Details

Der Bär mit dem Vogel auf dem Kopf


Der Bär mit dem Vogel auf dem Kopf

Geschichten aus der Mongolei
1. Auflage

von: Kurt David

6,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 27.04.2023
ISBN/EAN: 9783965219175
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 191

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Ein Maler und ein Schriftsteller sind in die Mongolei gereist. Dies geschah zu unterschiedlichen Zeiten und ohne dass der eine vom anderen wusste. Der Maler malte, was er sah, der Schriftsteller schrieb, was er erlebte.
Später hängte der Maler seine Bilder in einer Ausstellung auf und traf dort den Schriftsteller. Am Ende des langen Gesprächs über ihre Reisen in das Land des blauen Himmels sagte der Maler: „Du könntest den Kindern etwas von dem erzählen, was auf meinen Bildern nicht zu sehen ist!“
„Das werde ich“, antwortete der Schriftsteller, „und was ich mit Worten allein nicht erzählen kann, das werden die Kinder auf deinen Bildern sehen“.
Entstanden sind spannende Geschichten, auch für Erwachsene, über eine Bären- und Fuchsjagd, über das gefährliche Zureiten von Pferden, über Hunde und Wölfe, und immer über die wunderbare Gastfreundschaft der Mongolen.
Hunde ohne Ohren?
Der erste Ritt
Das Zeichenmärchen
Das Geständnis
Wenn Reineke wünscht, seine Haare mit Federn vertauschen zu können
Ehe ein Junge ein Mann wird
Der Bär mit dem Vogel auf dem Kopf
Der Rückflug
Am 13. Juli 1924 in Reichenau in Sachsen geboren. Kurt David absolvierte nach dem Besuch der Handelsschule eine kaufmännische Ausbildung. Von 1942 bis 1945 nahm er als Soldat der Wehrmacht am Zweiten Weltkrieg teil. Von 1945 bis 1946 war er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Den Plan einer Ausbildung zum Musiker musste er wegen einer Kriegsverwundung aufgeben. David gehörte vier Jahre der Volkspolizei der DDR an und war anschließend zwei Jahre lang Kreissekretär beim Kulturbund der DDR. Seit 1954 lebte er als freier Schriftsteller zuerst in Oberseifersdorf/Zittau, danach bis zu seinem Tod in Oybin. In den 1960er Jahren unternahm er mehrfach Reisen in die Mongolei und durch Polen. 1970 erhielt er den Alex-Wedding-Preis, 1973 den Nationalpreis, 1980 den Vaterländischen Verdienstorden und 1984 den Lion-Feuchtwanger-Preis. Er starb am 2. Februar 1994 in Görlitz.
Davids frühe Werke haben die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit unter dem Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg zum Thema. Es folgten Bände mit Reiseberichten. Den größten Teil in Davids Werk bilden die Kinder- und Jugendbücher, von denen vor allem der humoristische Band „Freitags wird gebadet“ in der DDR ein großer Publikumserfolg, auch in der Fassung als Fernsehserie, war. Eine weitere Facette in Davids Schaffen bilden historische Romane, die Themen aus der Geschichte der Mongolen behandeln. Außerdem schrieb David Biografien über die Komponisten Beethoven und Schubert.
Ich bemerkte sofort an der Art seines Auftretens, dass sie mir einen Jungen vorstellten, der schon eine ganze Menge wilder Pferde zugeritten haben musste. Nicht, dass man mir sagte, er täte das heut zum ersten Mal, aber man sagte mir auch nicht, dass er es bereits getan hatte. So gesehen, betrachteten sie das Zureiten zumindest vor meinen Augen als ein Spiel wie Bogenschießen und Ringkampf. Erst nachher begriff ich, weshalb man das Risiko, einen jungen Burschen einen Hengst zureiten zu lassen, vor einem Fremden kaum eingehen konnte.
Sodnom lobte die schöne Tradition, nach der nur jener in diesem Dorf als Mann galt, der wenigstens einen Hengst erfolgreich zugeritten hatte. „Und stell dir das ja nicht einfach vor“, warnte er mich mit besorgtem Gesicht.
„Ich stell es mir ja auch gar nicht einfach vor“, sagte ich.
„Dabei kann nämlich allerhand passieren! Die Knochen kann man sich sogar brechen.“
Ich blickte ihm ins Gesicht, ohne ein Wort zu sagen, aber offensichtlich so verwirrt, dass er aus mir nicht ganz schlau zu werden schien; denn er meinte: „Was denn, du glaubst mir nicht?“
„Im Gegenteil, nur, ich bin nicht für Spielchen zu haben, bei denen man sich die Knochen brechen kann.“
„Schön ist so ein alter Brauch trotzdem“, sagte Sodnom und redete noch eine Weile davon, wie mutig, tapfer, kühn und geschickt ein Junge sein müsse, um die Probe erfolgreich bestehen zu können.
„Hast du das auch mit fünfzehn Jahren machen müssen?“, wollte ich wissen.
„Ich bin aus dem Nordosten. Dort gibt es den Brauch nicht.“
„Dann hast du Glück gehabt!“ Mich tröstete der Gedanke, dass in unserem Fall nicht viel passieren konnte, weil doch der Junge ausgesucht worden war und sicher garantierte, dass vor fremden Augen nichts schiefging. (Am nächsten Tag erfuhr ich übrigens, dass sich Tschigmid – das war der, der mir vorgestellt worden war – in seinem kurzem Leben nur siebenmal die Handgelenke gebrochen hatte!)
Während draußen vor dem Dorf die achthundert Pferde noch friedlich weideten und die Stuten ihre Hengste umstanden, als fürchteten die Stuten, ihre Hengste könnten ihnen untreu werden und davonlaufen, erschien auf dem Dorfplatz Tschigmid mit seinem Stangenlasso wie ein mittelalterlicher Turnierritter mit Lanze. Ein Bursche führte sein Pferd heran, einen muschelreinen Schimmel, der so prächtig aussah, als sei er einem mongolischen Märchen entstiegen.
Tschigmid sprang in den Sattel.
Das Stangenlasso trug er jetzt rechts und hielt es so in der Waage, dass die Spitze mit der Lederschlinge schräg zum Himmel zeigte und das Ende der fünf Meter langen Stange trotzdem nicht den Boden berührte. Dann hob er den linken Arm, gab mit ihm das Zeichen zum Aufbruch.
Alle, die eben noch auf dem Platz gewartet hatten oder erst zu ihm unterwegs gewesen waren, folgten nun Tschigmid und seinem schönen Schimmel. Das waren Frauen wie Männer jeden Alters, Jungen und Mädchen, die in unserem bunten Zug schreiend nach vorn drängten,
Babys, die von Müttern wie Vätern auf den Armen zum Platz des Geschehens hinausgetragen wurden. Kurzum: Ich hatte das Gefühl, kein Bewohner von Hatan-Bulag war in seiner Jurte geblieben.
„Und wer bestimmt den Hengst, der gefangen werden soll?“, fragte ich Sodnom.
„Das darf jeder und geschieht auf Zuruf.“
„Interessant“, bemerkte ich und misstraute der Sache ein wenig. Ich dachte, bei der heutigen Vorführung geht ihr doch sowieso auf Nummer Sicher und bestimmt heimlich einen Zurufer. Der sucht einen Hengst aus, von dem ihr wisst, dass er seinem Zureiter nicht allzu viel Schwierigkeiten macht. Ich hätte Verständnis dafür gehabt; denn ich neigte wirklich nicht dazu, einem Spiel zuzusehen, bei dem die Gefahr bestand, dass sich einer vielleicht das Genick brach.
Hier muss ich einfügen, dass Sodnom ein sehr feinfühliger Mensch war. Mir kam es manchmal vor, als rieche er die Gedanken, die ich in zweifelhaften Situationen dachte. Er sagte plötzlich: „Willst du den Hengst aussuchen? Das lässt sich mühelos einrichten.“
Mich überraschte das so sehr, dass ich im Moment nicht imstande war, etwas zu erwidern.
„Oder willst du nicht? Vielleicht kannst du einen Hengst von einer Stute nicht unterscheiden?“ Er wieherte ein Lachen, das ganz zu unserem Gespräch passte, und ich wieherte mit, um mein verdutztes Schweigen zu überbrücken.
Nachher sagte ich: „Gut, ich mach’s.“
Wir waren inzwischen aus dem Ort heraus und näherten uns der Herde, die ein Stück weiter draußen graste. Der Boden war pulvertrocken und grau. Mit jedem Schritt rührte man ihn auf. Sie sagten mir, das wäre eigentlich Sand. Nun hatte ich zwar schon Gobisand gesehen, feinen, dunkelgelben Sand, zu Dünen gehäuft, aber solchen Sand wie hier hatte ich noch nicht kennengelernt. Der war nämlich aschgrau und dreckig. Auch solches Gras hatte ich noch nicht gesehen. Es war das ärmlichste Gras, das mir je unter die Augen gekommen ist, aber ich verstand, dass sie froh waren, wenigstens dieses Gras in der Gobi zu haben, in einer Wüste, wo außer kümmerlichen Salzsträuchern nichts wuchs als dieses ärmliche Gras. Und die Pferde wurden satt davon, und die achttausend Kamele der Genossenschaft sahen auch keinesfalls unterernährt aus. Also war das schlechte Gras hier besser als gar kein Gras.
Plötzlich fuhr der Sturm zwischen uns. Der Himmel war blau gewesen, und ich hatte zu den Pferden geblickt, aber nie und nimmer an einen Sturm gedacht. Brüllend raste er über alle hinweg, peitschte den Staub oder das, was sie Sand nannten, in unsere Gesichter. Jäh verlosch das Sonnenlicht. Dunkelheit fiel auf uns herab. Kalt war es, eiskalt. Kinder schrien. Babys jammerten und wurden von Vätern wie Müttern blitzschnell in Taillentücher gewickelt. Alle hockten auf der Erde und machten sich so klein, wie es nur irgendwie ging, und manche Leute brachten es fertig, ihren Kopf zwischen die gespreizten Schenkel zu stecken. Vier oder fünf Minuten später war alles vorüber. Die Sonne schien wieder. Der Himmel war wieder blau. Die Leute lachten, klopften oder schüttelten sich den Sand aus den Kleidern. Es war plötzlich wieder sehr heiß im offenen Gelände. Erst jetzt erkannte ich die Herde aufs Neue. Sie war nun viel weiter von uns entfernt als vor dem Sturm. „Die Tiere rennen mit dem Wind“, erläuterte Sodnom. Dort, wo die Herde jetzt war, stand eine riesige schwarze Staubwand über der Wüste, die der Sturm nach Norden rollte.
Acht Burschen jagten auf ihren Pferden los, sie sollten die Herde zurückholen, auf den Ail zutreiben. Wir hörten nachher das Knallen der Peitschen und das Donnern Tausender Hufe. Erneut wirbelte Staub zum Himmel.
„Komm mit“, sagte Sodnom.
Er führte mich zu Tschigmid. Tschigmid hatte das Zeichen zum Halt gegeben. Die Leute bildeten einen Halbkreis um ihn, der in Richtung Herde offenblieb.
Sodnom sprach mit Tschigmid.
Tschigmid lächelte mir zu und redete dann mit den Leuten. Sicher erklärte er ihnen, heut sollten nicht sie den zu fangenden Hengst bestimmen, sondern der Gast. Einige klatschten in die Hände. Mir war das etwas peinlich, aber zu ändern war es auch nicht mehr.
„Sie sind einverstanden“, sagte Sodnom.
Das Donnern der galoppierenden Tiere kam näher und näher. Manchmal versuchten einige von ihnen nach rechts oder links auszubrechen, aber die Burschen sorgten mit ihren Peitschen dafür, dass alle beieinander blieben und wie die Teufel geradewegs auf das Dorf zujagten.
Abermals redete Sodnom mit Tschigmid. Danach zeigte Tschigmid nach rechts und vollführte eine weite Armbewegung in Richtung der Anhöhe, die nicht weit von uns am Rande des Ails lag. Sodnom erklärte: „Er sagt, dass die Burschen die Herde hundert Meter vor dem Dorf stoppen und dann nach rechts abdrängen, so dass sie diese Anhöhe dort hinaufgaloppieren muss. In dem Moment hast du Übersicht und zeigst Tschigmid den Hengst, den er fangen und zureiten soll. Alles klar?“
Ich nicke und starre auf die Herde, bin aufgeregt. In breiter Front kommt sie auf uns zu. Wie eine dunkle Woge stürmt sie heran, hebt sich, senkt sich, schwimmt im heißen Dunst. Mehr als dreitausend Hufe stampfen den staubfeinen Sand. In der ersten Reihe erkenne ich die ersten Hengste. Das sind die Schrittmacher, die wildesten der Wilden. Mich durchfährt der Gedanke: Von denen wählst du einen aus! Das ist am einfachsten für dich. Du wartest nicht, bis sie die Anhöhe hinaufpreschen und du nichts als Hunderte Pferderücken siehst, sondern bestimmst sofort einen in dem Augenblick, wenn die Herde nach rechts gedrängt wird und an dir vorüberrast.
Kurz blicke ich hinauf zu Tschigmid: Er sitzt leicht vornübergebeugt auf seinem Schimmel und lauert. Der Schimmel weiß genau, was geschehen wird, und ist schwer zurückzuhalten. Er scharrt schon im Staub. Er reißt am Zügel. Er springt vorn hoch. Tschigmid schlägt ihn. Die Spitze des Stangenlassos zeigt nun nicht mehr schräg zum Himmel, sondern wie ein Pfeil auf die heranbrausende Herde. Die Lederschlinge baumelt und hängt leer wie eine große Null an der Stange, aber ich schaue schon auf den Kopf, der in diese Schlinge hinein soll. Er gehört einem schwarzen Hengst. Sein flatterndes Mähnenhaar erkenne ich bereits ganz deutlich. Neben dem Schwarzen läuft ein Brauner. Der hat einen sehr großen, weißen Fleck auf der Stirn. Die beiden sind am weitesten vorn. Sekunden später stelle ich fest: Ich habe mich getäuscht, oder die beiden sind zurückgefallen; denn die erste Reihe ist eine Linie.
Die Burschen auf der linken Außenseite fangen an, die achthundert Pferde nach rechts zu drängen. Ich sehe das Geringel der Peitschenriemen über den Leibern der Tiere, höre das Pfeifen, das Schlagen, das Knallen. Unordnung bricht aus. Die Pferde behindern sich im Lauf, stoßen aneinander, verlieren an Tempo. Plötzlich schießt mein Schwarzer aus der Herde, will dem panischen Gewühl entgehen. Ihm folgt der Braune mit dem großen, weißen Fleck auf der Stirn. Dem Braunen galoppieren vier weitere Hengste hinterher, und erst jetzt begreifen die Stuten, was geschieht, und setzen nach.
„Den da!“, schrei ich und zeig auf ihn.

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