Impressum

Hans Bentzien

Ich, Friedrich II.

Das Leben des großen Preußenkönigs nacherzählt

ISBN 978-3-95655-471-1 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1991 im Verlag Volk & Welt Berlin.

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung des Bildes „Friedrich II. nach der Schlacht bei Collin“ von Wilhelm Camphausen

 

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Die Sarkophage

Friedrich II. Orion erblasst vor der Sonne. Tyrann, aber die Größe bannt an ihre Ferse die Bewundrung. Groß in jeglicher Weise. Alexander, Cäsar, die Karthager und die anderen Alpenbesieger stehn ihm zur Seite, aber die letzten Werke seines Lebens sichern ihm vor allem den Lorbeer.

Theodor Fontane

 

Als die Vorbereitungen für die mit erheblichem Aufwand betriebenen 750-Jahr-Feiern 1987 in Berlin begannen, erhielt ich die überraschende Zustimmung zu meinem Vorschlag, einen Fernsehfilm vorzubereiten, der aus der Geschichte Brandenburg-Preußens seine Handlung bezog. Man wollte den Vorwurf umgehen, Preußen zu ignorieren, was bis dahin weitgehend der Fall war. Außer in der Biografie Friedrichs II. von Ingrid Mittenzwei und einigen kleineren Arbeiten wurde Preußen bis dahin in der DDR hauptsächlich als Hort der Reaktion und des Militarismus dargestellt. Zur Zerstörung dieser allgemein verbreiteten Auffassung wollte ich einen Beitrag leisten, wozu ich schon einmal, in den sechziger Jahren, Gelegenheit hatte.

Als damaliger Minister für Kultur bekam ich den hartnäckigen Anruf eines Meisters aus dem Betrieb „Stuck und Naturstein“. Er war am Abbau des Denkmals Friedrich II. nach dem Kriege 1950 beteiligt und hatte von seinem Betriebsleiter den Auftrag erhalten, sich darum zu kümmern, dass das Denkmal sicher gelagert würde. Das tat dieser verantwortungsbewusste Mann seitdem, auch als der Oberbürgermeister von Ostberlin, Friedrich Ebert, das Denkmal unter dem Druck der Preußengegner seinem Amtskollegen in Brandenburg schenkte, der es auch nicht haben wollte.

Doch Ebert hatte das Denkmal bereits abtransportieren lassen, sodass es in den Gärten von Sanssouci gelagert werden musste, unter Strohmatten versteckt. Der Meister aber kümmerte sich weiterhin. Nunmehr hatte er von seinen Kollegen erfahren, dass die Anweisung erteilt worden war, das Denkmal zu verschrotten. Ich sollte helfen. Meine Mitarbeiter wussten nichts, klärten aber bald, dass die Angaben stimmten: Der Schrottbeauftragte des Magistrats hatte vom 1. Bezirkssekretär der SED, Paul Verner, die Anweisung bekommen, das Denkmal als Edelschrott an eine Schmelze abzuliefern. Er forderte einen Tieflader an, und dadurch war der Betrieb davon informiert worden. Nachdem die Umstände geklärt waren, wurde eine Aktion ausgelöst, um das Denkmal zu retten. Der damalige Direktor von Sanssouci, ein Oberst der Volkspolizei in der Berliner Keibelstraße, den ich vom Studium her kannte, und zwei Mitarbeiter des Ministeriums für Kultur wurden informiert. In einer regnerischen Nacht wurde das Denkmal auf einem Tieflader, begleitet von zwei Verkehrspolizisten, an eine andere, abgelegene Stelle im gleichen Park gebracht und wiederum gut versteckt. Der Ökonom des Ministeriums stellte eine Schrottbescheinigung aus, und alles hatte seine Ordnung. Im Frühjahr wurde das Denkmal im Park auf einem neu gegossenen Fundament öffentlich aufgestellt, ohne Presse, ohne Feier. Zwanzig Jahre später stand es dann wieder Unter den Linden.

 

Friedrich der Große hat sein Blut nicht fortgepflanzt. Seine Stellung in unserer Vorgeschichte muss aber auf jeden seiner Nachfolger wirken als eine Aufforderung ihm ähnlich zu werden. Ihm waren zwei einander fördernde Begabungen eigen, des Feldherrn und eines hausbackenen, bürgerlichen Verständnisses für die Interessen seiner Untertanen. Ohne die erste würde er nicht in der Lage gewesen sein, die zweite dauernd zu betätigen, und ohne die zweite würde sein militärischer Erfolg ihm die Anerkennung der Nachwelt nicht in dem Maße erworben haben, wie es der Fall ist.

Otto von Bismarck

 

Das Denkmal stand wieder an seinem Platz, aber wo waren die Sarkophage? Ich hatte gehört, sie seien auf der Hohenzollernburg, wo sie meiner Meinung nach nicht hingehören. Daher wollte ich ein Filmplädoyer für ihre Rückführung nach Potsdam halten, wenn auch die Garnisonkirche, in deren Gruft sie aufbewahrt waren, nicht mehr stand. Halb war die Kirche bei einem sinnlosen Bombenangriff zerstört worden, die übrig gebliebene Hälfte hatte Ulbricht abreißen lassen. Nichts sollte mehr an Preußen erinnern.

 

Besser ist es, ein beschnittener Türke zu sein, als ein Preuße. Es schaudert mich die Haut vom Haupte bis zu den Zehen, wenn ich an den preußischen Despotismus und an den Schinder der Völker denke.

Johann Joachim Winckelmann

 

Die Särge müssten nach Potsdam zurückgebracht werden gemäß dem internationalen Recht, das seit der Haager Landkriegsordnung und dem Wiener Kongress gilt und im Allgemeinen auch nach 1945 befolgt wurde, manchmal freilich nur zögernd. Warum war in diesem Falle nicht danach verfahren worden?

Wegen der erwarteten Luftangriffe auf Potsdam wurden die Särge der beiden Könige am 20. März 1943 aus der Garnisonkirche in den Führungsbunker des Oberbefehlshabers der Luftwaffe nach Potsdam-Eiche gebracht. Hier standen sie in Görings unterirdischen Geließen bis Mitte März 1945. Wie im Jahre 1943 hatte auch jetzt wieder Hitler persönlich den Befehl gegeben, wegen der herannahenden Front die Särge nach Westen abzutransportieren. Mit ihnen auch die Reichsinsignien und weitere Teile des Kronschatzes, 65 Kisten mit Büchern aus der Bibliothek Friedrichs II. in Sanssouci, der Totenhelm des Großen Kurfürsten von 1688 und vieles andere mehr, auch ein Reichsschwert, ein Kurschwert, Porzellan und Tapisserien.

Vorher war von Tannenberg in Ostpreußen auf dem Kreuzer „Emden“ über die Ostsee nach Kiel ein weiteres Symbol Hitlerdeutschlands gebracht worden, der Sarg Generalfeldmarschalls von Hindenburg und der seiner Frau Gertrud sowie Standarten von preußischen Regimentern. Auch sie wurden mit dem Potsdamer Transport zusammen nach Westen gebracht.

 

König Friedrich hat seine Bedeutung auf dem Gebiet der auswärtigen Politik, auf dem sein Vater gänzlich versagte. Er nahm entschlossen die Überlieferungen seiner Vorfahren Joachim und Friedrich Wilhelm auf denen er auch darin glich, dass er an der Bildung seiner Zeit seinen Anteil hatte.

Seine Taten jagten über seine Worte dahin wie ein Regiment schwerer Kavallerie über den Töpfermarkt.

Franz Mehring

(Joachim II. Hektor (1505-1571), war seit 1535 Kurfürst von Brandenburg. Am 1.11.1539 trat er in Spandau zur Reformation über. 1540 gab er seinem Land die Kirchenordnung, aber im Schmalkaldischen Krieg unterstützte er den Kaiser gegen die Protestanten. Durch eine Erbeinigung mit dem Herzog von Liegnitz, Brieg und Wohlau (1537) und die Besetzung des Erzstifts Magdeburg mit brandenburgischen Prinzen erweiterte er wesentlich das Territorium. - Friedrich Wilhelm (1620-1688), seit 1640 Kurfürst von Brandenburg, genannt der Große Kurfürst. Er übernahm ein vom Dreißigjährigen Krieg verwüstetes Land und schuf den einheitlichen brandenburgisch-preußischen Staat mit einem stehenden Heer, einem landesherrlichen Offizierskorps und einem Beamtentum. In der Domänenverwaltung führte er die Geld- anstelle der Naturalwirtschaft ein.)

 

Am 13. 3. 1945 wurde der Infanterieoberleutnant des 1. Garderegimentes zu Fuß, Peter Kraske, ein Berliner, zum Stadtkommandanten befohlen. Kraske schreibt in seinem Tagebuch: „Mit einem Lastzug und einem Begleitkommando habe ich die Särge von Friedrich Wilhelm I., Friedrich dem Großen, Hindenburg und seiner Frau sowie 225 Fahnen und Feldzeichen der Alten Armee nach Thüringen zu evakuieren. Die Särge und ein Teil der Fahnen sind aus dem Ehrenmal in Tannenberg in die Bunkeranlagen des OB der Luftwaffe (mitten im Wald bei Potsdam-Wildpark) überführt worden. Dort übernehme ich sie am Abend. Unser ganzes Kommando wird durch eine besondere Vereidigung zur Geheimhaltung verpflichtet. In der Nacht fahren wir los, wahrscheinlich wegen der ständigen Bedrohung durch Tieffliegerangriffe. Tagsüber müssen wir alle halbe Stunde anhalten und nach beiden Seiten raus in den Straßengraben.

Am 14.3. Ankunft in Bernterode im Eichsfeld, 20 Kilometer südwestlich von Nordhausen. Dort werden wir schon in einem stillgelegten Kalibergwerk, das jetzt als Munitionsdepot benutzt wird, erwartet. Wir fahren ein bis auf eine Tiefe von 563 m. So tief unten sind Preußens Könige noch nie gewesen.“

Der Fördermaschinist berichtete später, dass die Särge senkrecht/schräg in den Förderkorb gestellt werden mussten. Ein Sarg wurde beschädigt.

Als die Amerikaner Ende April 1945 in den Schacht Bernterode einfuhren, fanden sie, neben 400 000 Tonnen Munition, in einem vermauerten Nebenschacht die Särge und die mit ihnen transportierten Schätze. Sie schafften sie nach Marburg, wo ein Collection point eingerichtet wurde. Zuerst standen die Särge im Keller des Marburger Schlosses, im Februar 1946 kamen sie in das Staatsarchiv, und dann begann hinter den Kulissen der Politik das geheime Spiel um ihr weiteres Schicksal, das schließlich vom State Department in Washington entschieden wurde. Außenminister Byrnes wies an, die Könige in aller Stille in der Elisabethkirche in Marburg zu bestatten, was am 21. August 1946 so geschah. Die Aktion „body snatch“ (Leichenklau), wie der Vorgang im amerikanischen Militärslang genannt wurde, fand ihr vorläufiges Ende.

Im Nordchor der Kirche wurde eine Gruft für die Königssärge ausgehoben - gegenüber dem ersten Grab der Landgräfin von Thüringen, einer ungarischen Königstochter, wobei man auf Fundamente der Franziskuskapelle stieß, einer Vorläuferin der Elisabethkirche. Die Inschrift auf der einfachen Fußbodenplatte, mit der das Grab abgedeckt war, bezeugt, dass hier von 1946 bis 1952 die Könige beigesetzt worden sind. (Die Särge von Hindenburg und seiner Frau blieben bis heute in der Elisabethkirche, links vom Westeingang.)

 

Den Titel „der Große“ hat er sich recht eigentlich erst in den langen und furchtbaren drei letzten Jahren des Siebenjährigen Krieges verdient, nicht durch Genie, aber durch Charakterstärke. Was Friedrich der Welt und Nachwelt in diesen Jahren darbot, war das Schauspiel einer äußersten Standhaftigkeit, Zähigkeit und Unerschütterlichkeit bei völligem Fehlen jeder Hoffnung einer stoischen Leidensfähigkeit, ja Abgestorbenheit, an der jeder Schicksalsschlag abprallte. Dieser König der als frivoles „Schoßkind des Glücks“ (sein Ausdruck) begonnen hatte, zeigte im Unglück die Haltung eines Indianers am Marterpfahl. Darin liegt seine wirkliche Größe. Dass sie schließlich durch einen rettenden Glückszufall, den russischen Thron- und Bündniswechsel, belohnt wurde, tut ihr keinen Abbruch.

Sebastian Haffner

 

Freilich hatten die beiden Könige zu Lebzeiten keinerlei Beziehungen zu Marburg. Hier wurden ihre Überreste und ihr Andenken gleichsam versteckt, wohl eine Folge der damaligen Gleichsetzung von Preußentum, Militarismus und Nationalsozialismus. Diese Beziehungslosigkeit empfand auch das Haus Hohenzollern, dessen seit 1951 amtierender Chef Dr. Louis Ferdinand Prinz von Preußen sich von der Regierung Adenauer die Genehmigung holte, die beiden Könige auf der Hohenzollernburg beizusetzen, was im August 1952 in der dortigen Christuskapelle geschah, deren Eingang mit der Pforte der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche neu gestaltet wurde. Bei den Einweihungsfeierlichkeiten erklärte Louis Ferdinand, dass eine Rückführung nach Potsdam erst infrage käme, wenn die Einheit des deutschen Volkes in Freiheit vollbracht sei. Damals stand in Potsdam die Ruine der Garnisonkirche noch.

Mir war klar, dass der Film über diese komplizierten Umstände zum Jubiläum nur laufen könnte, wenn der Chef des Hauses Hohenzollern einverstanden sein und den Inhalt billigen würde. Um mich ihm gegenüber auszuweisen, erbat ich beim Sekretär des Festkomitees eine Vollmacht. Er hatte den Präsidenten des Festkomitees, Erich Honecker, informiert, der augenscheinlich meinen Plan billigte. Mit dem allerhöchsten Segen fuhr ich also auf die Burg Hohenzollern, wo ich Louis Ferdinand zum Geburtstag seines größten Vorfahren am 24. Januar vermutete.

 

Wenn der König über Probleme der Kriegskunst spricht, die er zum Gegenstand intensiven Studiums gemacht und über die er alles Erdenkliche gelesen hat, dann ist alles nervig solid und ungemein belehrend. Da gibt es keine Herumrederei. Die Behauptungen, die er aufstellt, weiß er durch Tatsachen und durch die Geschichte, in der er sich gut auskennt, zu beweisen. - Ein Genie und ein Mann, der bewundernswert spricht! Aber jede seiner Äußerung verrät den Schurken.

Joseph II.

 

Im klaren Winterlicht lag die verschneite Burg auf dem Hohenzollern majestätisch über Hechingen. Die Winterreifen schafften es, und gegen Mittag war ich oben. Der Burgverwalter wusste nicht so recht, was er mit einem solchen Exoten aus der DDR anfangen sollte, und als er verstand, dass es sich um die Königssärge handele, wurde er blass. Um in Ruhe telefonieren zu können, organisierte er mir eine Führung. Ich stand zum ersten Mal vor den beiden Sarkophagen. Schlicht der alte Zinksarg des großen Friedrich, neu und angemessen einfach auch der bronzene Sarg Friedrich Wilhelms I. Umgeben waren die Särge von nachgestalteten Standarten preußischer Regimenter. Die Burgkapelle ist nach wie vor Stätte religiöser Handlungen, es finden Trauungen und andere Zeremonien statt. Am Abend des Geburtstages hatte sich eine Bundeswehrdelegation aus dem Standort Tübingen angesagt, sie ehrte in jedem Jahr den Preußenkönig. Das erfuhr ich, als mich am späten Nachmittag Dr. Louis Ferdinand Prinz von Preußen empfing. Er hörte sich mein Anliegen an, äußerte sich aber nicht dazu. Er müsse darüber schlafen, außerdem sei am Abend noch ein Empfang für die Offiziere der Bundeswehr, den er auszurichten hätte. Als ich fragte, ob ich teilnehmen dürfe, meinte er, die Herren aus Tübingen seien nicht informiert und könnten möglicherweise nicht einverstanden sein. So verabredeten wir uns für den nächsten Tag.

Am 25. Januar, am späten Nachmittag, erwartete mich Seine Kaiserliche Hoheit vor seiner Burgwohnung. Er hatte sich Zeit genommen, mich anzuhören, und ich hatte mich vorbereitet. Mit wachsendem Interesse hörte er zu, als ich ihm von dem etwas geheimnisvollen Bild des Johann Christoph Frisch erzählte, das im Schloss Sanssouci hängt. Es stellt dar, wie der junge König mit dem Marquis d’Argens, einem französischen Schriftsteller aus seiner Tafelrunde, auf der obersten Terrasse des Weinberges spazieren geht. Sie beobachten drei Maurer, die eine Gruft bauen. Der Legende nach haben sich die beiden darüber unterhalten, wie das geplante Schloss - der Grundstein war noch nicht gelegt - heißen solle.

 

Der Mann ist verrückt.

Ludwig XV., als er die Meldung erhält, Friedrich sei in Schlesien eingefallen

 

„Als damals der König auf dieser Terrasse mit dem Marquis d‘Argens spazieren ging und sie sich auch von einer Benennung des neu erbauten Schlosses und Gartens unterhielten, welches bisher nur der Weinberg hieß, so schlug ihm d‘Argens vor, es Sanssouci zu nennen. ‚Recht gut‘, sagte der König, aber bedeutend auf diese Gruft zeigend, welche sie eben im Gehen erreicht hatten, fügte er hinzu: ‚Mein lieber Marquis, quand je serai la, je serai sans souci [erst hier werde ich ohne Sorgen sein].‘“

 

Richtig ist, dass Preußen muss übern Haufen geworfen werden, wenn das Durchlauchtigste Erzhaus [Österreich] aufrecht stehen soll.

Graf von Kaunitz

 

Das Bild wurde 1802 auf der Akademieausstellung als Novität gezeigt, ist also um diese Zeit, rund 60 Jahre nach dem Ereignis, entstanden. Frisch übersah dabei - oder er war sich dessen nicht sicher -, dass das Schloss, das er weit im Hintergrund andeutet, während des gemalten Ereignisses noch nicht existierte. Die Gruft musste also bereits vorher angelegt worden sein. Das Gemälde deutet auf einen Platz im Halbrondell, das heute, wenn man von unten kommt, rechts vor dem Schloss liegt.

Aber warum wurde der König 1786 nicht hier, sondern in der Garnisonkirche begraben? Prinz Louis Ferdinand konnte mir die Frage auch nicht beantworten, das ganze Problem war ihm völlig neu und interessierte ihn in höchstem Maße. Er kommentierte knapp: „Wenn es so ist, wie Sie sagen, müsste das Grab ja zu finden sein. Bitte unterziehen Sie sich der Mühe, das festzustellen!“ Ich versprach es, und wir verabredeten uns zu einem baldigen Termin.

Der Wunsch Friedrichs II., auf dem Weinberg begraben zu werden, entsprang dem damaligen Zeitempfinden. Bereits 1679 hatte sich Prinz Johann Moritz von Nassau-Siegen in einem Waldstück bei Kleve bestatten lassen. Nach diesem Beispiel legte Friedrich II. den Ablauf seiner Beerdigung testamentarisch fest. Während des Siebenjährigen Krieges, als ihn oft genug der Tod streifte und er befürchten musste, in der Schlacht zu fallen, wiederholte er in Befehlen an seine Generäle mehrmals die Festlegungen des Testaments:

„Ich habe als Philosoph gelebt und will als solcher begraben werden, ohne Pomp, ohne Prunk und ohne die geringsten Zeremonien. Ich will weder geöffnet noch einbalsamiert werden. Sterbe ich in Berlin oder Potsdam, so will ich der eitlen Neugier des Volkes nicht zur Schau gestellt und am dritten Tag um Mitternacht beigesetzt werden. Man bringe mich beim Schein einer Laterne, und ohne dass mir jemand folgt, nach Sanssouci und bestatte mich dort ganz schlicht auf der Höhe der Terrasse rechter Hand, wenn man hinaufsteigt, in einer Gruft, die ich mir habe herrichten lassen. Sterbe ich auf der Reise, so will ich, dass mein Körper an Ort und Stelle beigesetzt und bei Eintritt des ersten Frostes ohne jedwede Ceremonie nach Sanssouci gebracht werde.“

 

Er quartiert sich unter einem Zelt ein, im Mittelpunkt seines Lagers. Er ist es, der alle Befehle erteilt und sich um den ganzen Einzeldienst kümmert, welchen in den französischen Heeren der Quartiermeister von der Kavallerie und der Generalmajor versehen. Er befasst sich mit der Verpflegung der Artillerie und dem Geniewesen, er hat auch selber den Plan zur Berennung von Brieg [1741] entworfen. Er erhebt sich früh um vier Uhr, steigt zu Pferde und besucht vom rechten Flügel bis zum linken alle Posten und Außenposten seines Lagers. Er versieht persönlich alle Offiziere und Generäle, die er abordnet, mit Befehlen und Verhaltungsmaßregeln, und ihm persönlich erstatten alle, die sich zurückmelden, Bericht.

Guy Louis Henri Marquis de Valory (1692-1774), 1739 -1750 und 1756 französischer Gesandter in Berlin

 

Nachdem der Schnee geschmolzen war, suchte man an der bezeichneten Stelle und fand einen Hohlraum. Außerdem deutete die Begräbnisstelle der Windspiele auf die Nähe des königlichen Grabes hin. Die Hunde waren immer um Friedrich gewesen und sollten auch nach seinem Tode bei ihm sein. Die Grasnarbe, etwa 30 cm dick, wurde etwas angehoben. Man stieß auf eine gemauerte Decke. Das Grab befand sich in gleich gutem Zustand wie 1860, als es ein einziges Mal geöffnet worden war.

Königsgruft in der Garnisonkirche

Es fand sich auch ein Zeugnis dafür, warum - entgegen dem Letzten Willen des Königs - die Gruft unter dem Altar der Garnisionkirche gewählt worden war: Friedrich starb kinderlos. Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. war sein Neffe. Der entschied nach Besichtigung der Grabkammer, der große König sei an der Seite seines Vaters in der Garnisonkirche zu bestatten, und zwar keineswegs schlicht, sondern mit allen Trauerzeremonien, die auch für Friedrich Wilhelm I. gehalten worden waren. Carl von Gontard oblag die Gestaltung des Leichenbegängnisses, das am 9. September 1786 stattfand. Nach der Feier im dekorierten Stadtschloss geleiteten alle Hofangehörigen, also die Familie und die Minister und Generäle und andere wichtige Personen, den leeren Prunksarg in die Garnisonkirche, wo der Trauergottesdienst sehr aufwendig zelebriert wurde. Fast 600 Personen waren danach zur Tafel geladen.

 

Preußen ist mit keinem anderen Staat vergleichbar. Es ist größer und will nicht bloß, sondern muss größer sein, als sein natürliches Gewicht mit sich bringt. Es muss also zu diesem etwas hinzukommen. Zu Friedrichs II. Zeiten war es dessen Genie.

Wilhelm von Humboldt

 

Warum war der Letzte Wille, der bei jedermann als zu respektieren gilt, nicht eingehalten worden? Sein Neffe hat die Begründung gegeben: „Weniger kann und darf ich nicht tun als mein seliger Onkel an Friedrich Wilhelm I. getan hat. Aber ein Mehreres zu tun steht in meiner Gewalt.“ Friedrich Wilhelm II. hatte nichts von dem aufklärerischen, durch die Philosophie der Zeit geprägten Geist seines Onkels verstanden, sondern ließ sich, wie so viele Herrscher bis heute, vom höfischen Zeremoniell leiten. Je aufwendiger die Trauerfeiern, desto mehr Glanz fällt auf diejenigen, die hinter dem Sarg hergehen.

Bei unserem nächsten Zusammentreffen unterbreitete ich Prinz Louis Ferdinand den Vorschlag, nach über zweihundert Jahren das Testament zu erfüllen, wozu er schon als Nachfolger, Chef des Hauses Hohenzollern und noch vom Kaiser zum Offizier geschlagener Traditionsbewahrer der Familie verpflichtet sei. Louis Ferdinand, ein der Gegenwart und ihren politischen Konstellationen aufgeschlossener Mann, verstand, dass die Argumente dafür sprachen, aber er hatte bei der Überführung der Särge auf seine Burg eine Bedingung gestellt, von der er auch nicht abgehen wollte, als ich ihm vorschlug, er solle sie als vom damals kräftig angeheizten kalten Krieg bestimmt betrachten. So sagte er nicht Nein aber auch nicht Ja. Gut’ Ding wolle Weile haben. Ich würde noch den Tag erleben, wo wir in Sanssouci am Grab stünden.

 

In den meisten Provinzen Preußens sicherte Friedrich II. den Bauern Eigentumsrecht. Nach der Eroberung Schlesiens zwang er die Grundherren zur Wiederherstellung der Hütten, Scheunen usw., zur Ausstattung der Bauerngüter mit Vieh und Gerät. Er brauchte Soldaten für seine Armee und Steuerpflichtige für seinen Staatsschatz.

Karl Marx

 

In der Verwaltung der Schlösser und Gärten hatte inzwischen Generaldirektor Joachim Mückenberger drei Vorschläge für die Gestaltung des Grabes ausarbeiten lassen. Mit ihnen und einer Einladung zum Festakt anlässlich der 750-Jahrfeier in Berlin fuhr ich ein weiteres Mal auf die Burg Hohenzollern. Louis Ferdinand war überrascht, erkannte aber wohl in dem plötzlichen Sinneswandel Honeckers in Bezug auf das Haus Hohenzollern den Versuch, ein politisches Faktum zu schaffen. Jedenfalls erbat er sich Bedenkzeit und beriet sich mit Bundeskanzler Helmut Kohl. Ich bekam die Antwort, er sei leider in der fraglichen Zeit im Ausland, würde Sanssouci, das er seit 1945 nicht gesehen hatte, aber gern zu einem anderen Zeitpunkt besuchen.

An einem schönen Tag holten meine Frau und ich ihn und seine Söhne in Berlin-Grunewald ab und fuhren nach Potsdam, wo er wie gebannt vor der Fontäne stand und zum Schloss hinaufsah. Als er dann auf einer Bank am leeren Grab saß, mag er den Entschluss gefasst haben, das Testament zu erfüllen. Beim Mittagessen sagte er wie beiläufig zu mir, dass er völlig verstanden habe, was Friedrich II. gerade mit diesem Platz verbinde.

Der Tag hatte ein volles Programm: Besuch des Marmorpalais, seines Geburtshauses, wo er militärisch exakt vom Direktor des Militärmuseums begrüßt wurde, Besuch des Grabes Friedrich Wilhelm IV. in der Friedenskirche, wo Louis Ferdinand eingesegnet worden war. Ein Nelkenkreuz auch am Grabe Kaiser Friedrichs III. im daneben gelegenen Mausoleum. Darüber hat Louis Ferdinand in seinem Erinnerungsbuch „Im Strom der Geschichte“ ganz persönlich berichtet. Zum Schluss des Tages noch ein kleines Konzert in den neuen Kammern, wo Künstler des Potsdamer Theaters Musik Friedrichs II. spielten und - zu seiner Überraschung - einiges aus dem umfangreichen Liedschaffen des Komponisten Louis Ferdinand vortrugen. Dieser Besuch hat Potsdam in seinem Bewusstsein wieder lebendig werden lassen, und es blieb nicht der einzige. Nur sein Elternhaus, Cecilienhof, hat Louis Ferdinand nicht betreten, davor liegt ein alter Streit, der mit der Fürstenenteignung 1926 und dem Kontrollratsbeschluss 1947 zu tun hat und Narben hinterließ, obwohl seine kleine Wohnung in den Zimmern 48/49 fast unverändert ist. Doch vielleicht wird sich die Verkrampfung auch eines Tages lösen.

 

Friedrich der Große war und bleibt eine der staunenswerten, überragenden Gestalten der deutschen Geschichte. In seinem Leben gibt es Beispiele für entschlossenen Mut und Wankelmut, für den tiefen Willen zur Gerechtigkeit und für platte Willkür, für Selbstbeherrschung und Launenhaftigkeit, für Treue und Verrat, für Humanität und Grausamkeit, für Pflichterfüllung und Leichtsinn, für Genialität und schwere Fehler in der Schlacht.

Richard von Weizsäcker

 

Ich habe versucht, bei meinen häufigen Begegnungen mit Louis Ferdinand und seiner Familie die gegenseitigen Vorurteile abzubauen, was wohl auch gelungen ist. Nur in einem Punkt hat die Entwicklung der Jahre 1989 und 1990 alle Bemühungen überflüssig gemacht. Sie hat die Mauer hinweggefegt und damit die entscheidende Voraussetzung für die Erfüllung des Testaments gewissermaßen nebenbei miterledigt.

 

Ich, der ihn sah und hörte, ich, der bis zum Grabe den holden Stolz hegen wird, ihn gefesselt zu haben, ich bebe noch, und meine Seele entrüstete sich über das unwürdige Schauspiel, das Berlin meinen erstaunten Augen am Todestage des Helden bot, der die Welt in Staunen schweigen oder vor Bewunderung reden hieß. Alles war düster, niemand traurig. Alles war geschäftig, niemand betrübt. Kein Bedauern, kein Seufzen, kein Wort des Lobes!

Damit also enden so viele gewonnene Schlachten, so viel Ruhm, eine Regierung von fast einem halben Jahrhundert, erfüllt von so vielen Wundern! Man war dessen müde bis zum Hass.

Graf von Mirabeau (1749-1791), der 1786/87 u. a. als französischer Agent in Berlin weilte, von Friedrich II. empfangen wurde und über dessen Monarchie ein mehrbändiges Werk schrieb

 

Im Mai 1990 kam das entscheidende Wort. In einem Film des Westdeutschen Rundfunks, der den Deutschen Fernsehfunk und seinen Generalintendanten bekannt machen sollte, interviewte ich den Chef des Hauses und fragte ihn natürlich, wann er den Letzten Willen des Königs erfüllen werde. Die Antwort war nun eindeutig und bestimmt: „Am 17./18. August 1991.“ Es ist der 205. Todestag. So lange dauern manchmal die Dinge, und ich hoffe, dass der Mann, der allein die Entscheidung getroffen hat, auch die seit der friedlichen Revolution mit einem besonderen Symbolgehalt umgebene Kerze in das Windlicht setzen wird, um als Handwerker den Sarg zu begleiten und den Vorgang „im Scheine einer Laterne“ zu erhellen.

 

Sanssouci ist in den vergangenen Jahren vor allem als Architektur- und Garten-Kunstwerk beschrieben worden, aber es war vor allem auch Ort der Regierung und vieler Entscheidungen. Lieber als in den Schlössern von Berlin und Potsdam hielt Friedrich sich hier auf, und wenn das Frühjahr kam, zog er auf seinen Weinberg. Hier war er am liebsten, und hier führte er auch ein Leben ohne überflüssiges Protokoll. Man sagt, dass er ohne Wachen lebte, nur nachts seien drei Grenadiere aufgezogen, es sei sehr einfach gewesen, zu ihm zu gelangen und mit ihm zu sprechen. Ein Teil mag Legende sein, aber dass er hier oben oft in gelöster Stimmung war, ist wohl unbestritten.

 

Ja, seine Niederlagen nicht weniger als seine Siege beschäftigten nah und fern die Herzen der Menschen, das Groteske, das Donquijotehafte seines Daseins trug dazu bei, seine Figur zu vergrößern und volkstümlich zu machen, sein Bild mit dem heruntergezogenen Mund, den glanzblauen Augen und dem dreieckigen Hut, mit Krückstock, Stern, Fangschnur und Kanonenstiefeln hing in Hütte und Haus; er wurde legendär bei lebendigem Leibe. Von nun an hieß er „Der Alte Fritz“ - ein schauerlicher Name, wenn man Sinn fürs Schauerliche hat; denn es ist wirklich im höchsten Grade schauerlich, wenn der Dämon populär wird und einen gemütlichen Namen erhält.

Thomas Mann

 

Friedrich II., der sich selbst als Dichter und Schriftsteller betrachtete, hat seine Zeit in mannigfaltiger Form beschrieben, die Geschichte seines Hauses, des Siebenjährigen Krieges. Er verfasste Erinnerungen, Briefe und ungezählte Gedichte, insgesamt an die dreißig Bände. Leider hat er aber nicht die Muße gefunden, sein Leben und seine Überzeugungen zusammenhängend darzustellen, obwohl in allen seinen Schriften von allem etwas enthalten ist.

So wollen wir uns vorstellen, was er uns Menschen, die zweihundert Jahre nach seinem Tode sein Schloss besuchen, wohl mitteilen würde.

 

Ihm schauen alle Völker der Welt mit traurigen Blicken nach.

Johann Wolfgang Goethe (1786)