Details

Der Verbannte von Tomi


Der Verbannte von Tomi

Historische Erzählungen
1. Auflage

von: Volker Ebersbach

6,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 30.12.2021
ISBN/EAN: 9783965215917
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 238

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Es hat ihn erwischt: „Der Bote gab nun das Griechische auf und wiederholte seine Meldung in der Sprache der Weltbeherrscher. Die Getin schlurfte in die Weiberstube und schnatterte dort mit ihrer Tochter weiter. Auch der Präfekt wandte ein, die Gepäckstücke könnten getrost eine Nacht auf dem Schiff bleiben. Er habe keinerlei Nachricht, dass ein Verbannter aus Rom unterwegs sei nach Tomi: Was er denn mit diesem Gepäck zu tun habe! Was für eine Schlamperei, ihm noch einen Verbannten in die schlecht befestigte Stadt zu schicken! Der eine, den er schon habe, der hundertjährige Lump aus Athen, sei ihm lästig genug. Alle seine Kräfte binde hier der äußere Feind. Die Bewachung eines Staatsverbrechers – es sei doch wohl einer? – stelle für ihn eine Zumutung dar. Was man sich auf dem Palatin in Rom denn dächte!“ Und doch stimmt es. Ein Verbannter aus Rom trifft auf Tomi ein, das heute Constanta heißt und in Rumänien liegt. Der Verbannte heißt Ovid und ist der berühmte Verfasser der „Ars amatoria“, der „Liebeskunst“, der irrtümlich geglaubt hatte, dass er sich mit diesem Thema jeglicher politischer Intrigen entzogen habe. Doch er hatte eher unfreiwillig etwas gesehen:
„Ich darf bei Gefahr meines Lebens darüber nicht sprechen“, murmelte Ovid verwirrt. „Es war nichts, was den Staat gefährdet hätte.“
„Das kann ich mir nicht denken.“
„Nun denn“, sagte Ovid, „schlicht und einfach: Ich kam versehentlich hinzu, als des Kaisers Enkelin die Ehe brach. Ich sah, was kein Sterblicher sehen durfte. Aktäon sah nur die nackte Diana und musste sterben. Ich sah die nackte kaiserliche Dame und einen nackten Mann bei einem Frevel. Einer, der mir übelwollte, sah, dass ich sah. Ich hätte keinerlei Gebrauch davon gemacht. Aber vielleicht wollte er auch, dass ich sah und gesehen wurde. Denn hernach las er dem Kaiser aus meinen Liebesdichtungen vor und machte ihn glauben, ich, der ich harmlose Leute nichts anderes lehrte, als mit der Liebe richtig umzugehen, sei der Lehrmeister dieses Verbrechens gewesen.“ Ovid lachte auf. „Als ob eine Julia dieses Lehrers bedurft hätte, da schon ihre Mutter, des Kaisers Tochter, ein stadtbekanntes Flittchen war. Das alles ist so widersinnig. Ich verstehe den Kaiser nicht. Er muss …“
Verzweifelt versucht Ovid, rehabilitiert zu werden und wieder zurück nach Rom zu dürfen. Wird es ihm gelingen?
Im Mittelpunkt der anderen beiden historischen Erzählungen stehen Seume und Dostojewski, ihr Leben und ihr Werk.
Der Verbannte von Tomi
I. Ankunft
II. Das Opfer
III. Das Loch in der Hecke
IV. Alte und neue Verse
V. Der Kinäde im Moor
VI. Der hundertjährige Lump
VII. Die Geburt der Venus
VIII. Das Netz
IX. Mars über der Steppe
X. Epilog: Orpheus gibt sich nicht verschollen
Seume in Teplitz
Karsamstag
1 Scharfe Luft
2 Der neue Mieter gegenüber
3 Die Höllenfahrt der Liebe
4 Die Schindmähre
Volker Ebersbach ist am 6. September 1942 in Bernburg/Saale geboren und dort aufgewachsen. Nach Abitur und Schlosserlehre studierte er von 1961 bis 1966 Klassische Philologie und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1967 promovierte er über den römischen Satiriker Titus Petronius. Danach lehrte er Deutsch als Fremdsprache ab 1967 in Leipzig, 1968 in Bagdad, 1971 bis 1974 an der Universität Budapest, wo er auch mit seiner Familie lebte.
Seit 1976 ist er freier Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. Er schreibt Erzählungen und Romane, Kurzprosa, Gedichte, Essays, Kinderbücher, Biografien und Anekdoten. Er übersetzte aus dem Lateinischen ausgewählte Werke von Catull, Vergil, Ovid, Petronius, das Waltharilied, Janus Pannonius und Jan Kochanowski. Einzelne Werke wurden ins Slowenische und Koreanische übersetzt.
Von 1997 bis 2002 war er Stadtschreiber in Bernburg. Danach lehrte er bis 2004 an der Universität Leipzig.
Lion-Feuchtwanger-Preis, 1985
Stipendiat des Künstlerhauses Wiepersdorf und des Stuttgarter Schriftstellerhauses, 1993
Der Präfekt lud Ovid zum Essen. Auf dem Weg zu seiner Villa sagte er: „Du hast dich bei dem Griechlein sehr gut benommen.“
Ovid sah ihn fragend an.
„Nun, ist dir nicht aufgefallen, wie er um dich warb, wie er versuchte, das römische Bürgerrecht zugunsten seiner Krämerprivilegien herabzusetzen? Wir dulden die Bule. Ihre Krämerbelange können sie am besten selber regeln. Aber es herrscht dort kein guter Geist, und nur die Angst vor den Barbaren hält sie widerstrebend in Gehorsam gegenüber Rom. Sie weigern sich, an Opernfeiern für den vergöttlichten Julius Cäsar teilzunehmen.“
„Mir scheint“, entgegnete Ovid, „die Verehrung des vergöttlichten Juliers ist uns Römern so wichtig, weil unser Glaube an die alten olympischen Götter abgestorben ist.“
Der Präfekt räusperte sich, schwieg aber.
Die Sonne schien jetzt ungetrübt und warm. Das Meer brauste stärker unter stetigem Nordostwind. In der Sonnenhelle blendeten die weißen Gebäude der Landzunge. In Rom, dachte Ovid, steht die Sonne um diese Jahreszeit kaum höher. Warum nur ist es noch immer so kalt.
Der Präfekt erwiderte den Gruß zweier Kaufleute, die vom Hafenamt kamen. Der Dichter hatte Zeit, das Verfängliche seiner freimütigen Bemerkung zu bedenken. Das Gespräch mit Polymachos, in dessen heiterer Gegenwart jedes Problem zu zerrinnen schien, war zu rasch beendet worden, die Plauderlaune hielt noch vor.
Aber der Verbannte wusste nun, dass es in der Stadt Leute gab, die ihn besser verstanden als sein soldatischer Landsmann. Das machte ihn sicherer dem Präfekten gegenüber. An der Tafel, der Lucius diesmal fernblieb, fragte er geradezu: „Was meinte wohl der griechische Bürgermeister, als er auch dich scherzhaft unter die Verbannten zählte?“
Quillius Postumus sah den Frager an wie ein ertappter Lügner. Offenbar war ihm solch eine Frage noch nie gestellt worden. Ein dumpfer Groll rötete sein Gesicht. Dann gab er der Versuchung nach, sich jemandem anzuvertrauen. Er lockerte den Bausch seiner Toga so weit, dass in seiner Schulter dicht neben dem Schlüsselbein eine runzlige, ständig gerötete Grube sichtbar wurde: „Das blieb mir von einem getischen Pfeil, der, weil er vergiftet war, sofort an Ort und Stelle, hinter den Zinnen des Stadttores, herausgeschnitten werden musste, und der Wundarzt hielt es für nötig, auch noch ein brennendes Eisen hineinzusenken.“ Dann fuhr er mit dem Daumen die Narbe auf seiner rechten Wange entlang. „Auch diese Verwundung empfing ich von vorn“, fuhr er feierlich fort. „Auf dem Rücken habe ich nicht einen einzigen Kratzer. Aber sie stammt nicht von Barbarenhand, sondern von einem römischen Kurzschwert, und der Fluch, der den Hieb begleitete, war ein lateinischer, und zur Vergeltung führte Mars meine Klinge in das Herz eines römischen Bruders.“ Er aß, kaute, räusperte sich dann. „Es war bei Actium.“ Er lauerte, was sein Gast dazu sagen würde. Aber da die erwartete Frage ausblieb, stellte er sie selbst: „Wer bei Actium solch einen Beweis seiner Tapferkeit lieferte – hat der es verdient, in diesem Nest sein Leben zu fristen? Nein, nicht wahr! Die Erklärung ist ganz einfach: Ich stand bei den Verlierern. Ich war ein Mann des Antonius. Konnte ich mit meinen kaum zwanzig Jahren denn wissen, wer Rom retten würde, Antonius oder Oktavian, unser Augustus? Ich wurde gefangengenommen. Meine Eltern, die mich zur Flotte des Antonius geschickt hatten, verloren ihre Güter in Apulien. So kam es, dass ich nicht den Lohn des Erhabenen erwarten durfte, sondern auf seine Gnade angewiesen war. Nachdem ich meine alte Gefolgschaft als den Irrtum, der sie ja war, abgeschworen hatte, durfte ich mit einer frisch ausgehobenen Legion nach Mösien ziehen. Ich bin Präfekt dieser Stadt geworden und vertrete hier die römische Schutzmacht. Das ist weit mehr, als einer erwarten durfte, der auf der falschen Seite gestanden hat. Aber sind dreißig Jahre nicht genug? Ich fürchte, der Kaiser hat mich vergessen, einfach vergessen. Seit zehn Jahren ist kein Legat mehr hiergewesen, bin ich zu niemandem bestellt worden. Auf Anregungen, die ich in meine Berichte einflechte, bekomme ich keine Antwort. Ich habe es längst aufgegeben, Gesuche um Abschied aus dem Heer und Rückkehr in meine Heimat zu schreiben. Ein einziges Mal erhielt ich einen Bescheid: Um als Erbe der beschlagnahmten apulischen Güter auftreten zu können, die meine Eltern hinterlassen haben, müsse ich nachweisen, dass ich verheiratet bin. Eher werde der Fall gar nicht bearbeitet. So entschloss ich mich, die Getin zu heiraten, mit der ich zwei Kinder habe. Polymachos stellte mir eine einwandfreie Heiratsurkunde aus. Ich weiß nicht einmal, ob sie in Rom angekommen ist.“
Der Präfekt trank, ließ sich nachschenken und trank noch ein Glas Wein. Noch nie hatte er sich so ausgesprochen.
„Wer weiß“, sagte Ovid, „ob diese Ehe anerkannt wird. Vielleicht wird deine Getin als Sklavin eingestuft. Die Gesetze sind in dieser Hinsicht verschärft worden. Fand sich denn keine griechische Kaufmannstochter in ganz Tomi?“

Diese Produkte könnten Sie auch interessieren:

Adam im Paradies
Adam im Paradies
von: Volker Ebersbach
EPUB ebook
8,99 €
Sohn des Apollon
Sohn des Apollon
von: Herbert Friedrich
EPUB ebook
7,99 €
Sohn des Apollon
Sohn des Apollon
von: Herbert Friedrich
PDF ebook
7,99 €