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Gerhard Branstner

Der astronomische Dieb

Utopische Anekdoten um den erfindungsreichen Mechanikus Fränki und seinen ihm anhängenden Freund Joschka

 

ISBN 978-3-95655-714-9 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1973 im Verlag Das Neue Berlin

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

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Prolog

Als Fränki, damals noch keine fünf Jahre alt, einen Hampelmann geschenkt bekam, hing er ihn mit der Hinterseite nach vorn auf, denn er wollte sehen, auf welche Weise Arme und Beine bewegt wurden, wenn man an der Schnur zog. Wenig später hing eine Unzahl selbst gefertigter Hampelmänner in Fränkis Kinderzimmer. Mechanische Gliederpuppen, mit Triebfedern versehen, gesellten sich hinzu. Und bald hatte sich Fränki eine eigene Welt geschaffen, klein zwar, aber mit vielen lustigen Gestalten bevölkert, geheimnisvoll in ihrer äußeren Erscheinung, doch durchschaubar in ihrem inneren Mechanismus, eine Welt des Spiels nur und doch von tieferer Wirklichkeit, denn im Spiel erkannte Fränki, dass nur das Spiel mit der Welt sie uns heimisch macht.

So nimmt es nicht wunder, dass Fränki, das Studium der mechanischen Künste hinter sich und in die Welt der Wirklichkeit versetzt, auch sie durch das Spiel mit ihr sich zu eigen machen wollte. Doch stellte er bald fest, dass diese Welt darauf nicht eingerichtet war. Also machte Fränki sich daran, sie zum Zwecke der spielerischen Handhabung einzurichten, denn nur in dieser Form, so pflegte er zu sagen, erfüllt sie ihren menschlichen Sinn.

Darin nun war Fränki seiner Zeit ein wenig voraus und unversehens in die Zukunft geraten, und er sah sich allein und ohne Mitspieler. Ein solcher aber war ihm wichtiger als das Spiel selbst. Ohne Gesellschaft, davon war Fränki überzeugt, ist der Mensch das bedauernswerteste Geschöpf unter der Sonne. So ist es nur verständlich, dass er, als er eines Tages Joschka kennenlernte und in ihm einen gleich gesinnten Menschen fand, sich diesen zum Freunde machte und rief: »Wenn wir beide ausziehen, um unser Spiel mit der Welt zu treiben, haben wir die Welt schon so gut wie in der Tasche! Und den Spaß haben wir dazu!«

Der gravierende Unterschied

»Wir haben uns lange nicht gesehen«, sagte Fränki, als er mit seinem Freund Joschka auf der Erde zusammentraf.

Die beiden umarmten sich, und Joschka fragte: »Wie ist es dir ergangen während unserer Trennung?«

»Du hast Glück«, sagte Fränki, »mich lebend zu sehen. Ich bin eben noch dem Tode entronnen.«

»Wie das?«, fragte Joschka.

»Ich war auf dem Jo, einem der Jupitermonde«, berichtete Fränki. »Dort wurde ich von einem Löwen angefallen.«

»Auf dem Jo gibt es doch keine Löwen«, wandte Joschka ein.

»Wenn ich es dir sage«, behauptete Fränki. »Ich ging nichts ahnend durch einen neu angelegten Park. Der Jo ist, wie du weißt, seit Kurzem zu einem Fernerholungsgebiet des Sonnensystems gemacht worden. Wie ich also so vor mich hinging, stand plötzlich ein Löwe vor mir. Und eh’ ich mich versah, setzte er zum Sprung an. Er sprang aber viel zu hoch und landete weit hinter mir. Sogleich wandte er sich um und sprang ein zweites Mal, aber wieder viel zu hoch und zu weit. Vielleicht, so dachte ich, ist es ein ehemaliger Zirkuslöwe, der darauf dressiert ist, irgendwem über den Kopf zu springen, und nicht aufhört damit, bis der Applaus kommt. Ich klatschte in die Hände, der Löwe hörte jedoch nicht auf zu springen. Da ich mir allmählich die Beine in den Bauch stand, setzte ich mich nieder, und der Löwe fuhr fort, mir über den Kopf zu springen. Er sprang und sprang, und endlich wurden seine Sprünge immer niedriger und kürzer. Jetzt bekam ich es doch mit der Angst zu tun, doch eben da blieb er, nachdem er mir beim letzten Sprung das Haar gestreift hatte, völlig erschöpft liegen.«

»Und«, fragte Joschka, »war es nun wirklich ein Zirkuslöwe?«

»Im Gegenteil«, erklärte Fränki, »er war gerade aus Afrika gekommen und, kaum in das Freigehege gesetzt, über den Zaun gesprungen. Man hatte wohl die auf dem Jo bedeutend geringere Anziehungskraft nicht richtig veranschlagt gehabt.« »Nur gut«, meinte Joschka, »dass der Löwe den gleichen Fehler machte. Und das nicht nur einmal.«

»Eben das ist der Unterschied«, sagte Fränki. »Der Mensch macht den gleichen Fehler nur einmal. Wenigstens, wenn er was auf sich hält.«

Schattenspiele

Von einer längeren Weltraumfahrt zurückgekehrt, hatte Fränki endlich wieder Muße, etwas zu erfinden, und er stürzte sich voll Eifer in die Arbeit. Diesmal schien ihm jedoch, ganz gegen alle Gewohnheit, der Erfolg versagt zu bleiben. Enttäuscht suchte er Joschka auf.

»Nun wollte ich einmal eine Erfindung machen, die wie keine andere der Menschheit auf die Sprünge geholfen hätte«, klagte er seinem Freund, »aber herausgekommen ist nichts als der bügelfreie Schatten.«

»Das ist allerdings von geringem Nutzen«, bestätigte Joschka. »Wenn wir unseren Schatten hin und wieder waschen würden, käme uns seine bügelfreie Qualität wohl zustatten. Wer aber wäscht schon seinen Schatten?«

»Kein Mensch!«, rief Fränki. »Ursprünglich war ich ja auch nicht auf den bügelfreien, sondern auf den überspringbaren Schatten aus. Und den ersten dieser Art solltest du bekommen. Aber mein Genie hat diesmal gänzlich versagt.«

»Andernfalls hätte ich dich sehr enttäuschen müssen«, meinte Joschka. »Ich für meinen Teil würde mir solch ein charakterloses Ding keinesfalls zulegen.«

Das Sonnenmobil

Eines Tages kam Fränki mit einem kleinen Kästchen unter dem Arm zu seinem Freund Joschka.

»Was bringst du da?«, fragte Joschka.

»Etwas ganz Besonderes«, sagte Fränki mit geheimnisvoller Miene. »Wenn ich einen Sonnenstrahl in dieses kleine Loch des Kästchens fallen lasse und den Hebel hier herunterdrücke, habe ich eine feste Verbindung zwischen Kästchen und Sonne hergestellt.«

»Und welchen Nutzen hat das?«, fragte Joschka weiter.

»Sobald ich das Kästchen an einem Fahrzeug anbringe und auf die Sonne einstelle«, erklärte Fränki, »fährt das Fahrzeug, da es jetzt mittels des Kästchens an die Sonne gebunden ist, mit dieser um die Erde herum. In vierundzwanzig Stunden hat es die ganze Erde einmal umkreist. Genau genommen«, fuhr Fränki fort, »ist es natürlich umgekehrt. Das Fahrzeug bleibt, da es jetzt an die Sonne gebunden ist und die Umdrehung der Erde um sich selber nicht mehr mitmacht, stehen, und die Erde dreht sich unter ihm fort.«

»Einfach toll!«, rief Joschka. »Aber was ist, wenn keine Sonne scheint? Hast du auch daran gedacht?«

»Nein«, sagte Fränki. »Das hätte mir die Arbeit verleidet.«

Ohne Kontakt kein Takt

Seitdem Fränki im Stadtverkehr eine kleine, auf den Rücken geschnallte Hubschraube benützte, klopfte er, wenn er seinen Freund Joschka besuchte, nicht mehr an die Tür, sondern schwirrte, so er es offen fand, wie eine Libelle zum Fenster herein.

»Die fortschreitende Technik«, sagte Joschka, als Fränki wieder einmal ohne anzuklopfen hereinschwirrte, »setzt die Verfügung des Menschen über sich selbst immer mehr außer Kraft. Ein jeder kann, ohne um Erlaubnis zu fragen und wann er will, in unsere Privatsphäre eindringen. Das fing mit dem Telefon an, und ich möchte wissen, womit es endet.«

»Mit dem Psychokommunikator«, erklärte Fränki. »Soviel ich gehört habe, wird in Kürze ein jedermann mit solch einem Gerät ausgestattet. Dann kann, wer immer Lust dazu hat, mit dir in Kontakt treten und feststellen, in welcher Stimmung du dich befindest. Und das nicht nur ohne deinen Willen, sondern sogar ohne dein Wissen.«

»Wenn sich alle Welt nach Belieben ein Röntgenbild meiner Seele machen kann«, rief Joschka, »hat die Autonomie der Persönlichkeit tatsächlich ihr Ende gefunden!«

»Im Gegenteil«, sagte Fränki, »sie ist erst jetzt wirklich erreichbar, und zwar in einem tieferen Sinne. Wie soll ein anderer wissen, ob er dir zu nahe tritt, wenn du dich ihm verschließt? Vermittels des Psychokommunikators hingegen weiß er jederzeit, wie es um dich bestellt ist, und kann darauf Rücksicht nehmen.«

»Ein komisches Gefühl ist das schon«, meinte Joschka, »in dem Bewusstsein zu leben, dass einem ein jeder zu jeder Zeit wie der liebe Gott in die Seele gucken kann. Wenn ihn das jedoch verpflichtet, mich nicht mehr aus dem Schlaf zu klingeln oder zur Unzeit durchs Fenster zu besuchen, könnte ich mich wohl daran gewöhnen.«

Die umgekehrte Utopie

Fränki hatte einen utopischen Roman geschrieben. »Wovon handelt er?«, fragte sein Freund Joschka. »Von einer kinderreichen Familie.«

Joschka machte ein verständnisloses Gesicht. »Aber das ist doch nicht utopisch.«

»Noch nicht«, sagte Fränki.

SOS im Rasierwasser

Fränki gedachte seinen Freund Joschka, der sich auf einem Planeten außerhalb des Sonnensystems aufhielt, zu besuchen und charterte eine Rakete. Auf dem fernen Planeten gelandet, wollte er jedoch seinem Freund nicht unter die Augen treten, ohne sich rasiert zu haben. Da er aber kein Gefäß bei sich hatte, in dem er etwas Rasierwasser hätte warm machen können, hing er den Tauchsieder in ein Gewässer, das er in der Nähe fand. Der superstarke Elektronentauchsieder hätte selbst einen ganzen See zum Kochen gebracht. Daher wunderte sich Fränki, dass es so lange dauerte, bis das Wasser einigermaßen warm wurde. Er dachte sich aber nichts weiter dabei, rasierte sich und machte sich guter Dinge auf den Weg. Doch als er seinen Freund traf, schien der nicht sonderlich erfreut zu sein.

»Was hast du bloß wieder angestellt«, rief Joschka, »der ganze Planet ist in Aufruhr! Die Fische krepieren, sämtliche Schiffe sind in Seenot, und jetzt kommt ein Unwetter auf, das noch Schlimmeres befürchten lässt!«

»Ich habe mir nur ein bisschen Rasierwasser warm machen wollen«, erklärte Fränki. »Und da ich kein Gefäß bei mir hatte, habe ich den Tauchsieder in das kleine Gewässer neben dem Landeplatz gehängt.«

»Aber das ist doch ein Zipfel des Ozeans«, rief Joschka außer sich, »du hast den ganzen Ozean zum Kochen gebracht!«

»Deshalb also wollte das Wasser ewig nicht warm werden«, meinte Fränki. »Ich dachte schon, mein Tauchsieder wäre nicht in Ordnung.«

Die unberechenbare Größe

Fränki und Joschka hatten eine Havarie und mussten auf einem Planeten notlanden, der sich alsbald als bewohnt erwies.

»Da haben wir ja noch einmal Glück gehabt«, meinte Joschka. Als sie aber auf die ersten Bewohner stießen, wurden sie, statt freundlich begrüßt zu werden, am Kragen gepackt und zum nächsten Ort geschleppt, von wo ihnen bereits ein zwar würdig aussehender, aber wild gestikulierender Mann entgegenkam, der, sobald Fränki und Joschka ihm gegenüberstanden, mit schrecklicher Stimme auf sie einschrie.

»Was schreit er denn so?«, fragte Joschka seinen Freund.

»Irgendwas an dem Ding muss kaputt sein«, brummelte Fränki und fummelte an seinem automatischen Dolmetscher, einer faustgroßen Kapsel, herum. »Wenn das Ding aber nicht kaputt ist, dann sagt der Kerl, dass es uns gar nicht gibt.«

»Da muss wirklich was an dem Ding kaputt sein«, meinte Joschka.

»Ich kann aber nichts finden!«, rief Fränki aufgebracht. »Und wenn das Ding in Ordnung ist, muss an dem Kerl was kaputt sein. Ich werde ihn mal fragen, wieso es uns nicht gibt.«