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Hans Bentzien

Jenseits der Oder

Streusandbüchse und eine vorteilhafte Erwerbung

Märkische Miniaturen

ISBN 978-3-95655-475-9 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1998 im Westkreuz-Verlag GmbH Berlin/Bonn.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

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Im vorliegenden Buch sind Beiträge von Hans Bentzien veröffentlicht, die für eine Sendereihe der Antenne Brandenburg verfasst worden sind.

Die Neumark

Mit enger gewordenen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen, dem langsam wachsenden Tourismus und dem lebhaften Grenzverkehr mit dem Land östlich der Oder taucht wieder häufiger der Name „Neumark“ auf. Er ist ursprünglich zur Unterscheidung des ersten, alten Teils der Mark, der Altmark, entstanden. Darunter versteht man das Land westlich der Elbe und nördlich von Ohretal und Drömling. Dort saßen vor der Völkerwanderung die Langobarden, östlich der Oder die Burgunder. Bei deren Zug nach Westen rückten die slawischen Stämme nach, wurden aber Mitte des 10. Jahrhunderts von Markgraf Gero deutscher Herrschaft unterworfen, wehrten sich mit Aufständen dagegen und wurden wieder unterworfen. Als Albrecht der Bär Mitte des 12.Jahrhunderts die Prignitz und das Havelland eroberte, war die Basis für ein weiteres Vorgehen der deutschen Stämme nach Osten gewonnen.

Es dauerte noch hundert Jahre, bis die Eroberung des Ostens zügig vorangehen konnte. Barnim, Teltow und Uckermark wurden erobert, dann folgte 1260 die Neumark und gleichzeitig mit ihr die Lausitz. Die Eindeutschung der Mark Brandenburg erfolgte mit dem Kreuz und dem Schwert, mit Städte- und Klostergründungen und der nachfolgenden bäuerlichen Besiedlung. Durch die inneren Wirren in Brandenburg gingen die östlichen Gebiete teilweise wieder verloren. Bald nach der Erwerbung der Neumark durch die Askanier, die Vorläufer der Hohenzollern in Brandenburg, hatte König Sigismund diesen Landstrich an den Deutschen Orden verpfändet (1402). Fünfzig Jahre nach dem Einzug der Hohenzollern in Brandenburg kaufte Kurfürst Friedrich II. (reg. 1440-1470) ihn wieder zurück.

Sechsunddreißig Jahre lang wurde die Neumark sogar selbstständig regiert. Der jüngere Bruder des Kurfürsten Joachim II. (reg. 1535-1571), Markgraf Johann von Küstrin, errichtete ein strenges Regime. Er galt als misstrauisch und hart. Sein Wahlspruch, der sogar über seiner Schlafzimmertür im Schwedter Schloss angebracht gewesen sein soll, lautete: „Unter Tausenden trau’ kaum Einem recht, bis du erkannt ihn treu und echt!“

Im Gegensatz zu seinem zögerlichen Bruder entschied er schnell und setzte dann seine Entschlüsse auch bald durch. Einfach und sparsam gestimmt, wandte er sich bald der Reformation zu und führte sie in diesem Landesteil der Kurmark alsbald ohne Zaudern ein. Nach beider Tod im Jahre 1571 aber wurde die Trennung des Landes glücklicherweise wieder aufgehoben.

Die Teilung des Landes in getrennte Herrschaften verstieß eindeutig gegen das Hohenzollersche Hausgesetz, die Dispositio Achillea (1473), dass die Mark Brandenburg als unteilbares Gut an den erstgeborenen Sohn vererbt werden sollte, um eine mögliche Zersplitterung zu vermeiden.

Geografisch gesehen umfasst das Gebiet der Neumark die Moränenlandschaft nördlich des Warthe-Netze-Bruchs bis hin zum Pommerschen Landrücken, der Wasserscheide, umfasst also das Gebiet zwischen Schlesien und Pommern. Heute gehört sie, zusammen mit einigen Teilen der Lausitz, hauptsächlich zu den polnischen Woiwodschaften Zielona Góra (Grünberg) und Gorzow (Landsberg/War- the).

Wenn wir die Sehenswürdigkeiten jenseits der Oder besuchen, in einer Kirche der Orgel oder dem Orchester lauschen, an Volksfesten teilnehmen oder einfach nur auf dem Markt gutes Gemüse kaufen, dann mag uns in den Sinn kommen, dass dieses Land östlich der Oder von dem Land westlich des Flusses gar nicht so unterschiedlich ist. Es bedarf heute auf beiden Seiten keiner ideologischen Klimmzüge mehr, die Geschichte im vermeintlich nationalen Interesse zurechtzubiegen. Das größer werdende Europa, die angestrebte Euro-Region, wird im nächsten Jahrhundert die Menschen, die Märkte, die Kulturen viel enger verbinden, als wir es uns heute noch vorstellen können. Die Hoffnung auf friedliches Zusammenleben ist stärker geworden.

Streusandbüchse

Sicher sind wir Brandenburger die Nachwohner der Bevölkerung in der „Streusandbüchse des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation“, wie unser Land schon zu Vorzeiten genannt wurde. Doch kulturhistorisch uninteressant ist wegen des Sandbodens unser Land noch lange nicht. Die frühgeschichtlichen Fundstellen beweisen eine hochstehende, ästhetisch anspruchsvolle Architektur, in deren Mauern geistiges und künstlerisches Leben geherrscht hat wie anderswo auch.

Gewiss, die germanischen Semnonen gingen in der Völkerwanderung nach Westen (500). Ihnen folgten die slawischen Obotriten, Lutizen, Heveller und Sorben in unser Gebiet nach. Ihre Anwesenheit dauerte mehrere Hundert Jahre. Im 10.Jahrhundert hatten sich dann die feudalen Machtverhältnisse in Europa durchgesetzt. Karl der Große (um 800) begann mit der Ausdehnung seines Machtbereichs, mit der sogenannten feudalen Ostexpansion durch die Feldzüge gegen die Wilzen (789). Es folgte Heinrich I., der die Hevellerfestung Brennabor eroberte (928/ 929), Otto I. (936 bis 973) schickte seinen Markgrafen Gero mit dem Auftrag, das Land zwischen Elbe und Oder zu unterwerfen, das seit dem 12. Jahrhundert die Nordmark des Reiches bildete. Bereits Mitte des 10.Jahrhunderts waren die beiden Bistümer Brandenburg und Havelberg gegründet worden. Aber bald danach (983) sah das Land die alten Besitzer, die Slawen, wieder. Sie hatten es zurückerobert und die Zeichen des christlichen Gottes zerstört. Nun war den Deutschen der Weg nach Osten für 150 Jahre versperrt.

Dann begannen unter Albrecht dem Bären die Kämpfe erneut, die Prignitz wurde erobert, dann die westliche Mittelmark, und nun nannte sich Albrecht „Markgraf von Brandenburg“. Unter seinen Nachfolgern ging die Unterwerfung der östlich gelegenen Landstriche weiter, um 1231 war auch die Lehenshoheit über Pommern erreicht, die Kaiser Friedrich II. den Askaniern übertrug. Sie beherrschten ein großes Gebiet, von Wolmirstedt und Salzwedel bis Danzig und Stolp, von Pasewalk im Norden bis Bautzen und Görlitz im Süden. Die Askanier und ihre Nachfolger, die Wettiner und Schauenburger, holten eifrig Siedler ins Land.

Im 12. und 13. Jahrhundert wurden in der Mark rund 100 Städte gegründet, die meisten der heute bekannten Dörfer stammen ebenfalls aus dieser Zeit. Als man in der Berliner Nikolaikirche grub, fand man die Bestätigung: Bereits im 12. Jahrhundert gab es hier Niederlassungen. An der heutigen Mühlendammbrücke kreuzten sich zwei alte Handelsstraßen. Das gab den Ausschlag für die zentrale Lage Berlins, das wenig später Stadtrecht erhielt und Mittelpunkt des märkischen Städtebündnisses wurde.

Die Klöster und großen Kirchen ergänzten das Handelsleben der Städte durch rege religiöse, aber nicht nur dem Himmel, sondern auch der irdischen Wohlfahrt dienende Aktivitäten. Neben der Backsteingotik bedeutender Bauten finden wir aus dieser Zeit noch die vielen Feldsteinkirchen in den Dörfern, die uns heute so manches Erhaltungsproblem bereiten. Obwohl sie oftmals keine Gemeinde mehr haben, sind sie doch unverzichtbare Zeugen der alten Zeiten.

Diese waren alles andere als geordnet, sondern müssen vielmehr chaotisch genannt werden, jedenfalls solange die Wittelsbacher und die Luxemburger die Mark nur als Geldquelle ansahen. Als die Hohenzollern in die Mark gerufen wurden (1411), waren alle Burgen - außer Spandau - verpfändet. Die „harte Hand“ Friedrichs I. und seiner Nachfolger befriedeten das Land und riefen die Raubritter zur Ordnung. So ließ Kurfürst Johann Cicero die Köpfe einiger Raubritter auf die eisernen Stangen des Köpenicker Schlosses aufspießen, und ein bewaffneter Fängertrupp durchstreifte das Land. In einem Jahr werden von ihm 70 Raubritter an die Straßenbäume zur Warnung gehängt als „Schelme, Mörder, und Räuber“.

Allerdings hatten sie es damals leichter diese zu erkennen als wir deren Nachfolger; die Vereinigungskriminellen und Abzocker, heute.

Hussiten in der Neumark

Auf dem Konzil von Konstanz 1417 wurde der Hohenzoller, Burggraf Friedrich, zum ersten Kurfürsten von Brandenburg ernannt. Wer aber denkt daran, dass auf eben dem gleichen Konzil der als Ketzer angeklagte Jan Huß verbrannt wurde? Trotz des Verlusts ihres charismatischen Anführers ließen die Hussiten nicht nach, ihre Lehre zu verbreiten. Sie tauchten nicht nur vor Bernau und anderen brandenburgischen Städten auf, sondern auch im fernen Preußen, sprich Ostpreußen. Im ewigen Zwist zwischen dem Deutschen Orden und Polen war 1433 eine Waffenstillstandsfrist abgelaufen. Man hatte sich in dieser Zeit nicht einigen können, selbst der Papst und das Basler Konzil hatten es versucht, und „folgerichtig“ stellte man neue Heere auf.

Dem Deutschen Orden kamen die Landsknechte zu Hilfe, doch sie waren nur auf den Sold, nicht aber aufs Kämpfen aus. Lediglich die Feste Polzin eroberten sie, da hier nur allerhand Gesindel sich des Ortes bemächtigt hatte. Das konnten sie leicht verjagen.

Die Polen aber wandten sich an die Hussiten, die ruhelos umherzogen. Mit ihren beiden Anführern, Prokop dem Kleinen und Prokop dem Großen, kamen wohl an die 5000 hussitische Streiter zu Fuß mit ihren Wagenkolonnen, brachen in die Neumark ein und legten 13 Städte in Asche. Das zeigte Wirkung. Arnswalde und die Herren von Wedel ergaben sich und schworen den Ketzern und damit dem Polenkönig ewige Treue. Dann rannten die Hussiten vier Wochen gegen die befestigte Stadt Könitz an, konnten sie aber nicht einnehmen. Das ermutigte die Lehensritter und Söldnerritter - die gab es auch -, und sie schlugen zu Schwarzwald unter dem Ordensmarschall Jodok Strupperberger ihr Lager auf. Aber was auch der Grund gewesen sein mag, das Lager löste sich wieder auf und zerstreute sich in alle Winde.

Nun war der Weg frei. Die Hussiten drangen in das Land ein, ganz Pommerellen wurde verheert, und bald standen sie vor Danzig.

Hier stieg ihr Anführer Zcepko in die Ostsee und rief seinen Gefährten zu: „Seht, meine Brüder, da bin ich nun ans Ende des festen Landes gekommen und kann wegen der See nicht noch weiter vorwärts!“ Und wie zum Beweis, ließ er einige Gefäße mit Meerwasser füllen und nahm sie nach Böhmen mit.

Gegen die Hussiten war so leicht kein Kraut gewachsen. Nur die Bürger der Stadt Bernau besiegten sie - mit Bier! Sie ließen einen Kutscher mit einigen Fässern wie zufällig in das Lager der Hussiten fahren, und den Rest können wir uns denken.

Wir sehen aus diesem Feldzug einmal mehr, dass Brandenburg und Preußen begehrte Lande darstellten und mancherlei Feinde anlockten.

Das Land der Pruzzen und Preußen

Wo die einheimische Bevölkerung der Pruzzen wohnte, war Preußen. Das spätere Land Preußen war ursprünglich nur die deutsche Übersetzung von „Land der Pruzzen“. Der Name hatte sich im 17.Jahrhundert als „Brandenburg-Preußen“ für das gesamte Staatsgebiet durchgesetzt, und das ursprüngliche Preußen war jetzt als Randgebiet die Provinz Ostpreußen, wie wir sie heute noch kennen. Es ist ein wunderschönes, stilles Land, besitzt lange Küsten mit einsamen Nehrungen, die bekannten Heidegebiete um Rominten, die Masurischen Seen, das Weichsel- und das Memeldelta als typische Niederungslandschaften.

In die Geschichte trat Preußen erst im Hochmittelalter ein, in der Mitte des 13.Jahrhunderts, zur Zeit der Ostkolonisierung , als es von Deutschen besiedelt wurde, die unter dem Schutz des Deutschritterordens das eroberte Land bestellten. Die Pruzzen (oder auch Prussen) hatten sich standhaft der Christianisierung widersetzt und an den alten Göttern festgehalten. Herzog Konrad von Masowien rief den Ritterorden, der mit Zustimmung des Papstes einritt und seinen Staat gründete. Der Ordensstaat hielt nur 300 Jahre, bis er an seinen Kriegen unterging. Nach der Niederlage von 1410 bei Tannenberg begann die Verkleinerung des Gebietes. Westpreußen und das Ermland gingen an Polen verloren.

Der letzte Hochmeister, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, säkularisierte den Reststaat, schloss sich der Reformation an und übernahm vom Polenkönig Sigismund im Jahre 1525 das Herzogtum als Lehen. Erst 1657 beendete der Große Kurfürst dieses Abhängigkeitsverhältnis, die Herzoge von Brandenburg waren nun auch Herzoge von Preußen. So kam es, dass der Kaiser als Belohnung für die Kriegsdienste der Brandenburger Kurfürst Friedrich III. erlaubte, sich als Friedrich I. König in Preußen, zu krönen. Danach ging der Name ausschließlich auf den ganzen Staat über, bis Friedrich II. sich König von Preußen nannte.