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Wolf Spillner

Staatenbildende Insekten

 

ISBN 978-3-95655-350-9 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1981 bei
Der Kinderbuchverlag Berlin

 

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KLEINE INSEKTENBIOLOGIE

Ungeheuer viele verschiedene Insektenarten leben in allen Teilen der Erde. Niemand weiß, wie viel es wirklich sind. Etwa eine Million Arten sind bislang bekannt. In jedem Jahr werden neue entdeckt und beschrieben.

Das Leben auf der Erde ist ohne Insekten nicht denkbar. Sie sind eine wichtige oder sogar ausschließliche Nahrung für viele andere, höher entwickelte Tiere. Sehr viele Blütenpflanzen könnten sich ohne Bestäubung durch Insekten nicht vermehren. Auch für uns haben sie große Bedeutung. Manche sind gefährliche Schädlinge und Krankheitsüberträger. Andere Arten dagegen sind wichtige Helfer und Verbündete des Menschen im Kampf gegen Schadinsekten. Die heimischen Waldameisen stehen unter Naturschutz, weil sie eifrig Jagd auf jene Insektenlarven machen, die den Wäldern gefährlich werden können.

Aus dem Leben der Insekten ist vieles noch unerforscht. Am meisten wissen wir wohl über die Honigbiene. Aber auch vom Leben der Termiten, der Wespen und Ameisen haben Wissenschaftler und Laienforscher schon manches Geheimnis ergründen können. Diese Insekten leben in hochentwickelten Gemeinschaften,die wir Staaten nennen. Sie sind mit menschlichen Gesellschaften jedoch nicht zu vergleichen.

Alle ausgewachsenen Insekten sind nach einem einheitlichen Muster gebaut. Ihr Körper ist geteilt, er ist gekerbt. Daher stammt der Name für diese Klasse des Tierreichs: Kerbtiere, Kerfe, lateinisch „insecta". Der Körper wird durch die Kerben in drei Abschnitte geteilt. Das Bruststück trägt Beine und Flügel. Es ist mit kräftigen Muskeln gefüllt, die die Gliedmaßen bewegen. Vor dem Bruststück sitzt die Kopfkapsel mit den Mundwerkzeugen und Sinnesorganen, den Augen und Fühlern. Der Hinterleib ist der größte Körperteil. Darin befinden sich das langgezogene Herz, die Geschlechtsorgane, der Großteil des Nerven- und Atmungssystems und des Darms. Alle Organe und Muskeln sind von einer starren Körperhülle umkleidet.

Insekten besitzen ein Außenskelett. Es ist gebaut wie eine Ritterrüstung. Beine und Flügel sind über Gelenke mit dem Körper verbunden. An den Innenwänden der einzelnen, starren Teile setzen die Muskeln an und bewegen die Gelenkscharniere. Aber während eine Ritterrüstung, die wir im Museum bestaunen können, aus Metall geformt und geschmiedet wurde, besteht ein Insektenpanzer aus Eiweißstoffen und vor allem aus Chitin. Das ist der Zellulose der Pflanzen ähnlich.

Die Chitinhaut der Insekten kann uns sehr unterschiedlich erscheinen. Auch die zarte Haut einer Wespenlarve, die gläsernen Flügel der Bienen und die harten Kieferzangen eines Hirschkäfers, sie alle bestehen aus dem gleichen Baustoff. Er ist ein wunderbares Material, dessen vielfältige Eigenschaften von keinem Kunststoff übertroffen werden. Chitin ist starr. Deshalb kann ein vollentwickeltes Insekt nicht mehr wachsen. Aber keine Biene, keine Wespe und keine Ameise wird in ihrer endgültigen Form geboren!

Alle höher entwickelten Insekten, zu denen auch die Käfer, Fliegen, Schmetterlinge und viele andere gehören, sind sogenannte Vollverwandler. Ihre begatteten Weibchen legen Eier. Aus den Eiern schlüpfen winzige Larven. Sie fressen und wachsen. Da ihre Chitinhaut jedoch nicht mitwachsen kann, platzt sie. Unter der zu eng gewordenen Larvenhaut ist inzwischen eine neue, größere Haut aus Chitin gebildet. Bis eine Insektenlarve ihre volle Größe erreicht, muss sie ein paarmal aus der Haut fahren. Mit dem fertigen Insekt haben diese Larven oder Raupen nicht die geringste Ähnlichkeit.

Unter der Haut der ausgewachsenen Larve entsteht mit einer festeren, dickeren Hülle die Puppe. Die Larvenhaut wird abgestreift. Die Puppe ist meist bewegungsunfähig; in ihr fügen sich die Zellen des Larvenkörpers zu neuen Einheiten zusammen. In Tagen, Wochen oder sogar Monaten entsteht darin nach und nach das fertige, vollentwickelte Insekt. Erst wenn entsprechende günstige Lebensbedingungen in der Außenwelt vorhanden sind, schlüpft es daraus hervor. Das fertige Insekt ist zunächst noch weich und weißlich. Der Chitinpanzer muss erhärten. Er bekommt seine endgültige Farbe. Beine und Flügel können sich bewegen. Damit ist die vollkommene Verwandlung des Insekts abgeschlossen.

Andere Insektenordnungen haben keine Puppenruhe. Sie sind entwicklungsgeschichtlich viel älter und primitiver als die Vollverwandler. Zu ihnen gehören neben den Libellen, Heuschrecken, Schaben und anderen auch die Termiten. Sie werden Teilverwandler genannt. Ihre Larven sehen den fertigen Insekten oftmals schon sehr ähnlich. Sie sind natürlich viel kleiner, haben gering entwickelte Sinnesorgane und tragen auch noch keine Flügel. Aber sie haben sogleich kräftigen Appetit. Die Larven fressen und müssen wachsen. Auch ihnen wird das Panzerkleid aus Chitin zu eng, und sie schlüpfen mit neuer Haut daraus hervor. Mit jeder Häutung werden sie den Alttieren ähnlicher. Manche Arten müssen sechs oder sieben oder gar acht Häutungen durchmachen, ehe sie ihr endgültiges Aussehen und ihre volle Größe erreichen. Dann tragen sie auch Flügel und sind geschlechtsreif.

Wir kennen noch andere Formen der Verwandlung. Manche Arten können Larven oder gar Puppen zur Welt bringen. Die vorangehenden Entwicklungsstadien vollziehen sich schon im Leib der Mutter. Aber da dieses Buch von den staatenbildenden Insekten berichten soll, können wir uns auf die beiden besprochenen Verwandlungsarten beschränken. Staatenbildung kommt bei den Insekten sehr selten und nur in zwei von insgesamt 35 Ordnungen vor. Das sind die Ordnungen der Termiten und der Hautflügler. Termiten gehören zu den Teiiver- wandlern. Ihre Ordnung gibt es schon seit etwa 270 Millionen Jahren auf der Erde. Zu ihr gehören ungefähr2000 Arten.

Die Ordnung der Hautflügler ist umfassender. Bislang sind etwa 100000 Arten bekannt. Sicher sind viele andere nur noch nicht entdeckt. Alle Hautflügler sind Vollverwandler. Ihre Ordnung ist rund 100 Millionen Jahre jünger als die der Termiten. Von den 100 000 Arten leben aber nur die Ameisen, etliche Bienen und eine Reihe von Wespen in Staatengemeinschaften. Viele davon sind auch in unseren Breiten zu Hause. Die Termiten leben nur dort, wo es warm genug für sie ist, in den Subtropen und in den Tropen.

EINSAME BIENEN, KOLONIEBRÜTER UND STAATEN

Im Garten summt eine pelzige Biene. Wie eine kleine Hummel sieht sie aus. Sie landet auf einem Rosenstrauch. Dort schneidet sie mit ihren Kieferzangen aus einem Blatt ein rundes Stückchen heraus, so glatt wie mit einer Schere. Sie hält es mit den Beinen unter ihrem Bauch fest und fliegt davon. Nach einer Weile kommt sie zurück, schneidet ein neues, rundes Blattstück ab und trägt es fort. Diese Biene, die ganz anders aussieht als eine Honigbiene und sich auch völlig anders verhält, ist eine Blattschneiderbiene. Wer geduldig ist und die Biene mit ihrem Blattstück verfolgt, der wird entdecken, dass sie ihre Last zu einem Loch in der Erde trägt und dort verschwindet. Das Loch ist der Eingang zu ihrem Nest. Sie hat es selbst gegraben. Blattschneiderbienen leben nicht in Gemeinschaften. Jedes Weibchen baut sein eigenes Nest. Das ist ein Gang, der bleistiftstark und etwa zehn Zentimeter lang schräg nach unten führt. Am Ende des Ganges legt die Blattschneiderbiene ihre Zellen an. Sie werden aus den Rosenblattstückchen gebaut. Jede einzelne Zelle ist aus acht Blättern zusammengesetzt und wird mit Nektar und Blütenstaub gefüllt. Das Bienenweibchen legt dann in jede Zelle ein Ei, verschließt das Nest und stirbt bald darauf. Seine Fürsorge für die Brut ist erfüllt.

Blattschneiderbienen schlüpfen im geschützten Nest als winzige Larven. Sie verzehren die eingetragene Vorratsnahrung, verpuppen sich anschließend und kommen im nächsten Jahr als erwachsene, flugfähige Bienen ans Licht. Ihre Mutter kennen sie nicht. Sie leben für sich allein und werden deshalb einsame oder solitäre Bienen genannt.

Auch die Mörtelbienen sind solitäre Bienen. Ihre Nester bestehen aus Erde und Speichel, die an sonnenwarmen Wänden erhärten. Sie sitzen häufig in dichten Klumpen beieinander. Manchmal haben sie sogar eine gemeinsame Deckschicht. Ein Gemeinschaftsnest ist aber auch die Kolonie der Mörtelbienen noch nicht.

Meist ist ein besonders günstiger Nistplatz die Ursache, dass solitäre Bienen oder Wespen dicht beieinander nisten. So bauen die Lehmwespen ihre Nester mit den wasserhahnähnlichen Anflugröhrchen immer in enger Nachbarschaft. Aber jedes Lehmwespenweibchen betreut nur sein eigenes Nest. Es fliegt zur Jagd in die Luzernefelder, fängt dort die grünen Larven von Rüsselkäfern und lähmt sie mit einem Stich. Die kleinen Käferlarven trägt das Lehmwespenweibchen als Nahrung für seine eigene Nachkommenschaft ins Nest. Sind alle Zellen mit Fleischbeute gefüllt, wird das Nest verschlossen. Wie bei den Blattschneiderbienen lernen die schlüpfenden Lehmwespen ihre Mutter nicht kennen.

Echte Gemeinschaft mit Brutpflege findet sich erst bei den Feldwespen. In dieser Wespengattung vereinen sich mehrere Weibchen, um gemeinsam ein offenes Nest zu bauen. Ihr kleiner Staat besteht jedoch nur während der Sommerzeit. Auch die Lang- und Kurzkopfwespen, die ihre geschlossenen Papiernester in Erdhöhlen oder unter Dachböden, in Nistkästen und hohlen Bäumen bauen, haben nur Sommernester. In diesen Staaten gibt es jedoch, ebenso wie bei den Hummelarten, jeweils nur ein einziges vollentwickeltes Weibchen, das Eier legen kann. Das ist die sogenannte Königin. Alle anderen Mitglieder der Gemeinschaft sind entweder Hilfsweibchen, die Arbeiterinnen genannt werden, oder Männchen, die erst im späten Sommer schlüpfen. Große Staaten, die länger als ein Jahr bestehen, gibt es bei uns nur unter Ameisen und bei der Honigbiene.