Details

Wohin der Mensch gehört


Wohin der Mensch gehört

Roman
1. Auflage

von: Walter Kaufmann

8,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 29.12.2013
ISBN/EAN: 9783863945619
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 403

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

„In der Pause hatte ihm einer der beiden Jungen, der größere, seinen Tennisball weggenommen. Stefan hatte ihn zurückgefordert, aber da war der zweite Junge gekommen und hatte gesagt: „Wenn wir mit dir abgerechnet haben, dann kriegst du ihn wieder.“ „Wieso?“, fragte Stefan. „Ich kenne euch nicht.“ „Aber du wirst uns kennenlernen, Itzig“, sagte der Größere.
„Ich will meinen Ball wieder.“ „Wenn du was willst, du Judenjunge, dann sag .bitte!“ Der Kleinere mit dem finsteren Gesicht trug einen schwarzen Sweater, der wie Haut an ihm haftete. Der Größere hatte ein Pferdegesicht voller Pusteln und trug ein braunes Hemd mit Schulterriemen. Sie drängten Stefan abseits von seinen Klassengefährten an eine Mauer. „Hör, Itzig“, fragten sie, „wieviel Prozent Jude bist du?" „Geht weg!“, fauchte Stefan.
Sie lachten höhnisch: „Hat hier einer was gesagt?“ „Ist deine Mutter Jüdin?“, fragte der Große. „Ja.“ „Ist dein Vater Jude?“ „Ja.“ „Sag: Mein Vater ist ein dreckiger Jude!“ Stefan stieß den im schwarzen Sweater zurück. Sein Herz klopfte. Er versuchte nach der Seite zu entschlüpfen. Sie packten ihn und schleuderten ihn zurück an die Mauer. „Los, sag es!“ Stefan presste die Lippen zusammen. Es läutete, und Stefan sah seine Klassenkameraden ins Schulhaus zurückströmen. „Du hast nicht den Mut, es zu sagen“, stellte der Große fest. „Dann will ich es dir sagen: Dein Vater ist ein dreckiger Jude!“
In diesem erstmals 1957 im Verlag Neues Leben Berlin erschienen Buch erzählt Walter Kaufmann, der als Kind jüdischer Adoptiveltern mit viel Glück vor den Nazis aus Deutschland fliehen konnte, auf beeindruckende Weise, von seiner Kindheit in Deutschland und den immer schlimmer werdenden Erniedrigungen der Juden, von England und von Australien – ein erschütternder und trotzdem ermutigender Lebensbericht, der zeigt, wohin der Mensch gehört.
Walter Kaufmann (eigentlich Jizchak Schmeidler) wurde 1924 in Berlin als Sohn einer jüdischen Verkäuferin geboren und 1926 von einem jüdischen Anwaltsehepaar adoptiert. Er wuchs in Duisburg auf und besuchte dort das Gymnasium. Seine Adoptiveltern wurden nach der Reichskristallnacht verhaftet, kamen ins KZ Theresienstadt und wurden im KZ Auschwitz ermordet. Ihm gelang 1939 mit einem Kindertransport die Flucht über die Niederlande nach Großbritannien.
Dort wurde er interniert und 1940 mit dem Schiff nach Australien gebracht. Anfangs arbeitete er als Landarbeiter und Obstpflücker und diente als Freiwilliger vier Jahre in der Australischen Armee.
Nach 1945 verdiente er seinen Lebensunterhalt als Straßenfotograf, auf einer Werft, im Schlachthof und als Seemann der Handelsmarine. 1949 begann er seinen ersten Roman, der 1953 in Melbourne erschien.
1957 übersiedelte er in die DDR, behielt jedoch die australische Staatsbürgerschaft. Seit Ende der 1950er Jahre ist Walter Kaufmann freischaffender Schriftsteller. Ab 1955 gehörte er dem Deutschen Schriftstellerverband und ab 1975 der PEN-Zentrum der DDR, dessen Generalsekretär er von 1985 bis 1993 war. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.
Walter Kaufmann war außerdem in mehreren DEFA-Filmen als Darsteller tätig, teilweise unter dem Pseudonym John Mercator.
Auszeichnungen
1959: Mary Gilmore Award
1961, 1964: Theodor-Fontane-Preis des Bezirkes Potsdam
1967: Heinrich-Mann-Preis
1993: Literaturpreis Ruhrgebiet
Bibliografie

Werke in englischer Sprache
Voices in the storm
The curse of Maralinga and other stories
American encounter
Beyond the green world of childhood

Werke in deutscher Sprache
Wohin der Mensch gehört
Der Fluch von Maralinga
Ruf der Inseln
Feuer am Suvastrand
Kreuzwege
Die Erschaffung des Richard Hamilton
Begegnung mit Amerika heute
Unter australischer Sonne
Hoffnung unter Glas
Stefan – Mosaik einer Kindheit
Unter dem wechselnden Mond
Gerücht vom Ende der Welt
Unterwegs zu Angela
Das verschwundene Hotel
Am Kai der Hoffnung
Entführung in Manhattan
Patrick
Stimmen im Sturm
Wir lachen, weil wir weinen
Irische Reise
Drei Reisen ins gelobte Land
Kauf mir doch ein Krokodil
Flucht
Jenseits der Kindheit
Manhattan-Sinfonie
Tod in Fremantle
Die Zeit berühren
Ein jegliches hat seine Zeit
Im Schloss zu Mecklenburg und anderswo
Über eine Liebe in Deutschland
Gelebtes Leben
Amerika
Die Welt des Markus Epstein
Im Fluss der Zeit
Schade, dass du Jude bist
Die Tür wurde geöffnet, und ein schlanker Mensch mit einem schmalen Gesicht erschien. Er war gelaufen, und es dauerte einige Augenblicke, ehe er wieder zu Atem kam. Als er an den Tisch trat, in den Lichtkreis der Lampe, erkannte ihn Stefan sogleich: helle blaue Augen, dünnlippiger Mund, strähniges Haar - der Arbeiter, der in Bollers Boxzelt mit Hummel gekämpft hatte.
Bredels hatten zu essen aufgehört und sahen Hein in ahnungsvoller Stille an. Der Mann fuhr sich mit der Hand über die Stirn und die gebrochene Nase und sagte nur ein Wort: „Gerhart!“
Vater Bredel atmete tief.
„Wann?“, fragte er.
„Vor einer halben Stunde.“
„Gestapo?“
Hein sah sich um, auf Stefan blieben seine scharfen blauen Augen haften. „Ja“, sagte er leise.
„Mein Gott!“, sagte Georgs Mutter und ballte heftig die mageren Hände zu Fäusten, dass die Knöchel sich weiß abzeichneten. „Und Hilde?“
Hein schüttelte den Kopf. „Hilde nicht“, sagte er, „Hilde ist in Sicherheit.“
Erst da begriff Stefan, von welchem Gerhart Hein gesprochen hatte. Bilder drängten sich vor seine Augen: eine Zelle, eine Peitsche, die Narbe Gerharts hinter dem Ohr, ein Stiefel, Gerharts schmerzverzerrter Mund ... „Nicht was einer ist, sondern was einer tut, ist wichtig ...“
Vater Bredel war aufgestanden. Stefan beobachtete ihn wie im Dämmerschlaf.
„Bitte, steh einen Augenblick auf!“
Mechanisch erhob sich Stefan. Eine Tasse fiel um; ihr Inhalt tropfte auf den Boden, niemand achtete darauf. Vater Bredel wühlte unter dem Sitz, ging an den Herd, hob ein paar Ringe ab und warf irgendwelche Papiere ins Feuer. Nachdenklich hielt er die Thälmannbüste in der Hand, an der er geschnitzt hatte. Er sah seine Frau an, sie nickte. Eine Flamme schoss aus dem Herd, als das Papier Feuer fing. Er schob die Ringe wieder darüber, kaute an den Lippen, hustete.
„Ich muss fort, Mutter“, sagte er.
„Ja, das musst du wohl.“
Er setzte die Mütze auf, „Ängstige dich nicht, Mutter. Zwei, drei Tage vielleicht. Du weißt, wo ich zu finden bin.“
„Und ich, Vater?“
„Du bleibst bei Mutter.“
Vater Bredel, gebeugt und knotig wie ein Baum, sah plötzlich merkwürdig jung aus, als er seiner Frau das Haar aus der Stirn strich und ihr leise zusprach.
„Kopf hoch, Mutter, ängstige dich nicht.“
„Komm jetzt“, sagte Hein.
Mit zitternden Händen tat Frau Bredel die übrigen Kartoffelpuffer in eine Tüte.
„Steck das in die Tasche, Vater!“
Die Tür klappte. Bald verklangen die Schritte Heins und Hermann Bredels in der Nacht.


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