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Liselotte Pottetz

Lasst uns ihrer gedenken!

Schicksale von Opfern des Zweiten Weltkrieges in Briefen und Erinnerungen von Zeitzeugen

ISBN 978-3-95655-356-1 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 2004 im Verlag Studio „mirwal ART“, Walbrzych.

 

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Anstelle eines Vorwortes

Die Leser meines Buches "Welcher Heimat gehört unser Herz?"

Gestern fuhren wir zum Einkaufsbummel ins Paunsdorf-Center. Beim Frühstück hatte ich die fixe Idee, einige meiner Bücher mitzunehmen, um sie in einer Buchhandlung zum Verkauf anzubieten. Gleich am Eingang des ersten Ladens prangte in großen Lettern die Bestsellerliste. Die hochinteressanten literarischen Ergüsse unserer "Prominenten", derer es zurzeit erschreckend viele gibt, lagen gestapelt auf einem Wühltisch. Da kann man nur staunen, was für "Wahrheiten" plötzlich das Tageslicht erblicken. Die flächendeckende, groß angelegte Werbung der Medien hat ihre Wirkung nicht verfehlt ! Sich mit diesen "besten Deutschen" zu vergleichen, hieße ja, den Kampf als Ameise mit einem Elefanten aufzunehmen.

Als ich mich nach meinem Mann mit den Büchern umschaute, hatte er schon den Rückwärtsgang eingelegt: "Nein, hier passen sie nicht her!" Mit meinem Buch habe ich einen neuen Lebensinhalt gefunden. Nur durch Mund-zu-Mund-Reklame, mitunter auf seltsamen Umwegen, ist es in allen Himmelsrichtungen gelandet. Täglich erreichen mich Briefe mit anerkennenden Worten, Telefonanrufe, neuerdings auch E-Mails, besuchen mich nette Menschen, die mir ihre Lebensgeschichte erzählen, erhalte ich Zusendungen mit wertvollem historischem Material aus dem 2.Weltkrieg. Zu vielen meiner Leser besteht ein enger, herzlicher Kontakt.

Besonders freut mich, dass ich auch junge Menschen für mein Buch begeistern kann. Nicht nur ehemalige Schüler!

Stolz macht mich, dass es einen Völker verbindenden Charakter trägt. Bogus, mein polnischer Verleger aus Opole, teilte mir telefonisch mit, in Warschau und Breslau wären wunderschöne Rezensionen zu meinem Buch erschienen.

Meine Vision

Eigentlich könnte ich mich nach diesem Erfolg zurücklehnen, nach Lust und Laune den Tag gestalten und mich nicht stundenlang am Computer mit der neuen Technik herumplagen. Aber so bin ich nun mal. Ich trage mein Herz auf der Zunge und verrate Ihnen jetzt meine Vision.

Unser historisches Mügeln könnte ein idyllisches Städtchen sein. Wenn, ja wenn ... es nicht im Dornröschenschlaf versinken würde und viele Gebäude nicht dem Verfall preisgegeben wären.

Die Jugendlichen haben hier so gut wie keine Perspektive, gehen nach "drüben", um eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz zu finden. "Wenn ich einmal reich wär', ..." setzte ich mich dafür ein, dass aus dem im 12. Jahrhundert erbauten Schloss "Ruhethal”, dem ehemaligen Sitz der Meißener Bischöfe, das zu DDR-Zeiten die Lehrlinge des Volkseigenen Gutes beherbergte, ein Internat für ausländische Schüler und Studenten, welche ihre Deutschkenntnisse vervollkommnen wollen, errichtet würde.

Die Intensivkurse für Deutsch könnten in der nur wenige Meter davon entfernten, aufs modernste renovierten Goetheschule stattfinden.

An Räumlichkeiten und Lehrkräften mangelte es nicht.

Das Erlernen der deutschen Sprache könnte man mit dem Bekanntmachen der Geschichte Sachsens und dem Besuch der einmaligen Gedenkstätten verbinden.

Exkursionen nach Dresden, Meißen, Leipzig, Oschatz, ... böten sich an. In ferner Zukunft ließe sich ein Reiterhof realisieren. Genug geträumt!

 

Tatsache ist: Unsere jungen Menschen lieben ihre Heimat. Wie lange wird die Einwohnerzahl rückläufig sein?

Ich werde mich jetzt der Mühe unterziehen und das wertvolle historische Material aus dem 2.Weltkrieg (Dokumente, Briefe, Zeitzeugenberichte, Fotos, Zeichnungen ...), das mir die Leser meines Buches zur Verfügung gestellt haben, für Sie sammeln und aufschreiben.

Wer aufmerksam liest, wird begreifen, dass auch Millionen Deutsche unschuldige Opfer des barbarischen Krieges wurden.

Die nachkommenden Generationen dürfen nicht ewig die Last eines "Tätervolkes" tragen müssen.

"Geschichte ist nicht das Geschehene, sondern das von dem Geschehenen Überlieferte."

Von wem dieser Ausspruch stammt, wusste der ehemalige Pfarrer aus Breslau, Herr Lischke, jetzt wohnhaft in Zerbst, der mir als Leser meines Buches herzlich verbunden ist, nicht mehr. In ihm steckt viel Wahrheit.

Herr Pfarrer Dr. A. H. schrieb in einem gut durchdachten, für mich erfreulichen Brief u.a.: "Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen und finde es höchst beachtenswert, dass Sie dieses Thema öffentlich machen. Es gibt mittlerweile zwar reichlich wissenschaftliche Literatur über diese Ereignisse, aber für viele Menschen, die keine historischen Fachbücher lesen, ist eine solche Veröffentlichung wichtig ....

Beachtlich ist Ihr Versuch, einen Überblick über Vertriebenenschicksale aus ganz Osteuropa zu geben, auch wenn das in dieser Kürze etwas fragmentarisch bleibt ....

Ich würde dem Buch wünschen, dass es von Schulkindern im Geschichtsunterricht gelesen wird - oder von Konfirmanden im Konfirmationsunterricht ..."

 

Verblüffend, wie haargenau Herr Dr. A. H. mein Anliegen durchschaut hat. Auch mein zweites Buch "Lasst uns ihrer gedenken!", mit dem ich aus Anlass der 60. Wiederkehr des "Tages der Befreiung vom Hitlerfaschismus" (8. Mai 2005) die 55 Millionen Toten ehren will, kann nur ein kleiner "fragmentarischer Versuch" sein.

Wieder werde ich in keinen Archiven grasen oder historische Schriften wälzen.

Winzige "teure" Andenken, mal ein Foto, mal eine Zeichnung, mal ein Feldpostbrief ..., die den Angehörigen von ihren Lieben übrig geblieben sind, sollen uns einen Einblick geben, was Menschen, die ihr Leben in diesem schrecklichen Krieg opfern mussten, durchlebt, gedacht und gefühlt haben.

 

Mit der Sammlung "Briefe aus dem Krieg" möchte ich beginnen.

Es bedurfte großer Überredungskunst meinerseits, bis Herr Hans-Ludwig Weidlich, der Erzähler der Geschichte "Breslau - die Stadt meiner Kindheit", bereit war, die Briefe seiner geliebten vermissten oder gefallenen Familienangehörigen zur Veröffentlichung bereitzustellen.

Beim Lesen empfand ich sie dermaßen nachhaltig beeindruckend und aufschlussreich, dass ich sie unbedingt der Nachwelt erhalten wollte.

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Goetheschule Mügeln

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Schloss ”Ruhethal”

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Briefe aus dem Krieg

(Aufgearbeitet von Hans-Ludwig Weidlich)

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Hans-Ludwig Weidlich

 

Die Familie Weidlich, die in Breslau ein anspruchsloses, zufriedenes, glückliches Leben führte, verlor durch den Krieg den geliebten Sohn Günter, den liebenswerten Verlobten von Dorle, den treu sorgenden Vater.

Herr Hans-Ludwig Weidlich arbeitete gemeinsam mit seinem inzwischen auch verstorbenen Bruder Joachim in mühevoller Kleinarbeit die Briefe seiner Angehörigen auf. Oft wurden diese unter miserablen Bedingungen geschrieben, mal auf einem Kochgeschirr bei Kerzenlicht im Schützengraben, mal trotz totaler Erschöpfung in einer Feuerpause, mal auf einem Briefumschlag mit Bleistift schnell gekritzelt. Ein Lebenszeichen nur, um den Lieben gedanklich verbunden zu sein.

Ich freue mich darüber, dass mir Herr Weidlich gestattet hat, dieses wertvolle Material, das einen tiefen, wahren Einblick in das Kriegsgeschehen vermittelt, zu veröffentlichen.

Nun lasse ich ihn selbst zu Wort kommen:

"Lange habe ich überlegt, ob es sinnvoll ist, diese Briefe herauszugeben. Briefe, deren Absender vor 60 Jahren gewaltsam aus dem Kreis der Lebenden vertrieben wurden und deren Empfänger, die diese Briefe seinerzeit voller Sehnsucht erwarteten, mit klopfendem Herzen öffneten und mit Tränen in den Augen lasen, heute auch nicht mehr unter uns leben.

Die Zeit ging über sie hinweg, bis wir sie eines Tages neu entdeckten.

So las ich voller Neugier Brief um Brief, studierte anhand der Daten den historischen Zusammenhang. Dabei durchlebte ich alle Gefühle unmittelbarer Anteilnahme am Schicksal unserer Kriegstoten so intensiv, als müsste ich nun auf den nächsten Brief warten, um zu erfahren, wie sich die Dinge an den Fronten des 2. Weltkrieges und das Leben der Betroffenen gestalten werden.

Die Erinnerung an die Opfer des Krieges, ihre Signale an uns bis zu ihrem gewaltsamen Tod, sollte für uns Anregung zur persönlichen und geschichtlichen Aufarbeitung eines Teils unserer Vergangenheit sein.

Wir sollten nicht vergessen, die Schreiber dieser Briefe waren unsere nächsten Angehörigen, Menschen aus Fleisch und Blut, deren Liebe, Hoffnung und Sehnsucht im Inferno des Zweiten Weltkrieges urplötzlich im Nichts zerschellten. Warum? Wofür?

Wir sollten ihr Andenken und ihr tragisches Schicksal für immer bewahren.”

Familie Weidlich

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Mutter Agnes Weidlich

 

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Vater Paul Weidlich, gefallen 12.04.1945 in Breslau

 

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Sohn Bernhard Weidlich

 

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Sohn Hans-Ludwig Weidlich

 

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Sohn Günter Weidlich: vermisst seit 10.02.1945 in Marienberg/Ostpreußen

 

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Sohn Joachim Weidlich

 

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Verlobter von Dorle: Richard Hohaus, gefallen 27.06.1944 in der Normandie

 

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Tochter Dorothea Weidlich (”Dorle”)

Briefe unseres Bruders Günter Weidlich

Günter Weidlich

Geboren am 18.12.1927 in Breslau/Schlesien, vermisst ab 10.02.1945 in Marienburg/Ostpreußen

"Diese einzige Aufnahme von Günter, die von einem Passfoto vergrößert wurde, stammt aus dem Jahre 1943. Er ist also 16 Jahre alt. Anfang September 1944 wurde Günter, erst 17-jährig, als Panzergrenadier zur deutschen Wehrmacht gemustert und war zu diesem Zeitpunkt, wahrscheinlich in einem Lager des Reichsarbeitsdienstes (RAD), bereits eingezogen.

Aus den uns zur Verfügung stehenden 16 Briefen von Günters "Soldatenzeit", die an unsere Schwester Dorle, zu der er ein inniges Verhältnis hatte, und an die Eltern gerichtet sind, haben wir uns den fünfmonatigen Ablauf seines letzten Lebensabschnittes erschlossen. Aus ihnen wissen wir, dass Günters "militärische Laufbahn" in Groß-Glockersdorf im Sudetengau begann, von wo er die ersten sechs Briefe schrieb."

1. Brief

Groß-Glockersdorf, den 4.9.44

 

Liebes Schwesterlein!

Heute komme ich dazu, Dir Deinen lieben Brief zu beantworten. Mir geht es gut, was ich auch von Dir hoffe. Gestern kamen wir von einem 2-Tagesmarsch zurück, welcher uns sehr gut gefallen hat und uns sehr viel Freude bereitet hat und wir uns auch satt essen konnten. Auch schöne Mädchen hat es gegeben auf einem Kameradschaftsabend. Das Nähere kannst Du aus Muttels Brief erfahren, dort habe ich Näheres geschrieben. Der Kameradschaftsabend ist zwar tüchtig mit Bier und etwas Rotwein, aber ohne Zigaretten ausgegangen. Liebe Dorle, mit einem Urlaub wird es nichts werden, weil totale Urlaubssperre ist. Vorige Woche bin ich mit anderen Kameraden, die schon im RAD waren, gemustert worden, zu den Panzergrenadieren. Wir bleiben hier in Groß-Glockersdorf und bekommen eine dreiwöchige Ausbildung, mit allem, was ein Panzergrenadier braucht. Gestern sind wir wieder einmal geimpft worden und heut tut mir der Arm weh. Vergangene Woche sind wir an einem Tag zweimal geimpft worden. Eine in den Arm und eine in den Allerwertesten. Sonst ist alles in Ordnung. Gestern sind wieder über 150 Freiwillige gekommen, die alle gegen den Bolschewismus kämpfen wollen. Ich werde jetzt schließen, in der Hoffnung, auch von Dir bald was zu hören. Und einen Kuß von Deinem

Bruder Günter

2. Brief

Groß-Glockersdorf, 10.9.44

Liebe Schwester Dorle!

Habe gestern Deinen Brief erhalten und so möchte ich Dir gleich antworten. Mir geht es noch sehr gut, wenn auch der Dienst sehr hart ist und viel fordert. Auch haben wir jetzt nicht mehr Zeit, andauernd Dienst. Gestern haben wir wieder einen 20-km-Marsch gehabt. Auch mit dem Urlaub wird es nichts werden. Wir bekommen jetzt eine fünfwöchige Ausbildung, die scharf ist und dann nach Danzig, oder in ein anderes Land, wo wir die letzte Ausbildung bekommen. Morgen werden wir unsere Zivilsachen nach Hause schicken, wie, weiß ich noch nicht. Habe noch keinen Karton und keine Schnur.

Ich werde jetzt schließen mit einem Kussel.

Dein

Bruder

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3. Brief

Groß-Glockersdorf, 21.9.44

Liebe Schwester Dorle!

Habe heut Euren lieben Brief mit vielem Dank erhalten und habe mich sehr gefreut über das, was Du mir geschrieben hast. Hoffentlich kommt der Papa recht bald. Ich freue mich schon so sehr darauf und sage ihm, wenn er kommt, soll er sehen, daß er einen Fotoapparat mitbringen kann und ein Fläschchen Tinte. Ich habe heut auch der Muttel geschrieben und Dorle. Wenn Du ein Bild oder zwei schicken kannst von denen, wo ich in Breslau war. Liebe Dorle, Du schreibst, daß ich so wenig schreibe, aber ich werde Dir mal einen Tagesablauf schreiben. Um 1/2 6 Uhr ist Wecken. Dann Bettenbau und Frühstück. Dann Unterricht, Politik oder Weltanschauung, nachher Geländedienst bis 12 Uhr. Nach dem Mittagessen und Bettruhe, die aber immer mit Sachen instand setzen, Spind-u. Bettenbau ausgefüllt werden muß. Drecksa..., hier neben mir die Mistbiene, der eben sein Gewehrlauf mit Öl durchzieht, hat das ganze Briefel versaut. Was soll ich jetzt machen, na entschuldige bitte. Nach der Mittagsruhe ist dann Ordnungsübung, nachher Waffenreinigen und Unterricht. Dann Abendessen und Singen. Dann Spindappell, oder sonst noch was. Das ist mein Tagesablauf und daß wir schon 2 Tage eher aufgestanden sind, das fällt auch ins Gewicht. Und so sind wir abends hundemüde und haben nur noch Lust zum Schlafen. Es ist gleich Spindappell und es ist schon 1/4 nach 8 Uhr.

Also gute Nacht und ein Kussel von Deinem

Bruder

Der Papa soll recht bald kommen!!!!!!

4. Brief

Groß-Glockersdorf, den 23.9.44

 

Liebes Schwesterle!

Heut zum Samstag, man kann bald sagen gegen Abend, habe ich wieder Zeit, um an Euch Lieben zu denken. Wir haben eben Spind- und Stubendurchsicht gehabt, die auch nicht ganz so ausgefallen ist, wie sie sein sollte. Jetzt sollten wir eigentlich unsere Drillichsachen waschen, aber keiner hat die rechte Lust dazu. Sie sitzen bald alle an den Tischen und schreiben Briefe. Einige liegen faul in den Betten und wollen ausschlafen. Aber da spielt die Ziehharmonika und da ist auch nichts damit. Morgen ist der erste Ausgang. Ich hoffe ja im Stillen, daß der Papi auf der Bildfläche erscheinen wird, hoffentlich werde ich nicht enttäuscht. Liebe Dorle, gestern habe ich Post bekommen von Dir, einen Brief mit dem Schreibpapier. Dann einen Brief von der Muttel bekommen, den will ich auch noch beantworten. Liebe Dorle, mir geht es sehr gut, auch der Fuß ist wieder in Ordnung. Liebe Dorle, Du schreibst hier eben, daß Du Dir Deine letzte Zigarette anzündest. Weißt Du, wie kannst Du bloß so etwas schreiben? Weißt Du, es ist ja nicht meine Art zu betteln, aber wenn Du mal 3-4 Stück übrig hättest, dann darfst Du auch mal an mich denken. Wir bekommen hier keine, erst wenn wir zur Division kommen. Also, brauchst ja keinem was sagen, aber Du wirst ja verstehen. Muttel weiß ja auch, daß ich rauche, aber daß ich bettle, das ist nicht nötig. Gestern waren wir hier in unserer Kaserne im Kino "Hallo Jonny", war sehr interessant. Man hat doch dann wieder etwas Aufmunterung.

Sonst wüßte ich nicht, was Dich noch interessieren würde und ich möchte noch der Muttel schreiben. Also sei nicht böse, daß ich wieder so wenig schreibe.

Eine gute Nacht!

Dein Brüderlein

5. Brief

Groß-Glockersdorf, den 1.10.44

Liebes Schwesterle!

Heute zum Sonntag komme ich dazu, Dir das versprochene Briefel zu schreiben. Ich bin wieder soweit hergestellt und werde wohl Dienstag oder Mittwoch als geheilt entlassen werden.

Liebe Dorle, habe Deine lieben Briefe alle erhalten und möchte Dir dafür herzlich danken. Du siehst ganz gut aus, man merkt gleich, dass Du öfter zur Muttel kommst. Dort gibt es noch was zu essen ohne Marken. Der Hansi freut sich wohl auch, dass er wieder bei der Muttel ist, mir ging's ganz genau so. Was macht so der Berni? Wird wohl noch frecher, wie er schon ist. Ich lasse beide schön grüßen und sie sollen beide sich tüchtig prügeln, ich hab nichts gesagt. Liebe Dorle, Du schreibst wegen der Bescheinigung. Ich werde mal auf die Schreibstube gehen und fragen. Unser 2. Chef ist zur Zeit auch nicht da, er ist mit unserem Marschsturm auf Zweitagemarsch. Möchte ja auch gerne mitgemacht haben, aber da liege ich hier und tue gar nichts. Unsere Zeit der Erfüllung kommt immer näher. Gestern sind die ersten Sachen unserer feldgrauen Ausrüstung gekommen. Solche Afrika-Schnürstiefel und Socken, ganz gutes Zeug. Liebe Dorle, ich hab gestern von Dir Schreibpapier bekommen, auch das Geld, hab herzlichen Dank.

Liebe Dorle, erst einmal guten Morgen. Ich komme erst wieder heute dazu, den angefangenen Brief zu beenden.

Heute werde ich aus dem Revier entlassen. Da haben die mich noch mal geimpft. Den Hals ausgepinselt, mit so einem violetten Zeug. Ich dachte, ich muß mal kurz brechen, aber ich konnte es noch zurück halten. Heute morgen sind gegen 20 Fußkranke angehumpelt gekommen. Denen werden die Blasen geöffnet und mit Jod ausgerieben, muß ganz gut getan haben.

Jetzt werde ich schließen und lasse Deine Kameradin, die Anni, recht schön grüßen und einen herzlichen Dank.

Dir ein liebes Kussel

vom Brüderlein

6. Brief

Groß-Glockersdorf, den 12.10.44

Liebes Schwesterlein!

Heute habe ich Deinen lieben Brief mit vielem Dank erhalten und mich gefreut, dass die Muttel kommt.

Aber sie ist noch nicht gekommen. Aber ich habe noch nicht den Mut verloren, was nicht ist, kann noch werden.

Liebes Dorle, es tut mir leid, dass Du mich nicht erreicht hast, es ist eben etwas zu weit. Meine Füße sind wieder in Ordnung, aber heut Abend, also in zwei Stunden, wird es losgehen mit einer Nachtübung. Was ja das Beste ist und endlich wieder mit einer wilden Schießerei enden wird.

Liebe Dorle, ich habe eine große Bitte, hast Du Bilder von mir, wo ich in RAD-Uniform bin. Es sind zwei Bilder, eins ich allein und eins, wo ich mit Joachim bin. Der Achim hat den Film gegeben zum Entwickeln. Schicke mir doch bitte die beiden Bilder.

Mahlzeit, was da staunst Du, ja gestern bin ich nicht mehr dazu gekommen zum Weiterschreiben. Sind eben vom Marsch gekommen, es war anstrengend das Laufen. Ja, weniger aber das Schießen und das Essen.

Wir haben einen interessanten Häuserkampf gemacht. Ein Dorf mußten wir stürmen, was der Feind besetzt hatte. So ging es im Sturm über zwei Gräben, durch Häuser, auch durch Obstgärten, was eine Wonne war. Die Taschen waren voll, wir bekommen nichts mehr rein und der Bauch auch.

Liebe Dorle, waren bei Euch die Flieger? Über uns sind mindestens 600 Flieger geflogen, sie haben ungefähren Kurs auf Breslau genommen.

Liebe Dorle, am 18.10. werden wir zur Division verlegt.

Morgen ist Abschieds- und Kameradschaftsabend. Ich werde jetzt schließen. Ich grüße Dich und ein liebes Kussel vom

Brüderlein.