Impressum

Heinz-Jürgen Zierke

Wibald der Mönch

Historischer Roman

 

ISBN 978-3-95655-290-8 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1987 im VEB Hinstorff Verlag Rostock.

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung des Bildes „Der Schreiber Jean Miélot in der Schreibstube“ von Jean Le Tavernier.

 

© 2015 EDITION digital®
Pekrul & Sohn GbR
Godern
Alte Dorfstraße 2 b
19065 Pinnow
Tel.: 03860 505788
E-Mail: verlag@edition-digital.com
Internet: http://www.ddrautoren.de

1. Kapitel

Es war einmal vor langen, langen Zeiten, als Kaiser Rotbart lobesam noch nicht ins Heilige Land gezogen kam, sondern seines Schwertes Schneide an lombardischen Stadtmauern stumpfte, da lebte in dem stillen Kloster St. Valentin im Moor ein junger Mönch still für sich, ganz dem Studium und der Vervielfertigung alter Schriften hingegeben.

Wibald, auf diesen heidnischen Namen war der Gottesmann, dem man erst ein halbes Jahr zuvor die Tonsura Petri geschoren hatte, getauft, und so nannten ihn auch seine Klosterbrüder. Wibald saß auf seinem Schemelchen im Kreuzgang und malte sorgsam und mit Bedacht Strich für Strich, Buchstaben für Buchstaben, Wort für Wort auf das weiße Blatt: Mediae noctis tempore prophetica vox admonet ...

Von Zeit zu Zeit legte er die Feder ab, vorsichtig, sodass die Spitze über den Rand des Tisches hinausragte und die Tinte das Holz nicht beschmutzte. Dann lehnte er sich zurück, schloss die Augen, öffnete sie wieder, beugte sich vor, begutachtete das Geschriebene, beschaute es von rechts, von links, hielt es gegen das Licht, nickte zufrieden, und wäre es nicht Gotteslästerung gewesen, er hätte wohl ausgerufen: Und Gott sah, dass es gut war!

Bruder Wibald liebte die Schriften und die Texte, die Rollen und die Bücher, und die alten mehr als die neuen. Er fühlte sich inmitten der staubigen, vergilbten Blätter so wohl, dass es ihn von Tag zu Tag mehr Überwindung kostete, sie aus der Hand zu legen und die vorgeschriebenen geistlichen Übungen zu absolvieren. Am liebsten hätte er die Pergamente abends mit auf sein Strohlager genommen und sie die ganze Nacht gestreichelt.

Außer seinen Mitbrüdern hatte er keinen Menschen auf der Welt, nicht einmal Eltern. Ein allzu eiliges Schwesterchen hatte, bevor es auch nur einen einzigen Blick auf Gottes schöne Erde getan, die Mutter mit sich genommen. Der Vater hatte den Knaben der Amme übergeben, einer strammen Magd, die der Dienstmann und Ritter ohne Land, dessen Adel allein von des Kaisers Huld und Gnade abhing, bei der grausamen Zerstörung der Stadt Tortosa aus den brennenden Trümmern einer zusammenstürzenden Hütte geborgen und mit in seine nördliche Heimat genommen hatte.

Die Magd legte den blässlich-blonden Knaben lächelnd neben ihre schwarzlockige Tochter. Herr Wilgerd sattelte sein Ross und zog wieder mit seinem Herrn und König nach Süden.

Wochenlang berannten des Kaisers eiserne Scharen Mailands feste Mauern und Wälle; mancher brave Streiter blieb für immer davor liegen. Den Kaiser, der so gerne lächelte, übermannten Zorn und Schmerz. Er schwang sich auf sein Ross und ritt mit wenigen Getreuen in das nahe Bergland hinaus. Ein Flüsschen, das mit mäßigem Gefälle der nahen Ebene zustrebte, lockte die erhitzten Männer zum erfrischenden Bade. Wilgerd stieg als erster den Hang hinab. Das Wasser reichte ihm nur zwei Handbreit über die Knie, aber beim vierten oder fünften Schritt glitt er auf den von der Strömung geschliffenen Kieseln aus, schlug langhin, und die wirbelnden Fluten schleiften ihn mit.

Der König, der schon das Kettenhemd abgestreift hatte und sich eben die Stiefel von den Füßen ziehen ließ, erbleichte und stieß den Knecht fort. Vielleicht beschlichen ihn düstere Ahnungen.

Abends, im Feldlager, befahl er: Herr Reinald, des Reiches Kanzler, möge den Sohn des treuen Dienstmannes den Milden Schwestern von Mariakron anvertrauen und ihn, sobald er in sein sechstes Jahr trete, in einer Klosterschule zu einem tüchtigen Amtmann oder Vogt heranbilden lassen, wie ihn König und Reich dringend brauchten.

Das bescheidene Gütchen, das der König dem Vater verliehen hatte, zog der Bischof ein. Er besetzte den Hof mit einem aus dem Sachsenland zugewanderten Bauern, der eine vielköpfige Familie mitbrachte und weder Knecht noch Magd benötigte. Wohin die südländische Amme mit ihrem schwarzlockigen Töchterchen geraten war, wusste auch Bruder Balthasar nicht, der an einem schummrigen Herbstabend seinem Schüler vom Tode des Vaters erzählt hatte. Verdorben, gestorben, vermutete er, es ist fünfzehn Jahre her. Gott sei ihrer Seele gnädig!

Wibald konnte sich nicht an sie erinnern. Auch aus Mariakron war nur wenig in seinem Gedächtnis geblieben: die kalten grauen Augen der Priorin, Rutenschläge auf die Hand und auf das nackte Gesäß, die Quälereien der Kameraden, Maikäfer im Bett und Kletten im Kragen, die kargen Mahlzeiten, lateinische Gebete, die er zur Strafe für die geringste Ungeschicklichkeit herleiern musste, im bloßen Hemd vor dem Steinkreuz an der Südseite der Klostermauer kniend, lauter ungute Erinnerungen also. Bis auf eine. Die aber war ein ungewisser Schatten; wenn er versuchte, ein wenig Klarheit darein zu bringen, verblasste sie: Er fühlte das sanfte Streicheln einer weichen Hand auf seinem kahl geschorenen Kopf; schwarzbraune Haarsträhnen kitzelten seine Stirn. Aber - die Schwestern trugen das Haar unter der strengen Haube, wenn sie es nicht gar abgeschnitten hatten. War die Berührung nur geträumt?

Als Balthasar den Knaben geholt hatte, war die gestrenge Mutter Priorin gewiss heilfroh gewesen, eines Zöglings ledig zu sein, dessen ganzes Erbe in dem flüchtigen Wohlwollen des kaiserlichen Herrn bestand, zumal, wie man weiß, dieser Kaiser einige Vorbehalte gegen die römische Kirche hatte.

Herr Reinald erlag vor Rom dem Sumpffieber, und König Friedrich vergaß unter der Last seiner kaiserlichen Geschäfte seinen Schützling. Vater Heribert, der Abt zu St. Valentin im Moor, erkannte indes bald gewisse Talente in dem Knaben und beschloss, ihn zum Gottesmann zu bilden. So könnte er der kaiserlichen Majestät dereinst mehr nützen denn als untergeordneter Vogt, der im Grunde nur die Peitsche war, die den Bauern über den Acker treibt.

Vater Heribert schätzte Wibald vor allem als „Sänger. „Er wäre eine Zierde für jede erzbischöfliche Kathedrale“, schwärmte er vor dem Herrn Bischof. „Wenn beim Hochamt auf des Priesters ,Gloria in excelsis Deo’ der Chor einsetzt: ,Et in terra pax hominibust‘, hört man nur diese himmlische, engelreine Knabenstimme, die die Töne in der Höhe so sicher trifft wie in der Tiefe. Neben der sich der Gesang der Brüder anhört wie das verstörte Brummen eines aufgeschreckten Hummelschwarms. Ja, er erfindet ganz eigene Tonfolgen, die nie einer bis dato gehört hat ...“ Und merkte in seinem frommen Eifer nicht, dass Eminenz besorgt die Stirn runzelte.

Es geschah, dass seine Mitsänger mitten im Liede verstummten und ergriffen lauschten, wenn Wibalds heller Sopran sich in die Höhe erhob und unter der Kuppel schwebte wie die Taube Noahs unter dem Himmelsgewölbe.

Das änderte sich, als das beginnende Jünglingsalter seine Stimme brach. Nun brummte er ärger als der halbtaube Theofried, und wenn er versuchte, die Höhe mit der Kopfstimme zu erzwingen, knirschte und knarrte sein Kehlkopf wie ein hölzerner Türzapfen. Vater Heribert schalt, und die Brüder, die sich einer ihrer wenigen Freuden beraubt fühlten, sahen ihn an, als hätte ihn der Herr mit einem Feuermal gezeichnet.

Auch als sich seine Stimme in einer straffen Mittellage festigte, die in der Tiefe kräftig blieb und klar in der Höhe, gewann er die alte Wertschätzung nicht wieder. Die Brüder liebten eben nur die hohen weichen Knabenstimmen, die sie an das Jubilieren froher Frauen erinnerten. So vernachlässigte Wibald denn den Gesang und widmete sich desto eifriger der Schreibkunst.

Vor einem halben Jahr, kaum drei Wochen, nachdem Wibald die Regel beschworen hatte, war Vater Heribert bei der Morgenandacht lang hingeschlagen. Ehe er noch einen der Brüder zu seinem Nachfolger bestimmen konnte, versagte ihm die Zunge, die Augäpfel verloren ihren Glanz und verdrehten sich.

Bruder Theofried, der Kellermeister, von seinen kranken Nieren nachts aus dem Schlafsaal getrieben, hatte einen dunklen Schatten gesehen, der von dem brüchigen Bootssteg her, welcher in den Schwarzen See hinausragte, zum Querhaus heranflog und mit ausgebreiteten Schwingen gegen Vater Heriberts Kammerfenster pochte. Theofried, von Natur aus nicht ängstlich, daher misstrauisch gegen Schatten, die Geräusche machen, duckte sich, um sich näher zu schleichen, doch die brennende Leibesnot zwang ihn ins Gebüsch.

Als er sich erleichtert umwandte, war die Erscheinung verschwunden und jeglicher Lichtschimmer in der Abtzelle erloschen.

Bestürzt hörten die Brüder am Morgen seinen Bericht. Kalte Schauder liefen ihnen über Schulter und Rücken. Sie wagten kaum, den Aufgebahrten anzusehen.

Adalwart schlug drei Kreuze und betete laut: „O du Lamm Gottes, du Schrecken der bösen Geister, bitte für uns!“

Nur Rupert versuchte zu spotten: „Die Kellerassel hat das zweite Gesicht.“ Die Worte zitterten, als fürchteten sie die Kühle des Morgens.

Sie wollten Ekbert zum neuen Abt wählen, obzwar der noch jung war, wohl um die dreißig. Er hatte von allen die lauteste und ausdauerndste Stimme, und er war ein kräftiger Esser. Da erhob der Bischof Einspruch.

Der Heilige Vater, teilte der Bischof mit, habe die Gnade, das altehrwürdige Kloster St. Valentin im Moor, das in seiner stillen Abgeschiedenheit ein wahrer Hort mönchischer Tugenden sei, dadurch auszuzeichnen, dass er ihnen einen frommen, kenntnisreichen, von ihm hochgeschätzten Kanoniker zum Vorsteher gebe.

Eminenz war ein vorsichtiger Mann; er nannte den Namen des Heiligen Vaters nicht. Es gab ja - Gott sei’s geklagt - zwei Päpste, Calixt, den der Kaiser begünstigte, und Alexander, Friedrichs erbitterten Feind.

Den gemeinen Mann kümmerte der Kirchenstreit wenig, aber die Herren dieser Welt, die Könige und Fürsten, mussten ihren Platz darin finden, auch die Kirchenfürsten. Die deutschen Erzbischöfe und Bischöfe, Reichsfürsten, denen der Landesherr Besitz und Macht lieh, hielten also zu Friedrich von Staufen, dem deutschen König und römischen Kaiser. Nur wenige waren Alexandriner, solche, die am Rande des Reiches residierten, wie der Bischof von Salzburg.

Soviel wussten die Brüder, doch waren sie sich ihres Wissens nicht sicher. Nachrichten von draußen gelangten, wenn überhaupt, oft erst dann ins Moor, wenn ihre Wahrheit schon nicht mehr galt, denn Gott dreht die Zeitentrommel zuweilen recht hastig. Sie hielten’s daher wie der erstbeste Bauer: Adalwarts Kohl gedieh oder verdorrte, ganz gleich ob zu St. Peter Alexander oder Calixt, Viktor oder Johannes Paul thronte. Im Herzen hingen sie freilich ihrem Lehnsherrn und Kaiser an, denn wie gesagt, St. Valentin war Reichsabtei!

2. Kapitel

So ward denn Vater Conrad, auf Wunsch des Herrn Bischofs, von den Brüdern, den gehorsamen Söhnen der Kirche, einmütig gewählt. Sie achteten ihn ob seiner frommen Strenge, aber sie liebten ihn nicht so wie den milden Vater Heribert, der da gemeint hatte, Gott nachleben hieße vor allem, Gottes Güte vorleben.

Conrad wachte unnachsichtig darüber, dass Mönche und Schüler die geistlichen Übungen mit gebührendem Ernst und die körperliche Arbeit mit gehörigem Eifer betrieben. Wer seine Pflichten auch nur um ein geringes vernachlässigte, versah sich harter Bestrafung. Wer beim Gebet hustete, betete sieben Rosenkränze, barbeinig in einem Nesselbusche kniend; Schüler, die ihre Löffel zu hastig in die Suppe tunkten, wurden vom Tische verwiesen; der halbtaube Theofried, der in seinem Keller das Läuten zur Vesper überhörte, kam mit siebenundzwanzig Rosenkränzen glimpflich davon, nur die Rücksicht auf seine Gebrechlichkeit bewahrte ihn vor der Geißelung. Odilo, der Fischer, dem, als Conrad den Herrn Bischof mit einem Zander bewirten wollte, für den der Schwarze See berühmt war, nur ein Hecht ins Netz ging, büßte seine Ungeschicklichkeit mit einem dreitägigen Fasten, stehend an den Stamm einer Birke gebunden. Tags brannte die Sonne so heiß, dass dem Gepeinigten die Zunge zum Halse heraushing wie einem hechelnden Hund, aber niemand durfte auch nur mit einem Schwamm die Qual der aufgeplatzten Lippen lindern. Mönche haben Gehorsam gelobt, freiwilligen Gehorsam bis in den Tod. Und wen der Abt straft, den straft der Herr. Als Conrad die Stricke lösen ließ, warf sich Odilo vor ihm auf die Knie, bereute und bat um Vergebung.

Allein Ekbert und der junge Wibald hatten des Abtes Strenge nicht zu fürchten. Ekbert, das war zu verstehen. An des Sachsen Tun und Sagen war so wenig Fehl zu finden, dass nur ein Bösbart ihn hätte anrühren können.

Aber Wibald?

Manchmal, wenn der junge Mönch im Kreuzgang saß, über seine geliebten Pergamente gebeugt, mit schräg gespitzter Feder kunstvolle Lettern zusammenstellend, spürte er ein Prickeln und Brennen im Rücken, wie wenn jemand mit einer Glasscherbe die Sonnenstrahlen fing und auf ihn lenkte. Unwillkürlich zog er das Genick ein. Die Finger zitterten. Er legte die Feder hin und sah sich um. Vater Conrad stand hinter einem Pfeiler, das Gebetbüchlein unter den Arm geklemmt, und nickte ihm huldvoll zu.

Weshalb zeichnete er Wibald durch solche Freundlichkeit aus?

An einem Freitag, als sie vor der Fischsuppe saßen, entglitt Wibalds Händen der Löffel. Er meinte, der Abt werde ihn sogleich in den Klosterhof hinausweisen, damit er dort den Rücken entblöße und kniend das Schock Rutenstreiche erwarte, das ihm der bärenstarke Blasius aufzählen musste. Aber Vater Conrad strafte ihn nur mit einem mahnenden Blick.

Weshalb zeichnete er Wibald durch solche Milde aus?

Auch wir, die wir um den Fortgang der Mär wissen, können ihm des Abts Gründe nicht nennen, nicht nur deshalb nicht, weil wir Wibalds Welt zumeist mit seinen Augen sehen, nein, wir bekennen: Wer vermöchte einem andern Menschen ins Herz zu schauen, zumal einem, den, hätte der Herr ihm auch die Jahre Abrahams zugemessen, nicht einmal die Väter unserer Väter gekannt haben könnten!

Die Brüder zogen sich mehr und mehr von ihm zurück. Selbst der alte Balthasar, der ihn die hohe Kunst der Schönschrift gelehrt hatte, legte ihm nicht mehr den Arm um die Schulter, ihn zu der Bank am Haselbusch führend, von wo aus man auf die hellen Sandhügel am jenseitigen Ufer hinübersehen konnte, die im Mondschein vor den düstern Kiefern glänzten wie silberne Spangen auf einem schwarzen Gürtel. Unter jenen Büschen hatte der Alte ihm einst vom Vater erzählt, dem mutigen Degen, von seinen weiten Fahrten und verwegenen Taten, von seiner treuen Liebe zu seinem Herrn und Kaiser bis in den Tod.

Und nun kein Wort mehr!

An einem andern Freitag, an dem Bruder Odilo bei der kargen Morgenmahlzeit darüber klagte, dass ihm der gefräßige Otter wieder einmal die Aalschnüre zerrissen hätte, was die Brüder arg verstimmte, die sich auf eine kräftige Suppe gefreut hatten, nahm der Abt Wibald kurz beiseite und eröffnete ihm, aber er tat es so laut, dass ihn die übrigen Brüder auch gewiss verstanden: „Ich habe einen Auftrag für dich, Bruder, durch den du dir ewige Verdienste um unsere heilige Kirche erwerben kannst.“

Mehr verriet er vorerst nicht.

3. Kapitel

Nicht irgendwelche Launen oder verwandtschaftliche Verpflichtungen hatten den Bischof bewogen, Conrads Wahl zum Abt von St. Valentin im Moor zu betreiben. Die beiden waren sich nie begegnet und hatten wohl auch nie voneinander gehört.

Ein Pilger, der aus dem Heiligen Lande über Italien zurückgekehrt war, hatte ihm ein geheimes Schreiben zugestellt, das mit einem Kardinalssiegel verschlossen war. Dies kannte der Bischof nur zu gut, und er wusste auch, dass sein Besitzer zu den Getreuen des Papstes Alexander gehörte.

Der Bischof hatte sich, die Weltläufte betrachtend, seit einiger Zeit gleich anderen Prälaten von seinem Herrn und Kaiser heimlich abgewandt. Er meinte, Friedrich würde des Reiches Kräfte vor den lombardischen Städten ausbluten lassen, ohne den Heiligen Vater unterzukriegen, zumal durch des Ewigen Ratschluss keinem der kaiserlichen Gegenpäpste ein langes Pontifikat beschieden gewesen war. Doch hielt er es nicht für ratsam, sich offen auf Alexanders Seite zu schlagen; die Mehrzahl der Reichsstände hielt noch immer treu zum König. So gab er dem Kaiser, was des Kaisers war, und machte sich zugleich dessen Gegnern erbötig, indem er Conrads Wahl sicherte.

 

Wibald wartete mit Bangen auf Vater Conrads Auftrag. Der aber bat ihn nur, einige alte Schriften zu kopieren, so getreu, dass auf den neuen Blättern nicht nur dieselben Worte stünden, sondern sich auch die Lettern in Form und Farbe glichen. Der junge Mönch sah in diesem Tun keinen Sinn, wagte aber weder Widerspruch noch Frage und setzte sich erleichtert an sein Tischchen. Er brauchte nicht nachzudenken, nur abzumalen, und das gelang ihm so vortrefflich, dass selbst der erfahrene Schreibmeister Balthasar kaum imstande war, die Kopien von den Originalen zu unterscheiden.

Vater Conrad war es zufrieden, erwies ihm manche Freundlichkeit und beurlaubte ihn von der gemeinsamen Tagesarbeit im Klostergarten und auch von den Handlangerdiensten, die alle andern Brüder dem Baumeister Ekbert und seinem Gehilfen Blasius leisten mussten.

Wibald lebte auf. Manchmal summte er leise vor sich hin, irgendeine Weise, die ihm zufiel, er wusste nicht, woher. Hatte er sie vor langer, langer Zeit gehört, hatte er sie den Finken und Ammern abgelauscht, oder teilte sich ihm der Klang der Worte mit? Er dachte nicht darüber nach, er freute sich nur, und in seiner Freude tupften sich Striche und Punkte, Haken und Bögen gleichsam von selbst aufs Pergament, er brauchte kaum noch die Feder in die Tintenschale zu tunken. Und so akkurat standen die Zeichen, dass Vater Conrad, wenn er dem Schreiber über die Schulter schaute, lebhaft schmunzelte und sein sonst so bleiches Gesicht einen Hauch von Farbe annahm.

Da sah auch Wibald den Abt mit anderen Augen. Gar so arg ist er nicht, dachte er, der Fuhrmann knallt nicht aus Bosheit mit der Peitsche, er treibt das Gespann. Kein Mensch ist im Herzen böse, denn seine Seele ist von Gott.

In einem solchen Augenblick des Hochgefühls, als im Klostergarten die Amsel schlug und im Kreuzgang Vater Conrad seine Zufriedenheit zeigte, indem er Wibald segnend die Hand auf die Stirn legte, tat dieser, was er nicht einmal vor dem milden Vater Heribert gewagt und auch vor seinem Lehrmeister Balthasar verschwiegen hatte, er sprach seine heimlichen Wünsche aus: In versteckten Winkeln der Klosterbibliothek, zwischen vergessenen Pergamentrollen, in Buchrücken und Buchdeckeln hatte er Blätter gefunden, die mit Versen in der Volkssprache bedeckt waren, unbeholfen und bruchstückhaft, wie heimlich niedergeschrieben, Lieder heidnischen Ursprungs, mit christlichen Gedanken vermischt. Sie sangen von Brautwerbung und Leichenbegräbnis, von Mutterglück und Liebesleid, von Wanderlust und Mannesehre. Zaubersprüche fand er und Segenswünsche und immer wieder Schwertgesänge, die von wütenden Zweikämpfen und vom Untergang ganzer Heldengeschlechter kündeten.

Er hätte sie gern gesammelt, da, wo Verse fehlten, sie behutsam ergänzt, sauber abgeschrieben, zu einem Kodex gebunden und sie so erhalten für die Nachgeborenen, damit sie sähen, welche Finsternis einstens über dem Lande gelegen und wie herrlich das Licht Christi leuchte ...

Die letzten Worte hatte er gar nicht sagen wollen, aber Conrads Schweigen entnahm er, dass der Abt anders dachte als er. In einem Anflug von Trotz hob er den Kopf, duckte sich aber gleich wieder.

Conrads blasse Wangen wurden noch fahler, die eingefallenen Augen sanken noch tiefer in ihre Höhlen. Seine flache Hand schnellte durch die Luft, als wollte er wie mit einem Schwertstreich den Satz mitten im Wort spalten.

Hart und brüchig klang seine Stimme, ein überhängender Fels, der jeden Augenblick bersten und auf Wibald niederstürzen konnte. „Lege den Finger auf den Mund und schweige, anstatt über große Dinge leichtfertig zu reden! Denn der Herr spricht: Seid stille und erkennet! Vergiss deine unseligen Wünsche, damit das Feuer des Zorns dich nicht verschlinge wie Stroh!“

Die bänglich erwartete Strafe blieb aus, wenn er davon absah, dass er jetzt statt Lob und Freundlichkeit finstere Blicke erntete und düsteres Schweigen. Als die Reihe an ihm war, beim Mittagsmahl aus der Heiligen Schrift vorzulesen, und er sich in der Aufregung einige Male vertat, befahl der Abt, dass er auch morgen und übermorgen und die ganze Woche lese.

Schon bei dem Gedanken daran zog sich Wibalds Magen krampfend zusammen, bedeutete das doch, dass er erst dann den Löffel in die Hand nehmen durfte, wenn der Abt die Tafel aufgehoben hatte. Dann aber waren die Schüsseln bis auf den Grund geleert. Denn die Kost wurde bemessen nach der Regel St. Benedikts, die Mönche sollten sich mehr an geistlicher, denn an leiblicher Nahrung sättigen.

Wibald tat, wie ihm befohlen war. Am dritten Tage aber hieß ihn der Abt schweigen, als könnte er die Stimme nicht länger ertragen, und zu aller Verwunderung, denn er ließ sonst nur geistliche Dinge gelten und hätte am liebsten alles Weltliche aus der Schöpfung hinausdisputiert, begann er über Kaiser Friedrichs Italienzug zu reden.

„Es steht nicht zum besten mit der kaiserlichen Majestät. Nur eine kleine Schar, noch keine achttausend Ritter, folgte ihrem Banner. Ganze Herzogtümer blieben fort. Die aber mit dem Kaiser übers Gebirg zogen, sind es müde, nun schon seit Monaten wie ein blinder Stier gegen das unbedeutende Alessandria anzurennen, allein des Namens wegen.“

Er schob die Kohlblätter von einem Mundwinkel in den andern. Kohl ohne Fleisch wird auf die Dauer selbst dem frömmsten Abt lang im Hals.

„Ja, ja, Alessandria“, wiederholte er kauend. „Läge nicht alles in Gottes Weltenplan“, ohne hinzusehen, reichte er sein Schüsselchen über die Schulter einem Schüler zu, „in Gottes Weltenplan, man könnte es ein Wunder nennen: An Alessandrias Mauern aus Lehm und Stroh zerspellen die Eschenspeere der Ritter, und ihre eisernen Schwerter zerspringen wie Tontöpfe.“

Adalwart klatschte in die Hände, ohne den Löffel loszulassen. „Ei, ei! Was es nicht alles gibt draußen in der Welt!“

Balthasar hüstelte hinter gefalteten Händen. Rupert der Spötter flüsterte Theofried ins Ohr: „Das hat ihm ein geflügelter Schatten gewispert.“

Theofried verschluckte sich vor Schreck und ließ den Löffel fallen. Rupert bückte sich danach.

Vater Conrad fuhr auf. Sein Schemel schlug dem Schüler gegen das Schienbein. Der Becher vor ihm kippelte. Ekbert packte ihn und rettete den kostbaren Inhalt: Sauerbrunnen. Der Abt hatte sich ein Tönnchen aus einer sieben Meilen entfernt springenden Quelle kommen lassen. Das hiesige Wasser verstopfe die Gedärme, außerdem schmecke es nach Moor und Torf, so viel Wein man auch hineingieße.

Wein trank Conrad selten. Seine bleiche Nase rötete sich im Zorn. Die dunklen Augen funkelten, als sollte es den Störenfrieden gehen wie Nadab und Ahihu, den Söhnen Arons: Da fuhr ein Feuer aus von dem Herrn und verzehrte sie, dass sie starben vor dem Herrn.

Die Brüder duckten sich, zogen die Köpfe in die Kutten. Rupert schlug sich mit der Hand auf den Mund, glitt von der Bank auf die Knie und versprach: „Zur Buße will ich drei Rosenkränze beten und mich eine Stunde lang mit Nesselstrünken geißeln.“

Der Abt nahm Ekbert den Becher aus der Hand und trank. Sein Sauerbrunnen beruhigte ihn augenblicks. Die Nase verlor ihre Farbe. Er setzte sich, sah über seine Mönche hinweg, die noch immer wie benommen auf die Tischplatte starrten, und sagte leichthin, als wäre er nicht unterbrochen worden: „Den Zorn des Kaisers besingen schon die Lautenschläger auf den Märkten.“

 

Wibald kam nicht dazu, über jene sonderbaren Worte nachzudenken. Kaum war Rupert abgestraft, vor aller Augen, versteht sich, da legte der Abt dem Jungmönch den Arm um die Schultern und führte ihn, heiterer und freundlicher denn je, hinauf ins Gästezimmer.

Conrad setzte sich, legte den Kopf so weit zurück, bis die harte Kante der hohen Lehne in sein Nackenfleisch schnitt, streckte entspannt die Beine aus, streifte die Sandalen von den Füßen, ließ die Arme baumeln und schloss die Augen.

Verwirrt blieb Wibald stehen. Dieser Wechsel von Strenge und Gunst! Wie der Wind im April. Ein Kribbeln überzog seinen Nacken. Er verspürte Lust, sich zu kratzen, hob aber nur verlegen die Schultern an und ließ sie wieder fallen. Das Kribbeln blieb.

Dies war der einzige Raum des Klosters, der mit Stühlen bestellt war, für vornehme Besucher bestimmt. Aber St. Valentin beherbergte nur selten Fremde von Stand. So zog sich Conrad hierher zurück, wenn er mit sich allein zurate gehen oder mit einem der Brüder Heimliches bereden wollte. Vater Heribert hatte das nie getan.

Mit einem Ruck erhob sich Conrad, reckte sich, stand hoch über seinem Gast, nach vorn gebeugt, als wollte er auf ihn niederstürzen, ihn mit seiner scharfen Nase durchbohren. Und lächelte dabei.

Jetzt erst fiel Wibald auf, dass der Stuhl des Abts auf einem Podest stand, fast eine Spanne hoch.

„Schließen wir einen Vertrag: Meinen Segen zu deinen heidnischen Texten für einen Brief nach meiner Vorgabe. Und du schreibst, ohne zu fragen.“

„Ich habe Gehorsam gelobt, Vater!“

„Schreibst und vergisst!“

4. Kapitel

Die gewitterschwülen Nächte machten das Warten schwer. Stundenlang grübelte er. Tagsüber nicht, da war er beschäftigt. In allen Winkeln der Bibliothek kramte er, rollte verstaubte Bündel auf, blätterte selten benutzte Werke durch, beklopfte Buchrücken und -deckel; kein Fetzen blieb unbeachtet. Schriftstücke, die irgendwann einmal abgeschabt und neu beschrieben worden waren, hielt er gegen das Licht. Die Abdrücke der Lettern konnten sich ins Pergament eingegraben haben. Wenn er meinte, er hätte den Text eines Liedes beisammen, setzte er sich hin und schrieb ihn sauber ab.

Sauber: ja - aber nicht allzu sorgfältig. Auf den Sinn kam es ihm an, nicht auf die Schönheit der Zeichen. Wo er fand, dass ein Vers gar zu altertümlich klang, zählte er die Silben und setzte neue, bessere Wörter ein.

Conrad kümmerte sich nicht darum, schaute ihm auch nicht mehr über die Schulter. Fürchtete er, seine Seele nähme Schaden an diesen heidnischen Texten? Nein, wer fest ist im Glauben, braucht das geschriebene Wort nicht zu fürchten. Beim Essen nickte ihm Conrad hin und wieder freundlich zu. Zu freundlich, fand Wibald. Es war ihm peinlich vor den Brüdern.

Die gemeinsamen Singstunden, die Gebete, all die Übungen wurden ihm allmählich zur Last. Er schalt sich dafür, betete inbrünstig, flehte die Heiligen an; es half kaum. Zu deutlich spürte er der Brüder bittere Blicke in seinem Rücken. Wenn er sie ansah, senkten sie die Augen, und wenn er fragte, antworteten sie einsilbig. Nur Ekbert, der doch Wibalds Nebenbuhlerschaft in der Gunst des Abtes fürchten musste, gönnte ihm hin und wieder ein Wort.

Froh war er nur, wenn er an seinem Tisch saß und wieder ein paar Verse glücklich zu Pergament gebracht hatte. Aber alle Freude ist nur unvollkommen, wenn man sie nicht teilen kann. Wem aber sollte er sich mitteilen? Gerade jetzt. Das war schon in ruhigeren Zeiten schwierig. Jeder der Brüder hatte sein Tun, und das nahm ihn so in Anspruch, dass er es für die einzig würdige Beschäftigung hielt, der sich ein Mönch neben seinen Glaubenspflichten hingeben durfte.

Am ehesten würde ihn Balthasar verstehen. Der Schreibmeister und Scholasticus wusste Schriften und Sprachen zu schätzen, und wenn er die Verse der alten Römer liebte, warum nicht auch die der eigenen Ahnen? Vielleicht ließ sich mit diesen Liedern die zerknitterte Freundschaft wieder glätten.

Er nahm das Blatt, auf dem er das Lied von Wieland dem Schmied und seiner Liebe zu der Tochter des Zwergenkönigs zusammengestellt hatte; einige Zeilen fehlten, danach wollte er fragen. Balthasar fasste das Pergament vorsichtig mit zwei Fingern und hielt es weit von sich ab, als wäre es nicht aus Kalbshaut, sondern aus Hundefell. Seine Augen waren schwach geworden. So schwach schon?

Nur einen einzigen kurzen Blick warf er darauf, dann reichte er es zurück, sagte: „Mutter Brigitta wartet auf St. Augustini Tractatus. Ich will den kleinen Ruodlieb darum bitten“, und schlurfte davon.

Wibald schoss das Blut in die Ohren. Er hatte versprochen, einige Auszüge anzufertigen, wenn auch ohne sonderliche Lust, nur Balthasar zuliebe. In der Aufregung der letzten Wochen hatte er nicht mehr daran gedacht. Wer aber glaubte ihm seine Vergesslichkeit, da doch alle Brüder um seinen ganz und gar unchristlichen Groll auf die Äbtissin von Mariakron wussten? Er wünschte, er wäre der kunstreiche Schmied, auch um den Preis einer zerschnittenen Sehne, und er schwänge sich mit seinen Eisenflügeln hoch über den See, die Wälder, die fernen Berge.

Ebenso wenig Glück hatte er bei Theofried. Schmutzig gelbe, nach Höllenpfuhl und Fegefeuer stinkende Schwaden schlugen ihm aus der halb offenen Tür des Weinkellers entgegen, der des feuchten Untergrunds wegen nur anderthalb Fuß in den Boden eingelassen war. Drinnen hustete es gottserbärmlich.

Wibald riss die Tür auf. Der ekle Qualm verzog sich. Der Kellermeister trat über die Schwelle, wischte mit dem Zipfel der Kutte Tränen und Schmutz aus dem Gesicht und zog schnaubend die frische Luft ein.

„Habe sie gepicht und geschwefelt, muss ja sein. Will sie zum See schaffen, sehen, ob sie dicht sind. Du bist jung und schwipp, springst hinein, ein paar handliche Steine dazu, des Gewichts wegen. Bis zum dritten Fassband muss es eintauchen. Wenn du dir nasse Füße holst, hat der alte Theofried schlecht gearbeitet. Aber er hat nicht. Mit diesen Fässern kannst du den Nil heruntergondeln wie weiland der Erzvater Moses in seinem Kasten. Nimm eine Stake mit. Wirbelströme, sagt Odilo. Hui, dreht’s dich, und eins, zwei, drei bist du drüben bei den drei Birken.“

Wibald wuchtete die Fässer über die Schwelle. Oben gab ihnen Theofried einen Tritt. Torkelnd kollerten sie seewärts. Mit einem abgebrochenen Brunnenschwengel, der als Stake dienen sollte, humpelte er hinterdrein.

Wibald verkroch sich wieder in seine Bibliothek, blieb allein mit seiner Freude und mit seiner Sorge, die ihn ansprang wie Winterkälte, von unten her, den Rücken versteifte, die Glieder lähmte, die Finger erstarren ließ. Die Feder entfiel seiner Hand.

Er schlief schlecht in der nächsten Nacht, flog als geflügelter Schatten über den See, erschrak vor der schwarzen Flut unter sich, das Gewicht der eisernen Schwingen lähmte die Arme, die durchschnittene Sehne schmerzte, er stürzte, fiel kopfüber in Theofrieds im Wirbelstrom tänzelnde Tonne, bis zum dritten Fassband eingetaucht ...

 

Obwohl wir die Dinge und Geschehnisse, wie gesagt, zumeist mit den Augen Wibalds sehen und vorgeben, von seiner Welt nicht mehr zu kennen, als er selbst hätte erfahren können, wenn er nicht so einfältig gewesen wäre, kommen wir nicht umhin, vom Recht der Nachgeborenen Gebrauch zu machen: mehr zu wissen als die Vorgänger und das Gestrige nach unserer Weise zu ordnen, ohne dass wir uns anmaßen, allwissend und allvermögend zu sein wie Adalwarts Gott.

Wibald hätte gewiss verstanden, dass wir nicht immer in seinen Fußstapfen gehen können, schließlich sind wir weder seine Söhne noch seine Enkel, nur entfernte Verwandte.

Schon deshalb hätte er verstanden, weil er in seinen Scholarenjahren manch fleißigen Blick in die heidnischen Philosophen getan und ihnen entnommen hatte, dass man ein Ding von mehr als einer Seite anschauen müsse, wenn man sich ein Bild von ihm machen will. Und bei Abaelard, dem Doctor Palatinus, fand er, dass Gottes schöne Welt mancherlei Risse aufweise, über die man nur mithilfe dialektischer Bocksprünge hinwegkomme. Da aber für einen glaubenstreuen Benediktiner der Zweifel eine Todsünde ist, bemühte er sich fromm, solcherlei ketzerische Lehren schnell wieder zu vergessen.

Doch nicht von Wibald soll jetzt erzählt werden, wir wollen auf einen kurzen Sprung durch die Zeit nach Spuren ausschauen, die Conrad, Wibalds Gönner und Widerpart, auf seinem Weg nach St. Valentin hinterließ.

Conrads Herkunft hatte ihm die schönsten Aussichten eröffnet. Abt, Domherr, Bischof hätte er werden können, vielleicht sogar Kardinal. Seine Urahnen hatte schon der große Kaiser Karl mit Ämtern und Ländereien bedacht.

Die Familie war verwandt mit den vornehmsten Geschlechtern, sogar mit dem in der ganzen Christenheit berühmten Gottfried von Bouillon, der das erste Kreuzfahrerheer ins Heilige Land geführt hatte. Jeweils der älteste Sohn übernahm das Lehen, die jüngeren traten ins Kloster ein, damit sie als Geistliche zu Ansehen und Geltung kämen. Allein drei Bischöfe hatte die hervorgebracht, die Zahl der Äbte und Domherren wusste niemand zu nennen.

Conrads Klosterleben hatte in einem lothringischen Konvent begonnen, wo man sich an die strengen Regeln von Cluny hielt. Seines Eifers wegen hatte ihn der Abt, der ihm wohlwollte, denn sein Bruder hatte Conrads Mutterschwester geheiratet, auf den Monte Cassino geschickt. Mit Fleiß studierte er drei Jahre lang die Schriften des Petrus Damiani, des heiligen Anselm und der Kirchenväter, bis seine Oberen ihn für genügend gefestigt hielten, einige mainfränkische Klöster zu reformieren, mit der gebotenen Vorsicht, versteht sich, denn noch hielten kaisertreue Bischöfe und königliche Vögte ihre Hände über das Kirchengut.

Conrad zog beflissen aus und überzeugte die Äbte, dass sie wohl der weltlichen Gewalt einen gewissen Gehorsam schuldeten, zuerst jedoch den Geboten der Kirche und des Apostolischen Stuhles nachzukommen hätten. Alles ließ sich günstig an. Das Kardinalskollegium nahm seine Rapporte mit Beifall auf; man erwog, ihm größere Aufgaben anzutragen.

Da erlag er am Ende der Jugendblüte den prallen Lippen einer rotblonden Chorschwester. Solches war schon andern Kanonikern widerfahren, denn auch der Frömmste kann seinen sündigen Leib nicht von sich werfen, außer zum Tode, und er hätte daran so wenig Schaden genommen wie jene, wenn nicht die huldreiche Jungfrau ein böses Spiel mit ihm gespielt hätte. Sie war nämlich die Schwester eines Priors, den er hatte rügen müssen und der deshalb nicht zum Abt seines Mutterklosters gewählt worden war. Der Neffe dieses Mannes wiederum war Protonotar beim Erzbischof von Köln, Reinald von Dassel, dem bösen Geist des Kaisers.

Conrads Gönner hielten es für geraten, ihren Schützling für einige Zeit in die strenge Abgeschlossenheit des Klosters Windberg in Bayern zu versetzen, wo er seines flüssigen Lateins wegen die Schreibstube beaufsichtigte. Damals meinte er, jegliche Träume unter verstaubten Pergamenten ersticken zu müssen.

Eines Tages sprach ein bescheidener Bruder aus Melk vor und zeigte ihm seine Erhöhung zum Abt an - und seine Versetzung. So sehr Windberg seinen steten Tätigkeitsdrang einengte, so hatte es ihm doch den Trost tiefsinniger Gespräche mit gelehrten Mitbrüdern gelassen. Und nun lebendig begraben in St. Valentin! Da hatte irgendein um sein Seelenheil fürchtender Kaiser ein Kloster gestiftet, ihm zur Klausur diese torfschwarze Öde zugewiesen und vergessen, die Brüder mit Ackerwerk, Weinbergen und Hörigen zu ihrer Nahrung auszustatten. Abt einer Handvoll halb verhungerter, verbauerter Eremiten, welch eine Erhöhung, o Gott! Nach einigen Wochen ging ihm in der schwärzesten Nacht eine Botschaft zu, die die Brüder sehr verwundert hätte, wenn sie ihnen bekannt geworden wäre. Da sah Conrad ein, dass dieses Elendskloster mit Bedacht ausgewählt worden war. An keinem andern Ort ließen sich so in aller Heimlichkeit die Stiefel walken für den Weg, auf dem die Kirche die Last der Bedrückung durch den rotbärtigen Antichrist abwerfen würde: die versteckte Lage, kein Fremder setzte seine Füße ohne Not hierher; die geringe Anzahl der Mönche, die, selbst wenn sie sich bockbeinig stellten, mit fester Hand klug zu leiten waren; und das wichtigste: hier fand sich der Schreiber, der in aller Unschuld mit einem Blatt Pergament dem Kaiser den Purpurmantel von der Schulter wedelte.

 

Am Morgen nach jener Nacht der argen Träume legte ihm Vater Conrad den Brief auf den Tisch.

„Schreib und vergiss!“

5. Kapitel

Es waren aber zwei Schreiben, die Vater Conrad gebracht hatte. Das eine stammte aus der königlichen Kanzlei und enthielt Anweisungen für den Vogt über die Silberminen von Goslar. Sie gingen Wibald nichts an; nur die Lettern, die sollte er sich genau anschauen, sich fest einprägen und als Muster nehmen für den Brief, der zu schreiben war.

Den Text dazu lieferte das zweite Blatt. Dieses war mit dünnen, flüchtig hingeworfenen Zeichen bedeckt, mit Streichungen und Verbesserungen durchsetzt, als hätte der Schreiber nach einem unsicheren Diktat gearbeitet, aber es war in dem gleichen korrekten, etwas steifen Amtslatein abgefasst. Wären nicht die unterschiedlichen Schriften gewesen, hätte Wibald fast geglaubt, die beiden Schreiben stammten von der gleichen Hand.

Fast. - Denn diesen Text konnte kein kaiserlicher Notar geschrieben haben, hatte Kaiser Friedrich nicht diktiert, nie, niemals!

Rom, hieß es darin, das neue Babylon, sei als Vorort der Christenheit und Sitz des Apostolischen Stuhls zu tilgen. Der Heilige Vater müsse künftig in Trier residieren. Das Trierer Episkopat sei ohnehin älter als das römische, sei das älteste im ganzen Abendlande und daher würdiger, Christi Banner voranzutragen; in Trier bewahre man die wertvolleren Reliquien auf, wie den Heiligen Rock und den Schaft des Speeres, der dem Heiland die Seite durchbohrt hat; auch sei der Vicarius Christi in der Obhut treuer deutscher Ritter sicherer als unter den wetterwendischen, verräterischen Römern ...

Nein, das konnten des Kaisers Absichten nicht sein. Friedrich war ein frommer Christ, ein gläubiger Sohn der römischen Kirche. Wie anders hätte Vater für viele Jahre sein Freund sein können! Auch wenn der Kaiser mit dem Heiligen Vater in Fehde lag - oder mit einem der Päpste, denn welcher von beiden jetzigen der rechte war, Alexander oder Paschalis, das wusste Gott allein.

Der Kaiser müsste ja dumm sein, dachte er bei sich, denn soviel glaubte er von den Geschehnissen draußen jenseits des Klostertales zu verstehen: Die ganze Christenheit würde Friedrich gegen sich aufbringen, Kleriker wie Laien, Bischöfe und Fürsten, Äbte und Grafen, Mönche und Ritter, ja, die Bürger und Bauern, Männer wie Weiber und selbst die kleinen Kinder. Sie alle liebten die Stadt des Heiligen Petrus als das neue Jerusalem, den Hort des Glaubens.

Das alles wusste der Kaiser, wussten auch seine Berater, die ihm ergebenen Fürsten und Herren. Denn Friedrich war, hatte Heribert gesagt, klug, gütig, gerecht und weise.

Ein übler Scherz!

Ein Scherz? Jetzt erst begriff er: Des Kaisers Feinde, der welsche Papst vielleicht oder die Mailänder, wollten diesen Brief für einen echten ausgeben, um die Welt gegen Friedrich und das Reich aufzuwiegeln. Deshalb also sollte seine Schrift der Vorlage bis auf den feinsten Haarstrich gleichen. Der Schrift der kaiserlichen Kanzlei. Auch das Pergament war sicher von dort gestohlen, und das Siegel, das die Echtheit bestätigte, würde jemand beschaffen; Verräter gab es überall, gewiss auch unter den Herren des Kaisers.

War nicht auch er ein Verräter, er, Wibald, Sohn des Ritters Wilgerd, ein Judas, der den Dienstherrn und Freund des eigenen Vaters den Häschern angab, damit sie ihn ans Kreuz nagelten?

Wenn er diesen Brief schrieb!

Dann würden sich des Kaisers Neider, die Fürsten und Herren im Lande wie die Fremden, die welschen Franken, die Normannen, die Dänen und Wenden, die Sarazenen, Ungarn, die Griechen und wer weiß noch, auf den verlassenen Herrscher stürzen wie die Wölfe auf ein verirrtes Lamm, das Reich zerfleischen, jeder nach dem größten Brocken schnappen, bis sie sich zuletzt gegenseitig anfielen, jeder jeden, und die Welt ertränke in Blut.

Und wenn er die Feder aus der Hand legte, das Pergament zerrisse?

Das schlimmste war, dass er mit niemandem reden konnte. Der Abt hatte die Brüder fortgeschickt, auch die Klosterschüler. Der Bischof hatte um Hilfe ersucht, in den Dörfern trieben irgendwelche Gaukler ihr Unwesen. „Also doch Lautenschläger“, hatte sich Odilo kopfschüttelnd verwundert. Die Fahrenden sängen nicht nur verderbte Lieder, sie verbreiteten auch ketzerische Lehren. Es sei zu vermuten, dass es sich um Katharer, Apostoliker oder andere Abweichler handle. Da es an geschickten Predigern in der Landschaft mangle, möge das Kloster beispringen, um den Verleumdern Gottes und der Kirche mit der Wortgewalt des wahren Glaubens entgegenzutreten. Nur der Abt und Blasius waren zurückgeblieben.

Und Wibald natürlich. Er vermutete, die Gaukler seien Conrad ein billiger Vorwand gewesen, die Brüder auswärts zu beschäftigen, damit nicht böswilliger Zufall oder unzeitige Neugier das Geheimnis des Briefes offenbarten. Bei Blasius bestand keine Gefahr. Der Herr hatte ihm in überreichlichem Maße die Kräfte des Leibes zugeteilt, die des Kopfes aber knapp bemessen.

Wibald bedachte sich nicht länger, nahm die Blätter und suchte Conrad, fand ihn nicht gleich und fragte Blasius, der mit dem Senklot den Schacht des Kabinetts nachmaß.

„Geh ihm besser aus dem Weg! Ihm muss ein Wurm ins Gedärm gefahren sein.“ Er wies auf die Bruchsteinwand. „Ein bequemes Kämmerchen, nicht wahr? Ein Mann, der nicht überfüttert ist, kann leidlich darin stehen. Dich lässt er zuerst einmauern. Keine Angst, ein Luftloch bleibt. Dann hast du endlich Zeit zum Beten, zwanzig, dreißig Jahre, soviel dir der Herr noch gibt.“

Wibald fand den Abt am Seeufer. Er begutachtete Theofrieds Fässer.

„Ach!“ Conrads Stimme klirrte wie Februarfrost. „Du entdeckst dein Gewissen? Dann sag mir, Philosoph: Wie kann ein Ding das Gewissen eines Christen drücken, wenn es für die Kirche Christi gut ist? Du schweigst? Das ist mir Antwort genug. Denk an dein Gelöbnis: Gehorchen, ohne zu fragen! Schreib und vergiss!“

Wibald hielt dem starren, kalten Blick nicht stand. Er senkte den Kopf, zitternd vor Scham über seine Schwäche.

„Verzeiht, aber ich kann nicht. Wenn ich nach der Feder greife, erlahmt mir der Arm, die Finger verkrampfen. Mir ist, als höbe ich die Nägel auf, die ich meinem eigenen Väter in die Glieder treiben soll.“

„Mein Sohn, des Gottesknechts Vater ist einzig der Herr und seine Mutter unsere heilige Kirche. Ihnen bist du geweiht, und allein ihnen musst du Rede und Antwort stehen. Mit deiner Weigerung schlägst du diesen, deinen wahren Vater noch einmal ans Kreuz, wie es die Häscher des Herodes taten.“

Conrad wandte sich ab, stützte sich mit beiden Händen auf den Tonnenrand und starrte, leicht vornübergebeugt, zum jenseitigen Ufer hinüber, wo sich über dem dunklen Waldstreifen eine schwarze Schwinge erhob und in weiten Bögen südwärts segelte.

Wieland, der Schmied, dachte Wibald. Wenn ich, wie er, fliegen könnte!

„Und deine heilige Mutter begeiferst du. Allein der Gedanke verdiente strengste Strafe. Preise den Herrn auf Knien, weil er meinen Sinn milde stimmt, damit ich in Ansehung deiner Jugend und Unwissenheit dir die Pön erlasse, sofern du tätige Reue beweist. Darum gehe hin und schreibe!“

Wibald, erlöst vom Bann der starren Augen, hob wieder den Kopf. „Nein, ich kann meinen leiblichen Vater, der durch die Güte Gottes Schild seines himmlischen Herrn ist, wie er der seines irdischen war, nicht vergessen, verachten, noch einmal töten. Heißt es nicht: Wer nach seinem Vater mit Füßen tritt, tritt nach dem Herrn?“

„Du disputierst?“ Conrad drehte sich ruckartig um und hob die Arme vor die Brust, die offenen Handflächen Wibald zugekehrt, die Daumen quergelegt wie Riegel, die seine Seele zusperren sollten vor solcherlei Gedanken. „Freilich, dies ist durch die Lässigkeit meiner Vorgänger ein Kloster des Kaisers, nicht der Kirche; seine Insassen sollten füglich nicht Mönche heißen, Kinder des Herrn, sondern Knappen, Stiefelputzer des Königs.“

Je heftiger er sich erregte, desto mehr büßten die Augen ihre lähmende Kraft ein.

„Wie müsst Ihr den Kaiser hassen!“

Conrad schloss die Hände zu Fäusten. „Den Rotbart? Ich hasse ihn nicht und ich liebe ihn nicht, ich diene der Kirche. Aber nicht ich bin dir Rechenschaft schuldig, sondern du mir Gehorsam. Geh und schreib!“

Wibald schüttelte heftig den Kopf.

„Der Brief wäre eine Fälschung. Ein Unrecht kann nicht gut sein für die Kirche.“

„Nichts ist unrecht, was gut ist für die Kirche!“ Conrad riss die Fäuste nach unten und öffnete sie, als wollte er seinen Widerpart bei den Hüften packen und in eins der Fässer werfen. Erschrocken wich der Junge zurück.

„Unrecht! Falsch! Es gibt nur einen Falsch, den Falsch des Antichrist, und nur eine Wahrheit, die der Kirche. Die Kirche ist immer im Recht. Du missbrauchst meinen Langmut. Blasius soll dich mit Ruten streichen, bis dir das Gesicht zu einem Kürbis schwillt von dem Schrei nach Tinte und Feder!“

„Und wenn Ihr mich einmauern lasst, nein!“

„Einmauern? Die Strafe, die dir gebührt! Sie soll dir werden, lebendigen Leibes. Es gibt in diesem Lande ein gutes Dutzend Schreiber, die deine armselige Kunst verstehen, andere nachzuahmen. Drei Tage Verzögerung erreichst du und bezahlst sie mit ewiger Finsternis.“ Die Stimme wurde ganz leise, zuletzt, und die Augen strahlten wieder ihren kalten gefährlichen Glanz aus.

Wibald erkannte: Sein Tun war eitel, sein Opfer ohne Sinn. Vaters Tod hatte den Kaiser gewarnt und ihm das Leben erhalten, seine Weigerung aber wäre Spreu vor dem Wind.

Ein Zittern befiel ihn, er sank in die Knie, beugte das Haupt und berührte mit den Lippen den Saum von Conrads Kutte. Und dachte: Man müsste den Kaiser warnen. Denn Friedrich war von den Fürsten gewählt, vom Erzbischof gesalbt, von dem Heiligen Vater Hadrian, dem unbestrittenen Papst, gekrönt; sein Amt war von Gott.

„Vergebt mir, Vater, ich bin ein Sünder! Mea culpa, mea maxima culpa! Bestraft mich mit der Strenge Eures väterlichen Urteils für meine Irrtümer und sündigen Verfehlungen!“ Zwei Tränen rannen ihm aus den Augenwinkeln und kitzelten die Nasenflügel. Wenn Conrad ihm nur glaubte, seinen Sinneswandel ernst nahm oder wenigstens seine Furcht!

Conrad lehnte sich gegen die Tonne und faltete die Hände vor der Brust. „Du verdientest keine Milde, zu schwer wiegt deine Schuld, die du nur mindern kannst, nun, du weißt selbst, wie. Und durch Verschwiegenheit. Schreib und vergiss!“

Ob Conrad ihm nun glaubte oder nicht, Wibald schrieb, schrieb, malte mit einer Sorgfalt, die dem Tag die Stunden nahm. Als die Sonne hinter die gewitterfarbenen Berge sank und Vater Conrad das Blatt abholen wollte, fehlten noch immer drei Zeilen.

„Die Brüder kommen“, sagte der Abt betrübt, als müsste er nun doch die Strafe höher bemessen.

„Nach Mitternacht“, versprach Wibald, „wenn die Brüder fest schlafen, setze ich mich in die Bibliothek.“ Er schob die Blätter zusammen. Sobald er sich unbeobachtet sah, steckte er sie unter das Hemd.

Noch wusste er nicht, wie er seine Botschaft an den Kaiser bringen sollte. Ja, hätte er Wielands Kunstfertigkeit besessen, aus schwerem Eisen federleichte Schwingen zu schmieden -

Er musste Balthasar bitten. Die Treue zum Herrn und Herrscher des Reiches war stärker als die augenblickliche Verstimmung, gewiss auch bei seinem Lehrer und Freund. Aber seine heimlichen Zeichen bemerkte der Alte nicht. Oder er verstand sie nicht.

Wibald tröstete sich mit der Nacht. Balthasar hatte einen leichten Schlaf, man brauchte ihn nur anzuhauchen, schon schlug er die Augen auf.

Als sich die Brüder nach der Messe zur Ruhe begaben, hielt Wibald sich wach und lauschte. Wenn man jahrelang mit andern das Schlafgemach teilt, hört man an den Atemzügen, wer wie ein Eichkater schläft und wer mit offenen Augen sinnt, wen der Alb drückt und wer sich ins Paradies träumt. Vorsichtig schlich er sich zu Balthasars Lagerstatt.

Nicht vorsichtig genug. Er streifte Theofrieds Strohsack.

„Du? - Meine Fässer ...“

„Pst! Morgen.“

Theofried krallte sich in Wibalds Kutte. „Lass mich nicht im Stich. Allein schaffe ich’s nicht. Hinein komme ich vielleicht, aber hinaus? So wenig wie der Hering aus der Lake.“ Er kicherte.

„Morgen, das verspreche ich dir.“

Die andern wurden unruhig, warfen sich herum, gleich mussten sie erwachen.

„Der Wirbelstrom treibt mich über den See.“

Über den See, wiederholte Wibald mechanisch, und wusste plötzlich, was er zu tun hatte: Nicht Wieland, Moses sein!

„Muss nur mal schnell raus“, sagte er etwas lauter, als nötig gewesen wäre. Für alle Fälle.

 

Als er nach einer halben Stunde noch nicht zurück war, setzte sich Balthasar auf.

„Wo soll er schon hin?“, knurrte Odilo, der wegen seines Reißens ohnehin schlecht schlief. „Das Tor ist fest verriegelt. Conrad hat die Schlüssel selbst an sich genommen.“

„Ich muss nach ihm schauen.“

„Lieber nicht“, warnte Ekbert. „Dem Vater Abt ist’s gewiss nicht recht.“

Alle verwunderten sich. Aber gehorsam legten sie sich zurück und zogen die Kutten über die Köpfe.