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Mach`s gut, Paul!


Mach`s gut, Paul!


1. Auflage

von: Gerd Bieker

6,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 28.01.2022
ISBN/EAN: 9783965216013
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 158

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Es geht um Paul. Aber nicht nur.
Vor acht Tagen war Paul Wenzel mit einem Rucksack voller Schulbücher im Ferienheim angereist, in dem seine Mutter ihre Urlaubswochen vom vorigen Jahr verbringt. Weil sie nicht nein sagen kann, hat sie sich als Aushilfsköchin anwerben lassen. Paul wollte in den drei Winterferienwochen lernen, lernen und nochmals lernen, obwohl dieser Februar den schulmüden Kindern allerschönstes Mützenwetter bescherte, Pulverschnee in Hülle und Fülle und blankes Schlittereis. Und obwohl im Heim eine gewisse Bärbel vorhanden ist, die Kulleraugen hat und ihn etwas interessiert.
Eine volle Woche lang hat Paul den Härtetest der Gelehrsamkeit durchgestanden, denn er will später als Baumaschinist ganz hoch hinaus. Er will unbedingt auf einen apfelsinenroten Schwenkkran und Häuserschachteln montieren. Zum einen hat Paul gehört, was man dort verdienen kann: mehr als das Doppelte dessen, was seine Mutter monatlich aus der Lohntüte holt, und zum anderen glaubt er, dass er diese Arbeit mit Lust und Liebe verrichten wird.
Und da ist noch jemand. Dieser Jemand heißt Conrad Häwel und brütet in einem Gastzimmer des Schriftstellerheimes über dem noch nicht geschriebenen Teil eines neuen Kinderbuches. Er starrt auf das eingespannte Blatt in seiner Schreibmaschine, auf dem bis jetzt nur die Seitenzahl steht: 106. Er hatte gestern die Schnapszahl 111 geschafft und anlässlich des Ereignisses einen gepichelt, aber die sieben Seiten hat er heute wieder weggeworfen. Seinen Papierkorb muss das Mädchen, das die Zimmer sauber macht, jeden Tag leeren.
Conrad Häwel hat eine schriftstellerische Krise, obwohl er im besten Dichteralter steht: Er ist fünfundvierzig. Und Häwel sehnt sich nach einem Menschen, mit dem er reden kann. Dann trifft der Schriftsteller eher unfreiwillig auf Paul. Oder umgekehrt. Die beiden machen sich miteinander bekannt und Paul erzählt Häwel aus seinem Leben, in dem aber auch schon einiges passiert ist. Aber Paul glaubt, dass der Schriftsteller überhaupt nichts verstanden hat. Und Conrad Häwel bekommt etwas später schlechte Laune. Und er kommt trotzdem zu einer Erkenntnis.
Nicht zuletzt geht es in dem unterhaltsamen Buch um Psychologie, um große Kartoffeln und Sterne am Himmel sowie um Gewerkschaftsangelegenheiten, um Liebe und um Relativitätstheorie und um eine Überraschung. Und die hat wiederum mit Conrad Häwel zu tun. Oder besser gesagt: Die ist Conrad Häwel …
Und ob es wirklich stimmt, dass Paul Fenster putzen kann?
Am 23. Juli 1937 in Grünhainichen geboren, Lehre als Buchdrucker, danach Zeitungsrotationsdrucker in ständiger Nachtarbeit.
Von 1960 bis 1963 Studium am Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ in Leipzig. Danach bis 1969 Kulturpolitischer Mitarbeiter beim Kulturbund der DDR.
Ab 1970 freier Autor in Karl-Marx-Stadt: Erzähler und Hörspielautor in Serien für Kinder, eigene Serien (Paule-Geschichten), Jugendbuchautor, vielseitige journalistische Mitarbeit bei Zeitungen und Zeitschriften sowie Autor von Stadt- und Regionalgeschichte.
Nach 1990 Arbeit als Buchhändler, Leiter des ABM-Vereins „Fachwerk heute e. V.“.
Er lebt mit seiner Partnerin Brigitte Dathe in Chemnitz.
Das Ereignis dieses Winters, das sich im Handumdrehen sogar bis in die Hauptstadt herumsprechen und an das man sich hier auch noch in Jahrzehnten erinnern wird, findet am hellerlichten Vormittag statt.
Paul sieht’s mit eigenen Augen: Über den See dackelt ein „Trabant“.
Paul vermeint zu träumen. Eine optische Täuschung? Das Eis ist ein einziges Glitzern und Gleißen, die Augen schmerzen vom grellen Widerschein der Sonne. Heute ist gutes Wetter, auch für eine Fata Morgana.
Paul paukt sich gerade Russischvokabeln ein, und wenn er sie wiederholt, dann schaut er nicht an die mit Sauerkrautplatten grob vernagelte Decke seines Käfterchens im Ferienheim, sondern aus dem Fenster.
In höllischem Tempo saust der Trabi in Richtung des noch kilometerweit entfernten anderen Ufers. Plötzlich kommt er ins Rutschen, tanzt und dreht Pirouetten auf dem Eis, bleibt stehen, krebst unentschlossen rückwärts, zu spät! Es sieht gerade so aus, als verneige der Trabi sich: Vorn duckt sich der Kühler ergeben, das stummlige Heck reckt sich in die Luft. Für Sekunden verharrt er in dieser für ein erprobtes Gefährt unwürdigen Position, gerade nur so lange, um seinen Fahrer heraushüpfen und übers Eis wegrollen zu lassen. Dann bricht er vollends ein und taucht weg wie die „Titanic“ im Film.
Paul schlenkert die Filzlatschen unters Bett, steigt in die Gummistiefel, greift sich den Mantel und spurtet los.
Er bekommt Seitenstiche vom Dauerlauf, aber als er am Ort des Geschehens anlangt, ist er trotzdem nicht der erste.
Benno Schlüssel, der Trottel und ständige Wachhabende des Dorfes, steht bereits vor dem autolosen Fahrer.
Noch einige Leute kommen im Galopp hergerannt, beseelt von dem guten Vorsatz zu helfen. Aber es gibt nichts mehr zu helfen. Hechelnd machen sie ihrer Entrüstung über den Leichtsinn des Fahrers Luft.
Auf diese Weise erfährt Paul, dass es sich bei dem pausbäckigen jungen Mann mit den dreisten Augen um einen allbekannten Raser handelt, Heinz mit Namen, genannt der fixe Heinz. Er ist besessen vom Ralleygeist, einer, der sein Auto nur mit Sturzhelm besteigt.
Tatsächlich trägt der Mann auch jetzt seinen Helm mit einem Tiger vorn drauf.
Bei dem versunkenen Trabi aber, hört Paul, handele es sich um ein fesches Schmuckstück von Fahrzeug. Mit Farbstreifen verziert, zusätzlich mit Scheinwerfern, Nebellampen und zahlreichen Extras bepflastert und mit Überrollbügeln stählern verstrebt. Nur unter einem Fehler habe die Karre zu leiden gehabt: unter ihrem verrückten Fahrer. Wahrscheinlich habe er irgendwas von Geschwindigkeitsweltrekorden auf nordamerikanischen Salzseen läuten hören und in seiner unbremsbaren Tempowut gewettet und geschworen, genau so ein Ding zu starten, entsprechend den Landesverhältnissen natürlich in kleinerem Maßstab.
„Das hast du nun davon“, sagen die Leute zu dem Fahrer.
Der Trabantpilot zieht seine durchbrochenen Rennfahrerhandschuhe aus und wieder an. Er glotzt verständnislos und bringt nur ein Wort hervor: „Caramba!“
Gutmütig überzeugen die Zuschauer ihn, dass er ein Mordsschwein gehabt habe, gerade vorm Abschnappen aus der Kiste raus. Irgendwann werde er seinen bunten Einkaufsbeutel aus Zwickau schon wieder zu Gesicht bekommen. Er brauche nur bis zur Schmelze zu warten, dann könne er ihn mit Schnorchel und Schwimmflossen besichtigen.
Sie rechnen aus, was ein Heben mit dem Bergungsschiff kosten wird, schlagen die verlorene Wettsumme – glatte tausend Mark – dazu und kommen zu dem Ergebnis, das sei der ganze Spaß nicht wert gewesen.
„Caramba!“, sagt der Fahrer.
„Machen Sie Ihre Aussage, Mann!“, wird er vom Dorftrottel Benno Schlüssel aufgefordert. Benno zeigt einen Konsumausweis vor. „Interpol. Ich bin Lieutenant Schlüssel. Aber ohne Sperenzien und faule Tricks, ist doch nur zu Ihrem Besten, Mann.“
Vom Ufer her nähert sich kopfschüttelnd der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei. Seine Dienstpelzmütze schwankt in stummer Vorausverurteilung auf den Tatort zu.
„Gehen Sie gefälligst vom Eisloch weg! Ein mindester Sicherheitsabstand ist einzuhalten, wenn ich bitten darf!“
Die bevollmächtigte Ordnung des Dorfes waltet ihres Amtes.
Unverzüglich erzählen die Leute, was sie auf Ehre und Gewissen beschwören können.
„Wegen ’ner Kneipenwette mit einem aus dem Nachbardorf, der genauso mit dem Auto herumgast.“
„Tausend Mark! Dafür muss unsereiner über ’n Monat lang rackern!“
„Ich bin Zeuge! Schreiben Sie sich das getrost wortwörtlich auf, Genosse. Also folgendes: Haste was kannste, tatütata, dann brrr! und sst! um die eigene Achse wie ’n Kreisel, und auf einmal, mir blieb die Luft weg, ging’s ploing!, klatsch!, bumm! …, und weg war se, die Asphaltblase!“
„Er hat die warmen Strömungen im See nicht einberechnet. Das ist nämlich alles Physik. Diese warmen Strömungen unter dem Eis meine ich. Verstehen Sie, was ich meine? Alle diese hoch komplizierten temperierten Strömungen, wie es der Fachmann nennt …“
„Nur keine Hektik bitte“, sagt der Volkspolizist. Er lässt sich auch durch Physik nicht aus seinem Konzept bringen.
„Hinsichtlich der STVO werden Sie in Teufels Küche kommen“, prophezeit Benno Schlüssel dem Unglücksraben, „da wird man Ihnen tüchtig eins überbraten. Aber immerhin hatten Sie den Sturzhelm auf. Was das betrifft, kann Ihnen keiner was am Zeug flicken, das ist ein mildernder Umstand.“
„Caramba.“
Der ABV hat die Ruhe weg. „Halt die Klappe, Benno.“
„Ich bin Abgeordneter“, sagt Benno mit Würde.
„Freilich, du bist meine rechte Hand, Benno, also verhalte dich dementsprechend.“
„Zu Befehl!“, sagt Benno militärisch.
„Unser Benno ist ein Wunderling“, erklärt der ABV den Umstehenden, damit keine Missdeutungen aufkommen.
Daraufhin herrscht verständnisinniges Schweigen, das nur vom Fahrer mit seinem „Caramba!“ unterbrochen wird.
„Deinen Ausweis, Caballero!“, fordert der Volkspolizist.
Statt einer Antwort schmeißt der Fahrer seine schönen Handschuhe ins Wasserloch, wie ein Blumensträußlein, das man einer guten Seele ins Grab nachwirft. Er kapiert nichts. Guckt in die Runde, als hätte es bei ihm ausgehakt.
Alle sehen beeindruckt auf die gelben Lederhandschuhe. Sie schwimmen im Kreis und gehen nicht unter, obwohl sie doch überall gelocht sind. Der Kenner der physikalischen Gesetze blickt wie auf ein kirchliches Wunder. „Kommen wir zur Sache“, sagt der Polizist, nachdem er sich die allgemeine Aufmerksamkeit erräuspert hat. „Gibt es Augenzeugen des Vorfalls?“
Paul meldet sich als letzter und berichtet, was er vom Fenster aus gesehen hat. Es ist im Wesentlichen nichts Neues und deckt sich mit dem halben Dutzend anderer Aussagen.
Die Leute verlaufen sich, sie haben zu tun.
Als nur noch Benno, Paul und der staunende Verunglückte vor dem Polizisten stehen, sagt die Ordnungsmacht mit gesenkter Stimme: „Hat es dich Rübenschwein endlich erwischt?! Gehst mir seit Jahr und Tag durch die Lappen. Immerzu höre ich mir die Vorhaltungen der Bürger an: ,Wann schnappt ihr euch den? – Der kennt nur Gas! Gas! Gas! – Nehmt die Kinder rein, der fixe Heinz kommt‘, hieß es allgemein. Hast uns zum Gespött gemacht. Aber jetzt ist der Bart ab. Das kostet dich nicht nur die Fahrerlaubnis, Heinzel, das bedeckt dich unvergänglich mit Ruhm: Die Leute werden sich über dich totlachen, endlich, endlich“, schließt der Polizist befriedigt und atmet tief durch.
Paul kann es dem Mann nicht verdenken, das musste der sich mal von der Seele reden.
In diesem Moment scheint der Fahrer die Welt wieder zu begreifen. „Himmel, Arsch und Achsenbruch!“, schreit er. „Das ist eine Beleidigung, Schutzmann. Unter Zeugen!“
Der Volkspolizist feixt genüsslich. Dann hebt er vorschriftsmäßig die Hand an die Pelzmütze, macht eine stramme Kehrtwendung und geht. Sein Lächeln besagt, dass er Paul und Benno durchaus als Menschen und Staatsbürger achtet, dass er aber die Aussagen eines fremden Halbwüchsigen und eines Schwachsinnigen gegen sein fest gefügtes Abschnittsbevollmächtigtensein gar nicht groß in Betracht ziehen würde.
„Kommen Sie mit“, sagt Benno zu Paul, „wir müssen ein Protokoll aufsetzen.“
„Okay, Sir“, sagt Paul gutmütig.
Der Fahrer bleibt einsam am Eisloch zurück. Er kniet sich hin und paddelt mit der Rechten im Wasser, versucht seine wirkungsvoll weggeschmissenen Handschuhe wiederzubekommen.
„Wie waren Sie vorhin nur so schnell zur Stelle, Lieutenant?“, fragt Paul. Er will eines dieser Gespräche im Krimistil anfangen, die Benno so liebt, erhält jedoch keine Antwort.
„Per Moped hätte er’s zehnmal geschafft, aber das ist es eben, die Leute wollen hoch hinaus, und dabei gluckern se tief hinunter“, meint Benno philosophisch.

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