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Hanna Borchert

Meine Freundin, eine Nixe

ISBN 978-3-95655-694-4 (E-Book)

ISBN 978-3-95655-696-8 (Buch)

 

Bilder: Barbara Opel

 

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Meine Freundin, eine Nixe

Ich bin ein Mädchen aus einem schönen, großen Dorf. Bald bin ich 12 Jahre alt. Mein Name ist Felizitas. Aber meine Freunde nennen mich Feli. Wir wohnen nicht weit von einem See. Er wird auch Zaubersee genannt, weil er so wunderschön und mit dem Meer verbunden ist. Der See hat eine Brücke, sie besteht aus Brettern.

Ich sitze gern auf der Brücke. Dann träume ich immer so vor mich hin und schaue ins Wasser, in dem viele Fische schwimmen. Besonders nahe bin ich den Fischen, wenn ich durch die Ritzen der Brücke schaue.

Die Fische schauen mich an, ich glaube, sie wissen, dass ich traurig bin. Oft spreche ich mit ihnen und erzähle, dass Mama Bauchschmerzen hat.

Alles berichte ich den Fischen, meine kleinen und großen Sorgen. Mir kommt es so vor, als würden sie mich verstehen.

Ich schaue heute wieder ins Wasser, da sehen mich auf einmal zwei hellblaue Augen an.

Ich erschrecke und lege meine linke Hand auf meine rechte Schulter. Wie von Geisterhand mache ich es. Nun bin ich schon fast mit meinem Gesicht auf der Brücke. Die Augen sind immer noch da. Wir sehen uns immerzu an. Leise, als würde ich niemanden aufwecken wollen, frage ich: „Wer bist du?“ Doch mein Gegenüber antwortet nicht.

Nun richte ich mich wieder auf und sehe eine große Welle auf dem Wasser, die immer, immer kleiner wird.

Ich weiß nicht, ob es Wirklichkeit oder ein Traum ist.

Nein, Angst habe ich nicht. Es ist mir nur so seltsam zumute, als würde ich schweben.

"Ich gehe nun wieder heim, aber morgen komme ich wieder", sage ich ganz laut ins Wasser hinein. Ich denke, dass mich jemand hört und versteht.

Es ist ein Raunen in der Luft, als ich die Brücke verlasse.

Der nächste Tag

Heute bin ich sehr früh aufgestanden, es sind Ferien. Ich schaue schnell zu meiner Mama. Sie schläft noch, wie schön, ich hoffe nur, dass es ihr bald besser geht. Die Sonne geht schon auf und Nebel steht in der Wiese, immer wieder bin ich von dieser Schönheit des Nebels fasziniert. Und es ist gleichzeitig sehr geheimnisvoll für mich.

Heute ist es besonders schön am See.

Der Eisvogel sitzt auf dem Ast einer Weide und piepst mir entgegen.

Ich denke dann, er begrüßt mich. Aber es kann auch sein, dass sich der Eisvogel in seiner Morgenruhe durch mich gestört fühlt.

Wie auch immer, ich tue ihm nichts und er tut mir auch nichts, also ist alles gut.

 

Leise betrete ich die Brücke und hoffe, dass diese Augen wieder da sind.

Ich schaue genau in die gleiche Ritze, aus der sie mich gestern angesehen haben. Aber nein, niemand schaut mich an. Es überkommt mich eine Sehnsucht nach diesen Augen.

Kommen sie nie wieder? Werden sie für mich immer ein Geheimnis bleiben?

Ich hole Kuchen als Geschenk aus meiner Tasche. Habe es extra für jemanden unter der Brücke mitgenommen. Ich hoffe nur, dass derjenige auch so gerne Kuchen isst wie ich. Mama kann wunderbar backen, sicher wird es der anderen auch schmecken. Das hoffe ich! „Hallo!“, rufe ich leise und fast flüsternd. „Hallo, hallo!“, sage ich, "zeige dich doch bitte.“

Nun sehe ich, wie eine blaue Welle auf mich zurollt und jemand sagt:

„Ich konnte nicht früher kommen, mein Weg ist weit.“

Wie Gesang klang es aus dem Wasser.

Obwohl ich gebeten habe, dass jemand mit mir spricht, habe ich mich doch etwas erschrocken und schlage wieder mit der linken Hand auf meine rechte Schulter.

„Wie schön! Du bist da, ich habe gehofft, dich wieder zu treffen“, sage ich ins Wasser hinein, obwohl ich nichts sehen kann.

„Wo bist du?“, frage ich. „Komm und zeig dich bitte.“

„Ich werde zu dir auf die Brücke springen, aber bitte erschrick nicht. Ich sehe nicht so aus wie du.“

„Ja! Spring, so gut du kannst, damit ich dich auch sehen kann“, sage ich. „Ich werde mich nicht erschrecken, versprochen!“

“Bitte, mach etwas Platz, damit ich zu dir auf die Brücke springen kann.“

„Ja, ich mache Platz“, sage ich.

Ich rutsche mit dem Po weiter auf die Brücke und bin so aufgeregt wie noch nie in meinem Leben.

Ich rufe: „Ja, bitte komm, ich freue mich!“

Erst geschieht nichts, ich denke schon, es war nur Einbildung von mir, dass jemand gesprochen hat. Doch dann kommt eine große Welle aus dem Wasser und ich werde nass. Vor mir sitzt ein schönes Mädchen.

Lange sagen wir nichts. Wir sehen uns nur an.

„Wer bist du?“, frage ich dann leise, sehr leise, denn ich möchte den Zauber nicht brechen. Ich fühle mich, als würde ich schweben.

„Wie heißt du? Und was machst du dort im Wasser?“, frage ich.

„Ich wohne im Reich meines Vaters, ich bin die Tochter eines Königs. „Ich heiße Walburga von Wasserburg. Aber meine Freunde nennen mich Wally. Ich bin eine Nixe. Halb Mensch, halb Fisch. Doch wäre ich gern mal so wie du ein ganzer Mensch.“

„So wie ich?“, frage ich zurück.

„Ja, so wie du. Das wünsche ich mir so sehr.“

Ich lache und sage: "Wir haben den gleichen Wunsch, ich wäre auch gern mal so wie du!“

„Ist das wahr?“, fragt Wally mich ganz verwundert.

„Oh ja, und wie gern wäre ich auch mal eine Nixe.“

„Wie heißt denn du?“, will Wally nun wissen.