm vorenthielt. Gegen die Stiefsöhne, mich und Drusus also, entschied das Blut, das Augustus näherstand. Schon beim dalmatischen Triumph war dies sichtbar, als Marcellus das rechte, ich aber nur das linke Beipferd seines Siegeswagens reiten durfte. Zudem hatte der Neffe mir ein knappes Lebensjahr voraus. Durch die Ehe mit seiner Tochter hatte Augustus vor aller Welt den Marcellus unumstößlich zu seinem Nachfolger erklärt. Und ich war zu der Zeit noch nicht klug genug, dieses Los zu fürchten. Überdies war Julia in dem Alter, als Valeria mir zum ersten Mal begegnete, ein noch unschuldig dreinschauendes, äußerst reizendes Wesen. Frühreife und Selbstsicherheit gaben dem ersten Aufbrechen ihrer Blüte einen lieblich herben Duft, und nur ein Frauenkenner hätte ahnen können, dass sich der Modergeruch der Verworfenheit daraus entwickeln würde. Sie war auch durchaus klug und belesen. Und wenn Valeria ihr sinnliches Verlangen von Natur aus kaum verbergen konnte, so empfand Julia in Kenntnis ihres Ranges nie eine Nötigung dazu. Schon in diesem zarten Alter schenkten ihre ins Türkis spielenden Augen ihre Gunst, wem sie wollten. Auch sie erschien mir als schicksalhafte Mischung aus Hure und Göttin. Denn die Blicke, die mich trafen, wenn sie am Arm des Marcellus in den Saal trat, lockten mich auf die Spur des Unerreichbaren und umgaukelten mich mit vagen Verheißungen des Verbotenen.

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