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Der Winter ist ein anderes Land


Der Winter ist ein anderes Land


1. Auflage

von: Gabriel Gafita

8,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 11.04.2013
ISBN/EAN: 9783863949860
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 488

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Die Hochschuldozentin Ana und der Journalist Filip sind seit einem Jahr glücklich verheiratet, als sie das gleiche Berufsschicksal trifft: Beide werden wegen Rationalisierungsmaßnahmen aus ihren Dienststellen entlassen.
Ohne feste Anstellung fristet Filip sein Dasein mit Gelegenheitsarbeiten, zu einem permanenten Provisorium verurteilt und zusätzlich belastet durch die Sorge um seine Frau Ana, die nach dem Abbruch ihrer wissenschaftlichen Karriere und einem Selbstmordversuch in einem Nervensanatorium Heilung sucht.
Der Autor konfrontiert seine beiden Haupthelden mit einer Reihe von Ereignissen und Personen, die es ihm ermöglichen, Mentalitäten und Haltungen, menschliche und soziale Unzulänglichkeiten darzustellen und die Frage nach der Verantwortung des schöpferisch tätigen Intellektuellen im Sozialismus auszuloten.
Der im sozialistischen Rumänien spielende Roman von 1979 wendet sich mit scharfer Kritik gegen Autoritätsmissbrauch, Karrierismus, Korruption, Diktatur und Engstirnigkeit in vielen Bereichen.
Gabriel Gafita
Am 4. März 1952 in Bukarest als Sohn eines Literaturkritikers und Verlegers geboren.
1959-1971 Lyzeum in Bukarest.
1971-1975 Hochschule, Fremdsprachen an der Bukarester Universität (Hauptfächer Englisch und Französisch).
1975-1977 freischaffender Schriftsteller.
1977-1990 Redakteur im Verlag der Nationalen Minderheiten, Kriterion, Bukarest. Zuständig für die Übersetzungen ins Rumänische.
1990-1991 nach dem Fall des Kommunismus Regierungsexperte für die Angelegenheiten der nationalen Minderheiten im Ministerium der Reform. Als Regierungsexperte aktive Teilnahme in verschiedenen Delegationen Rumäniens an internationalen Treffen zu Fragen der Minderheiten.
Ab 1991 Tätigkeit im rumänischen Außenministerium: 1991-1995 Kulturrat der rumänischen Botschaft in London, 1995 Direktor für Policy Planning, 1995-1998 Staatssekretär, 1998-2002 Botschafter in Kanada, 2002-2003 stellvertretender Generaldirektor für Europa und Nordamerika, 2004-2005 Botschafter in Malaysia, 2005-2009 Botschafter in Portugal, 2010 Mitglied des Afrika-Referats, 2011 Leiter der Lateinamerika Abteilung, zur Zeit Direktor für Asien, Pazifik und Lateinamerika.
Literarische Tätigkeit
1968 Debüt mit Kurzprosa;
1971 „Tod der Masken", Kurzprosa;
1975 „Licht für die Einsamen", Roman (bulgarische Auflage, 1977);
1980 „Der Winter ist ein anderes Land", Roman (deutsche Auflage, 1983, polnische Auflage, 1984; ungarische Auflage, 1985);
1991 „Partielles Martyrium", Roman;
1995 „Porträtentwurf eines Familienhauptes", Roman.
Die letzten zwei Romane, von der rumänischen Zensur abgewiesen, konnten erst nach 1989 erscheinen.
15 Übersetzungen aus der dänischen, französischen, englischen, amerikanischen und deutschen Literatur (Klaus Konjetzky, Bernt Engelmann und die rumäniendeutschen Autoren Adolf Meschendörfer und Johann Lippet).
Veröffentlichung zahlreicher Artikel, Rezensionen, Gedichtübersetzungen, Kurzprosa in literarischen Zeitschriften.
Mitglied des rumänischen Schriftstellerverbands seit 1976.
Verheiratet, ein Sohn.
Die Reinigungskräfte kamen um halb sieben Uhr und schlossen, nachdem sie sich umgezogen und gefrühstückt hatten, gegen halb acht die Tür auf, worauf die wartende Menge den Eingang stürmte. Die Frauen und Männer stießen einander und drängelten, jeder wollte als erster in die große Vorhalle zum Flur gelangen, die im Juli einen so friedlichen Eindruck gemacht hatte, als Filip zum ersten Mal in dieses sein Wahlstädtchen gekommen war, um als frischgebackener Lehrer sein Glück zu versuchen, das Meer mit dem Finger zu erproben, wie er sagte.
Drinnen in der Halle war die bisherige Ordnung der Schlange zwangsläufig durcheinandergeraten, und es begann ein Streit, der ein bis anderthalb Stunden dauerte. Bis Dumitranas Sekretärin kam, zankte sich jeder mit jedem, entweder, um den verlorenen Platz zurückzuerobern, oder, um den neu besetzten zu behalten. Der Kampf um jede Handbreit Boden vor Dumitranas magischer Tür wurde mit Erbitterung ausgetragen, wollte man sich doch den Vorteil sichern, als erster zur Sprechstunde eingelassen zu werden, zu einer Zeit, wo man den Inspektor noch einsichtiger vorfand. Rückten die Uhrzeiger erst auf zwölf, wurde der „General" hungrig und nervös und genehmigte nichts mehr, wie Filip den Äußerungen der Lehrer um ihn herum entnahm. Vom Essen zurückgekehrt, hatte der Inspektor dann meistens das frühere Wohlwollen zurückgewonnen.
Um halb neun etwa erschien Frau Camelia, die Sekretärin des Chefs. Sie bahnte sich den Weg durch die Menge und belegte die Versammelten mit den verschiedenartigsten Adjektiven. Als sie im Vorzimmer verschwunden war, verschloss sie die Tür von innen und rief nur noch von Zeit zu Zeit etwas durch die Füllung. Auf die Zurufe der Wartenden von der anderen Seite der Tür her reagierte sie nicht. Sie blieb ungerührt. Erst kurz vor neun Uhr öffnete sie die Tür und ließ ein paar Lehrer eintreten.
„Also Ruhe bitte und der Reihe nach! Was zum Teufel soll das! Ich mache gleich zu und lasse überhaupt keinen mehr rein."
In dieser Phase des Vordringens zum Büro des Bezirksinspektors hatten die Männer fatalerweise die Priorität errungen. Mit kräftigen Muskeln begabt, machten sie regen Gebrauch davon, benutzten die Ellbogen, boxten die anderen Wartenden zur Seite, um vorwärtszukommen. Eine Frau, eingequetscht zwischen drei Männern, die gleichzeitig durch die Tür wollten, schrie auf. Man teilte großzügig Rippenstöße aus, trat sich gegenseitig auf die Füße. Aus dem Wogen der Menschenmenge ragte zuweilen ein Gesicht heraus, dem das verzweifelte Ringen um den in der Reihe angestrebten Platz abzulesen war, oder auch ein anderes, verspanntes, das im Aufruhr der Masse ergebenes Warten auf Dumitranas Schiedsspruch ausdrückte, besiegelte er doch das Schicksal des Betreffenden zumindest für ein ganzes Jahr. Wenn sich plötzlich eine schrille Stimme fluchend aus der Anonymität heraushob, dann wurde auch gelacht, doch das Drängeln ließ keinen Augenblick nach, man stieß, schob, schubste, um sich der Glastür zum Zimmer des Schulinspektors weitmöglichst zu nähern.
Endlich, nach neun Uhr, kam Dumitrana in einem grauen Pobeda angefahren, der wie eine alte Blechkiste schepperte. Während des Anstehens hatte Filip erfahren, dass dieser Wagen der Anlass zu manchem Stoßseufzer und der stille Gram im Leben des Inspektors war. Wie oft schon hatte auch er einen Dacia beantragt, doch niemand genehmigte ihm das schöne Auto, er musste mit der alten Karre von rattengrauer Farbe und einem Fahrer, der ständig unrasiert und betrunken war, durch den Bezirk kutschen. Später konnte Filip einmal selbst beobachten, wie Dumitranas Pobeda zum Parken hinter das Gebäude der Bezirksleitung geschickt wurde, damit er den schönen Anblick vor dem Haus, wo die schwarzen, noch glänzenden Autos standen, nicht verschandelte.
Als Herr Dumitrana die Lehrer vor seiner Tür Schlange stehen sah, rief er amüsiert und jovial aus: „Was ist denn hier los, Herrschaften? Gibt es etwas Besonderes, weil ihr so zusammengeströmt seid?"
Alle lachten freundlich und gönnten sich eine kleine Atempause im harten Kampf um die Vorherrschaft. Sie machten dem Inspektor Platz, und er ging selbstbewusst und gemessenen Schrittes durch die Menge, überflog die Wartenden mit aufmerksamem Blick, grüßte unbestimmt nickend, als habe er Bekannte mit den Augen ausfindig gemacht und bedenke sie mit einem flüchtigen „guten Morgen". Von der Türschwelle zu seinem Büro aus warf er die Lehrer, die sich den Weg so mühsam ins Vorzimmer gebahnt hatten, aus diesem wieder hinaus, als Begründung Sauerstoffmangel und Lärm anführend und mit weicher Stimme darum bittend, doch Ruhe und Disziplin zu bewahren.

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