Details

Der Soldat und die Frau


Der Soldat und die Frau

Novelle
1. Auflage

von: Max Walter Schulz

6,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 21.06.2015
ISBN/EAN: 9783956552649
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 174

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Tief in der Steppe, mitten im Zweiten Weltkrieg, begibt sich eine außergewöhnliche Geschichte: Der Soldat Röder, der als Gefangener mit einem Kommando die gefallenen Soldaten begräbt, wird von dieser Gruppe getrennt, und er findet sich wieder allein in der Nähe eines Dorfes, nunmehr als Gefangener von Frauen, die beginnen, ihre Häuser und Höfe wieder aufzubauen. Was erwartet ihn, was kann er erwarten? Er erwartet Hass und erfährt zunächst Hass. Aber im Verlauf des Geschehens verwandelt sich der Hass, und auch er selbst gewinnt neue Erfahrungen, und er wird nicht nur überleben, sondern eigentlich erst wirklich zu leben beginnen. Und so spiegelt sich im Außergewöhnlichen das historisch Bedeutsame, das sich wandelnde Verhältnis zwischen sowjetischen und deutschen Menschen. In ungewöhnlicher Dichte, spannungsgeladen, wird diese Geschichte erzählt, die den Autor wiederum als reifen Erzähler ausweist.

LESEPROBE:
Der Mann, der auf dem Eis kniete, beugte das Haupt tief über den Toten. Herrgott im Himmel, wenn es dich noch gibt. Du kannst mir glauben, wir haben ihn aufgezogen in Liebe. Bei der Taufe hat der Pfarrer Ballmann gesagt, dies Kind soll unverloren sein. Hast du es weggeschmissen, Gott? Haben wir’s getan? Hat er’s selber gemacht? Deck dich mit meinem Mantel zu, Junge. Es ist kalt. Es ist kalt, hörst du, wie die Räder knarren vor dem Karren. Und die müssen noch so weit mit dir. Hörst du, wie der Baum umbricht ...
»Roider!«
Das wird der Starschina sein. Den kennst du nicht. Der kann unsern Namen nicht richtig aussprechen. Ist kein schlechter Mensch deswegen. Ich muss jetzt aufstehn.
Der Starschina, das Pferd am Zügel haltend, stand an der Grube. Sah hinab auf den Toten. Sah lange hinab auf das Totengesicht. Blickte auf. Sah prüfend in das tote Gesicht des Mannes, der sich erhoben hatte.
»Familija?«, fragte der Sergeant, auf den Toten deutend.
»Röder«, antwortete der Kriegsgefangene.
Er tappte die paar Schritte bis zum Karren. Nahm sein Brecheisen von der Pritsche. Die Grube war heute für zehn auszusprengen. Neun und einer sind zehn. Und der zehnte war noch aus dem Eis zu hacken. Röder fing gleich damit an. Was du tun musst, tue gleich. Wenn du sterben musst, stirb schnell. Der Starschina stieg auf den Karren, schloss die Kiste auf, warf Spitzhacke und Schaufel herab. Dann ging er zu dem Gefangenen, streifte den Mantelärmel etwas zurück, tippte auf seine Uhr, tippte auf die eins. Die Uhr des Starschina zeigte jetzt auf viertel zwölf.
Max Walter Schulz

Professor Dr. h.c. Max Walter Schulz wurde am 31. Oktober 1921 in Scheibenberg/Erzgebirge geboren und ist am 15. November 1991 in Berlin verstorben.
Von 1939 bis 1947 nahm er als Soldat am 2. Weltkrieg teil, anschließend amerikanische Kriegsgefangenschaft.
1946 bis 1950 Pädagogikstudium in Leipzig, danach Lehrer. 1987 Verleihung der Ehrendoktorwürde der Pädagogischen Hochschule Leipzig.
1957 bis 1958 Studium am Literaturinstitut "Johannes R. Becher" in Leipzig, von 1964 bis 1983 Direktor dieses Instituts.
1969 bis 1990 Vizepräsident des Schriftstellerverbandes der DDR.
Seit 1969 Mitglied der Akademie der Künste.
1983 bis 1990 Chefredakteur der Zeitschrift "Sinn und Form".
Auszeichnungen:
1963: Literaturpreis des FDGB
1964, 1980 Nationalpreis der DDR
1978: Vaterländischer Verdienstorden
Bibliografie:
Wir sind nicht Staub im Wind, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1962
Stegreif und Sattel, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1967
Kontakte, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1970
Triptychon mit sieben Brücken, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1974
Das kleine Mädchen und der fliegende Fisch, Kinderbuchverlag, Berlin 1978
Pinocchio und kein Ende, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1978
Der Soldat und die Frau, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1978
Die Fliegerin oder Aufhebung einer stummen Legende, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1981
Auf Liebe stand Tod, Verlag Neues Leben, Berlin 1983
Der Mann, der auf dem Eis kniete, beugte das Haupt tief über den Toten. Herrgott im Himmel, wenn es dich noch gibt. Du kannst mir glauben, wir haben ihn aufgezogen in Liebe. Bei der Taufe hat der Pfarrer Ballmann gesagt, dies Kind soll unverloren sein. Hast du es weggeschmissen, Gott? Haben wir’s getan? Hat er’s selber gemacht? Deck dich mit meinem Mantel zu, Junge. Es ist kalt. Es ist kalt, hörst du, wie die Räder knarren vor dem Karren. Und die müssen noch so weit mit dir. Hörst du, wie der Baum umbricht ...
»Roider!«
Das wird der Starschina sein. Den kennst du nicht. Der kann unsern Namen nicht richtig aussprechen. Ist kein schlechter Mensch deswegen. Ich muss jetzt aufstehn.
Der Starschina, das Pferd am Zügel haltend, stand an der Grube. Sah hinab auf den Toten. Sah lange hinab auf das Totengesicht. Blickte auf. Sah prüfend in das tote Gesicht des Mannes, der sich erhoben hatte.
»Familija?«, fragte der Sergeant, auf den Toten deutend.
»Röder«, antwortete der Kriegsgefangene.
Er tappte die paar Schritte bis zum Karren. Nahm sein Brecheisen von der Pritsche. Die Grube war heute für zehn auszusprengen. Neun und einer sind zehn. Und der zehnte war noch aus dem Eis zu hacken. Röder fing gleich damit an. Was du tun musst, tue gleich. Wenn du sterben musst, stirb schnell. Der Starschina stieg auf den Karren, schloss die Kiste auf, warf Spitzhacke und Schaufel herab. Dann ging er zu dem Gefangenen, streifte den Mantelärmel etwas zurück, tippte auf seine Uhr, tippte auf die eins. Die Uhr des Starschina zeigte jetzt auf viertel zwölf.
Die Räder begannen wieder zu knarren. Das Geräusch verlor sich hügelaufwärts. Wenn Maria noch lebte und es wäre noch eine Zeit hin, würde ich sagen, seitdem ich den Jungen begraben habe, würde ich Maria sagen, weiß ich, was eine Gnade ist. Wenn ein Mensch deine Not sieht. Und dir hilft. Ohne zu fragen. Dass mich der Russe allein ließ mit dem Jungen, ganz allein, in dem Schneetreiben. Eindreiviertelstunden, damit ich dem Jungen sein eigenes Grab machen konnte, sein letztes Bett, das war eine Gnade. Wahrhaftig. Eindreiviertelstunden hat’s auch gedauert, als er zur Welt kam. Um fünfe, weißt du noch, setzen bei dir die Wehen ein. Dreiviertel sieben tat das Kind seinen ersten Schrei. Ich hab’ auf die Küchenuhr gesehn. Die ging immer genau. Wir hatten dein Bett in die Küche gerückt. Es war auch kalt und eisig draußen, an dem vierten Dezember. Und wir waren auch alleine. Die Hebamme war tags vorher mit dem Fahrrad gestürzt, hatte sich den Arm gebrochen. Du hast gesagt, das Kind muss gebadet werden. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. Ich hab’ heißes Wasser in die kleine Holzwanne geschüttet. Und kaltes dazu. Und mit dem Ellenbogen probiert, bis es nicht zu heiß und nicht zu kalt war. Und als ich’s Kind mir auf den Arm legte, hast du Angst gehabt, es könnt’ mir in der Wanne aus dem Arm rutschen ...
Als es Röder vollbracht hatte, suchte er die Kolonne in der Richtung, aus der er die Sprengschüsse gehört hatte. Er hatte sich beeilen müssen bei der Arbeit, weil er die Grabsohle so tief haben wollte, wie es sich gehört. Über eine Viertelstunde ging er am Fuß des Hügels entlang. Sie waren dabei, die Grube zuzuschütten. Beim Starschina gab er die Uhr des Jungen ab, des Gutsherrn Geschenk zur Konfirmation. Eine billige Armbanduhr. Der Starschina besah sich die Uhr kurz und warf sie zu anderen wertlos gewordenen Dingen mit in die Grube. Die Uhren, die sie fanden, waren alle unbrauchbar geworden. Was Röder dem Kommandoführer nicht ablieferte, das war der Trinkbecher, der Füllfederhalter und die Pistole des Toten, die nie versagende. Warum das? Es war ihm bei der Arbeit geschehen, dass sich auf einmal Erde und Himmel und alle Gedanken in einem irren Tanz um ein reines Nichts zu drehen begannen, um einen Pfahl im Fleisch, den er sich eigentlich schon lange herausgezogen und in Vergessenheit gebracht hatte. Mitten in der Arbeit glaubte er auf einmal lebens- und sterbenshalber wissen zu müssen, ob der Junge es mit der letzten Kugel getan hatte. Wie sich das für einen Soldaten gehört. Die Pistole trug Röder auf der bloßen Haut unter den Lumpen, unter dem Koppelriemen. Ihm hatte sich der wahnsinnige Gedanke eingebrannt, er müsse die Pistole bis zum Einbruch der Nacht auf der bloßen Haut tragen, damit sich das Metall erwärme und er den Kniegelenkverschluss und das Magazin gängig machen konnte. Dann würde er es mit eigenen Augen gesehen haben. Dann würde er zu gegebener Zeit seinem Bruder, diesem falschen Helden, die Wahrheit bieten: Der Junge hat nicht durchgedreht. Der Junge hat die letzte Kugel für sich aufgespart.

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