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Gerhard Branstner

Der Sternenkavalier

oder Die Irrfahrten des ein wenig verstiegenen Großmeisters der galaktischen Wissenschaften Eto Schik und seines treuen Gefährten As Nap

 

ISBN 978-3-95655-725-5 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1976 im Verlag Das Neue Berlin.

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

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Ein Stern zu viel

Die Sterne sind die gehorsamsten Kinder der Welt. Die finstere Majestät des unendlicher Raumes gebietet Stille, und die Sterne gehorchen. Sie blinzeln einander zu, doch sie schweigen. Sie laufen im Kreise herum und stehen doch, blickt man, um sie zu ertappen, unverhofft hin, wie gebannt an der befohlenen Stelle. Die Sterne sind die gehorsamsten Kinder der Welt.

„Teufel noch eins“, rief As Nap, „wie wir’s auch drehn und wenden, einer bleibt übrig!“

„Du sollst nicht fluchen“, sagte Eto Schik.

„Trotzdem bleibt einer übrig“, beharrte As, „irgendwo muss uns ein Fehler unterlaufen sein.“

„Möglich“, meinte Eto, denn er hielt grundsätzlich alles für möglich, also sogar, sich geirrt zu haben, „möglich ist aber auch, dass wir uns nicht geirrt haben und der Stern übrig bleiben muss.“

„Und weshalb?“, fragte As.

„Aus ästhetischen Gründen“, erklärte Eto.

As Nap kraulte sich hinterm Ohr. Er war ein praktischer Mensch. Wenn es ästhetisch wurde, kam er in Schwierigkeiten, und wenn er in Schwierigkeiten kam, kraulte er sich hinterm Ohr. Als Assistent Eto Schiks hatte As Nap häufig Ursache, sich hinterm Ohr zu kraulen.

Eto und As waren gebürtige Geomanen, und wäre es nach As gegangen, hätten sie die gute alte Geo auch niemals verlassen. Doch Eto Schik wollte höher hinaus. Er war von der Idee besessen, die natürliche Ordnung der Dinge in eine ästhetische zu verwandeln. Und da ihm das auf der Geo verwehrt worden war, hatte er sich entschlossen, den Heimatplaneten zu verlassen und es in einer anderen Welt zu versuchen. Wenn As Nap auch lieber auf der Geo geblieben wäre, so war es ihm doch niemals in den Sinn gekommen, sich von seinem Meister zu trennen und ihn allein ziehen zu lassen. Und auch Eto hatte niemals daran gezweifelt, dass sein Assistent ihm folgen würde, obwohl beide ein recht ungleiches Paar abgaben. Nicht nur, dass Eto lang, dünn und schwarzhaarig, As hingegen kurz, dick und semmelblond war, vor allem unterschieden sie sich in ihrer Natur. Oder gibt es einen größeren Unterschied als den zwischen einer praktischen und einer ästhetischen Natur? Obwohl die beiden also ein sehr ungleiches Paar waren, zogen sie gemeinsam aus, um in einer anderen Welt das zu tun, was ihnen in der eigenen versagt war.

Eto Schik hatte, sobald sein Entschluss, die Geo zu verlassen, feststand, ohne ein weiteres Wort sein Kavaliersstöckchen ergriffen, es einige Male unternehmungslustig herumgewirbelt und die bereitstehende Rakete bestiegen; und As Nap hatte hastig seinen Rechenautomaten in den Rucksack gestopft, ihn aufgehockt und sich dem Meister zugesellt.

Eto wollte den ersten Versuch, die natürliche Ordnung der Dinge in eine ästhetische zu verwandeln, vorsichtshalber in einer unbewohnten Gegend unternehmen. Als sie eine geeignet erscheinende erreicht hatten, suchte Eto ein Himmelsquadrat aus, das alle Arten von Sternen, nämlich Sonnen, Planeten und Monde, enthielt, parkte die Rakete an der unteren rechten Ecke des Quadrats und begann sogleich, ein allen ästhetischen Regeln entsprechendes Sternenbild zu entwerfen. Sobald er den Entwurf, der einem Teppichmuster ähnelte, vollendet hatte, übergab er ihn As Nap, der ihn in Daten auflöste und diese in den Rechenautomaten gab. Eto stieg derweilen durch die Dachluke auf die Rakete, schritt mit seinen langen Beinen ungeduldig auf und ab und wirbelte sein Kavaliersstöckchen herum. Mit diesem  Stöckchen aber hat es seine besondere Bewandtnis. Sein Knauf enthält nämlich einen Katalysator, vermittels dessen der Besitzer des Stöckchens sich alle Kräfte der Natur dienstbar machen kann. Allerdings muss die am Stock befindliche Zahlenskala zuvor in eine bestimmte Konstellation gebracht werden; und den Schlüssel dazu ermittelt Naps Rechenautomat.

Der Automat ruckte und zuckte, sobald As ihm die Daten eingegeben hatte, dass er einem leid tun konnte. Eine solch himmelsverändernde Aufgabe hatte er in seinem Leben noch nicht zu lösen gehabt. Endlich spuckte er aber den Schlüssel aus. As Nap stieg die Leiter nach oben, steckte den Kopf aus der Dachluke und übergab Eto den Schlüssel. Der Großmeister warf nur einen Blick darauf, und schon hatte er die Zahlentastatur an seinem Stöckchen eingestellt. Jetzt drückte er auf den am Knauf befindlichen Auslöseknopf, der Katalysator ließ ein angenehm anzuhörendes Summen vernehmen, und Eto Schik erhob das Stöckchen wie der Orchesterleiter seinen Taktstock. As Nap, der noch immer den Kopf aus der Dachluke steckte, ergötzte sich an dem wunderlichen Bild, das sein die Sterne dirigierender Meister bot. Die dürren Arme zum Himmel gereckt, vollführte Eto sein weltveränderndes Werk. Wie von einem Zauberstab berührt, verließen die Sonnen, Planeten und Monde den ihnen von der Natur angestammten Platz und fügten sich zu einer neuen, ästhetischen Grundsätzen folgenden Ordnung. Doch einer der Sterne, ein etwas dicklicher Planet, fand in der neuen Ordnung keinen Platz und verdrückte sich, als schäme er sich seiner Überflüssigkeit, seitwärts aus dem Himmelsquadrat, um in der Nähe der Rakete stehen zu bleiben.

Sobald As diesen unerwarteten Tatbestand konstatiert hatte, zog er seinen Kopf aus der Dachluke und befragte den Rechenautomaten, doch der wusste nichts darauf zu sagen. Da konnte nur der Meister selbst helfen, und der half sich damit, dass er den übrigen Stern für einen unästhetischen Rest erklärte.

„Er ist“, sagte Eto Schik, „eine Art natürlicher Überschuss. Die Natur bringt in ihrer blinden Schöpferkraft mehr hervor als in die Ästhetik passt.“

„Und wohin jetzt mit dem Kerl?“, fragte As. „Wir können ihn doch nicht gut da stehen lassen.“

„Wir nehmen ihn mit“, erklärte Eto, „vielleicht haben wir schon im nächsten Himmelsquadrat eine Verwendung für ihn.“

„Um Himmels willen“, rief As, „wenn dort nun auch, statt dass einer fehlt, ein Stern übrig ist, dann haben wir zwei am Halse! Und beim nächsten Quadrat womöglich noch einen. Wo soll das hinführen?“

„Man muss nicht gleich das Schlimmste annehmen“, meinte Eto, „im Ganzen gleicht sich alles aus, das besagt die Wahrscheinlichkeitsrechnung.“

„Im Ganzen vielleicht“, sagte As, „nur können wir bis dahin nicht sämtliche überzähligen Sterne mit uns herumschleppen.“

Eto hatte sich indessen an die Antenne gelehnt, kreuzte die Arme über der Brust und schaute mit verklärtem Blick auf das von ihm geschaffene Sternenbild. Um ihn darin nicht zu stören, hielt As des Weiteren den Mund, holte einen Liegestuhl aus dem Kabuff, stellte ihn am anderen Ende des Raketendaches auf und machte es sich darin bequem. Auf diese Weise verbrachten die beiden einige Zeit zu ihrem eigenen Wohlgefallen. Endlich fiel Etos Blick auf den Stern, der noch immer wie ein ausgescholtenes Kind nahe der Rakete stand.

„Da kann er wirklich nicht stehen bleiben“, sagte Eto.

As Nap, der in einen wohligen Schlummer versunken war, öffnete vorsichtig die Augen und dachte eine Weile nach.

„Na schön“, sagte er endlich, „nehmen wir ihn mit. Beim nächsten Himmelsquadrat rechnen wir aber vorher aus, ob einer übrig bleibt.“

Dagegen war nichts zu sagen. Eto sagte auch nichts. As klappte den Liegestuhl zusammen, schob ihn durch die Dachluke und verstaute ihn im Kabuff. Danach machte er sich über den Rechenautomaten her. Wenn sie den Stern mitnehmen wollten, mussten sie ihn an einen Gravitationsstrahl hängen, und so ein Strahl will schließlich errechnet sein. Doch derlei war für den Automaten eine Kleinigkeit. Er spuckte denn auch binnen Kurzem die erforderliche Zahlenkombination aus. As rief sie dem Meister, der noch auf dem Dache stand, zu, und der verband, sobald er sein  Stöckchen eingestellt hatte, Rakete und Stern mit einem haltbaren Gravitationsfaden. Dann stieg er zu As in die Steuerkabine, die eher wie eine unaufgeräumte Studentenbude aussah, und hockte sich auf eine der beiden längsseits aufgestellten Pritschen.

„Alles fertig?“, fragte As.

Eto nickte.

„Dann ab die Fuhre!“, rief As und drückte den Starter. Danach zündete er die Triebwerke und blickte auf den Tachometer. „Ein ganz schöner Klotz am Bein, dieser Stern“, meinte As, „bei voller Kraft machen wir nur halbe Fahrt.“

„Gib doppelte Kraft“, meinte der Großmeister, „dann machen wir volle Fahrt.“

„Oder der Faden reißt“, entgegnete As.

Eto schwieg. Er war bereits mit dem Muster für das nächste Himmelsquadrat beschäftigt. Diesmal wollte er eine Rosette bilden. Da kam es auf einen Stern mehr oder weniger nicht so genau an. Doch dazu sollte es nicht kommen, denn plötzlich riss As Nap sein linkes Auge auf, rieb es heftig und riss es noch weiter auf.

„Wenn mich nicht alles täuscht“, rief er, „so nähern wir uns einem bewohnten Stern!“

„Das wäre ärgerlich“, meinte Eto, ,,in dem Falle müssten wir die Leute wegen der Umgestaltung des Himmels um Erlaubnis fragen. Vielleicht täuschst du dich aber auch.“

Doch das war ausgeschlossen, denn Naps linkes Auge besaß übernatürliche Sehkraft. Die aber rührte von einem missglückten Experiment her, das der Großmeister seinerzeit auf der Geo unternommen hatte. Statt der geplanten Implosion war eine Explosion eingetreten, wodurch As Nap das linke Auge und das rechte Gehör einbüßte. Selbstredend fertigte Eto seinem Assistenten sogleich ein künstliches Auge und ein nicht minder künstliches Gehör an. Und da beide auf dem höchsten Stand der Technik standen, konnte As Nap seitdem unglaublich gut und sogar das ansonsten unhörbare Zirpen der Gravitationsströme hören und beinahe bis ans Ende der Unendlichkeit sehen, und das war mehr, als ihm lieb war. Daher kniff er für gewöhnlich das linke Auge zu und verstopfte das rechte Ohr mit einem Wachsklümpchen. Wenn er aber das eine oder das andere öffnete, musste er das zweite Auge oder Ohr schließen, da die ihm verbliebenen natürlichen Sinnesorgane mit den künstlichen nicht übereinstimmten, sodass Nap, wenn er beide gemeinsam benutzte, eine ziemlich verworrene Wahrnehmung hatte. Im Augenblick hatte er jedoch das rechte und also natürliche Auge zugekniffen, weshalb jede Täuschung ausgeschlossen war.

„Eine Täuschung ist ausgeschlossen“, rief As denn auch, „ich kann sogar Einzelheiten erkennen. Ein schönes Gewusel ist das!“

„Was ist ein Gewusel?“, fragte Eto.

„Die Leute laufen durcheinander wie die Ameisen, wenn einer mit dem Stock in ihrem Haufen herumwühlt.“

„Kannst du was hören?“

As klaubte das Wachsklümpchen aus dem rechten Ohr und stopfte es ins linke. „Sie reden wie sie laufen“, sagte As jetzt, „alle durcheinander. Ich kann kein Wort verstehen.“

„Eine schöne Aufgabe für uns!“ Eto rieb unternehmungslustig die Hände aneinander.

As Nap blickte den Meister erschrocken an. „Ihr habt doch nicht etwa vor, eine ästhetische Ordnung in das Gewusel zu bringen? Wer weiß, was uns da übrigbleibt!“

As sprach seinen Meister stets in der zweiten Person Plural an, selbst dann, wenn er ihn für ein bisschen übergeschnappt hielt.

„Eine schöne Aufgabe“, wiederholte Eto, „mir schwebt da schon ein reizvolles Muster vor.“

„Bevor wir die Leute in ein Muster bringen“, meinte As, „sollten wir sie erst einmal fragen, was sie so durcheinandergebracht hat.“

Eto schien mit diesem Vorschlag einverstanden zu sein, denn er sagte nichts dagegen, sondern schwieg vor sich hin. Vielleicht vertiefte er sich aber nur des Weiteren in sein Muster.

As richtete seine Aufmerksamkeit neuerlich auf das Gewusel und strengte sein linkes Auge und sein rechtes Ohr an. Und wenn er auch nichts Genaueres ausmachen konnte, so beschlich ihn doch ein ungutes Gefühl.

„Ich glaube“, sagte er zu Eto, „wir sollten nicht gleich mit dem Planeten ins Haus fallen.“

„Womit wohin?“, fragte Eto, aus dem Schweigen aufgeschreckt.

„Mit dem übrigen Stern unter die Leute“, erklärte As. „Die sind schon nervös genug. Der Stern könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.“

Eto sagte nichts, er schien wieder in sein Muster vertieft zu sein.

„Also einverstanden“, sagte As, „wir verstecken den Plumpsack hinter der nächsten Ecke und tun so, als ob wir von nichts wüssten.“

As bemühte ein weiteres Mal sein linkes Auge, und er fand auch bald ein geeignetes Versteck in Gestalt einer großen Meteoritenwolke, schleppte den Stern dahinter und zog den Gravitationsfaden ein.

Himmel und Menschen

Die Geomanen hatten, sobald der Stern untergebracht war, wieder Kurs aufgenommen und setzten, als sie den bewohnten Planeten erreicht hatten, die Rakete in einer unbevölkerten Gegend nieder. Eto sprang sogleich auf, rieb sich einmal mehr unternehmungslustig die Hände und stieg aus, bevor As die Leiter ausgefahren hatte. As fuhr die Leiter aus, stieg hinab und half dem Meister auf die Beine.

Eto schien gar nicht bemerkt zu haben, dass er gestürzt war.

„Wo ist das Gewusel?“

„Ich habe die Rakete etwas abseits gelandet“, erklärte As, „vorsichtshalber.“

„Also gehen wir“, sagte Eto, „und vergiss den Automaten nicht.“

As holte den Rechner aus der Rakete, stopfte ihn in den dazugehörigen Rucksack und hockte ihn auf. Der Großmeister war indessen auf seinen langen Beinen davongestakt, wirbelte das Kavaliersstöckchen durch die Luft und kümmerte sich nicht weiter um seinen Assistenten. Nap hatte einige Mühe, Eto zu folgen. Die Sonne schien erbarmungslos herab, und das Land war wie ausgedörrt. As wischte sich in kürzer werdenden Abständen den Schweiß von der Stirn, stieß endlich einen fürchterlichen Fluch aus, warf den Rucksack ab und setzte sich darauf.

„Hätte ich doch“, rief er aus, „bei der Explosion statt Auge und Ohr beide Beine eingebüßt! Dann hätte mir der Meister zwei künstliche gemacht, und ich wäre jetzt besser zu Fuß.“

Da es aber nicht an dem war, musste As, nachdem er ein wenig verschnauft hatte, sich wieder auf seine natürlichen machen. Schwitzend und fluchend buckelte er Eto Schik hinterher. Der Großmeister war bereits so weit entschwunden, dass As ihn nur noch mit dem linken Auge sehen konnte. Und eben jetzt erreichte Eto die Stadt und tauchte in dem in ihr herrschenden Gewimmel unter, sodass As ihn nun auch aus dem künstlichen Auge verlor.

„Hoffentlich geht er mir nicht ganz verloren“, brummte As, der die arglose Naivität seines Meisters kannte.

Endlich erreichte auch Nap die Stadt und drängelte sich durch die von Menschen überfüllten Straßen. Die Leute schienen aus der Stadt zu fliehen, stießen dabei einander hin und her und schrien auf eine Weise durcheinander, dass As Mühe hatte, einige sinnvolle Fetzen herauszuklauben und sich einen Vers darauf zu machen. Und als er den Vers beisammenhatte, lief es ihm kalt über den Rücken. Nichts anderes als das von Eto umgestaltete Himmelsquadrat hatte die Leute in diese Aufregung versetzt Sie sahen darin ein unheilvolles Vorzeichen und forderten, um der vom Himmel angekündigten Strafe zu entgehen, den Tod aller Ketzer.

As beeilte sich, seinen Meister zu finden. Auf dem Marktplatz entdeckte er ihn auch endlich. Eto stand, das Kinn nachdenklich in die Hand gestützt, auf dem von der verschreckten Menge verlassenen Platz und blickte auf das Durcheinander von umgestürzten Verkaufsständen, auf dem Pflaster umherliegendem Gemüse, zerbrochenem Geschirr und anderen verdorbenen Waren.

„Die Leute sind geflohen“, erklärte As dem Meister, setzte den Rucksack ab und hockte sich darauf. „Sie fürchten eine Strafe des Himmels, und schuld ist allein die Ästhetik.“

„Eine schöne Aufgabe“, sagte Eto und blickte unverwandt, als gäbe es nichts anderes auf der Welt, auf das heillose Durcheinander.

„Wenn die spitzkriegen, dass wir die Urheber sind, geht es uns an den Kragen!“, rief As. „Und wenn sie es nicht spitzkriegen, müssen die Ketzer dran glauben.“

„Wirklich eine schöne Aufgabe“, wiederholte Eto, „nur bin ich mir über das Muster noch nicht ganz im Klaren.“

„Die Ketzer“, erinnerte As, „sie sollen dran glauben! Oder wir, je nachdem.“

Da Eto noch immer vor sich hin sinnierte, zuckte As mit der Schulter, hob einen vor seinen Füßen liegenden Apfel auf, wischte ihn an der Hose ab und biss herzhaft hinein.

„Ich möchte wissen“, meinte er kauend, „wo die Ketzer stecken.“

„Ketzer?“ Eto blickte auf As, als ob er erst jetzt dessen Anwesenheit bemerkte. „Ich sehe keine Ketzer.“

„Ich auch nicht“, sagte As, „sicherlich haben sie sich verkrochen.“

„Und warum?“

„Weil sie büßen sollen, was wir verübt haben: die Umgestaltung des Himmels.“ Jetzt endlich begriff Eto die Zusammenhänge. As blickte indessen mit dem linken Auge in alle Ecken und Winkel, konnte aber kein lebendes Wesen entdecken.

„Vielleicht kann ich sie hören“, meinte er und nahm das Klümpchen aus dem rechten Ohr. „Außer dem Geschrei der aus der Stadt geflohenen Menge höre ich ein ängstliches Geflüster, und wenn ich mich nicht täusche, so kommt es aus der Kirche.“

As stopfte das Klümpchen wieder ins Ohr, nahm den Rucksack auf und ging auf die an der gegenüberliegenden Seite des Platzes stehende Kirche zu. Eto hatte ihn nach wenigen Schritten eingeholt und klopfte, als sie vor dem Gotteshaus angelangt waren, mit dem Knauf seines  Stöckchens an die Tür.

„Von denen wird keiner die Tür öffnen“, meinte As, „wir werden wohl ungebeten eintreten müssen.“

Also traten sie ungebeten ein. Eto sah sich interessiert das Innere des Gebäudes an.

„Ich glaube, das können wir so lassen“, sagte er schließlich, „mir fiele da auch kein besseres Muster ein, wenigstens was die Architektur anbelangt. Die Bilder gefallen mir schon weniger gut.“

„Hier sind sie!“, rief As, der sich inzwischen nach den Ketzern umgesehen und sie hinter dem Altar entdeckt hatte, wo sie sich Angst schlotternd aneinanderdrängten.

„Die Leute“, bemerkte Eto, indem er näher trat, „haben keinen Gruppierungssinn, sie kleben ja förmlich aneinander. In solch einem großen Raume muss man sich ganz anders gruppieren. Ich werde sogleich ein Muster ...“

„Die Leute haben Angst“, unterbrach As den Meister, „wir müssen ihnen erst die Angst nehmen, dann …“

Diesmal wurde As unterbrochen, und zwar von einem hellen Gelächter, in das die Ketzer ausbrachen.

Ob es nun das kuriose Bild war, das der berucksackte As im Verein mit seinem spindeldürren Meister abgab, oder dessen Absicht, die Ketzer in ein ästhetisches Muster zu bringen, oder einfach die Tatsache, statt der erwarteten Henker zwei harmlose Gestalten vor sich zu sehen, jedenfalls war Ursache genug, die auf die Spitze getriebene Gemütsverfassung des bedrohten Häufleins ins Gegenteil umkippen zu lassen. Das Gelächter erfüllte die ganze Kirche.

„Auch die Akustik ist ausgezeichnet", stellte Eto fest, „ich hätte nicht gedacht, dass eine Kirche für ein Gelächter so gut geeignet ist.“

Da As sich davon überzeugt hatte, dass vorderhand nichts zu besorgen sei, setzte er den Rucksack ab, hockte sich darauf und besah sich die Ketzer im Einzelnen. Es waren ihrer elf, und der am lautesten lachte, schien auch ihr Anführer zu sein, denn als er jetzt zu lachen aufhörte, hörten auch die anderen auf.

„Du da“, fragte As den Anführer, „wie heißt du?“

„Ich heiße Gotthelf“, sagte der Mann und trat einen Schritt nähet. Er war von großer und kräftiger Gestalt, nur sah er etwas kränklich aus. „Und wer seid ihr?“

As langte den angebissenen Apfel aus der Tasche, hieb die Zähne hinein und sagte kauend: „Wir kommen von der Geo und bringen da und dort ein bisschen Ästhetik in die Welt. Haben aber, wie’s scheint, wenig Glück damit.“

„Die Geo“, fragte Gotthelf, „ist das eine Insel auf der anderen Seite des Planeten?“

„Iwo“, sagte As, „das ist ein Planet auf der anderen Seite der Milchstraße.“

„In längst vergangenen und vergessenen Zeiten sollen ja öfter mal Menschen von anderen Sternen zu uns gekommen sein“, meinte Gotthelf, „in letzter Zeit aber seid ihr die einzigen.“

„Jedenfalls sind wir zur rechten Zeit gekommen“, konstatierte As, „da können wir euch aus dem Dilemma heraushelfen, in das wir euch gebracht haben.“

„Wie“, rief Gotthelf, „seid ihr etwa daran schuld, dass ein Teil unseres Himmels auf einmal ganz anders ist?“

„Na ja“, meinte As verlegen, „ganz anders ist wohl ein bisschen übertrieben,“

„Und der Stern? Was habt ihr mit dem verschwundenen Stern gemacht?“

„Den haben wir auf die hohe Kante gelegt“, erklärte As, „ vielleicht können wir irgendwo mal einen gebrauchen.“

„Ihr müsst sofort alles wieder in die alte Ordnung bringen“, rief Gotthelf, „sonst sind wir des Todes!“

„Ihr seid mir vielleicht komische Ketzer“, meinte As. „Ich dachte immer, Ketzer kämpfen ums Leben gern gegen die alte Ordnung. Aber schön, wie ihr wollt, nur müsst ihr das dem Großmeister sagen, ich bin nur sein Assistent.“

Eto stand auf der Kanzel und blickte auf das Kirchengestühl hinab. Irgendetwas daran schien ihm nicht zu gefallen Er hatte das Kinn in die Hand gestützt und dachte nach.

„Wo ist der Automat?“, rief er jetzt.

„Ich sitze drauf“, sagte As.

Unterdessen hatte sich Gotthelf mit den anderen Ketzern verständigt, und alle miteinander umringten jetzt die Kanzel. „Großmeister“, rief Gotthelf, „ihr müsst sogleich alles wieder in die alte Ordnung bringen. Und tut ihr es nicht freiwillig, so gebrauchen wir Gewalt!“

„Gewalt?“ Eto schüttelte missbilligend den Kopf. „Gewalt ist unästhetisch. Denkt euch was anderes aus.“

„Es geht um unser Leben“, erklärte Gotthelf.

Eto stieg von der Kanzel herab, besah sich einen der Ketzer nach dem anderen und tippte Gotthelf mit dem Kavaliersstöckchen gegen die Brust.

„Was soll ich wieder in die alte Ordnung bringen?“

„Den Himmel“, sagte Gotthelf. „Die Altgläubigen behaupten, die Veränderung des Himmels bedeute Unheil, und die einzige Möglichkeit, es abzuwenden, sei die Tötung aller Ketzer.“

„Und was sagt die Wissenschaft?“

„Die Wissenschaft?“, fragte Gotthelf konsterniert.

„Die Astronomen, Kosmologen und dergleichen“, erklärte Eto.

„Die sind ebenso durcheinander wie der Himmel“, sagte Gotthelf, „von denen können wir keine Hilfe erwarten.“

„Das werden wir sehen“, sagte Eto. „Bis dahin bleibt ihr in der Kirche.“

„Und wenn die Altgläubigen zurückkommen und uns hier finden?“

„Sie werden euch nicht finden“, erklärte Eto, „wir spannen ein semipermeables Feld um die Kirche.“

„Ein was?“

„Ein einseitig durchlässiges Feld“, erklärte Eto, „da kann jeder hinaus, aber keiner herein. Komm, As, ich habe mit der Wissenschaft zu reden!“

Nap hievte seinen Rucksack auf den Rücken und stapfte dem Meister hinterdrein. Vor der Kirche fingerte Eto an der Zahlenskala seines Stöckchens herum und wirbelte es, nachdem er den Auslöseknopf gedrückt hatte, durch die Luft.