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Dietmar Beetz

Der fliegende Löwe

und andere Märchen der Nama – nach alten Quellen neu erzählt

ISBN 978-3-86394-147-5 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1986 im VEB Postreiter-Verlag Halle/Saale.

 

Gestaltung des Titelbildes: Sabine Beck

 

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AM KRANKENLAGER DES LÖWEN

Seit einiger Zeit lief die Hyäne umher und erzählte heulend, der Löwe sei todsterbenskrank. Er könne sich nicht mehr von seinem Lager erheben. Man müsse sich sputen, um ihm einen letzten Besuch abzustatten.

Das hörte auch der Schakal. Er wusste, dass es Brauch war, einen Schwerkranken zu besuchen, dass man gegen diese Sitte nicht verstoßen durfte. Dennoch schlug er einen großen Bogen um das Lager des Löwen.

Etwas hatte ihn stutzig gemacht.

War es nicht seltsam, dass viele Spuren zum Löwen führten, aber keine zurück?

Wo blieben all die Besucher?

Von Tag zu Tag wurde es stiller in Busch und Savanne. Immer seltener stieß der Schakal auf die Fährte eines anderen Tieres. Bald waren nur noch das Gebrüll des Löwen und das Geheul der Hyäne zu hören.

Und dann passte die Hyäne den Schakal unversehens ab. Als er von einem erfolglosen Jagdzug heim schlich, stand sie plötzlich vor ihm.

"Na, lebst du noch?"

"Warum sollte ich nicht mehr leben?", fragte der Schakal.

"Weil man dich nicht zu Gesicht bekommt", sagte die Hyäne. "Alle haben dem Löwen, unserem kranken Herrscher, ihren Besuch abgestattet, nur du nicht. Also...!"

Es war der Moment, mit welchem der Schakal gerechnet hatte. Ausweichen konnte er nicht länger, fliehen erst recht nicht; die Hyäne würde ihn schnappen und mitschleppen.

"Gehn wir", sagte er. "Ich hatte sowieso vor, den Löwen heute noch zu besuchen. Schön, dass du mich abholen willst."

Unterwegs ließ die Hyäne den Schakal nicht aus den Augen. Ihr fiel auf, wie schweigsam er war. Er bereitet sich auf sein Ende vor, dachte sie schadenfroh.

So gelangten sie zum Löwen. Der lag tatsächlich wie ein Kranker auf seinem Lager aus Gras.

Ringsum verstreut - blutige Knochen.

"Wird Zeit, dass du erscheinst", fuhr er den Schakal an. "Wo hast du so lange gesteckt?"

"Ich war beim Medizinmann, hoher Herrscher, beim weisen Geiaob."

"Ach! Und weshalb?"

"Um ein Heilmittel in Erfahrung zu bringen, ein Heilmittel gegen deine schrecklichen Schmerzen."

Der Löwe verzog das Gesicht. "Meine Schmerzen sind wirklich schlimm. Dieses Gliederreißen, das mich manchmal befällt!"

"Das lässt sich kurieren", sagte der Schakal.

"So? Wie denn?," erkundigte sich begierig der Löwe.

Auch die Hyäne hatte die Ohren gespitzt und war näher gerückt.

"Es gibt ein todsicheres Mittel", begann der Schakal.

"Sprich!", drängte der Löwe.

"Du brauchst dich bloß", erklärte der Schakal, "in ein Hyänenfell zu wickeln, in ein warmes, frisch abgezogenes Hyänenfell. Das hilft bestimmt."

Der Löwe leckte sich die Pranken, leckte sich die Lefzen und - schlug plötzlich zu.

"Lass mich!", heulte die Hyäne auf. "Ist das der Dank für meine Dienste?"

Vergebens. Der Löwe zog seiner Helfershelferin den Balg ab.

Und der Schakal?

Der hatte sich mittlerweile verdrückt.

LÖWE UND SCHAKAL AUF JAGD

Einstmals hatte der Löwe den Schakal zu seinem Knecht gemacht. Ging er auf Jagd, musste der ihn als sein Diener begleiten, musste für ihn das Wild aufspüren, musste für ihn töten. Beim Verteilen der Beute aber erhielt der Gehilfe nichts als ein paar abgenagte Knochen.

So wurden der Schakal und seine Familie immer magerer, während der Löwe sich und die Seinen mästete. Kehrte der Schakal von einem Jagdzug heim, sah er nur hungrige Augen, die Augen seiner Kinder; ruhte er, hörte er das Knurren ihrer Mägen. Es war ein Konzert, das den Schlaf vertrieb.

Da kam dem Schakal, als er sich eines Nachts auf seinem Lager wälzte, eine Idee. Gleich in der Frühe eilte er zu seinem Herrn, dem Löwen, der noch den Schlaf des Satten schlief. Der Schakal verharrte in einiger Entfernung wie ein gehorsamer Diener und dachte: Na, warte!

Endlich geruhte der Löwe, sich gähnend zu erheben. Er rülpste, leckte sich das Maul und fauchte: "Los, besorg mir zum Frühstück eine Antilope!"

Schweigsam schnürte der Schakal davon.

Der Löwe folgte gewichtig und träge.

Heute, Gierschlund, zeig ich's dir, schwor sich der Schakal.

Bald war er weit voraus, und dann witterte er den Duft wohlgenährter Antilopen. Es war eine Herde, die gemächlich graste.

Der Schakal schlich näher, sah, wie die Tiere die saftigen Halme zupften, und sein Magen zog sich vor Heißhunger zusammen.

Ein Bock hielt sich etwas abseits. Ihn nahm der Schakal aufs Korn. Es wurde eine kurze Hatz. Die Sorge um die Seinen vervielfachte die Kräfte des Schakals. Bald hatte er den Bock geschlagen.

Was nun? Die Beute ausweiden, sich stärken und das Fleisch so schnell wie möglich heim schaffen, rasch, bevor der Löwe hinzukam?

Der Schakal hatte eine bessere Idee. Er häufte Gras auf den erlegten Bock, lief zurück zum Weideplatz der Herde und - schlug sich hier an einem Stein die Nase blutig.

Wie das schmerzte und spritzte!

Schon war der Schakal von neuem unterwegs. Er rannte jetzt in eine andere Richtung, folgte der Spur irgendeiner Antilope, lief, bis seine Nase aufhörte zu bluten. Dann bog er ab, verwischte seine Spur und eilte zu der Beute, zu jenem Bock unter dem Haufen Gras.

Als er ihn längst ausgeweidet und das Fleisch bereits heimgeschleppt hatte - da erst kam der Löwe seinem Knecht auf die Schliche. Er war bis zum Weideplatz hinter ihm hergetrottet, hatte dort die blutige Spur entdeckt, war ihr, geifernd vor Gier, gefolgt, bis sie sich zwischen Dorngestrüpp verlor. Von da an irrte er umher, und nun stand er vor einem Fetzen Fell, vor den Resten des Antilopenbocks.

Ringsum Spuren des Schakals, oben schon Geier.

Der Knecht hatte den Herrn an der Nase herumgeführt.

Wollte der Löwe nicht fasten, musste er mit den Resten vorliebnehmen oder selber auf Jagd gehn.

DES LÖWEN ANTEIL

Eines Tages gingen der Löwe und der Schakal gemeinsam auf Jagd. Sie hatten vereinbart, die Beute zu teilen. Dabei wollten sie brüderlich verfahren.

Es war noch früh am Morgen, und die beiden Jäger hatten Glück. An einem Tümpel stießen sie auf viele Tiere, die dort ihren Durst löschen wollten: Perlhühner, Springböcke, Zebras... Alle wurden überragt von zwei Giraffen, die es dank ihrer langen Hälse am leichtesten hatten; sie reckten sich einfach über die anderen hinweg, und schon konnten sie schlürfen.

Waren sie dabei nicht wachsam genug?

Überhörten sie den Warnruf einer Springbock-Antilope?

Stolperten sie gar im Aufruhr, der losbrach, als Löwe und Schakal plötzlich auftauchten?

Die Perlhühner flatterten, die Springböcke sprangen, die Zebras galoppierten davon. Die Giraffen aber verhedderten sich, und eh sie wussten, wie ihnen geschah, hatte ihr Schicksal sie ereilt.

Es waren eine große, fleischige und eine kleine, magere Giraffe. Der Schakal hatte die größere geschnappt, der Löwe die kleinere gerissen. Nun verschnauften sich die Jäger.

"Lass uns teilen!", befahl der Löwe.

"Teilen?", fragte der Schakal.

"Brüderlich", sagte der Löwe. "So ist es ausgemacht. Ich bin der Größere von uns beiden; folglich gebührt mir die größere Giraffe."

"Das nennst du brüderlich?", wollte der Schakal erwidern. Er unterließ es; denn der Löwe kam her und hob die Pranke.

Schön, dachte der Schakal. Wir werden ja sehn...

Während der Löwe seine Krallen in den Leib der großen, fleischigen Giraffe schlug, weidete der Schakal die kleine, magere aus. Sie wurden gleichzeitig fertig, packten Fleisch, Knochen und Fett in die Felle, hoben die Lasten an.

Der Löwe ächzte.

"Geh", befahl er dem Schakal, "hol meine Alte und die Jungen, damit sie gefälligst helfen, meine Beute heim zu schleppen!"

Der Schakal warf sich den Fellsack mit der mageren Ausbeute auf den Rücken, um sich wortlos auf den Weg zu machen.

"Der Sack bleibt hier!", bestimmte der Löwe. "Ich pass auf ihn auf. Erst wenn du meine Familie geholt hast, darfst du deinen Anteil wegschaffen."

"Wie du meinst", sagte der Schakal.

Er lief los, lief zunächst in Richtung Löwenhöhle. Unterwegs bog er ab und eilte zu seinem Bau. Dort tuschelte er mit seiner Frau und mit seinen Kindern, die vor Begeisterung aufheulen wollten.

"Still!" Vater Schakal wies die Seinen flüsternd an, Körbe und einen Topf zu nehmen, ihm unauffällig zu folgen und dann auf sein Zeichen zu warten.

Lautlos brachen die Schakale auf.

Am Tümpel blieb die Familie zurück, und Vater Schakal ging allein weiter. Bekümmert trat er vor den Löwen.

Der herrschte ihn an: "Wo bleibt meine Alte? Wo sind die Jungen?"

"Daheim", sagte der Schakal. "In deiner Höhle, auf ihrem Lager."

"Na und?", fuhr der Löwe auf. "Weshalb hast du sie nicht mitgebracht?"

"Weil sie sich weigern, zu kommen und tragen zu

helfen."

"Was? Sie weigern sich?"

"Ja. Ich hab gebeten und gebettelt. Vergebens. Du sollst das bisschen Zeug gefälligst allein heim schleppen."

"Das bisschen Zeug? Allein? O diese undankbare Bande!" Der Löwe brüllte auf und stürzte los, den Seinen Beine zu machen.

Kaum war er hinter dem nächsten Hügel verschwunden, heulte der Schakal - einmal langgezogen, zweimal kurz. Gleich darauf kamen die Seinen vom Tümpel her, vornweg die Kinder mit den Körben, dahinter Mutter Schakal mit dem Kochtopf. Rasch und leise verteilten sie Fleisch und Knochen der großen Giraffe auf die Körbe, das Fett taten sie in den Topf. Ein Wink von Vater Schakal, und die Familie brach auf.

Zurück blieb die Beute des Löwen, die zerlegte kleine Giraffe.

Weshalb das? Und wohin eilten die Schakale? Was hatten sie vor?

Unter einer mächtigen Kameldornakazie am Rande eines Gebüschs machten sie alle halt. Während Mutter Schakal eilig Feuer schlug und den Topf mit dem Fett aufsetzte, knüpfte Vater Schakal die Fellstreifen zusammen, warf das Seil über einen kräftigen Ast und hangelte sich hoch. Oben angelangt, zog er die Körbe mit dem Fleisch und den Knochen nach und befestigte sie im Geäst. Zuletzt ließ er einen glühenden Stein in das mittlerweile siedende Fett werfen und den Topf zum Hochziehen anbinden.

Da drang bereits aus einiger Entfernung Gebrüll her. Der Löwe hatte entdeckt, dass er überlistet worden war. Während sich die Seinen um die Teile der kleinen, mageren Giraffe balgten, stürzte er den Spuren nach, die zu der Kameldornakazie führten.

Als er dort anlangte, waren die Kinder des Schakals mitsamt ihrer Mutter im nahen Gebüsch verschwunden. Oben im Baum saß Vater Schakal, umgeben von Körben und einem kochendheißen Topf, in den Pfoten zwei Astgabeln und ein Seil aus Fellstreifen.

"Komm runter, Verräter, Betrüger, Halunke! Mir meinen Anteil zu rauben! Rück sofort alles raus, was mir gebührt!"

Der Löwe wütete, bis ihm die Luft ausging. Der Schakal saß derweil auf seinem Ast und ließ die Beine baumeln. Erst als das Geschrei verstummte, bequemte er sich zu einer Antwort.

"Deinen Anteil verlangst du? Schön. Komm hoch und hol ihn dir!"

"Das werd ich tun, jawohl. Und du - mach dich auf was gefasst!"

Der Löwe nahm Anlauf und sprang, aber die Äste waren zu hoch. Er plumpste auf den Boden.

Wieder erhob sich wütendes Gebrüll.

"Wart, ich helf dir!", rief der Schakal, als er endlich zu Wort kam, und er warf ein Seilende hinab.

Der Löwe beschnupperte den Fellstreifen, knurrte und begann sich hoch zu hangeln. Als er's fast geschafft hatte, löste der Schakal einen der Knoten.

Plumps! Wieder war der Löwe auf sein Hinterteil gestürzt.

Diesmal übertraf das Gebrüll alles, was die dornbuschbewachsene, von Akazien überragte Savanne bisher gehört hatte. Der Löwe tobte, dass in der Ferne die Perlhühner aufflogen, die Springböcke lospreschten, die Zebras davonjagten.

Im Gebüsch nahebei duckten sich Mutter Schakal und die Kinder.

"Jetzt langt 's mir!", schrie Vater Schakal. "Erst Gerede von Brüderlichkeit, nun so ein Spektakel! Sperr das Maul auf, damit ich dir deinen Anteil reinwerfen kann!"

Und der Löwe?

Der riss tatsächlich den Rachen auf. Zitternd vor Gier, hockte er unter der Kameldornakazie und glaubte, sein Geschrei hätte Eindruck gemacht.

Unterdes langte der Schakal mit den Astgabeln in das flüssige Fett. Der Stein war noch immer glühend heiß. Der Schakal packte ihn mit den Gabeln und schleuderte ihn hinab - geradewegs in den aufgerissenen Rachen des Löwen.

"Da, dein Anteil!"

Das aber hörte der Löwe schon nicht mehr. Der glühende Stein hatte ihn wie ein Geschoss durchbohrt.

DER SCHLUMMERNDE LÖWE

Als der Löwe noch mächtig und reich war, gab er von Zeit zu Zeit ein dröhnendes Fest. Das Fleisch und das Honigbier dafür mussten seine Untertanen beschaffen. Hatte sich der König berauscht und sich den Bauch vollgeschlagen, durften sie sich über die Reste des Mahles hermachen.

Meist schlief dann ihr Herr und Gebieter, vom Honigbier schläfrig geworden.

Um genau zu sein: Er döste nur, während um ihn her gefeiert wurde.

Gefährlich war der Löwe auch jetzt noch, und es empfahl sich nicht, mit ihm zu spaßen.

Ein Scherz aber - genau das kam dem Großohrfuchs in den Sinn, als es ihm bei einer der königlichen Feiern zu langweilig wurde. Der Löwe döste, seine Gäste labten sich, und der Großohrfuchs sann auf Schabernack.

"Girib", fragte er flüsternd den Schakal, "siehst du das Seil dort?"

"Kamab", erkundigte der sich gedämpft, "meinst du vielleicht den Strang aus Sehnen vom Vogel Strauß?"

"Eben den", sagte der Großohrfuchs.

Eine Weile schwiegen die beiden.

Der Löwe prustete leise.

Ringsum wurde geschlürft und geschmatzt.

"Girib", begann der Großohrfuchs von neuem, "denkst du möglicherweise an dasselbe wie ich?"

"Kamab", erwiderte der Schakal, "es scheint so; vermutlich habe ich dieselben Gedanken wie du."

"Spielt in diesen Gedanken jenes Seil eine Rolle,

Girib?"

"Jenes Seil, Kamab, und ein anderer Strang."

"Ein Strang mit Quaste, Girib?"

"Du sagst es, Kamab."

Der Schakal und der Großohrfuchs hatten bei dem Gespräch keine Miene verzogen. Keines der anderen Tiere war aufmerksam geworden. Der Löwe döste weiterhin friedlich.

Er lag im Schatten unter einem Dornbusch. Zu diesem Strauch schlenderten jetzt der Schakal und der Großohrfuchs. Unterwegs ergriffen sie unauffällig den Strang aus Sehnen vom Vogel Strauß.

Als der Schakal das eine Ende des Seiles am Stamm des Strauches befestigt hatte, wurde die Hyäne aufmerksam.

"He, Girib", rief sie, "was treibst du dort?"

"Ich binde den Busch fest."

"Einen Busch festbinden?" Die Hyäne lachte keckernd. "Hat man je solchen Unsinn gehört?"

"Still!", befahl der Großohrfuchs. "Du weckst sonst unseren Herrn und Gebieter."

Die Hyäne verstummte beleidigt.

Das Perlhuhn fing leise zu kichern an.

Auch die anderen Tiere hatten begriffen, was vor sich ging, alle außer der Hyäne.

Sie sahen, wie der Großohrfuchs das freie Ende des Seiles nahm und vorsichtig, vorsichtig nach dem Schwanz des Löwen griff.

"Was soll denn das?", fragte die Hyäne.

"Er bindet ihn fest", gab das Perlhuhn zur Antwort.

"Wen? Den Schwanz?"

"Nein, den Busch. Den Busch am Schwanz."

Da hatte der Großohrfuchs das Seilende bereits mit der Schwanzquaste verknotet. Er prüfte den Knoten, zog ihn fest, wich zurück.

Jetzt begriff die Hyäne.

"Lüge!", schrie sie. "Der Schwanz ist am Busch, nicht der Busch am Schwanz festgebunden!"

"Was du nicht sagst!", rief der Schakal.

Durch das Geschrei war der Löwe wachgeworden. Er wollte nach Königsart mit der Schwanzquaste auf den Boden schlagen und Ruhe verlangen, doch was geschah da?

Die Quaste wurde festgehalten!

Der Löwe zerrte daran. Schmerz durchfuhr ihn. Da brüllte der Löwe auf. "Wer war das, welcher verdammte Schelm?"

Die Tiere flohen. Der Löwe versuchte zu folgen, aber der Busch hielt ihn zurück. Nun sprang der Löwe. Er stürzte, zerrte und zog, zog und zerrte, bis er den Strauch herausgerissen hatte.

In der Ferne verschwanden das Perlhuhn, die Hyäne, der Großohrfuchs, der Schakal...

Für die Verfolgung, noch dazu mit einem Busch an der Schwanzquaste, war es zu spät.

DAS FUSSKRANKE LÖWENPAAR

Einst war der Löwe ein mächtiger Herrscher gewesen. Nie hatte es ihm und seinem Hofstaat an Kost gemangelt. Er brauchte bloß mit der Schwanzquaste zu winken, schon wurden ihm und seiner Sippschaft Giraffen, Gazellen, Flamingos serviert.

Diese Zeit war vorbei. Die Tiere der Savanne hatten den Löwen entthront. Nun musste er selbst für seine Nahrung sorgen.

Der Hofstaat, ein Klüngel aus Müßiggängern und Speichelleckern, war in alle Himmelsrichtungen davongelaufen. Die Löwenkinder streiften allein umher, seit die Eltern sie ihrem Schicksal überlassen hatten. So war beim alten Löwen nur die Löwin geblieben, und wenn beide nicht dösten, nörgelten sie aneinander herum.

Sie knurrten und fauchten sich auch auf der Jagd an, und sofort waren sämtliche Tiere im Umkreis gewarnt. Auf seinen Streifzügen geriet dem Löwenpaar nur eine blinde, halbtaube Maus in die Fänge.

Eine einzige Maus für zwei heißhungrige Löwen, die sich um die winzige Beute balgten, sich beinah zerfleischten...

Danach war das Löwenpaar erschöpft. Der einstige König und die ehemalige Königin - mit zitternden, eingefallenen Flanken standen sie einander gegenüber. Sie begriffen, dass es so nicht weitergehen konnte.

"Ich bin fußkrank", jammerte die Löwenfrau.

"Hab selber Blasen", brummte der Löwe.

"Wir müssen uns was einfallen lassen", sagte sie.

"Wir?", höhnte er.

Wieder gerieten sie in Streit, doch diesmal kam ihnen dabei eine Idee: Sie ließen sich, wo sie gerade standen, hinfallen und stellten sich tot.

Es war um die Mittagszeit, und die Sonne brütete über dem Land. Kein Lüftchen regte sich, kein Tier ließ sich blicken. Was Beine hatte, war ohnehin, als der Kampf um die Maus tobte, geflüchtet.

Erst gegen Abend näherte sich jemand auf dem Pfad, wo die Löwen lagen und verzweifelt lauerten. Es war der Schakal, der ausgiebig Nachmittagsruhe gehalten hatte. Nun war er frisch und hungrig.

Da erspähte er vor sich zwei Tiere - zweifellos Löwen. Sie lagen ausgestreckt und reglos auf dem Weg. Der Boden ringsum zeigte die Spuren eines heftigen Kampfes.

Ob die beiden tot waren? Ob sie sich gegenseitig getötet hatten? Aber wo waren die Aasfliegen, wo die Geier, und überhaupt: zwei tote Löwen - so nah beieinander?

Der Schakal knickte einen Ast von einem Busch, streifte die Blätter ab und näherte sich vorsichtig dem Paar. Erst berührte er den Löwen, dann die Löwenfrau mit der Astspitze am Augenlid.

Bei beiden ein Zucken, sonst nichts, doch der Schakal hatte genug gesehen.