Impressum

Erika und Jürgen Borchardt

Zwei Kahnschnecken voller Gold.

Sagen-Geschichten aus Pinnow, Godern und Raben Steinfeld

Herausgegeben von Jürgen Borchardt für den Kulturverein Sagenland Mecklenburg-Vorpommern e. V.

ISBN 978-3-931646-78-3 (E-Book)

EDITION digital®
Pekrul & Sohn GbR
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Godern
Tel.: 03860-505 788
E-Mail: verlag@edition-digital.com
Internet: http://www.edition-digital.com

Einleitung

Mecklenburg gehört zu den sagenreichsten Ländern in Deutschland. Die Gegend um den Pinnower See mit den Dörfern Pinnow, Godern und Raben Steinfeld wiederum hat außergewöhnlich viele solcher geheimnisvollen Geschichten: 27 Sagen, mit zwölf ganz unterschiedlichen Sagenmotiven. Wir finden da den Lindwurm und die Wilde Jagd (den Waul und Frau Waur), Slawengötter und Unterirdische, eine unheimliche Spukgestalt und die Weiße Frau, eine verzauberte Jungfrau und einen geheimnisvollen Hund, ein Geldfeuer, eine Hexe und den Teufel sowie verzauberte Mädchen. Die Geschichten spielen an 16 verschiedenen Orten. Solch eine Vielfalt auf so kleinem Raum ist selten. Da verwundert es nicht, wenn die Einwohner von Pinnow eine der Sagengestalten, das Petermännchen, in das Gemeindewappen setzten.

Ein Grund für diesen mythologischen Reichtum mag die sehr frühe Besiedlung nach der letzten Eiszeit sein. Hier war ein günstiger Lebensraum entstanden: In der Nähe vom oder direkt am Schweriner See gelegen, mit sechs weiteren Seen an seinem Rand, mit Steilufern, mächtigen Hügeln, Wäldern und Wiesen und einem kleinen Flüsschen. Die Spuren dessen, von dem die Sagen erzählen, sind allerdings fast alle vergangen. Die materiellen Relikte selbst des frühen Mittelalters, also der Slawenzeit, existieren nicht mehr oder kaum noch.

Eine Sage ist die mündliche Überlieferung einer phantastisch ausgeschmückten Begebenheit oder Erscheinung. Irgendetwas an der Sage hat einen realen Bezug. Das unterscheidet sie vom Märchen. Und so weisen uns manche Sagen, wenn sie z. B. genau lokalisiert sind, auf tatsächlich Gewesenes hin, oder auf Reste, die wir ohne die Sage nicht wahrgenommen hätten. Oftmals bewahrt nur noch die Sage die Erinnerung an eine Realität, wie z. B. die Geschichte von der Weißen Frau am Strauchwerder. Die Lindwurmsage mag auf ihre Weise eine Erinnerung an eine noch viel weiter zurück liegende Wirklichkeit sein.

In unserm Raum haben wir germanische, slawische und deutsche Sagen. Wie das Gedankengut der germanischen Zeit hier überliefert wurde, ist unbekannt. Während der großen Völkerwanderung in den ersten Jahrhunderten nach Christus verließen die Germanen auch dieses Gebiet. Es war nahezu leer geräumt. Im 6. und 7. Jahrhundert setzte die slawische Besiedelung aus dem Osten ein. Es ist nicht anzunehmen, dass zuvor entstandenes germanisches Gedankengut, darunter Sagen, an die einwandernden slawischen Stämme weitergegeben wurde. Wir gehen davon aus, dass erst mit der slawischen Besiedlung ein ständiger kultureller Zusammenhang der Generationen entstand, bei dem dann auch mythische und abergläubische Vorstellungen und Ereignisse weiter gesagt werden konnten.

Sagen mit germanischem Bezug mögen erst später hier aufgenommen worden sein. Die Lage an dem bei Pinnow einst verlaufenden wichtigen Handelsweg und späteren Postweg von Hamburg nach Schwerin, Güstrow, Rostock, hier gekreuzt vom Wismarer Frachtweg, wird jedenfalls zum Sagenreichtum beigetragen haben. Im 16. Jahrhundert zogen die Pilger aus dem Westen zum Wallfahrtsort Sternberg durch diese Gegend, im 30-jährigen Krieg und während der napoleonischen Besetzung zahlreiche Soldaten. Die Krüge in Petersberg und Pinnow konnten sich nicht über Gästemangel beklagen. Man wird sich dort beim Essen und Trinken auch allerlei Seltsames aus alten Zeiten erzählt haben, u. a. auch Sagen.

Die Eroberung des Slawengebiets durch die Deutschen im 12. Jahrhundert, die anschließende Kolonisierung und mehr oder weniger gewaltsame Christianisierung erzeugte erneut einen kulturellen Bruch. Aber nun gab es Übergänge, wie an der Geschichte Pinnows ersichtlich wird.

 

odoniBT-Bold","serif"'>Pinnow wurde erstmals 1265 in einer deutschen Urkunde erwähnt. Aus der Lewitz kommend fließt die Bietnitz zwischen Pinnow und dem einst davon unterschiedenen Dorf Petersberg in den Binnensee. Pinnow ist die ältere slawische Gründung, Petersberg das jüngere deutsche Dorf aus dem 14. Jahrhundert. In einer Urkunde von 1334 wurde dieser Ort erstmals erwähnt. Wahrscheinlich brachten die hier neu siedelnden Friesen und Niedersachsen den Namen Petersberg mit. Beide Orte existierten zunächst nebeneinander. 1871 wurde Petersberg in das Dorf Pinnow eingemeindet. Pinnower aus dem ehemaligen Petersberg bezeichnen sich allerdings auch heute noch als Petersberger. Hier gab es das Nebeneinander von Slawischem und Deutschem, und dann die Wechselwirkung und schließlich das Verschmelzen beider Seiten.

Das Dorf odoniBT-Bold","serif"'>Godern, zwischen dem Pinnower und dem Mühlensee, wurde 1376 erstmals urkundlich erwähnt. Ausgrabungen belegen aber, dass schon Jahrhunderte zuvor am Mühlensee Slawen lebten. Sie verlegten den Siedlungsplatz später an den Pinnower See, vermutlich zur Verkürzung der Wirtschaftswege. Mit Pinnow ist das Dorf durch den früher so genannten Kirchsteig verbunden (zwischen Kirchsee und Binnensee, über eine alte schmale Holzbrücke führend). Eine zweite Verbindung verläuft vorbei an der Godernschen Mühle, östlich des Petersberges und am Flugplatz vorbei auf dem früheren Wismarer Frachtweg.

Godern besitzt übrigens noch eine alte, allerdings nicht mehr arbeitende Schmiede. Und rechts am Ortseingang (aus Raben Steinfeld kommend) befindet sich ein großzügig angelegter Badestrand. Von hier aus kann man die Insel Fischerwerder (früher Borgwerder genannt) betrachten.

 

odoniBT-Bold","serif"'>Raben Steinfeld, gelegen auf dem schmalen Höhenzug zwischen dem Schweriner und Pinnower See (Oberdorf) und nahe dem Störkanal am Rand der flachen Lewitz (Unterdorf), wurde erstmals 1410 erwähnt. In der Raben Steinfelder Flur bestand aber auch schon in slawischer Zeit eine Befestigungsanlage, die den Übergang über die Stör sicherte. 1160 soll hier schon eine deutsche Burg gestanden haben. Das ehemalige Dorf „Stenfeldt“ (wegen der steinigen Felder der Umgebung so bezeichnet) ging 1410 als Lehen an die von Ravens. Im 17. Jahrhundert, nach dem 30-jährigen Krieg, veränderte es seinen Charakter: Seit 1683 war es ein Gutsdorf (es trug nun zusätzlich den Namen Raben). 1847 wird es Hausgut der Großherzöge von Mecklenburg-Schwerin, erhält ein Gestüt und mit dem Schloss einen repräsentativen Sommersitz. Eine architektonische Besonderheit im Mecklenburger Raum sind übrigens an der Straße nach Leezen die zwölf Gestütswärterhäuser im englischen Landhausstil. Sie wurden 1863-69 für die herzoglichen Bediensteten errichtet.

 

Um wieder auf das Verschwinden von Realitäten und ihr Bewahrtwerden durch Sagen zurück zu kommen: Besonders viele Sagen spielen am Petersberg. Unterhalb des Berges, bis zum 19. Jahrhundert Hoher Berg bzw. auf Platt Hoog Barg genannt, soll eine slawische Siedlung gelegen haben. Davon aber gibt es keine Spur mehr. Gerade dieses spurlose Verschwinden von Erscheinungen, an die es noch eine vage reale Erinnerung gab, mag ein Grund für das Entstehen und Erzählen Geheimnis umwobener Geschehnisse gewesen sein. Am Kuckucksberg bei Pinnow, nahe dem Wasserwerk, soll ebenfalls eine slawische Ansiedlung gestanden haben. Auch sie ist spurlos verschwunden, aber eine Sage ist erhalten geblieben; hier haust die Wilde Jagd. Auf der Insel Fischerwerder siedelten wahrscheinlich Slawen. Davon gibt es beinahe keine Spur mehr, aber nur beinahe: Wenigstens der alte Name Borgwerder (Burginsel) und Pfahlreste einer alten Brücke von der Insel zum Festland stützen die Annahme. Auch diese Insel ist Sagen umwoben.

 

Tatsächlich Gewesenes, nun Verschwundenes – allein in der Sage ist es noch lebendig, nun in phantastischer Weise. In der Mythologie der drei Orte ist noch viel aufzuarbeiten. Das könnte ein Hilfsmittel sein für das weitere Erhellen der frühen Realgeschichte.

 

Die hier vorgelegten Sagen-Geschichten haben die Volksüberlieferungen zum Ausgangspunkt. Diese sind aber oft recht karg. Deshalb sind sie in den meisten Fällen etwas ausgeformt. Manchmal versuchen wir eine der vielen möglichen Erklärungen für das Geschehen oder seine Überlieferung. Zu manchen Sagen gibt es im Vorfeld für die erwachsenen Leser Informationen, die sie dann den Kindern auf eine ihnen gemäße Art weiter vermitteln können.

 

Sagen vom Petersberg

Die Weiße Frau vom Hoog Barg

Auf dem Petersberg zeigte sich hin und wieder eine Frau im weißen Gewand. In der Regel kündigt ihr Erscheinen schlimmes Geschehen an. Eine Erlösungssage ist ungewöhnlich.

In Petersberg lebte vor vielen Jahren ein fleißiger und wohlhabender Handwerker. Er trachtete danach, seine Werkstatt zu erweitern und noch reicher zu werden. Auch sein Sohn und dessen künftige Familie sollten gut leben können. Diesem Zweck widmete er sich mit Hingabe. Er war ein Sonntagskind und konnte auch anderen Glück bringen. Niemand im Dorf erinnerte sich jedoch daran, jemals Hilfe von ihm erfahren zu haben. Zu seiner Freude bat ihn auch keiner darum. Es war wieder einmal Sonntag. Der Gottesdienst in Pinnow war zu Ende. Der Handwerker sputete sich, um rechtzeitig zum Mittagessen zu Hause zu sein. Er kam an den Hoog Barg, gerade als die Zeit der Weißen Frau begann. Und er sah sie auch tatsächlich. Er hatte schon des Öfteren von ihr gehört und wusste, dass sie im Berg verwunschen war. Das lange weiße Gewand schmiegte sich anmutig um den Leib. Sie kam auf ihn zu. Der Mann starrte sie an. Es hieß zwar, ein Sonntagskind könnte sie erlösen. Aber nichts wurde darüber gesagt, ob man dafür auch gut belohnt würde. Angst hatte er nicht. Sie hatte bisher niemandem ein Leid angetan. So war er nun guten Mutes. Trotzdem musste er Acht geben, sagte er sich. Diese Frau hatte einen erwartungsvollen Blick. Das gefiel ihm gar nicht. Außerdem hatte er keine Zeit. Die Weiße Frau kam immer näher. Als sie ihm in die Augen blickte, las sie darin wie in einem Buch. Hier war auf kein Mitgefühl zu hoffen. Eine Träne rann ihre Wange herab. Aber sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Seit hundert Jahren kam endlich zur rechten Zeit ein Sonntagskind daher. Bittend hob sie beide Hände. Dem Mann wurde unbehaglich zu Mute. Als er rasch an ihr vorbei wollte, griff sie nach seinem Arm. Das geschah so unvermutet, dass er erstarrte. Keiner von beiden sprach ein Wort. Er fragte auch nichts, versuchte nur angstvoll, ihre Hände zu lösen und sie von sich zu stoßen. Vergebens, seine Kräfte waren wie erlahmt. Eine volle Stunde währte das stumme Ringen. Ihm kam es vor wie eine Ewigkeit. Dann fiel die Hand der Frau von dem Mann ab. Sie seufzte laut auf und verschwand im Berg. Schweißgebadet, aber unversehrt kehrte der Mann nach Hause zurück.

 

Spuk im Nebel

Im Spätherbst, wenn es früh dunkelte oder wenn am Morgen der graue Nebel in dichten Schwaden aus der Niederung am See stieg, lief einem am Petersberg manchmal etwas über den Weg. Das war ein seltsames Lebewesen, unbeschreiblich. Die einen sagten, es wäre ganz mit Fell bewachsen, nicht Mensch, aber auch nicht Tier. Andere sagten, es wäre ein großes Tier, das ständig seine Form und Farbe wechsele, hätte hier bloße Haut, dort Fell, woanders Federn und wieder woanders große Schuppen. Es ginge nicht und schlängelte sich auch nicht auf dem Boden entlang. Es würde nicht hüpfen, aber auch nicht kriechen oder fliegen. Niemand wusste, was es mit dem Wesen auf sich hatte. Die meisten Leute schlugen lieber einen großen Bogen um den Berg. Auch ihre Kinder hielten sie an, dort tunlichst nicht zu spielen.

Ein Reiter von auswärts war auf dem Weg nach Crivitz. Als er den Berg von ferne sah, spürte er eine unerklärliche Müdigkeit. Je mehr er sich ihm näherte, umso schwerer wurden seine Lider. Als er sie für einen Augenblick gewaltsam hob, glaubte er den Schatten eines großen Vogels zu sehen. Wandte er das Gesicht zu Boden, meinte er eine riesengroße Echse krieche da entlang. Das Pferd scheute und tänzelte nervös. Es versuchte, zur Seite auszubrechen und ins Feld zu flüchten. Der Reiter vermochte nur mit letzter Kraft, es zu bändigen. Am Fuße des Berges war er völlig ermattet. Er glitt vom Pferd und schlief auf der Stelle ein. Das Tier, von der Last befreit, jagte ins Feld.

Am nächsten Morgen verzogen sich die Nebelschwaden. Die Sonne schickte ihr fahles Licht hinüber zum Berg. Aber der Reiter regte sich nicht. Als Leute des Dorfes zur Mittagsstunde vorbei kamen, fanden sie ihn tot.

Sie glaubten, er wäre dem seltsamen Wesen zum Opfer gefallen.

Die Schieldinge

Die Unterirdischen pflegten in der Regel friedlichen Umgang mit den Bewohnern von Pinnow. Nur wenn man ihnen nicht respektvoll begegnete oder sie sogar verhöhnte, wehrten sie sich. Unmittelbar neben der slawischen Siedlung Pinnow entstand im 14. Jahrhundert das deutsche Dorf Petersberg. Die Deutschen achteten die Sitten und den Glauben der Slawen damals vielleicht nicht sonderlich. Damit mag diese Sage zusammen hängen.