Impressum

Liselotte Pottetz

Welcher Heimat gehört unser Herz?

ISBN 978-3-95655-358-5 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 2003 im MS-Verlag Oppeln. Dem E-Book liegt die 3. Erweiterte Auflage von 2015 aus dem Verlag „Mirwal ART“, Walbrzych, zugrunde.

 

© 2015 EDITION digital®
Pekrul & Sohn GbR
Godern
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Pinnow
Tel.: 03860-505 788
E-Mail: verlag@edition-digital.com
Internet: http://www.ddrautoren.de

Einige Bemerkungen zum humanen Wert der Heimat und zum Drama ihres Verlustes

Die Frage, die Liselotte Pottetz zum Titel ihres autobiografischen Erinnerungs- und Reflexionsbuches machte, ist nur scheinbar rhetorisch und poetisch. In Wirklichkeit ist sie nicht einfach zu beantworten: weder für sie selbst noch für viele Millionen Menschen verschiedener Nationalitäten, die zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen ihr Heim und ihre Heimat verlassen mussten. Menschen, die das Drama der Flucht - Umsiedlung oder Vertreibung, zielloses Umherirren, Suche nach den Angehörigen, Hunger, Kälte, Verfolgung, Verschleppung, Ertrinken, Heimweh, Raub der Habseligkeiten, Vergewaltigung, Erschießung, Krankheit und Tod - ein bitteres Schicksal - erlitten. Umsiedler und Flüchtlinge, die in der Fremde eine neue Heimat suchten. Noch Generationen danach fühlen sie sich mit der verlorenen Heimat verbunden - eine emotionale Kraft, die durch eigene Erlebnisse oder die Traditionen der nahe stehenden Menschen geformt wurde. Dabei prägen sich die negativen Erlebnisse, besonders die tragischen, tiefer als die positiven in der Erinnerung ein.

Deshalb erscheint der Verlust der Heimat, also eines Teils der Tradition, die über die Identität der Menschen entscheidet, auf verschiedene Weise und mit unterschiedlicher Stärke - von der Nostalgie bis zum traumatischen Schmerz - für den Rest des Lebens. Die Schicksale einzelner Menschen und ganzer Nationen, in deren Geschichte der Verlust der Heimat eingeschrieben wurde, finden in der schöngeistigen Literatur vieler Völker ihren Niederschlag.

Adam Mickiewicz, der bedeutendste polnische Dichter der Romantik, ein politischer Emigrant und Wanderer, schrieb mit großer Sehnsucht in den ersten Zeilen seines zum ersten Mal 1834 in Paris verlegten (In dieser Zeit existierte das geteilt besetzte Polen auf der politischen Karte Europas nicht.) Poems „Pan Tadeusz“:

 

„Lithauen! Wie die Gesundheit bist du, mein Vaterland!

Wer dich noch nie verloren, der hat dich nicht erkannt.

In deiner ganzen Schönheit prangst du heut’ vor mir,

So will ich von dir singen, - denn mich verlangt nach dir!“

 

Wie kaum ein anderer litt der große Dichter Heinrich Heine (1797 - 1856), der ab 1831 in der Emigration in Paris lebte, unter der Sehnsucht nach seiner Heimat Deutschland:

 

In der Fremde

„Ich hatte einst ein schönes Vaterland.

Der Eichenbaum wuchs dort so hoch,

Die Veilchen nickten sanft.

Es war ein Traum.“

 

Nachtgedanken

„Denk ich an Deutschland in der Nacht,

Dann bin ich um den Schlaf gebracht.

Ich kann nicht mehr die Augen schließen,

Und meine heißen Tränen fließen.“

 

Das Buch von Liselotte Pottetz beinhaltet also eine wichtige Problematik, denn sie ist weiter lebendig in der Erinnerung und im Bewusstsein von Millionen von Menschen, auch Deutschen und Polen. Wenn man in der Geschichtsschreibung das 19. Jahrhundert als die Zeitperiode der Emigranten bezeichnet, so ist das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Flucht und Vertreibung. Entscheidend dafür waren zwei Weltkriege, vor allem der 2. Weltkrieg mit seinen Folgen. Der junge deutsche Historiker Ther aus Berlin stellt in seinem äußerst interessanten Buch „Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945 - 1956“ (Göttingen 1998) fest:

„Es war das Zeitalter, das Auschwitz, den Gulag und zwei Weltkriege hervorgebracht hat. Ein weiteres trauriges Kennzeichen des 20.Jahrhunderts waren massenhafte Vertreibungen. Vorsichtig geschätzt wurden seit dem Balkankrieg 1912/13 bis zum Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien zu Beginn der neunziger Jahre allein in Europa 50 Millionen Menschen ihrer Heimat beraubt ... Zwischen 1939 und 1949 mussten etwa ein Fünftel aller Deutschen und Polen, aber auch insgesamt mehrere Millionen Ukrainer, Ungarn, Tschechen, Finnen, Balten und Weißrussen ihre Heimat verlassen. Auslöser und Urheber der beispiellosen Völkerwanderung war Adolf Hitler ...

Zum Ende des 2. Weltkrieges fielen die von Hitler initiierten Änderungen der staatlichen und ethnischen Grenzen auf Deutschland zurück. Stalin behielt einen Großteil der von der Sowjetunion annektierten polnischen Ostgebiete, was eine Entschädigung Polens auf Kosten Deutschlands zur Folge hatte.“

Den Preis für wahnsinnige Ambitionen des Hitlerregimes, die Welt zu beherrschen und das „Tausendjährige Reich“ zu schaffen, verbunden mit den schrecklichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, musste auch das deutsche Volk zahlen. Nach dem Propheten Hosea: „Wer Wind säet, wird Sturm ernten.“

Aus dem im Jahre 1995 von der Evangelischen Akademie Mülheim/Ruhr und dem Schlesischen Institut Oppeln in beiden Sprachen verlegten Buch „Ich sah in das Gesicht eines Menschen. Deutsch-polnische Begegnungen vor und nach 1945“ (Wuppertal 1995): „Die bisherigen Herren und Sieger wurden dem Kriegselend ausgesetzt. Hunger, Kälte, Armut, ungewisses Morgen, Not, Ausbeutung, Prügel, Brutalität, Gewalt, Habgier, Rachegefühle, Hass, Einsamkeit, Abhängigkeit, Flucht ins Ungewisse und Unbekannte, Angst und Schrecken mussten sie jetzt ertragen. Konnte man Nächstenliebe, Menschlichkeit, Erbarmen, Mitleid erwarten? Dazu noch in der Fremde und unter den Fremden oder in der unerwartet fremd gewordenen Heimat, im Elternhaus, das die anderen bewohnten und von dem sie behaupteten, jetzt gehöre es ihnen.“

Jedoch sogar in den am meisten belasteten Jahren der polnisch-deutschen Beziehungen der neuesten Geschichte passierten auf beiden Seiten, und dabei gar nicht so selten, Fälle einer positiven Einstellung der Deutschen Polen gegenüber und der Polen Deutschen gegenüber, Fälle von Mitgefühl, Hilfe und Unterstützung. Beweise dafür kann man auch in dem Buch von Liselotte Pottetz finden. Die Autorin ergreift mit der Art der Erzählung und vielen Erinnerungen, die das Bild ihrer drei folgenden lokalen Heimaten skizzieren, wobei die erste - die Heimat der Geburt und der frühen Kindheit - eindeutig als die Heimat ihres Herzens bezeichnet werden kann, trotz der Schönheiten und langjährigen Bindung zu ihrem jetzigen Zuhause in Sachsen. Sehr menschlich ist das beschriebene Heimweh nach Bessarabien, die eigenen und fremden Erinnerungen, die Besuche im Geburtsland nach Jahren, die Begegnung mit den Menschen dort. Die Autorin weist an vielen Stellen auf das Böse des Krieges hin, auf dessen katastrophale, vernichtende Folgen für einfache Menschen, auf menschliche Tragödien. Ihre Reflexionen in diesem Maße, als einem Menschen, der als Kind die tragischen Folgen des Wahnsinns und des Fluchs des Krieges miterlebt hat, tragen zur Versöhnung der Völker bei. Das Buch müssten nicht nur Deutsche lesen, sondern auch Polen, deshalb sollte man sich bemühen, es ins Polnische zu übersetzen und auf dem polnischen Lesermarkt zu präsentieren.

Wieslaw Lesiuk, Verleger des Buches (Übersetzung aus dem Polnischen: Marta Sekula)

Prof. Dr. der humanistischen Wissenschaften Wieslaw Lesiuk (geb.1943 in Boryslaw bei Lemberg, wohnhaft seit 1945 in Oppeln, plötzlicher Tod am 01.11.2003 nach einem Symposium in Breslau) ist ein polnischer Historiker und Politologe. Akademischer Lehrer und Leiter der Lehrstühle an der Uni in Oppeln und der Hochschule für Management und Verwaltung in Oppeln. Forschungsarbeiter des Schlesischen Instituts in Oppeln. Doktor honoris causa der Schlesischen Universität in Troppau (Tschechische Republik). Ein hervorragender Kenner der neuesten Geschichte Schlesiens, besonders der polnisch-deutschen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert und der sozialen und nationalen Problematik der Grenzgebiete. Autor von ca. 600 wissenschaftlichen Publikationen und Träger von vielen Prestigepreisen für Verdienste in der Schlesienforschung.

Von „Heimkehr“ zu „Heimweh“

Seite9

 

Für viele - nicht nur deutsche - Leser wird der Titel dieses Buches (L. Pottetz, Welcher Heimat gehört unser Herz?, MS-Verlag, Opole 2003, S. 248.) ein vielfältiges, altbekanntes Echo finden: „Heimat“ und „Herz“ wurden schon spätestens seit der Zeit der Romantik (und in seiner gesellschaftspolitischen und nationalen Tonart seit dem Völkerfrühling) die meistverwendeten Themen der Literatur, besonders der Regionalliteratur, oder auch - in neueren Zeiten - der „Faktenliteratur“, der Dokumentarliteratur, der Erinnerungs- und Gedenkliteratur. Eine gewaltige Welle dieser letzteren erschien insbesondere nach dem 2. Weltkrieg, der als eines seiner Resultate riesige, teils freiwillige, teils gewaltsame Migrationen von Menschen nach sich zog. Die Herzen dieser Menschen begannen (und tun dies bis heute) bis zum Lebensende voller Verzweiflung oder wenigstens Sehnsucht die verlorene Heimat herbeizurufen.

Die „Literatur der verlorenen Heimat“ verbreitete sich seinerzeit aus verständlichen Gründen besonders üppig in Deutschland - verloren doch Millionen Deutsche nach diesem Krieg ihre frühere Heimat. Der Begriff „Heimat“ bildete sich noch einmal neu und wurde mit großem Bedeutungsumfang behandelt. (Ch. von Krockow, Heimat. Erfahrungen mit einem deutschen Thema. Deutsche Verlagsanstalt / Stuttgart 1989, S. 160.) Man könnte sagen, dass der 2. Weltkrieg symbolisch den Bedeutungsumfang „Heimat“ zwischen dem bekannten Filmtitel „Heimkehr“ und dem neuen Substantiv „Heimatvertriebene“ erweiterte; als persönliche Erfahrung blieb „Heimweh“, Sehnsucht nach der Heimat. Ich meine, im Fall des hier besprochenen Erinnerungsbandes sollte daran erinnert werden, dass Bücher dieser Strömung der deutschen Nachkriegsliteratur bis Ende der achtziger Jahre, das heißt, bis zum Fall der Berliner Mauer, und tatsächlich - bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, fast ausschließlich in der Bundesrepublik erschienen. In der Deutschen Demokratischen Republik konnten sie aus politisch-doktrinären Gründen, aber auch aus Gründen falsch (oder auch heuchlerisch) verstandener „guter Nachbarschaft“ mit Polen (aber auch mit der Tschechoslowakei, Ungarn oder Rumänien) nicht erscheinen, was sich im Verlauf der Jahre ins Bewusstsein oder Unterbewusstsein der Schriftsteller schob, die eine besondere Selbstzensur übten.

Zaghafte Proben schriftstellerischer Aufrichtigkeit angesichts ihrer Erfahrungen und Erinnerungen - z.B. Armin Müllers „Der Puppenkönig und ich“, Hildegard Maria Rauchfuß’ „Schlesisches Himmelreich“, oder sogar das künstlerisch tiefgründigste Werk von Ursula Hönsch „Wir Flüchtlingskinder“ (obwohl das letztgenannte Werk in den achtziger Jahren sogar in Polen übersetzt wurde) - fanden jedoch nicht die Beachtung, die sie trotz allem verdient hätten; es ist zu vermuten, dass nicht der letzte Grund für die Geringschätzung dieser Proben die „Staatszugehörigkeit“ ihrer Autoren war.

Liselotte Pottetz wohnt seit über fünfzig Jahren in Mügeln in Sachsen - also jahrzehntelang in der ehemaligen DDR. Was jedoch nicht bedeutet, dass ihr Buch „verspätet“ ist im Vergleich zu ähnlichen, welche Flüchtlinge, Umsiedler und Vertriebene veröffentlichten, die nach dem Krieg westlich der Elbe lebten.

So bewirkte die Wiedervereinigung Deutschlands bei der Autorin die Anregung zur Niederschrift von Erinnerungen. Erst jetzt kehrten die erlebten Eindrücke der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsjahre bei Treffen mit früheren Bekannten, Verwandten, Leidensgenossen, die in den vorausgegangenen Jahren über die verschiedensten Gegenden beider voneinander isolierten deutschen Staaten verstreut waren, mit neuer Kraft zurück. Diese Erlebnisse verlangten jetzt nach Bewertung und Benennung - aus dem zeitlichen Abstand, aus der Perspektive der Kinder, Erwachsenen und schon älteren Nachkommen derer, die das Drama jener Jahre unmittelbar und schmerzlich berührte. Aus der Perspektive derer, denen zwei und manchmal sogar drei Vaterländer, eine dreifache Heimat, am Herzen liegen. Liselotte Pottetz trägt in sich eine solche dreifache „Heimat“.

„Heimat“ I: Das Dorf Basyrjamka im früheren Bessarabien, zwischen Prut und Dnjestr am Schwarzen Meer, nördlich der Donaumündung, Mittelpunkt der dortigen deutschen Kolonisten (Schwaben, welche aus der Gegend um Stuttgart stammten). Der Großvater der Autorin, Jakob Schulz, begründete das Seebad Burnas (zitierte in seiner Kellerweinstube für Gäste Kant, Goethe, Schiller ... - während seine Frau sich um die Hühner und Ferkel kümmerte).

1940 schließt Berlin mit Moskau einen Vertrag über die Aussiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung vom Territorium Bessarabiens (welches einen Streitpunkt zwischen Moskau und Rumänien darstellt) nach Deutschland. Im Herbst dieses Jahres begann der erste Exodus der damals anderthalbjährigen Liselotte zusammen mit ihrer Familie, Verwandten und Bekannten - mit dem Schiff die Donau aufwärts bis nach Kroatien, danach ins Umsiedlerlager im Sudetenland. Nach einem Jahr von dort Umsiedlung ins Posener Gebiet, in die Umgebung von Gostyn.

„Heimat“ II: Die Gegend um Gostyn war damals schon in den so genannten Warthegau eingegliedert. Die Aussiedler aus Bessarabien wurden hier Siedler in Dörfern und Wirtschaften, aus denen vorher die bisherigen Bewohner, Polen, ausgesiedelt worden waren. Die am Ort verbliebenen Polen mussten für die neuen Eigentümer arbeiten. Der Aufenthalt hier dauerte dreieinhalb Jahre - so lange, um sich wieder wie „zu Hause“ fühlen zu können.

Am Ende des frostigen Januars 1945, mitten im Winter, begann der nächste Exodus - die chaotische, panische Flucht vor der sich nähernden Ostfront, auf Pferdefuhrwerken, westwärts, hinter die Oder. Neue Opfer der Kälte sowie der Bombardierungen und Beschießungen entlang der Frontlinie und hinter ihr. Neue „Durchgangslager“, neue Zuteilung von Ansiedlungsorten. Die Familie der Autorin und ihre Verwandten und Bekannten wurden nach Sachsen-Anhalt geleitet. Dort, in Strenz-Naundorf, fand sie die nächste „Heimat“.

„Heimat“ III: Als einige Jahre später plötzlich fast alle Verwandten und Bekannten der Familie begannen, im Schutze der Nacht nach dem Westen zu fliehen, sagte die Mutter entschieden „Nein!“; blieb mit ihren Kindern an Ort und Stelle.

1957 beginnt Liselotte ihr Studium am Pädagogischen Institut in Leipzig. Dabei lernt sie ihren künftigen Mann kennen, einen jungen Mann ebenfalls aus einer Umsiedlerfamilie - einen Ungarndeutschen! Die Arbeit als Lehrerin, u.a. als Russischlehrerin, brachte trotz aller DDR-Beschränkungen wertvolle und anregende Kontakte und Freundschaften zu Polen, Russen, Ukrainern, .... Mit der Zeit halfen diese, ohne lähmende Ressentiments, Vorurteile und stereotype Vorstellungen an die frühere, verlorene Heimat zu denken.

Unter diesem Gesichtspunkt stehen auch die Reisen nach Basyrjamka und Posadowa, dem Dorf bei Gostyn, wo sie ihre Magd aus jener Zeit, Stanislawa, trifft. Durch die zahlreichen Begegnungen mit „Landsleuten“, die Besuche, die Erinnerungen, Aufzeichnungen und Berichte ihrer Familie sowie Verwandter und Bekannter, deren erste „kleine Vaterländer“ außer Bessarabien noch Ungarn, Pommern, Ostpreußen, Siebenbürgen, Schlesien, das Sudetenland waren, kommt sie für sich zu einer eindeutigen Antwort auf die Titelfrage ihres Buches:

„Deutschland ist ein herrliches Land, mein drittes ,Zuhause’, in keinem anderen möchte ich auf Dauer leben. Hier haben wir uns ein gemütliches Heim geschaffen, können jeden Tag einrichten, als ob es der letzte wäre. Trotzdem hat sich die Sehnsucht meiner Eltern, Großeltern, Verwandten nach Bessarabien so übertragen, haben mich die vielen Erzählungen, der gemeinsame Kampf ums tägliche Dasein in all den schweren Jahren so geprägt, dass mein Herz meiner Heimat, wo ich geboren wurde, gehört.“

Das Werk von Liselotte Pottetz ist ein Buch der Erinnerungen und des Gedenkens - ein Familienerinnerungs- und Gedenkbuch. Diesen Charakter geben ihm zahlreiche Amateur- und Gelegenheitsfotos von Personen und Orten, zahlreiche Reproduktionen alter Ansichtskarten - wie im Familienalbum.

Aber es ist auch ein Buch des Nachdenkens über die zurückgerufene Vergangenheit. Wie ist das geschehen und - warum? Was, oder besser wer, hat das verursacht? Und noch tiefer: Was waren die ersten Gründe, die Urgründe der dramatischen und tragischen Folgen? Diese Frage steht hinter der persönlichen Erfahrung, oft hinter der Zeit der persönlichen Erfahrung. Im Fall des Schicksals der deutschen Flüchtlinge und Aussiedler ist das eine Frage, die zu beantworten auch ihre Nachbarn ein Recht haben oder sogar die Pflicht; die Polen vielleicht auf besondere Weise durch eigenes Schicksal und eigene Erinnerungen.

Und dieses Buch öffnet sich auch dieser gesprächsbereiten Nachbarschaft - nicht nur wurde es dem Verlag von Boguslaw Szybkowski in Oppeln anvertraut, sondern - was besonders bemerkenswert ist - für das Vorwort wurde der hervorragende Oppelner Historiker und langjährige Direktor des Schlesischen Instituts, Prof. Wieslaw Lesiuk, ausgewählt. Prof. Lesiuk - er gehört selbst mit seiner Familie zu den polnischen Vertriebenen und Umsiedlern -, welcher seit Jahren einen polnisch-deutschen Dialog über die neueste Geschichte beider Nachbarstaaten und -völker führt, betont in seinem Vorwort den „humanistischen Wert der Heimat und das Drama ihres Verlustes“. Er unterstreicht den weiten und ergreifenden Umfang dieser Erfahrungen bei den Europäern, besonders bei Polen und Deutschen im letzten und auch vorletzten Jahrhundert:

„Wenn in der Geschichtsschreibung das 19. Jahrhundert als Zeitalter der Emigranten bezeichnet wird, dann verdient das 20. Jahrhundert Zeitalter der Flüchtlinge und Vertriebenen genannt zu werden.“ Er zeigt das Ausmaß dieser Geschehnisse, indem er den zeitgenössischen deutschen Historiker Philipp Ther zitiert: „Vorsichtig geschätzt wurden seit dem Balkankrieg 1912/13 bis zum Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien zu Beginn der neunziger Jahre allein in Europa 50 Millionen Menschen ihrer Heimat beraubt ...“

Mit diesem Hintergrund gewinnen die Aufzeichnungen von Liselotte Pottetz, möchte man sagen, einen epischen Nachhall. Episch in universeller Erfahrung. Episch in persönlichem Anteil am Kosmos der Gefühle und Erinnerungen von Menschen, die zweimal ihrer Heimat beraubt worden sind, ihres einzigen, unwiederbringlichen Vaterlandes.

Wenn Prof. Lesiuk im letzten Satz feststellt, dass dieses Buch nicht nur Deutsche, sondern auch Polen lesen sollten, und dass es deshalb ins Polnische übersetzt und auf dem polnischen Buchmarkt präsentiert werden sollte, dann muss man hoffen, dass sich die verantwortlichen und einflussreichen Adressaten dieses Appells in Polen finden lassen.

Jan Goczol (Übersetzung aus dem Polnischen: Egbert Plisch)

 

Es muss wohl noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die größte Zahl von Opfern unter den Flüchtlingen hervorgerufen wurde durch die zweitägigen amerikanischen Flächenbombardements auf Dresden, das von Flüchtlingen überfüllt war. Diese sinnlosen, wenn auch absichtsvollen Bombardements fanden kurz vor Ende des Krieges statt.

Vorwort

„Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht?“ Diesen Worten von Goethes Mephisto stimme ich voll und ganz zu.

Trotzdem drängt es mich seit langem, über das wechselvolle Schicksal der Umsiedler, Vertriebenen und Flüchtlinge zu berichten.

„Es kann die Spur von meinen Erdetagen nicht in Äonen untergehen.“( Goethe)

Nicht, dass ich so vermessen wäre, mich auch nur annähernd mit dem unsterblichen Dichter vergleichen zu wollen. Es geht mir nicht nur um meine „Spuren“. Die umfassendste Völkerwanderung der Menschheitsgeschichte (14 Millionen), die im 20. Jahrhundert mit der Aussiedlung und Vertreibung der Deutschen aus Bessarabien, Ungarn, Pommern, Ostpreußen, Schlesien, Siebenbürgen, Galizien, aus dem Sudetenland, Banat ... stattgefunden hat, darf nicht vergessen werden.

„Wer die Geschichte vergisst, wird selbst vergessen sein.“

Kein historischer Abriss, kein Nachschlagewerk für geschichtliche Fakten sollen meine Zeilen werden. Ganz einfach möchte ich die Erzählungen von Menschen, die in die Mühlenräder dieser furchtbaren Ereignisse geraten sind, aufschreiben. Diesen Zeitzeugen, denen das Leben so übel mitgespielt hat, möchte ich zuhören. Und außerdem, gibt es in der heutigen schnelllebigen Zeit nicht viel mehr gute Redner oder Schwätzer als gute Zuhörer?

Ermutigt dazu, das jahrelang totgeschwiegene Tabu-Thema aufzugreifen, wurde ich nicht zuletzt durch den Dokumentarfilm „Die große Flucht“ von Prof. Knopp. Aber warum eigentlich „Tabu-Thema“? Wurde jemals der kleine Mann gefragt, wo die Landesgrenzen enden, ob er seine Heimat verlassen möchte, ob er in den Krieg ziehen will? Die Politik wird von den Regierenden gemacht, die ihre eigene Haut recht gut zu schützen wissen. Im Kessel von Stalingrad kamen Tausende Soldaten um, nicht einer der 12 Generäle. Gerade in der jetzigen Zeit frage ich mich oft, ob unsere Politiker den Afghanistan-Einsatz auch so befürworteten, müssten sie ihre eigenen Söhne voranschicken. Leicht fällt man ein Urteil, wenn es nur die anderen betrifft. Seit ich mich mit dem Thema der „Flucht und Vertreibung“ intensiv beschäftige, erschreckt mich, wie viele Betroffene es allein in meiner näheren Umgebung gibt. Dabei stoße ich bei meinen Gesprächen auf drei Gruppen von Erzählern:

1. Die noch wenigen überlebenden über Achtzigjährigen, welche die Flucht aktiv miterlebt haben, freuen sich, einen Zuhörer gefunden zu haben, schwelgen in ihrer Sehnsucht nach der Heimat, ohne konkrete Angaben machen zu können.

2. Bei den nach 1940 Geborenen fehlt das Erinnerungsvermögen aus dieser Zeit.

3. Eine Fundgrube für mich sind die 20er und 30er Jahrgänge. Wenn das Zitat aus dem „Faust“: „Denn es muss von Herzen gehen, was auf Herzen wirken soll“ stimmt, dann kann ich nur sagen, dass nichts erfunden ist, dass ich alle Erlebnisberichte mitgefühlt und nacherlebt habe. Beginnen möchte ich meine Aufzeichnungen mit meiner Geschichte, einer Generation, die ich in einem Brief an das Oberschulamt „Eine betrogene Generation“ genannt habe.

 

„Die Erinnerung und die Treue zur Heimat sind Ausdruck eines tief in der menschlichen Seele verankerten Wesenszuges, der zu allen Zeiten als eine Tugend gepriesen wurde.“

(1984 - Bundespräsident Prof. Karl Carstens)

Bessarabien - meine erste Heimat

Geografische Lage:

Zwischen Prut und Dnjestr oberhalb der Donaumündung - grenzt ans Schwarze Meer

Nach dem 2. Weltkrieg gibt es die Bezeichnung „Bessarabien“ nicht mehr. Die UdSSR hat Südbessarabien der Ukraine und den mittleren und nördlichen Teil Moldawien zugeordnet.

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_016_Bild_0001

Mein Großvater - der Idealist vom Schwarzmeerstrand - und meine Großeltern

Über meinen Großvater Jakob Schulz möchte ich schreiben, weil ich ihn außerordentlich achte und verehre, ja sogar bewundere. Was bewundere ich an ihm?

Dass er sich trotz seiner harten Kindheit aus eigenem Antrieb solch ein umfangreiches Wissen angeeignet hat ...

Dass er ein gutmütiger und kluger Mensch war, ein Idealist und Träumer, der seine Träume unter schwierigsten Bedingungen in die Tat umsetzte ...

Dass er ein Optimist war, der auch einer ausweglosen Situation eine positive Seite abgewann ...

Dass er seinen 14 Enkelkindern die Augen für die Schönheiten der Natur geöffnet, die Freude an Kunst und Literatur geweckt, die Achtung vor dem guten, ehrlichen, toleranten Menschen gepredigt hat ...

Am 11. November 1879 wurde er in Dennewitz geboren, verwaiste frühzeitig, seine Mutter war nach der Geburt des 2. Kindes im Wochenbett verblutet.

Bei seinem steinreichen Onkel G. Schulz, der sich als Kolonist große Verdienste erworben hatte, verlebte er eine schwere, entbehrungsreiche Kindheit. Schon als Zehnjähriger musste er beim Getreidedreschen bis zum Sonnenuntergang helfen. Am meisten schmerzte ihn, wenn er früh in den Stall musste, um das Vieh zu füttern und nicht in die Schule gehen durfte. Bewundernswert, wie er trotz miserabler Schulbildung bis ins hohe Alter Passagen aus Kants „Kritik der reinen Vernunft“ oder aus Goethe- und Schiller-Werken mit melodischer Stimme frei aus dem Gedächtnis vortrug. Schade, wir Jungen hätten viel mehr aus seinem reichen Wissens- und Erfahrungsschatz schöpfen können!

Wenig Zeit und Sinn für seine Reden und Rezitationen hatte auch unsere Großmutter. Wie sehr unterschieden sich doch die beiden!

Gegensätzlicher können Ehepartner nicht sein.

Unsere 1891 bei Odessa geborene Großmutter Lydia Schulz (geb. Bader) war also 12 Jahre jünger, praktisch veranlagt, ein mit beiden Beinen im Leben stehender realistischer Mensch.

Zu Vereinsabenden oder geselligen Begegnungen, wie sie im Dorf regelmäßig gepflegt wurden, ging sie meistens allein und wurde von Opa, der sich lieber mit Literatur und Musik beschäftigte, zu fortgeschrittener Stunde abgeholt.

Ihr Unbehagen darüber drückte sie mir gegenüber, die von einem älteren, belesenen Mann, von dem ich viel lernen kann, träumte, in der Warnung aus: „Heirate mal ja nicht so einen Alten!“

Großmutters Erzählungen entbehrten jeglicher Romantik, waren aus dem eigenen, bitteren Erleben gegriffen.

Die Tragweite ihrer Erlebnisse verstanden wir Kinder nicht, wunderten uns immer, warum sie so geheimnisvoll tat, nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählte. Sie befürchtete noch zu DDR-Zeiten eingesperrt zu werden, wenn wir das Gehörte weitertragen würden.

Woher rührte die Angst?

Von meiner Cousine Annemarie erfuhr ich erst vor wenigen Tagen, dass ihre Mutter, also meine Urgroßmutter, in einem Gefängnis, wo sie niemand mehr, nachdem es zu Russland gehörte, besuchen durfte, aus dem sie mit Zitrone beschriebene Zettel an die Angehörigen schmuggelte, einen qualvollen Tod gefunden hatte. Ihr Vater, ein Spieler und Trinker, hätte immer das Haus voller Gäste gehabt. Als aber sein Vermögen verspielt war, wollte ihn keiner mehr kennen. Der Jüngste von ihren elf Geschwistern wäre als Kind von einer Mauer gestürzt, hätte dadurch einen Gehirnschaden erlitten. Schrecklich soll er gebrüllt haben, wenn er ins Heim zurück musste.

Am meisten wühlte Großmutter auf, wenn sie von ihren beiden älteren Brüdern erzählte. Sie wären gebildete, fleißige junge Männer gewesen, die neben ihrem Lehrerberuf eine Bauernwirtschaft betrieben und es dadurch zu etwas Reichtum gebracht hätten. Als „Kulaken“ wurden sie nach Sibirien verschleppt.

Es wäre spätabends in der Dunkelheit gewesen, sie als Mädchen hätte sich hinter einen Baum versteckt und zitternd beobachtet, wie beide von den Gendarmen abgeführt wurden.

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_018_Bild_0001

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_018_Bild_0002

Brüder meiner Großmutter

 

Ja - unsere Großeltern - welch ein Gespann!

Großpapa saß mit seinen Gästen im Weinkeller und führte literarische Gespräche, während Großmama hinter den Hühnern herjagte, um sie in den Kochtopf zu bringen. Großpapa kennen wir als genügsamen, zufriedenen, optimistischen Menschen. Er lobte immer das, was gerade genügend vorhanden war. Zum Abendessen trank er Rotwein im Schnapsgläschen.

Nicht verstehen konnte er, dass mein Großvater väterlicherseits, Jakob Elhardt (25.6.1877 - 04.12.1950), nach seinem Ableben kein einziges Schriftstück hinterlassen hatte. Er wohnte mit Großmutter Christine (geb. Weißpfennig) in Gnölbzig, wo sich drei seiner Kinder, die jeweils nur einen Sprössling hatten, nach der Flucht aus dem Warthegau angesiedelt hatten und fruchtbares Saaleland bewirtschafteten. Was machte er sich ständig für Sorgen um seinen Sohn Emil, meinen Vater, der mit den fünf Kindern auf dem Berg wohnte! Er glaubte, wir müssten hungern und schleppte deshalb alles, wessen er habhaft werden konnte, mal war es Margarine, mal Fische von Saale-Schiffern ..., zu uns heran. Die Tasche hängte er an den Krückstock und marschierte zügig den Berg hinauf. Ich erinnere mich, wie er beim Schweineschlachten das Reinigen der Därme mit einem geschnitzten Holzstab trotz seines rechten steifen Zeigefingers sorgfältig ausführte. Im Krankenhaus in Könnern, wo er wegen Altersbrand in den Beinen lag, besuchten meine Schwester Edith und ich ihn regelmäßig. Allerdings war mein Besuch für ihn wenig erbauend. Schon wenn ich die Treppenstufen hinaufging, kämpfte ich mit den Tränen, erstickte mir die Stimme. Wieder wollte uns Opa etwas Gutes zukommen lassen und schmierte uns Schnitten dick mit gelber Butter, die ich mit Widerwillen runterwürgte. Als er kurz vor Weihnachten 1950 starb, brach für mich und meine Geschwister eine Welt zusammen. Wir lagen im Bett und weinten bitterlich. Großmama Christine (30.04.1878 - 14.04.1969) überlebte ihn um 19 Jahre. Sie war eine ruhige, bescheidene Frau. Wenn man sie besuchte, fand man das geräumige, nur mit den notwendigsten Möbeln ausgestattete Zimmer, in dem eins der großen Fenster wegen der Wetterseite stets verschlossen war, peinlichst sauber vor. Eine große Politikerin war sie nicht, aber etwas muss von der Hitler-Ideologie an ihr hängen geblieben sein, wenn sie von der „gelben Gefahr“ schwatzte. Den Ausspruch „Nobel muss die Welt zugrunde gehen“ gebrauchte sie häufig. Mit 91 Jahren hätte sie lange nicht sterben können, weil ihr Herz so gesund gewesen wäre.

Mein Großvater - der Gründer vom Bad Burnas

(Aus seiner Chronik vom Bad Burnas)

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_020_Bild_0002

Mein Großvater Jakob Schulz (1879-1965)

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_020_Bild_0001

Meine Großmutter Lydia Schulz (geb. Bader): 1891-1963

 

Erste Planungen für ein Schwarzmeerbad

Der erste Gedanke, in Burnas am Meer einen Kurort zu erbauen, stammte vom Kapitän Schumljansky des Schiffes „Bulgaria“, das der russischen Donau-Schifffahrts-Gesellschaft gehörte. Es verkehrte zweimal in der Woche zwischen Odessa und Galatz und verlud vom Frühjahr bis Oktober Salz auf Segelschiffe. Eines Tages stieg dieser Kapitän auf die hohen Uferdünen und war ganz verzückt von dem herrlichen Anblick, den ihm das weite Meer bot. Die Fischer erklärten ihm, das Land gehöre den Bauern von Basyrjamka, das etwa sieben Kilometer nördlich vom Strand lag. Beim Aufsuchen des Dorfes überraschte ihn der Reichtum der Bauern. In einer glühenden Ansprache begeisterte er die Gemeinde für das Anlegen eines Kurortes mit Park, Villen, Sanatorien, mit dem Passagierschiff „Bulgaria“ eintreffenden Erholungsuchenden, für den Bau eines Hafens zum Verladen von Getreide. Um die notwendigen Formalitäten wollte er sich selbst kümmern. Nach der Versammlung besichtigte Herr Schumljansky nochmals das neue Haus meines Großvaters und wunderte sich darüber, dass ihm in seiner Ziegelei das Brennen von schwarzen, roten, grauen und weißen Ziegeln gelungen war. Beim Abschied gab er ihm die Hand und wünschte ihm, seiner Idee treu zu bleiben, am Meer aus gebrannten farbigen Ziegeln Villen entstehen zu lassen.

Dank des Durchsetzungsvermögens und der Energie des Kapitäns konnte schon nach einem Jahr, nämlich 1909, am Meeresufer mit dem Vermessen begonnen und am 1. Oktober unter großem Jubel die Brücke und ein Getreidemagazin eingeweiht werden. Leider musste die Gemeinde bald nach der Einweihung ein großes Unglück erleben. Nach Oktober brach ein orkanartiger Oststurm aus, sodass die haushohen Wellen die am toten Anker befestigte Barsche losrissen und auf die Sandbank trieben. Ein Matrose kam dabei ums Leben. Die anderen Matrosen, die sich an die Masten geklammert hatten, waren in der kalten Nacht fast erfroren, bevor man sie retten konnte. Ein Menschenleben, die teure Barsche, das geladene Getreide ... waren schwere Verluste für die Schwarzmeer-Schifffahrts-Gesellschaft und die russische Bank. Den Kapitän machte man für die Katastrophe verantwortlich. In den folgenden Jahren, bis zum ersten Weltkrieg, herrschte im Bad Burnas reges Treiben. Vier Villen entstanden. Im Oktober 1914 gab der Gouverneur aus Kischinjew den Befehl, sofort die Brücke wegzureißen. Die deutschen Kolonisten selbst mussten das Zerstörungswerk vollbringen. In den Kriegsjahren verschwanden auch die vier Villen und die Pflüge wälzten ihre Furchen wie einst bis an den Meeresstrand.

Burnas - Aufstieg zum Heil- und Kurbad am Schwarzen Meer

Der zweite Anlauf, in Burnas einen Badeort entstehen zu lassen, wurde 1921 auf einer Volksratssitzung in Tarutino unternommen. Man sprach von der Notwendigkeit eines Hospitalbaus in Teplitz, weil das Sanatorium in Sarata und das Arziser Armenhaus nicht mehr ausreichen würden. Herr Becker, der Vertreter aus Basyrjamka, unterbreitete:

„Heute, nach diesen schweren Kriegsjahren, sind alle Arzneimittel sehr teuer. Der arme Mensch ist kaum in der Lage, sie zu kaufen. Viele wurden im Kriege verletzt und leiden noch an den Wunden. Sie würden Erholung am sonnigen Schwarzmeerstrand finden. Außerdem sind in Bessarabien viele Rheumaleidende und da ist der Schlamm des Liman (Salzsee mit heilkräftigem Moor) gerade das beste Heilmittel.“ Das geplante Vorhaben verlief aus finanziellen Gründen im Sande. Mein Großvater, der gewählte Gemeindevertreter des Ortes, bedauerte das Nichtzustandekommen des Kurortbaus von kommunaler Seite her. „Meiner Ansicht nach wäre das Geld am Meer besser angelegt, denn man muss ja auch mal einen Erholungsort für gesunde, arbeitende Menschen errichten, damit deren verstaubte Seele wieder genese und neue Schwungkraft in die erlahmten Flügel zurückkehre und die Arbeitsfreude neu vermehre und Lebensfreude anstelle kranker Müdigkeit trete.

Als ich im Militärdienst (russisch-japanischer Krieg 1904/05) im Orchester die klingenden Wiener Walzer und Weisen, die Wander- und Heimatlieder spielen musste, dachte ich immer an unsere bessarabische Jugend. Es stimmte mich oft traurig, dass all das Schöne, das deutsche Dichter und Komponisten geschaffen haben, uns in keiner Weise dargeboten wurde. Ich dachte an unseren Meeresstrand, an dem die Jugend nach der schweren Arbeit das deutsche Kulturerbe pflegen könnte ... Als Soldat in der Mandschurei habe ich so viel Not und Elend gesehen, dass ich mir oft die Bibelworte sagte: ‚Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst und ein Menschenkind, daß du dich seiner annimmst?‘ Wenn der chinesische Karren, der mit sechs bis sieben Pferden bespannt war, auf dem die Särge der toten Soldaten aufgeschichtet waren, in die großen Schlaglöcher fuhr, fielen die Särge in den Dreck. Dabei fluchten die Chinesen bis auf den Friedhof, wo die Toten in Massengräbern verscharrt wurden. Nach solchen furchtbaren Erlebnissen vergrub ich mich abends in Bücher und fand z.B. Trost in Schillers 'Wallenstein'.“

Weil er vom Bau seiner Villa so besessen war, bemühte er sich privat um eine Baugenehmigung, was ihm gelang. Mit dem Geld, das er durch den Verkauf der von ihm seit 1913 betriebenen Dampfmühle erhielt, legte er im September 1922 den Grundstein für seine Villa im Bad Burnas. Als im Juni 1923 der Abgeordnete Mutschler und einige Herren aus Basyrjamka den Bauplatz besichtigten, waren sie erstaunt, nur einen Arbeiter zu sehen. Er zitierte die Goetheworte: „Und dem unbedingten Triebe folget Freude, folget Rat, und dein Streben sei's in Liebe und dein Leben sei die Tat. Tu im Leben nichts verschieben, sei dein Leben Tat um Tat.“ Weiter schrieb er in seiner Chronik: „Während der Bauzeit hatte ich viel Freude, weil mein ersehnter Wunsch in Erfüllung ging. Aber auch Leid hatte ich zu tragen. Man lachte und spottete. Es gibt Menschen, die nur das Böse im Menschen sehen wollen und sich selber immer besser dünken als andere. Ich hatte manchen schweren Kampf durchzustehen. Nur aufgrund meiner festen Überzeugung, dass ich das Gute will, überstand ich diese schwere Zeit ...

Ende November setzte das Schneegestöber ein und erst im März 1925 begann die Arbeit wieder mit vollem Schwung. Es war eine Plagerei, weit entfernt von der Stadt, ringsum Steppe. Man rechnete, der Bau würde 2 Millionen Lei kosten, da aber das Material aus den umliegenden Orten herbeigeholt werden musste, kam man auf 4 Millionen Baukosten. Nur weil sich Aktionäre fanden, konnte der Bau vollendet werden. Ende Juni 1926 wurde Bad Burnas eingeweiht.“

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_023_Bild_0001

Die Villa von Jakob Schulz ca. 1928

Bad Burnas

Die Kopie einer alten Zeitschrift „Die Jugend“ beinhaltet Folgendes:

„Wer von Basyrjamka dem Meere zufährt, sieht nach einer Strecke auf einmal am Meeresufer viel Grünes, durch das hie und da rote Villendächer hervorlugen: Bad - Burnas. Das Ganze bietet, wenn man es zum ersten Mal sieht, einen ungewohnten Anblick und hebt sich einladend von der sonst baumlosen Steppe ab. ,Wie eine Oase in der Wüste‘ bezeichnete es mir ein Kamerad aus Siebenbürgen, als wir nach einem heißen Sommertag gegen Abend Burnas zu radelten. Er hatte recht. Wenn man nach heißen, trockenen und staubigen Sommertagen, wie sie bei uns gewöhnlich sind, nach Burnas kommt, so genießt man dieselbe Erholung wie ein Wüstenwanderer in einer Oase ...

Wo heute gerade, gut gehende Straßen die Reihen hübscher, formverschiedener Villen durchlaufen, wo üppige Bäume, schöne Blumenbeete nebst vielen wilden Reben dem Ort einen malerischen Anstrich geben, wogten noch vor einem Jahrzehnte goldene Ährenfelder. Es war im Jahre 1924, als der Basyrjamker Bewohner Jakob Schulz am Meer eine Villa baute.

Von seinen Freunden und Nachbarn wurde das als ein schrulliger Einfall angesehen. Nach und nach zeigte man aber diesem schönen Fleckchen Erde immer mehr Interesse. So fand sich dann eine Aktiengesellschaft, die eine Badeanstalt errichtete. Bald folgte eine Villa der anderen und der junge Badeort nahm einen ungeahnten Aufschwung. Die Badegästezahl stieg und steigt von Jahr zu Jahr und Burnas wurde ein vielbesuchter, moderner Badeort. Die schlechten Jahre haben Burnas in seiner Entwicklung gehemmt, doch wir glauben, dass es alles überstehen und sich zu dem entfalten wird, als was wir es haben wollen:

Unser deutsches Bad am Schwarzen Meer.“

Aufruf an deutsche Studenten

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_025_Bild_0001

„Im August 1923, an einem schönen Sonntag, kam ein Gefährt mit etwa 12 Personen. Studenten und Studentinnen aus Deutschland hielten mit fröhlichem Gesang auf meinem Hof. Nachdem sie sich nach dem Erbauer der Villa erkundigt hatten, sangen sie für mich ein fröhliches Lied. Ein Student gratulierte mir und bedankte sich, dass die Reisenden in Zukunft hier Unterkunft und Verpflegung finden könnten. Er sprach die Hoffnung aus, dass sich noch mehrere meinem Beispiel anschließen mögen. Ich sagte ihm, mit der Zeit könne es werden. Darauf dankte ich allen für das Lied und die anerkennenden Worte.

Seither sind schon viele Studenten an das Meer nach Burnas gekommen: aus Tirol, vom Rhein, aus Schlesien, aus Böhmen und Mähren, aus Wien und vielen anderen Orten.“

Meine Mutter erzählte sogar, der rumänische König wäre im Kurbad Burnas gewesen. Das kann nur Karl der Zweite, einer der letzten Hohenzollern-Könige gewesen sein, dessen Sohn Michael erst 1947 aus Rumänien vertrieben wurde und noch heute in der Schweiz lebt. Durch meine Cousine Gudrun wurde ich auf das Buch „Wölfe heulen durch die Nacht. Die Bessarabien-Story“ von Gerlinde Göhringer aufmerksam gemacht. Inzwischen haben wir beide uns per Telefon bekannt gemacht und dabei festgestellt, dass wir Cousinen 3. Grades sind. Sie hat das große Glück, noch geistig rege Eltern zu haben, von deren Erzählungen sie viel Wissenswertes schöpfen kann. Ihre wie mein Großvater in Dennewitz geborene Mutter verbrachte des Öfteren den Sommerurlaub mit der Familie im Bad Burnas. Hochinteressant für mich zu lesen, was die Autorin in ihrem im Jahre 2000 veröffentlichten Buch schreibt:

„Siona machte eine Reise und fuhr mit dem Zug von Arzis bis Basyrjamka am Schwarzen Meer, wo ihr Vetter Jakob Schulz eine wunderschöne Villa besaß. Als erster hatte er sich auf dem Fleckchen Land dort angesiedelt. Das bewies seinen Mut. In seiner Villa hatte er ‚Auerbachs Keller‘ eingerichtet.

Bei ihm trafen sich viele Besucher aus Deutschland, die hier am Schwarzen Meer ihren Urlaub verbrachten. Die Gäste kamen nicht nur wegen des guten Tropfen Weins, sondern wegen des Gastherrn selbst. Er war ein unterhaltsamer Mann, der seinen Gästen ganze Kapitel aus Goethes ‚Faust‘ aufsagen konnte. In seinem ausgezeichneten Gedächtnis verwahrte er alle Dichtkunst, die er je gelesen hatte und konnte sie zu gegebener Zeit abrufen. Der Stuttgarter Gymnasialprofessor Dr. Hermann Maurer, einer seiner zahlreichen Gäste, bezeichnete ihn als ‚Wunder und Phänomen.‘...

Es wurde noch ein letzter gemütlicher Abend in ‚Auerbachs Keller‘.

Am nächsten Morgen packten Jakob und seine Frau Lydia Brote, Wurst, Käse, Gurken und Oliven ein, dazu eine Flasche Wein, Wasser und Milch. Der Knecht lud für die beiden Pferde Heu und Korn auf. ‚Kommt bald wieder!‘ ‚Danke für eure Gastfreundschaft.‘

Die Verabschiedung war herzlich...“

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_026_Bild_0001

Das Sanatorium von Kischmeer

„Auerbachs Keller“ im Bad Burnas

Von Helga S., die das große Glück hat, ihre Mutti, eine „echte“ Bessaraberin aus Schabo, noch befragen zu können, erhielt ich den „Heimatkalender der Bessarabiendeutschen 1966“. In ihm fand ich zwei ausführliche Artikel, die mir viel Neues und Wissenswertes über Bad Burnas und meinen Großvater vermittelten. Aus „Bad - Burnas 1925 bis 1965“ von Edgar Schempp (Zum 40-jährigen Bestehen des bessarabiendeutschen Kurortes):

„Zwischen den steilen Ufern des Schwarzen Meeres und des Tuslaer Limans (,Liman‘ zu deutsch ,Haff‘) liegt die etwa eineinhalb Kilometer breite Landzunge ,Burnas’ auf der Basyrjamker Gemarkung im Süden Bessarabiens. Dieses schöne und sonnige Fleckchen Erde unserer ehemaligen Heimat war durch seine Lage wie geschaffen für einen Kurort, da es durch seinen kilometerlangen Sandstrand vielen Tausenden Gelegenheit zu Sonnen- und erfrischenden Bädern im Meer bot, daneben aber mit dem Heilschlamm des Limans auch Leidenden Heilung zu bringen vermochte. (Kohlensäure Bäder und Schlamm- und Moorwannenbäder zur Heilung von Ischias, Rachitis, Rheuma, Lähmungen, Haut -und Knochenleiden und anderer Krankheiten) So konnte in den zwanziger Jahren hier eine unserer bedeutendsten Kulturleistungen entstehen: der Kurort Bad Burnas … Dass unser Badeort immer mehr an Bedeutung über die Grenzen Bessarabiens hinaus gewann, ist beherzten Männern wie Jakob Schulz zu verdanken. Dieser Bauer aus Basyrjamka ist der eigentliche Gründer des Badeortes ... Schon in den Jahren 1922 und 1923 errichtete Schulz die erste Villa, in der er später den ‚Auerbachs Keller’ einrichtete. Es gehörten viel Mut und Selbstvertrauen dazu, auf eigenes Risiko auf freier Steppe am Meeresstrand, etwa fünf Kilometer vom Dorf entfernt, ganz allein ein Haus zu bauen, in banger Hoffnung, ob jemand seinem Beispiel folgen würde ... Trotz schwierigster Bedingungen (Herbeischaffen der Baumaterialien aus weit entfernten Orten - schlechte Wegeverhältnisse - Missernte 1924 - Geldknappheit) konnte im Juni 1925 (Abweichung: Opa schrieb 1926.) mit einem groß angelegten Volksfest der Kurort eingeweiht werden. Nun begann man auch von privater Seite mit einer regen Bautätigkeit und zahlreiche Villen - eine schöner und größer als die andere - wurden erstellt, sodass das Villendörfchen schnell die anfangs geschilderte Größe erreichte. Bad Burnas konnte also schon bald nahezu tausend Kurgäste gleichzeitig aufnehmen und so fanden jeden Sommer mehrere tausend Menschen Heilung, Genesung und Erholung in unserem deutsch-bessarabischen Kurort ... Die selbstlosen Handlungen der Brüder Emil und Otto Schulz, die in Rat und Tat und erheblichen Geldzuwendungen bestanden, trugen wesentlich zum Gelingen bei. So errichteten sie zum Beispiel aus eigenen Mitteln ein Elektrizitätswerk, das nicht nur für die Villen und Straßen das Licht spendete, sondern dessen Strom auch zu Heilverfahren in der Kuranstalt dankbare Verwendung fand ... Es kamen auch Heilung- und Erholungsuchende aus Siebenbürgen, dem Banat, allen Landesteilen Rumäniens, ja auch Fremde aus den Nachbarländern und unserem Mutterland Deutschland. Wer das Bad kennengelernt hatte, kam immer wieder. In dem stillen, gepflegten Badeort, dessen Gaststätten, Pensionen und Fremdenheime recht gute und vor allem preiswerte Kost boten, dessen tadellos sauberer Sandstrand zu jeder Tageszeit zum Verweilen und Baden einlud, fühlte man sich wohl und geborgen. Auch sein äußeres Bild strahlte eine besondere Anziehungskraft aus mit den gut und sauber ausgestatteten Villen, die alle von schönen, reich blühenden Blumengärten umgeben waren, und den großzügig angelegten Promenaden mit ihrem reichen, satten Grün der Sträucher und Schatten spendenden Bäumen, die zum Ruhen und Rasten einluden. Nicht zuletzt waren es aber die Heilbäder, die viele Leidende anzogen und ihnen Heilung brachten. Dass daneben auch für alle anderen Besucher ein großer Trog mit Heilschlamm zur gefälligen Selbstbedienung bereit stand, sei nur am Rande erwähnt. Bad Burnas ist damit ein Kulturdenkmal unserer fleißigen Landsleute, denen es an Mut und Willenskraft niemals fehlte und die nicht aufgaben, wenn sich der Erfolg nicht sofort einstellte. Auch in ferner Zukunft sollten die Nachkommen sich daran erinnern.“

Der Artikel „Wie Goethe nach Bessarabien kam“ ist eine wunderschöne Laudatio für meinen Großvater: „Im vergangenen Jahr (1965) ist ein Mann von uns gegangen, der weit über die Grenzen Bessarabiens hinaus bekannt war. Dabei war er keine hochgestellte Persönlichkeit, kein ,Studierter’, sondern ein einfacher deutsch-bessarabischer Bauer. Wer aber ein einziges Mal in seinem ‚Auerbachs Keller’ in Bad Burnas bei besten bessarabischen Weinen dem Goethe rezitierenden Jakob Schulz begegnen durfte, vergaß diesen einmaligen Menschen nicht wieder. Wir glauben es seinem Andenken schuldig zu sein, ein unter obiger Überschrift im September 1943 von einem uns leider unbekannten Verfasser im ,Gostinger Heimatbrief’ (damals Warthegau) veröffentlichtes Lebensbild in den Spalten unseres Heimatkalenders nachzudrucken.“ (Richard Baumgärtner) Aus diesem Artikel habe ich erfahren, dass Großpapa den Weinkeller außerhalb der Villa gebaut hatte: „Unterdessen baute er drei bis vier Meter von seiner Villa entfernt einen Keller aus. Keinen Keller, in dem Holz, Kartoffeln und Kohlen gelagert werden sollten. Beileibe nicht, hier ging es um viel Großartigeres. Er sollte ein Sammelpunkt aller Deutschgesinnten um den Dichter Goethe werden: ein zweiter ,Auerbachs Keller’. Und siehe da, nach unendlichen Mühen und Plagen, nach Enttäuschungen, viel Spott und spitzen Redensarten gelang es! Aus Stuttgart, der geistigen Zentrale der Auslandsdeutschen, kamen Professoren und Studenten. Aus Wien reisten begeisterte junge Menschen an, und im ‚Auerbachs Keller’, der aus Liebe und Verehrung errichtet worden war, saßen sie zusammen bei guten Weinen, gutem Essen, waren kreuzfidel, sangen und erzählten von der großen deutschen Heimat. Jakob Schulz war nicht mehr das verlachte Bäuerle, sondern der Held. Er war der Begründer des neuen deutschen Badeortes in Bessarabien, der einen internationalen Ruf erlangte.“

PS: In einer folgenden Reisebeschreibung werden Sie, lieber Leser, erfahren, was aus diesem einstmals so herrlichen gepflegten Kurbad in der heutigen Zeit geworden ist.

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_029_Bild_0001

Opa (Mitte) in seinem „AuerbachsKeller" mit Gästen

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_030_Bild_0001

Der Schwarzmeerstrand
Foto von Alma Schmidt (geb. Schulz)

Ida und Albert Bauer vor ihrem Kolonialwarengeschäft

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_031_Bild_0001

Auf dem Bild sehen wir Onkel Albert und Tante Ida, die Schwester meines Vaters, vor ihrem Kolonialwarengeschäft. Das Gebäude in Burnas hatten sie gepachtet und verkauften sämtliche Dinge des täglichen Bedarfs in den Sommermonaten, während ihr Laden im Dorf Basyrjamka ganzjährig betrieben wurde.

Ja, aus Bad Burnas wäre ein blühendes, wunderschönes Heil- und Kurbad geworden, wenn nicht der Krieg und die Umsiedlung 1940 alle Träume zerstört hätten.

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_031_Bild_0002

Ihre Tochter Hedi aus Gnölbzig hat mir dieses schöne Foto geschickt. (rechts Tante Ida)

Erinnerungen meiner Mutter an ihre Kindheit in Schabo

(Aufgeschrieben von Tochter Helga)

Lange hat es gedauert, bis ich meine Mutter davon überzeugen konnte, ihre Gedanken, die so tief mit der Heimat verwurzelt sind, aufschreiben zu dürfen:

(Fischsuppe)(einen hohen Hefekuchen)

Schabo und Mannsburg werden für mich immer die Orte mit den sehnlichsten Erinnerungen bleiben. Hier erlebte ich eine unbekümmerte Kindheit und eine interessante Jugendzeit, hier fühlte ich mich geborgen und behütet. Noch viele Jahre nach der Umsiedlung litt ich an der Sehnsucht und am Heimweh nach diesem wunderschönen Fleckchen Erde. Ich sehnte mich nach dem Meer, dem Strahlen der Sonne, dem Wellenrauschen und vergoss so manche Träne.

Heute weiß ich nicht, wohin ich gehöre.“

Vor wenigen Wochen luden uns die Töchter Helga und Edith nach Leipzig ein, um auch die Mutti kennenzulernen. Wir schenkten ihr eine Flasche Rotwein aus Schabo, einen kleinen Gruß aus der Heimat. Selten habe ich einen Menschen erlebt, der sich so über eine Kleinigkeit freuen kann. Die Begegnung mit dieser warmherzigen, geistig regen, neunundachtzigjährigen Bessarabierin hat mich sehr berührt und wird mir unvergesslich bleiben.

Welcher Heimat gehört unser Herz_Seite_034_Bild_0001

Weinlese in Schabo