Details

Saat und Ernte des Joseph Fabisiak


Saat und Ernte des Joseph Fabisiak


1. Auflage

von: Renate Krüger

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 14.12.2015
ISBN/EAN: 9783956555893
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 303

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Die Ereignisse des Romans beginnen in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg und reichen bis zum Ausgang des 2. Weltkrieges. Der Bäckermeister Joseph Fabisiak lebt als wohlhabender, tüchtiger und geachteter Bürger in einer westpreußischen Kleinstadt. Er schämt sich seiner polnischen Herkunft, ist fleißig, um in den Rufpreußischer Tüchtigkeit zu kommen, und fromm,um als ehrsamer Bürger dazustehen. Den Beginn der Handlung bildet das Liebensverhältnis von Sofie Fabiasak, der einzigen Tochter des Bäckers, mit dem jüdischen Kaffeehausmusiker Ignaz Freudenfeld. Der junge Ignaz hat sich von seiner orthodoxen Familie getrennt, um eigene Wege zu gehen, über die er aber zunächst keine klaren Vorstellungen hat. Seine wirtschaftliche Notlage lässt ihn nicht zum Musikstudium kommen. Als Sofie ihm langweilig wird, verlässt er die Stadt. Sofie erwartet ein Kind und wird von ihrem Vater verstoßen. Sie findet Aufnahme bei Fabisiaks Schwester Wanda, die während des 1. Weltkrieges die Geliebte eines deutschen Offiziers und somit zum Abscheu der Familie geworden ist. In Norddeutschland unterhält sie jetzt eine kleine Gemüsehandlung. Und ohne diese tüchtige Frau, die so selbstverständlich menschlich und resolut ist, würde es mit Fabisiaks Familie ein böses Ende nehmen, denn Joseph Fabiasiak ist ein unseliger Mensch, ein Frömmler und ein Streber, der nichts liebt als sich und den Nutzen, der alle menschlichen Beziehungen zerstört und zum Verräter wird, wenn er sich bedroht fühlt. Mit ihm gelingt der Autorin ein ausgezeichnetes Porträt eines Spießers, dem Geschäft und Religion zu einer nützlichen Einheit verschmelzen. Auch die positiven Romanfiguren folgen keinem Schema, sind nicht nur typisch fromm und tüchtig. Der Autorin sind in diesem Roman überzeugende und differenzierte Charaktere gelungen.
Geboren 1934 in Spremberg/Niederlausitz. Seit 1939 in Schwerin ansässig.
Studium der Kunstgeschichte und klassischen Archäologie in Rostock.
Tätigkeit am Staatlichen Museum Schwerin. 1965 Verlust des Arbeitsplatzes aus politischen Gründen, seither freiberuflich als Publizistin und Schriftstellerin tätig:
Sachbücher (Die Kunst der Synagoge 1966, Das Zeitalter der Empfindsamkeit 1972, Biedermeier 1979, Spurensuche in Mecklenburg 1999, Aufbruch aus Mecklenburg. Die Welt der Gertrud von le Fort, 2000),
Belletristik (Licht auf dunklem Grund, Rembrandt-Roman, 1967, Der Tanz von Avignon, Holbein-Roman 1969, Saat und Ernte des Joseph Fabisiak, 1969, Nürnberger Tand 1974, Malt, Hände, malt, Cranach-Roman 1975, Jenseits von Ninive, 1975, Aus Morgen und Abend der Tag, Runge-Roman, 1977, Wolfgang Amadés Erben, 1979, Türme am Horizont, Notke-Roman 1982, Die stumme Braut, 2001, Paradiesgärtlein, 2008),
Jugendbücher (Geisterstunde in Sanssouci, Menzel-Erzählung 1980, Das Männleinlaufen, Alt-Nürnberger Geschichte 1983, Des Königs Musikant, Erzählung über Carl Philipp Emanuel Bach 1985).
Nach 1989 Mitarbeit am Aufbau der parlamentarischen Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern, Archivarbeiten.
„Sven-Uwe, so steigt man nicht aus dem Auto! So wirkst du wie ein Kind, das mal zum Vergnügen mitgenommen worden ist. Und das ist ja doch wohl nicht der Fall! Heute ist dein erster Schultag, und es kommt darauf an!“
„Lass doch den Jungen in Ruhe, Eva, in Schweden ist es eben anders. Dort haben sie Linksverkehr und steigen rückwärts aus. Komm, Schwedenprinz!“, sagte der Großvater. Ihn belustigte das Aussteigen seines Enkels immer sehr. Die Reihe der angetretenen Schulkinder wirkt mit ihren spitzigen Zuckertüten wie zarte niedrige Stängel mit soeben erblühten märchenhaften Blumen, wie sie Martin aus seinen wenigen Bilderbüchern kennt oder wie er sie sich manchmal noch fantastischer selbst ausdenkt und aufmalt. Er malt nämlich sehr gern. Bunt ist alles wie eine Frühlingswiese, die noch niemand zu betreten oder gar zu berauben gewagt hat. Wer wird die ersten Blumen pflücken?
Sven-Uwe zögert ängstlich, als er diese Ansammlung von Schulanfängern sieht. So viele Kinder hat er noch nie beisammen gesehen. Er hat immer nur mit Martin gespielt, auf besonderen Wunsch seines Großvaters. Martin steht auch bei den Kindern, aber er unterhält sich eifrig und ernsthaft mit einem anderen Jungen.
„Nun geh zu den Kindern, Schwedenprinz! Mit denen wirst du lange Zeit beisammen sein, mehrere Jahre lang“, sagt der Großvater. Sven-Uwe aber rührt sich nicht von der Stelle. „Nun geh doch weiter, damit ich wenigstens aussteigen kann“, ruft Eva aus dem Auto. „Du stehst im Weg!“
„Schimpf nicht“, sagt Henningsen, „du kannst ja auf der anderen Seite aussteigen.“ Das aber möchte Eva vermeiden, denn dort kann sie von niemandem gesehen werden. Henningsen fasst Sven-Uwe an der Hand und geht langsam mit ihm auf die große Kindergruppe zu. Sven-Uwe rollen die Tränen über die rosa Wangen. Seine blauen Augen blicken durch einen Tränenschleier. Martin spricht immer noch mit dem anderen Jungen, den Sven-Uwe gar nicht kennt. Mit wem soll er nur sprechen? Aber da kommt Martin ihm schon entgegen.
„Du hast geweint? Warum? Weil du keine Zuckertüte gekriegt hast? Da hinten ist sie doch, Herr Alfred trägt sie, für dich ist sie ja auch viel zu schwer! Was ist denn da alles drin? Groß ist sie ja, alle Wetter! Aber hier - die von diesem Jungen da ist noch größer. Das ist Karl-Hermann Vormeier.“
Nun muss Sven-Uwe lachen. Vormeier! Wie kann man nur Vormeier heißen! Der stand also vor Herrn Alfred Meier! Vormeier! Sven-Uwe lacht, dass ihm neue Tränen über die Wangen laufen.
Dr. Henningsen ist inzwischen auf Karl-Hermann Vormeiers Vater zugegangen, der seit einigen Wochen Gerichtspräsident ist. Noch niemals hat Dr. Henningsen unter einem so jungen Gerichtspräsidenten gearbeitet. Zuerst musste er das Lachen unterdrücken, als er dem neuen Gerichtspräsidenten vorgestellt wurde. Präsident: das Wort verlangte weiße, zum Mindesten angegraute Schläfen, Rotweinspuren in Nase und Wangen, einen kleinen Ansatz zum Bauch und dergleichen Äußerlichkeiten mehr. Aber dieser Typ wie Vormeier, frisch von der Olympiade!
„Heil Hitler, Dr. Henningsen“, so hatte der Jüngere damals sogleich das Feuer eröffnet. „Auf gute Zusammenarbeit zum Wohle unserer deutschen Volksgenossen.“
,Ob ich wohl jemals diese Vokabeln lernen werde?‘, dachte Henningsen. ,Aber ich muss sie lernen! Ich muss die grauen Schläfen aus meinem Vokabelschatz streichen. Sonst könnte es passieren, dass meine Kundschaft mich nicht mehr versteht. Sie hat ja inzwischen auch umgelernt! Niemand sagt mehr Herr Senator zu mir. Senator ist zu einem altertümlichen Wort geworden. Senatoren gab es im alten Rom. Senatus - senatus - masculinum - Rat der Alten ...‘
Dieser Mann ist jung, zu jung ... Ob er schon 35 Jahre hinter sich gebracht hat? Vor sich hat er jedenfalls eine große Karriere. Abgesehen von den leider jetzt üblichen Vokabeln, kann ihm Henningsen gute Umgangsformen jedoch nicht absprechen. Seine Kleidung ist tadellos, alles Maßarbeit! Sie ist dem hohen Amt durchaus angemessen. Zur Gesinnung hätte vielleicht eine Uniform besser gepasst. Dr. Vormeier aber macht dagegen ästhetische Einwände geltend. In Uniform wirkt er plump. Er musste dieses plumpe Aussehen zwar lange in Kauf nehmen, weil er ihm seinen Aufstieg verdankte. Er hat sich diesen Gerichtspräsidentenposten mit jahrelangem Uniformtragen erdient. Nun aber glaubt er auf Stiefel, Sturmhemd und Koppel verzichten zu können. Aufgabe der Staatswächter ist es, Uniform zu tragen, die Philosophen sollen sich wohltuend davon unterscheiden!
Manchmal stört ihn sogar der runde schwarz-weiß-rote Fleck des Parteiabzeichens auf dem vornehmen Schwarz seines Rockaufschlages. Ästhetischer würde eine einheitliche Fläche wirken! Aber auf dieses Ehrenzeichen kann und will er nicht verzichten. So wie es seine Existenz als Gerichtspräsident ermöglicht, ermöglicht er als Träger dieses Zeichens die Existenz Deutschlands, des heiligen Vaterlandes. Henningsen möchte diesen Gerichtspräsidenten für einen jungen Referendar halten, für einen bescheidenen jungen Mann, der zur Atmosphäre des Gerichtsgebäudes einen dekorativen Hintergrund bildet, wie vieles andere auch; der irgendwelche Sachen zu bearbeiten hat, damit ein Prozess in Gang kommen kann; und der beliebig austauschbar ist, wenn er irgendeinem älteren Kollegen nicht passt. Und jetzt ist Henningsen von ihm abhängig.
Er geht also auf Dr. Vormeier zu, verbeugt sich ein wenig förmlich vor ihm und sagt in einer Mischung von Jovialität und Sachlichkeit:
„Guten Tag, Herr Gerichtspräsident, treffen wir uns endlich mal bei einem erfreulichen Anlass? Mein Enkel und Ihr Sohn - beide beginnen heute mit dem Alphabet. Sie werden A schreiben lernen, aber auch B ...“
Mit Ingrimm denkt er an seinen schriftstellernden schwedischen Schwiegersohn, der irgendwo an einem herrlichen See ein idyllisches Leben führt und von dem niemals ein B verlangt wurde. A - immer nur A ... Seit Jahren ist er nicht bei seiner Familie gewesen ... Geld schickt er auch nicht ...
„Guten Tag, Herr Henningsen ... So war doch Ihr Name, nicht wahr? Es ist etwas schwierig für mich mit den vielen neuen Namen hier. Wie meinten Sie das vorhin mit dem B? Meinen Sie, wer A sagt, muss auch B sagen? Unsere Kinder werden endlich aufhören können, mit diesen Maßstäben aus der Systemzeit zu rechnen. Ja, dies ist mein Sohn, Klaus-Hermann. Sag dem Volksgenossen guten Tag! Strammgestanden! Und das ist Ihr Enkel? Ein prächtiger germanischer Typ! Gratuliere! Und wen hat er doch bei sich? Einen Spielkameraden? Aus was für einer Familie stammt der? Aus einer polnischen? Na, schön ist es auch nicht, aber ich dachte schon Zigeuner oder noch schlimmer. Ihr Enkel sollte lieber mit meinem Sohn spielen! Vielleicht können die beiden nebeneinandersitzen.“
„Das soll Sven-Uwe selbst entscheiden“, sagt Dr. Henningsen.
„Sven-Uwe heißt er? Ein wunderbarer Name! Nordischgermanisch!“
,Nein, er soll nicht neben diesem Bonzensohn mit der riesigen Zuckertüte sitzen! Vielleicht steckt er meinen Schwedenprinzen auch noch in die Zuckertüte, um ihn zu verspeisen. Nein, er soll ruhig neben Martin sitzen.‘

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