Details

Timo Nimmerschlaf


Timo Nimmerschlaf

Ein Märchen aus alter Zeit für Kinder, die nicht gern schlafen
1. Auflage

von: Volker Ebersbach

4,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 28.04.2022
ISBN/EAN: 9783965216617
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 92

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Dieses Buch ist für Kinder ab fünf Jahren gedacht. Und dieses Buch ist ein als Märchen verkleidetes Abenteuerbuch. Immerhin sechs Abenteuer erlebt der kleine Timo, der partout nicht schlafen will, weil er nicht schlafen kann. Dafür hat er allerdings gewichtige Gründe:
„Wo ist mein Vater?“, fragte Timo.
„Das hast du mich schon oft gefragt“, antwortete ihm die Mutter. „Aber ich weiß es selbst nicht. Er ist verschollen.“
„Was bedeutet das: verschollen?“, wollte Timo wissen.
„Eines Tages“, sagte die Mutter seufzend, „ist Meister Konrad fortgegangen und hat niemandem gesagt, wohin. Er ist auch nicht wiedergekommen, nicht am Abend und nicht am nächsten Tag, und niemand in der Stadt weiß, was aus ihm wurde. Die Ratsherren, zu denen er gehörte, haben ihn verwünscht und verworfen.“ Und Frau Ursula seufzte noch einmal tief und wischte sich mit dem Ärmel eine Träne von der Wange. „Sie brauchten sich jedoch gar nicht darüber zu wundern, denn sie hatten ihm eine schwere Schuld aufgeladen.“
„Was für eine Schuld?“
„Das erkläre ich dir später“, antwortete die Mutter. „Aber ich weiß, dass er keine Schuld hatte.“
Timo, der sich in seinem Bett aufgerichtet hatte, sank in die Kissen zurück.
„Aber nun schlaf endlich, Timo!“, wiederholte die Mutter. „Bitte versuch es. Komm, trink diesen Tee. Er wird dir helfen, und du wirst Ruhe finden.“
„Nein!“, rief Timo. „Ich finde keine Ruhe! Ich will auch gar nicht schlafen. Ich bleibe immer wach. Ich bleibe wach, bis ich weiß, wo mein Vater ist. Und dann mache ich mich auf den Weg und hole ihn nach Hause.“
Und dann redet sich Timo im Gespräch mit seiner Mutter noch einen weiteren Ärger von der Kinderseele:
„Alle Menschen schlafen gern“, sagte die Mutter. „Den ganzen Tag sehnen sie sich nach dem Abend und nach dem Bett, in das sie sich legen können, um süß und lange zu schlafen. Und du? Willst du denn überhaupt nicht mehr schlafen?“
„Ich bin nicht müde“, antwortete Timo. „Es geschieht in der Welt so viel, und es ärgert mich, wenn ich nicht dabei bin. Das kann ich nicht ertragen.“
„Ach!“, seufzte Frau Ursula und schüttelte den Kopf. „Nachts geschieht ja nirgends etwas. Alle schlafen, auch die Tiere.“
„Und der Nachtwächter?“, fragte Timo, denn gerade rief dessen Stimme wieder die Stunde aus. „Und die Schildwache?“
Timo hat also bedenkenswerte Gründe, nicht schlafen zu wollen, weil er nicht schlafen kann. Aber da es ein Märchen ist, findet sich eine Lösung und Timo kann wieder schlafen. Auch sein verschollener Vater taucht wieder auf.
Volker Ebersbach ist am 6. September 1942 in Bernburg/Saale geboren und dort aufgewachsen. Nach Abitur und Schlosserlehre studierte er von 1961 bis 1966 Klassische Philologie und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1967 promovierte er über den römischen Satiriker Titus Petronius. Danach lehrte er Deutsch als Fremdsprache ab 1967 in Leipzig, 1968 in Bagdad, 1971 bis 1974 an der Universität Budapest, wo er auch mit seiner Familie lebte.
Seit 1976 ist er freier Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. Er schreibt Erzählungen und Romane, Kurzprosa, Gedichte, Essays, Kinderbücher, Biografien und Anekdoten. Er übersetzte aus dem Lateinischen ausgewählte Werke von Catull, Vergil, Ovid, Petronius, das Waltharilied, Janus Pannonius und Jan Kochanowski. Einzelne Werke wurden ins Slowenische und Koreanische übersetzt.
Von 1997 bis 2002 war er Stadtschreiber in Bernburg. Danach lehrte er bis 2004 an der Universität Leipzig.
Mit Traurigkeit in der einen Herzkammer und ein wenig Hoffnung in der anderen verließ Timo Nimmerschlaf seine Heimatstadt und ging in die Fremde. Hoch über den Fluren jubelten in der Mittagssonne die Lerchen und pfiffen die Gabelweihen, die Goldammern sangen ihre Weise in den Büschen, in den frischgrünen Wipfeln des Waldes schlugen die Finken, an den Rinden der Stämme hämmerten die Spechte, wenn sie nicht still im Gezweig saßen und lachten. Es sollte ihn wenig kümmern, ob er am Tag wanderte oder bei Nacht. Die Nacht nach dieser halben Tagereise wurde kühl, die Straßen vereinsamten, der Staub legte sich, und in den Dörfern blieben die Fenster dunkel. Die Felder dufteten nach frischem Tau, der Mond schwamm, eine zunehmende Sichel, mit den Sternen über den stillen Himmel und legte seinen hellen Schimmer auf das Land. Der sinkenden Sonne hatte Timo, zum Abschied winkend, zugerufen: „Schlaf recht gut, liebe Sonne! Ich schlafe nicht.“
Am anderen Tag suchte er Beeren und Pilze, um aufkommenden Hunger zu stillen. Auch hatte er als Kind von anderen Jungen gelernt, in Bächen mit hohlen Händen einen Fisch zu fangen, Feuer zu machen und ihn an einem spitzen Stock zu braten. Ausruhen musste er sich doch zuweilen. Und niemals vergaß er, wenn ihm jemand begegnete oder über den Weg lief, zu fragen, ob ein Mann mit einer blonden jungen Frau vorübergekommen wäre, die sich als Meister Konrad der Schmied und Liliane ausgeben hätten. Fast jeder schüttelte den Kopf. Ein alter Bauer dachte kopfwiegend eine Weile nach, und dann erinnerte er sich an einen kräftigen, hochgewachsenen Mann, der vielleicht das Schmiedehandwerk ausübte, und eine blonde junge Frau. Doch ob er Konrad geheißen habe, wer konnte das wissen? Und welchen Weg er eingeschlagen, wer hätte darauf geachtet? Schon viele Jahre seien seither ins Land gegangen.
Nach einem sonnigen Tag zogen Wolken auf, der Wind fauchte, und es begann zu regnen. Wie wäre es, dachte er, wenn ich mich nach dieser Tagereise verdingte, in einem Kloster, im nächsten Dorf, auf einer Burg oder in einer Stadt. Dann hätte ich wenigstens ein Dach über dem Kopf und einen Bissen zu essen. Ein Bissen Brot, ein wenig Quark, ein Happen Käse oder Grütze, eine Wurstsuppe würden mir genügen, dazu ein Krug Milch, ein Humpen Bier oder ein Glas klares Wasser. Eine Schlafstatt brauche ich ja nicht.
Da erkannte er nicht weit entfernt die Türme einer Stadt. Kurz bevor es geschlossen wurde, erreichte er das Tor. Hier musste er der Wache seinen Namen sagen und die Stadt nennen, aus der er kam. Die Mienen der Wächter hellten sich auf, denn diese Stadt war mit Wiesenheim verbündet.
„Könnt ihr euch“, fragte Timo, „vielleicht erinnern, ob vor einiger Zeit ein Schmied und eine blonde junge Frau durch dieses Tor gekommen sind?“
Die Wächter schauten sich an, und einer nach dem anderen schüttelte den Kopf.
Dann wurde Timo gefragt, was er hier tun wolle. „Mich verdingen und mir ein Stück Brot verdienen“, antwortete er.
„Und welches Handwerk hast du denn gelernt?“, fragte der eine Wächter.
„Keines“, gestand Timo schamhaft. „Könnte ich nicht mit euch die Nachtwachen übernehmen? Ich habe eine besondere Gabe: Ich brauche keinen Schlaf.“
Ungläubig schauten die Wächter ihn und dann einander an. Dann sagte der andere Wächter: „Wir sind vollzählig und haben genug Übung darin, nachts zu wachen. Es gibt aber ein Handwerk, bei dem man sehr früh aufstehen muss. Du könntest den Bäcker fragen, ob er dich als Gehilfen nimmt.“
„Ja! Das würde mir gefallen“, jauchzte Timo. „Denn mich hungert, und Brot habe ich auf meine Reise nicht mitgenommen. Führt mich zur Bäckerei, ich würde am liebsten gleich anfangen.“
„Das geht jetzt nicht“, war die Antwort. „Der Bäcker liegt schon in seinem Bett und schnarcht, weil er so zeitig anfängt. Komm in unsere warme Wachstube und warte, bis die Turmuhr drei schlägt. Dann führen wir dich zu ihm.“
Das Stadttor wurde geschlossen. Timo setzte sich mit den Wächtern in der warmen Wachstube auf eine Pritsche und wartete. Als er ein paar Worte mit ihnen plaudern wollte, waren sie jedoch so fest eingeschlafen, wie er es von Wiesenheim her kannte. Da fing er an, sich zu langweilen und war bald nahe daran, die Schläfer zu beneiden. Aber seine unerhörte Gabe, keinen Schlaf zu brauchen, wollte er nicht preisgeben, war ihm doch eben ein Handwerk angeboten worden, für das er sie gut verwenden konnte. Wer konnte wissen, wofür sie ihm noch von Nutzen sein würde, sobald er weiterzog? So vertrieb er sich mit Gedanken und Betrachtungen die Zeit. Er wagte es nicht, die Schläfer, wie es in Wiesenheim seine Aufgabe gewesen war, aufzuwecken und an ihre Pflicht zu erinnern, denn sie kannten ihn nicht. Er war ihnen fremd. Er war in der Fremde ein Fremder, und von den Ratsherren hatte er ja gehört, wie man Fremdlinge behandelt, die vielleicht Krankheiten einschleppen und den Leuten die Köpfe verdrehen.
Als die Turmuhr drei schlug, stand der eine Wächter auf und gähnte. Er hatte nicht lange fest geschlafen und Timo manchmal angeblinzelt. „Komm mit“, befahl er leise, um seinen Kameraden nicht zu wecken, „und sag niemandem, was du gesehen hast. Auch wenn du wirklich nicht zu schlafen brauchst – wir wollen unseren Broterwerb doch behalten, und du sollst jetzt den deinen bekommen.“
Der Wächter führte ihn ein Stück die regennasse Straße entlang, schob ihn um eine Ecke und dann um noch eine. Dann zeigte er auf ein Licht, das einzige Fenster, das in der Stadt um diese Zeit erleuchtet war. „Klopfe dort an die Tür und sage laut, was du wünschst.“

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