Impressum

Herbert Otto

Der Traum vom Elch

Roman

ISBN 978-3-95655-309-7 (E-Book)

 

Das Buch erschien erstmals 1983 im Aufbau-Verlag Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

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1. Kapitel

Fast den ganzen November hatte sie gewartet.

Sie war auch diesmal ohne eine Nachricht von ihm, aber sie wusste, dass er kommt. Er kam immer im Mai und im November, nun schon im dritten Jahr. Kometenähnlich sein Verhalten: Auf einer lang gedehnten Bahn durchstreift er die Teile des Himmels, am äußersten Punkte kehrt er um, seine Helligkeit nimmt wieder zu, er nähert sich schnell, und fast so pünktlich wie ein Himmelskörper trifft er ein. Er bleibt nur wenige Tage jedes Mal. Und doch, erklärbar oder nicht, füllt er Annas Leben ganz aus. Alles misst sie an ihm. Das Alleinsein, Erlebnis und Besorgnis, eine Verliebtheit zwischendurch, Überlegtes oder Leichtfertiges: sie teilt es ihm mit in Briefen, die er nie gesehen hat. Sie liegen geordnet bei der Wäsche im Schrank. Es ist wenig, was sie über ihn weiß. Auch wenn sie wollte, sie wüsste nicht, wie sie ihn erreichen könnte. Er scheint alles zu sehen und zu bewerten, aus der Ferne besonders. Geist über allen Wassern.

Sie nennt ihn Elch.

Auch diesmal tat sie, was sie immer tut, wenn sie ihn erwartet: vom Krankenhaus ohne Umweg oder Aufenthalt nach Hause, einen Dienst übernehmen, wann es ging, um viel freie Tage anzusammeln für ihn, eine Nachricht hinterlassen da oder dort. Und wieder die Länge und Langsamkeit und die wechselnde Gestalt eines langen Wartens. Die Linden waren fast kahl, Buchen, Flieder und Haselnuss nicht, es war für sie voll von Erlebnis, wenn sie eines der letzten großen Lindenblätter sich lösen und langsam fallen sah.

Es kann ja sein, schrieb sie an Elch, Du hast doch eine Frau. Sie hat ein Bein gebrochen oder das Schultereckgelenk, und Du musst sie pflegen. Splitterbrüche sind die schwierigsten. Oder sie erwartet ein Kind, sodass Du eine Zeit lang verschollen bist. Oder Du bist abgekommen von Deiner Bahn und ganz verschollen. Ein Gedanke, den ich schnell vergessen will. Aufschreiben, heißt es, hilft beim Vergessen.

Warum sie ihn Elch nennt: weil er so schön anzusehen ist und seine Freiheit so sehr liebt und sich lange in den Weidegründen aufhält, wo wohl in feuchten Niederungen das Gras steht, das er braucht für sein kräftiges Geweih. Und weil er jemand ist, dem man nur selten und nie wieder begegnet hierzulande. Er ist scheu. Selbst ihre Freundin kennt ihn nicht. Und es gibt kein Foto. Geht ein Elch zum Fotografen? Na also.

Gegen Ende des Monats hatte ihr Warten, ohne dass sie es aufgab, an Kraft verloren, allmählich kehrte sie ins Alltägliche zurück, nahm endlich freie Tage, schlafen, schlafen, Frühstück im Bett, lesen, durch Geschäfte bummeln im Zentrum, Christel besuchen, die das Schuhgeschäft leitet, und auch wieder ausgehen mit Freundin Annette. Karten für Theater und Konzert besorgt Christel. Der Emmes, Annettes Junge, geht nun schon zur Schule. Sobald Schnee liegt, hat Anna ihm versprochen, wollen sie mit dem Schlitten auf den Töpferberg, und sie fahren vielleicht von ganz oben hinunter. Der Hang hat starkes Gefalle, und bald ist die Bahn vereist. Man kann auch aus halber Höhe abfahren; das ist harmlos und braucht gar keinen Mut.

An Elch schrieb sie: Es ist auch das Gefühl, dass Du mich brauchst, wenn Du kommst. Ich gehe wie ein Kind, das sich im Wald verlaufen hat. Nur dass ich nicht rufe. Weinen kommt vor. Die Station, das langsame Sterben und die Mühsal der Kranken, was ich ja doch teile, sind weit entfernt. Annette hilft mir. Sie nimmt alles leichter und wie im Vorübergehen. So sieht es jedenfalls aus. Auf diese Anzeige, von der ich schrieb, haben sich allerhand Freier gemeldet. Gut sortiert liegen sie da. Ein unreifes Unternehmen. Ich weiß. Wie sagst Du? Die Torheiten zeigen, wie erwachsen du bist. Aber wir wollen anfangen, die Herren vorzuladen und zu besichtigen.

Auf den Gedanken waren sie schon im Spätsommer gekommen, abends bei Annette das Geplauder über das Seelchen und die andere Hälfte der Welt, Kerzenlicht und Rachmaninow. Oder war es Brahms, Konzert in D-Dur, schön drogenhaltig, die allerliebste Wegwerfmusik, die sie kennen. Also die junge Frau, die schön am Leben ist, aber allein lebt, so gut wie allein. Am Ende von zu viel Freiheit hast du keine mehr. Nur Wechselbäder von Verstrickung und Alleinsein, wieder hintergangen, wieder Anträge. Man hat dich ausgespäht als ungebunden. Freu dich und sei folgsam.

Seine schlechte Lage ändert nur, wer sie durchdacht hat und verstanden. Was, wenn man die gültigen Regeln umkehrte? Statt ausgewählt zu werden, wählt man selber.

Wenn das ginge.

Es geht. Eine Anzeige müssten wir aufgeben. Die Bewerber melden sich massenhaft, wir laden sie vor. Es war der Entschluss, ein Spiel zu versuchen, Mischung aus etwas Rache, Spaß und Zeitvertreib, gütige Rache, am Boden ein Satz Bitternis. Für Annette lag vielleicht mehr darin, winzige Hoffnung, die sie nie zugibt.

Schon mit dem Anzeigentext hatten sie viel Vergnügen gehabt. Die meisten Wendungen, aus gedruckten Anzeigen, schieden natürlich aus.

Bin fürs Alleinsein nicht geschaffen. Oder: Wo bist du, liebevoller, helläugiger Hüne? Zärtliches Femininum sucht passendes Maskulinum. Schönheit kein Hindernis.

Oder der: Bin ein Engel mit nur einem Flügel, muss meinen zweiten Engel finden, mit m.-l. WA, was wohl marxistisch-leninistische Weltanschauung hieß. Wie mochten sie aussehen, die Engel mit m.-l. WA?

Das Angebot, das sie aufgaben, war voller Gegensätze.

Pechvogel, weder e. Schönheit noch vermög., sportl.-eleg., temperamentv.-romant., ernst-humorv., 29/167, reisel., m. Int. f. Kunst, Natur u. Autosport, sucht stimmungsv. Partner, zielstreb., spars., aber n. geiz., m. viel Selbstvertr., geist. und körperl, anspruchsv., mögl. Akad., aber n. Beding.

Von den Bewerbern wollten allzu viele auf satte Häuslichkeit hinaus. In die engere Wahl kamen ein Hausmeister, ein Lehrer, ein Anlagenfahrer, ein Psychologe und jemand von der Reichsbahn. Die Auskünfte zur Person verschleierten mehr, als sie deutlich machten. Beiwerk, das schmücken sollte: bin übrigens tierlieb; schätze hoch die Toleranz; körperlich bin ich durchtrainiert und stark ausdauernd; Wassergrundstück mit Bungalow vorhanden.

Nur einer, Hartmut Hahn, gab unumwunden zu, in einem Pflegeheim Hausmeister zu sein, hätte früher leitend im Lichtspielwesen gewirkt, sei lebenslustig und besitze einen Dacia mit vielen Extras. Ihn luden sie vor, auch weil Annette, die gern grafologische Betrachtungen anstellte, sein Schriftbild gefiel. Als zweiten Kandidaten bestimmten sie den Eisenbahner, der wohl kein Fahrzeug besaß, denn in seinem Brief hatte er Wert und Annehmlichkeit jener Freifahrscheine beschrieben, über die er verfüge, wohin auch immer zwischen Warnemünde und Wladiwostok, Peking nicht ausgeschlossen.

Und so hatten sie am ersten Mittwoch im Dezember den Bestelltag, das Besichtigen der Freier, denen aufgetragen war, sich im Stadtkrug am Markt um achtzehn Uhr einzufinden, jeder versehen mit einem Kennzeichen. Sie selbst trafen sich früher. Sie bekamen den Ecktisch am Fenster und bestellten beide ein Glas Sekt. Jede hatte der anderen versichert, dass sie gut aussehe und ihr gefiele. Das stimmte auch; weibliche Missgunst gab es zwischen ihnen kaum. Festlich waren sie nicht gekleidet, aber vorteilhaft.

Anna trug ihre Lieblingsbluse, die pflaumenblaue, dazu den grauen Hosenanzug, der ihre Schlankheit sehen ließ. Das Haar fiel weich und fein und schimmerte in zahllosen Tönen zwischen Rosenholz und Kastanie. Annette, wie sie es gern hatte, sah fraulich und streng zugleich aus: das Kleid, ein dunkles Grün, lag eng an, war aber hochgeschlossen, die züchtige Stiftsfrisur aufgehoben dadurch, dass an Stirn und Schläfen, wie unabsichtlich, feine Haarsträhnen hervorkamen.

Anna hatte den Sekt rasch ausgetrunken; sie wollten wach und beschwingt sein und bestellten ein zweites Glas. Hinweise auf das Aussehen jener Dame hatten sie nicht gegeben, saßen also sichtbar und doch wie im Hinterhalt.

Der Eisenbahner, wie sie vermutet hatten, kam zuerst. Ihm war ein schwarzer Stockschirm verordnet, den er senkrecht hinterm Rücken in einer Hand trug, so als müsste er ihn verbergen. Seit Tagen herrschte trockenes Hochdruckwetter.

Er nahm einen der freien Tische, nestelte am Schlips. Was macht er mit dem Schirm? Etwas Kurzweil hatten sie doch. Er hängte ihn zunächst an die Kante des Tisches, nahm ihn wieder ab, um ihn auf den Stuhlsitz neben sich zu legen, blickte zur Uhr und dann, wie ohne alle Absicht, von Tisch zu Tisch. Sinn für Gleichmaß und Ordnung schien der Mann zu besitzen: um gut so liegen zu können, war der Schirm nicht kurz genug, sodass er ihn an die Stuhllehne hängte.

„Scheußlicher Schlips, den er hat“, sagte Annette.

„Und was er dauernd mit dem Kopf macht“, sagte Anna. „Hühner machen das. Sieh mal. Und kann die Karte kaum lesen. Nimmt keine Brille aus Eitelkeit. Seine Chancen stehen nicht gut. Oder?“

Die beginnende Glatze wollten sie ihm nicht anlasten. Wenig Haare sind schließlich kein Makel, gelten eher als Hinweis auf sehr bestimmte Qualitäten. Und dann bekam er, was er bestellt hatte: eine Fruchtmilch. Ob nun geizig oder magenkrank — der Fall war entschieden.

„Trotz der Freifahrten“, sagte Anna. „Wir sollten ihn sitzen lassen.“

„Warten wir den anderen erst ab“, sagte Annette.

Und einmal, nur flüchtig, Annas Gedanke: Die Tür geht auf, und herein kommst du. Nirgends hab ich etwas hinterlassen, und siehe, du findest mich doch. Psychische Phänomene, sagt Annette dazu. Und sie hält davon viel. Ich bringe selbst das Einfachste nicht fertig: Ich wünsche mir einen Traum über dich und mit dir und träume dann prompt den gewöhnlichen Blödsinn.

Kurz vor sechs kam ein Mann Anfang Dreißig, rundes Gesicht, rötliche Locken. Die Jacke von feiner Qualität, schottischer Tweed, groß kariert. Wie ein Hausmeister wirkte er nicht. Er setzte sich zu einem Ehepaar an den Tisch. Zum Zwecke des Erkennens sollte er mit einem Papierschiffchen spielen. Tatsächlich zog er bald ein Blatt aus der Tasche und begann zu knicken und zu falten. Das fertige Schiffchen zeigte er vor, sah die beiden am Ecktisch lachen und nickte, auf das Schiffchen deutend, hinüber. Anna nickte zurück. Er kam, nannte seinen Namen und wollte wissen, welche der beiden reizenden Damen es denn sei.

„Das sagen wir später“, erwiderte Anna. „Nehmen Sie nur Platz.“

„Es ist wohl noch unentschieden?“, fragte Herr Hahn und bestellte zwei Glas Sekt — oder drei, falls wir noch ein Stündchen hier sitzen. Sie verstehen, der Alkohol. Also drei.

„Ach, der Dacia mit den Extras“, sagte Annette.

„Sie fanden das affig, ja? Obwohl er mir viel bedeutet. Sind es nicht immer die Extras, die einer Sache erst Bedeutung geben?“

„Nicht immer“, sagte Anna sofort, „umgekehrt ist es ebenso richtig. Wenn etwas stimmt oder gut ist, kann es verdorben werden durch die Extras. Sogar entstellt.“ Sie hatte den Arm aufgestützt, das Kinn in der Handfläche und an der Nasenspitze den Mittelfinger oder den kleinen, so saß sie gern beim Zuhören und Nachdenken.

Sie würden die Begriffe heute nicht klären. Wie ein Hausmeister so gepflegte Hände haben kann? Jetzt im Winter, wenn mehr geheizt werden muss, fällt es schwerer. Er habe auch den Garten zu versorgen, Einkäufe zu erledigen. Ein Heim für Alte. Hatte ein Kinngrübchen und einen starken Adamsapfel. Der war beiden sofort aufgefallen. Natürlich.

Als er sich entschuldigte, um hinauszugehen, sahen sie den Mann von der Reichsbahn, halbhoch hielt er jetzt den Schirm wie ein Fähnchen. Aber Mitleid hatten sie nicht. Und Herr Hahn? Kleine Flamme, ab und an eine Ausfahrt. Ihm gestatten, sich manchmal zu schmücken mit zwei Weibern wie uns. Verspricht er sich mehr, ist es sein Pech.

Auch das gehört zu unserem Plan: vergnügt dem Eifer zusehen, mit dem ein Mann die Partie gewinnen will, die er nicht gewinnen kann, denn er spielt sie allein.

Eine Stunde saßen sie noch mit ihm. Den Eisenbahner hatten sie nicht gehen sehen. Der Sekt hob und beschwingte sie. Herr Hahn wollte wieder wissen, wer nun die Dame sei, der Pechvogel, keine Schönheit, nicht vermögend.

„Wir sind es beide“, sagte schließlich Anna. „Weil wir fast alles gemeinsam tun. Sehr schwer, uns zu trennen.“

Also beide. Wie wäre es Freitag. Gegen Abend bei einem guten Freund, der das Kunsthandwerk betreibt. Immer eine lustige Gesellschaft.

„Für Freitag liegen schon Pläne vor“, sagte Annette.

„Die freilich, meine Liebe, nicht endgültig sind“, fügte Anna hinzu.

„Rufen Sie an“, sagte Herr Hahn und schrieb die Nummer auf. Annette steckte sie ein. Alle Verwaltungsarbeit erledige sie.

Er bot an, sie mitzunehmen, wohin immer sie wollten. Prag, Venedig, Krakau. Nur zu. Sie nannten einen Straßenzug am Stadtrand, wo Anna wohnte. Auf einige Extras wies er hin. Zehnmeterstreckenzähler, Kartenlampe, Heckjalousie.

Er wollte sie bis vor die Tür fahren. Nein, wir laufen ein Stück. Und melden uns. Tschüs. Aber sie lachten so albern, dass er daran zweifeln musste. Wendete, fuhr forsch ab und ließ die Fünfklangfanfare hören.

Arm in Arm standen sie. Das war es also. Erfahrung? Nichts, außer dem Schwips, der sie leicht zu tragen schien. So ladet sie vor, Mädchen und Frauen, prüft sie streng, lasst sie abfahren oder lasst sie einfach sitzen. Handelt ohne Gnade. Die weiße Schulter zeigen, die kühle, Begehrlichkeit wecken und wieder zu Staub machen. So fühlt ihr euch neu und stark, was eure Lage verändern wird von Grund auf. Ach, ihr. Innere Not löst sich. Unerhörte Dinge werdet ihr träumen: große Fische, die durchs Zimmer schwimmen. An einem Drachen hängen und fliegen, seine weiten Schwingen sind aus buntem Stoff. Euer Stirnband frech, orange oder helles Blau. Heut ist Nikolaustag. Zwei Weihnachtsmänner hatten wir schon.

Ihre Stimmung hätten sie dunkelbunt genannt. Oder müssten sie, falls überhaupt, die Herren neu und strenger sortieren. Es war noch früh, und sie konnten den Abend retten mit Vivaldi oder Händel. Ein guter Tee und etwas Kognak.

„Nein, heut brauchten wir einen Corelli“, sagte Anna. „Ach, den hast du. Unser Arcangelo liegt bei dir. Wann kommt dein Mann?“

Er käme in zwei Wochen und war nicht Annettes Mann, sie nannten ihn nur so. Oft musste er für Monate auf Baustellen ins Ausland, aber er wohnte, wenn er in den Stammbetrieb zurückkehrte, die meiste Zeit bei ihr. Annette wurde häuslich und still, nach innen gekehrt. Anna mochte es, wenn der Mann wegfuhr: sie war dann weniger allein. Annette verwandelte sich zurück — ein Elch war der Mann für sie nicht, nie hat sie gefunden, wen sie sucht — und das Verwandte, die Ähnlichkeit ihrer Bedingungen stellten sich wieder her: Sie lebten beide den Spielraum dazwischen.

Auch über den Freitag mussten sie nachdenken, ob Anna mitkäme zu der Party, ob Annette überhaupt hinginge mit Ludwig, ihrem Maler. Und wie der letzte Stand ist mit ihm. Der alte Stand: ganz ungeklärt. Was ziehen wir überhaupt an?

Scharfer Wind ging, und mitunter rannten sie ein Stück.

 

Seit dem vierten Lebensjahr wohnte Anna hier. Das Haus lag in einer stillen Straße, umgeben von einem Garten, wie alle Häuser in dieser Gegend. Als der Vater wegging, bekam sie das Zimmer unten mit der Veranda; sie wurde ausgebaut, nachdem ihr Mann einzog und sie geheiratet hatten, sodass sie eine kleine Wohnung mit eigenem Eingang besaßen. Sie benützt ihn heute noch, sogar im Winter, wenn manchmal der Ostwind den Schnee durch die Türritzen weht und außen hoch anhäuft. Sie könnte dann die Tür abdichten, es wäre wärmer, und sie könnte den Eingang durchs Haus benutzen. Tut es aber nicht. Eigene Tür ist Goldes wert.

Bei Mutter oben brannte Licht, das gedämpfte. Das Liebeslicht. Diesen Mann sieht Anna seit Monaten. Meist geht er vor Mitternacht.

„Wen hat sie?“, fragte Annette.

„Ich kenn ihn kaum. Er kommt mit dem Fahrrad und bringt Obst. Und macht immer diese Spangen in beide Hosenbeine.“

Unter der Tür lag ein Zettel. Sie erkannte sofort seine Schrift.

Er schrieb: Sei, wenn Du kannst, morgen, Donnerstag, 15 Uhr in Freiberg. In Sachsen das. Bahnhofsgaststätte. Wir könnten ein Wochenende haben. Keine Unterschrift.

Elch war da. Wirklich. Und sie hatte ihn verpasst wegen der albernen Spielerei. Versäumt. Verpasst. Er war noch nie im Dezember gekommen und selten mitten in der Woche. Wenn er schon Nachricht gibt, ist sie spärlich. Erst wenige Stunden zuvor meldet er sich an. Er darf das, darf zwei Tage bleiben oder fünf. Am besten länger. Oder immer. Sagt nie, wann er wiederkommt, gibt kein Zeichen in der Zeit dazwischen. Von einer einzigen Ansichtskarte, die sie hat, abgesehen. Er darf alles.

Anna war stumm und blass. Immer noch stand sie im Mantel da, starrte auf die Schrift, las die Sätze wieder und wieder, als enthielten sie die Botschaft eines Unheils.

Freiberg. In Sachsen das. Wie fährt man da? Jetzt gleich zum Bahnhof. Und für Freitag mittag im Café absagen. Vielleicht geht Bärbel. Den Dienst am Montag auch noch tauschen. Kurze Wochenenden gibt es und ganz lange.

Immerhin war das Unglück nicht vollständig. Verloren nur dieser Abend und die Nacht, falls er überhaupt Zeit gehabt hätte, heute zu bleiben. Einen Abend mit ihm einzubüßen ist Unglück genug.

Annette zog ihr endlich den Mantel aus. „Lass den irren Blick und setz dich.“

Es gab zu viel zu bedenken. Schon das letzte Mal im Mai hing alles am dünnen Faden. Sie hatte gelesen und längst Licht machen und das Radio leiser stellen wollen. Hatte beides nicht getan. Auf dem Herd nebenan kochte etwas Wäsche, die Tropfen zischten auf der Platte. Obwohl trockenes Wetter herrschte, hatte die Klingel wieder ihre Tage. Die Feuchtigkeit der Nachtstunden ist für sie Gift. Nur weil er noch einmal stark geklopft hatte, hörte sie ihn, sah das Auto stehen und rannte hinaus. Dann wollten sie endlich nachsehen und sich etwas Zeit nehmen für das Biest. Eine Zicke von Klingel. Behielten aber wieder nichts übrig. Mit Elch bleibt keine Minute. Ob sie mehr haben oder weniger: zuwenig ist es immer. Und wird so bleiben, wenn kein Wunder geschieht. Aber morgen.

Anna stand plötzlich auf. „Komm, wir gehen.“

„Wohin denn?“

„Telefonieren. Bei Mutter kann ich nicht stören. Es geht sie auch nichts an.“

Und sie bekommt lange Ohren, versucht es hintenherum mit ihren Ermahnungen. Anna hört heute noch den Tonfall der Mutter, wenn sie damals sagte: Und pass auf über die Straße. Nimm die Zöpfe nach vorn. Später schnitt sie ihr grob die Haare kurz, das schöne Haar, zur Strafe für spätes Heimkommen und weil der Vater es angeordnet hatte.

„Zum Bahnhof muss ich auch“, sagte sie.

Die Lähmung war vorüber, sie spürte die Vorfreude und viel Energie. Im Bus stellte sie sich vor, dass es ein stiller Dorfgasthof wäre. Er liebt das Entlegene. Und wie er Leute für sich einnimmt. Sie hatten damals Glück und fanden dieses schöne Quartier und konnten ins Tal sehen. Man hörte den Bach, aber es war zu kalt im Zimmer. Die Wirtsleute spielten Karten. Der Mann sagte, sein Vorrat an Kohle sei knapp. Auch sei es gesünder so. Man müsse es kühl haben in der Nacht. Wusste nichts von Nächten oder nicht mehr.

Aber Elch begann vorsichtig seine Späße zu machen, lud sie zu einem Gläschen ein und zeigte Kunststücke mit Karten, die den Mann aus der Fassung brachten. Kam zwischendurch auf das Holz am Schuppen zu sprechen.

Ob er ihm einen dieser Tricks vielleicht zeigen könnte.

Gern. Wie gern, wenn er es nur dürfte. Eine Art Schweigepflicht, sehen Sie. Der ja auch Ärzte unterliegen. Es sind die strengen Satzungen der Gesellschaft für Zauberei, deren langjähriges Mitglied er sei. Vor Kurzem sogar in den Vorstand berufen. Ins Präsidium des Vorstands. Aber wo kein Kläger. Einmal ist keinmal. Doch nur diesen einen und nur dann, wenn er dem Manne fest vertrauen könne.

Später sägten die Männer. Elch, wie ein Arbeiter des Waldes, hackte die Kloben und brachte einen großen Korb voller Scheite. Wie das duftete.

Einen simplen Trick eingetauscht für die behagliche Wärme einer ganzen langen Nacht. Immer draußen unterm Fenster der Bach.

Zuerst rief Anna im Krankenhaus an. Schwester Brunhilde sagte, dass jemand nach ihr verlangt habe. Hinterlassen hat er nichts. Und den Dienst am Montag wollte sie für Anna übernehmen. Jetzt noch der Freitag bei Karlchen. Manchmal an freien Tagen half Anna im Café am Turm als Kellnerin aus. Für vier Stunden oder acht. Es kam vor, dass sie an vier, fünf Tagen so viel verdiente wie in einem halben Monat im Krankenhaus. Sie sparte nicht, kaufte Kleider und Schuhe, weil es ihr Spaß machte, sich nach Stimmung und Laune anzuziehen. Wenn ihr danach war, unscheinbar grau oder jedenfalls dunkel, oder bunt und auffällig, wenn sie wollte, dass man sie anstarrte und ihr nachsah.

Karlchen, der Gaststättenleiter, war am Apparat.

„Vor einer Stunde hat einer nach dir gefragt“, sagte er. „Junger Mann, groß, dicker Bart und teure Pelzmütze.“

„Ich weiß“, sagte Anna. „Deshalb ruf ich an. Ich muss dir absagen für Freitag. Du hast ihn ja gesehen, also weißt du, dass es wirklich sein muss. Soll ich eine Freundin schicken, oder besorgst du dir jemand?“

Er werde das erledigen. Ob er sie verstünde? Ja, ja. Schon okaih. Karlchen sagte zu fast allem okaih, und nie wusste man, ob eine Sache ihm wirklich recht war. Aber zu wenig Personal hat er immer.

Elch mit einem Bart. Sah er nicht so schon gut genug aus. Wozu braucht er ihn? Wenn er jetzt noch besser aussieht, wird es kaum zu ertragen sein. Schnurr- oder Backenbart? Gut, dass sie nicht danach gefragt hatte. Ob sie ihn erkannte, wenn er einen hatte wie Marx? An den Augen immer. Nein, Trauer ist es nicht, es ist wie das Echo, wie Überreste einer starken Traurigkeit. Oder etwa Bartspitzen, die gedreht werden und herunterhängen.

Sie verzieh ihm wohl auch das, und es gelang ihr nicht, sich ihn vorzustellen. Manches wird anders, vielleicht schöner sein. Sie konnte ihn am Bart ziehen. Ob er vielleicht Schauspieler ist und braucht ihn für eine Rolle?

Natürlich hatte sie wissen wollen, was er tut, und hatte manchmal gefragt. Etwas mit Sport? Aber er sagte nur: Auch. Wissenschaft? Ja und nein. Vielleicht Zirkus? Und er sagte: Etwas davon.

Für den Abend am Freitag mit Ludwig wünschte sie Annette Vergnügen. Genauso viel, wie sie sich selbst wünschte. Auf dieses Fest zu verzichten fiel ihr sehr leicht.

Am Bahnhof schrieb sie die Anschlüsse auf. Vor vierzehn Uhr in Freiberg, eine Stunde Aufenthalt in Dresden. Halb sieben müsste sie aufstehen.

Die Luft roch nach Schnee. Das letzte Stück zur Haltestelle rannte sie. Der Bus war hell erleuchtet und nicht voll. Was sie gern gewusst hätte: Ob man ihr etwas ansah.

Rannte auch von der Haltestelle nach Hause, als könnte sie schon hier Zeit verlieren und zu spät kommen, schrieb einen Zettel für Mutter, damit sie die Heizung versorgte, suchte Sachen zusammen. Das Nachthemd war ein Geschenk von ihm und hatte oben das Blümchen. Sie zog es sonst nie an, und es lag nicht bei den anderen.

Vor dem Spiegel prüfte sie, ob sie schön genug sei für den Elch. Immer zog er sie feierlich aus, die Reihenfolge unvorhersehbar und so, als suchte er geduldig eine noch ganz unbekannte Eröffnung des Spiels. Sie hielt die Brüste leicht in den Händen. Klein sind sie. Nicht zu klein natürlich und ganz so, wie er sie mag. Das sagt er nicht nur. Unter dem Nabel beginnen kleine Fältchen. Aber er hat auch welche, wenige und weniger gut zu erkennen und ohne Bedeutung.

Sie versuchte, ihn sich vorzustellen. Sie hatten lustige Namen gefunden und nannten ihn Durchlaucht oder Zumt. Murmeltier. Alles deutet darauf hin, dass er es mag, wenn sie ihn lange ansieht. Zum Glück ging es ihr gut, denn es ist die beste Zeit in diesen drei Wochen, und sie weiß genau, dass sie sich entspannt fühlen und ihm Freude machen wird. Und er ihr.

Weit nach Mitternacht schlief sie erst ein. Beide Wecker klingelten kurz hintereinander. Draußen war es windstill und schneite. Dick und fein auf den Ästen der Schnee. Auch auf Drähten. Die Zaunpfahle hatten steile Hauben, die ließen sich leicht wegpusten. Anna hüpfte vor Vergnügen. Schneebälle konnte man nicht machen.

Noch in der Nacht war ihr eingefallen, den Pelzmantel anzuziehen, Stiefel und die Fellmütze. Sie würden wohl durch verschneite Wälder laufen und dort, wo noch niemand gegangen war. Elch kannte viele Tierspuren und folgte ihnen selbstvergessen und mit Ausdauer. Oder bist du ein Förster?

Der Zug fuhr pünktlich ab. Sie hatte einen Wagen gefunden, der sauber war. Und einen Fensterplatz. In der Tasche steckte etwas zu lesen. Sie sah jedoch hinaus in das Schneetreiben. Es war dichter geworden. Oder wirkte es nur so durch die schnelle Fortbewegung, weil man mehr Raum durchmisst in derselben Zeit? Also auch mehr Schneeflocken. An die zwanzigmal mehr, als ginge man zu Fuß. Sie betrachtete die schöne Täuschung heiter, noch ohne Argwohn.

Der Zug fuhr langsamer und blieb stehen. Im Abteil ein Ehepaar mit einer halbwüchsigen Tochter; die kaute fanatisch einen Kaugummi. Der Mann öffnete das Fenster und glaubte ein Signal zu erkennen, ein rotes Licht jedenfalls. Das finge ja gut an, meinte er. Die Frau, die mit einem Rätsel beschäftigt war, suchte eine Gestalt bei Puschkin. Fünf Buchstaben, vorne ein O. Das Mädchen sagte sofort: Othello. Die Mutter gab ihr einen Klaps und lachte.

Über den Feldern, am Horizont, hing ein Streifen Wald, schwebte dort. Die Gespräche auf dem Gang wurden lauter, Abteiltüren schlugen häufiger. Wie hellhörig ein stehender Zug ist. Die Nervosität eines Zuges, der unterwegs steht. Man wünscht sich nur das Fahrgeräusch zurück. Für viele mochte es bedeutungslos sein, ob sie früher oder später ankamen.

Semmelbrei für Bratstücke, fragte jetzt die Frau. Sechs Buchstaben. Der Mann zog seine Uhr. Ich kann dir jetzt schon sagen: Den Anschluss bekommen wir nie. Hast du Anschlusszüge schon mal warten sehen?

Anna ging hinaus auf den Gang.

Sie wollte nicht über Anschlusszüge nachdenken. Aber das sind Züge immer nur für die Reisenden, die umsteigen wollen, für alle, die ihre Fahrt antreten, sind sie nichts weiter als ein Reisezug. Das stimmt doch wohl. Diese wollen, dass er pünktlich abfährt, jene verlangen, dass er wartet, bis sie da sind.

Der Himmel sah aus, als herrschte immer noch Morgendämmerung. Es wollte nicht Tag werden. Im Gang besprachen junge Burschen, wer in den Speisewagen gehen und noch Bier holen sollte.

Was meinst du denn, was ich in dem Koffer dort habe.

Trotzdem. Wenn wir hier erst eingeschneit sind.

Sie schicken auf dem Luftwege Decken und Verpflegung.

Bockwürste abwerfen aus dem Hubschrauber. Aber heiße.

Alles fanden sie zum Lachen. Über die Aussicht, hier zu stehen und einzuschneien, lachten sie. Ein Ereignis hat genau die Bedeutung, die jeder ihm zumisst. Und sie würde sich in der Gaststätte so setzen, dass sie die Tür sah. Auf die Minute pünktlich würde er kommen. Seine Uhr war ein Wunder an Präzision, mit einer Weckanlage ausgerüstet. Kein Klingeln, ein Schnurren. Zu keiner anderen seiner Eigenschaften schien ihr dieses Pünktlichsein zu passen: er musste es eigens erlernt haben.

Der Zug fuhr langsam weiter, mit Widerwillen, und beim nächsten Signal hielt er an. Ein Gegenzug kam vorüber. Die Familie im Abteil aß Brote, der Vater verstummt, der Anschluss unerreichbar. Natürlich wartet er nicht. Was, wenn jeder Zug auf andere Züge wartet. Und wie viele soll er abwarten? Ein Zug ist einfach ein Zug, frisch gereinigt oder vor langer Zeit, verspätet oder nicht, langsam oder etwas schneller. Es gibt solche, die im Schnee stehen. In Elsterwerda betrug die Verspätung über eine Stunde.

Der Mann im Dienstraum auf dem Bahnsteig war gereizt. Bin ich Hellseher. Machen Sie meine Arbeit oder wer. Auskunft am Schalter zwei im Bahnhof.

Anna stimmte ihn um, ihr tiefer grünblauer Blick, dunkel und taghell, die Lider für Sekunden gesenkt, dann aufgeblickt, wieder verlangend, bittend, verzweifelt, bis zur Müdigkeit. Je nachdem. Auf ihren Blick war Verlass. Wie viel er schon bewegt hat, absichtslos oder eben nicht. Zauberschlüssel, Wunderhebel. Heut genügte es, den Mann so anzusehen, wie ihr zumute war. Nach Zutat war ihr nicht zumute.

Er vergaß die strenge Vorschrift oder erinnerte sich ihrer — wer will das prüfen —, langte das Kursbuch freundlich herunter, schlug Dresden — Freiberg auf. Das ist dieser. Den bekommen Sie nicht. Sie hätten dann vierzehn dreiundfünfzig. Und wieder sechzehn Uhr zwei. Aber bitte. Wann es hier weitergeht, weiß er nicht, wüsste es gern, um es ihr zu sagen. Bitte schön.

Ihr eigener Entschluss schien es nicht zu sein, dass sie die Tasche aus dem Abteil holte. Nun käme sie mehr als eine Stunde zu spät an. Oder später. Der Elch wartet nie eine Stunde. Nun war es einerlei, ob sie weiterfuhr, ausstieg oder umkehrte.

Vor dem Bahnhof fragte sie nach der Post. Aber was den Leuten in der Gaststätte sagen? Punkt drei wird ein junger Mann kommen, hochgewachsen und mit einem Blick, wie man sich finnisches Gewässer im Spätsommer denkt. Ja, und mit Bart. Wird Kakao bestellen, und weil sie keinen haben, verlangt er Tee. Gießt vorsichtig Sahne hinein. Und sagen Sie bitte, er möchte nicht gehen. Ich rufe wieder an. Wenn Sie das für mich tun. Hier liegt hoher Schnee auf dem Platz. Fahrzeuge und Menschen bewegen sich ungelenk.

Vielleicht schneit es dort nicht. Er wartet immer nur fünfzehn Minuten. Oder sieht dann doch auf den Fahrplan und wartet den nächsten Zug ab. Wie gut es wäre, ihn genauer zu kennen und zu wissen, wie er sich verhalten wird. Sie werden dort alle Hände voll zu tun haben. Im Hintergrund Lärm, die Verständigung schwer. Da hätten wir viel zu tun, wissen Sie.

Auf einem Schlitten zog ein junger Mann zwei Kinder und lief schnell. Im Lachen der Kinder hörte man Furcht. Aus einem Taxi stiegen umständlich Leute, das Auto fuhr nicht ab. Anna hatte einen Scheck bei sich und fragte den Mann. Der war nicht abgeneigt und sah auf die Karte. Zweihundert Mark etwa müsste sie rechnen. Drei, vier Tage Arbeit bei Karlchen. Und bis fünfzehn Uhr dort sein. Aber, mein Fräulein. Sie kennen Nicki Lauda. Der den Unfall hatte und sieht aus wie eine Schnecke. Fährt aber noch. Das schafft nicht mal der.

Das Gespräch musste sie ohne Nummer anmelden, man rief sie auf, und die Stimme vom Amt sagte: Teilnehmer gibt keine Antwort. Also streichen. Das war nicht klug von dir, Elch. Hast du kein Hotel dort? Übermütig bist du gern. Aber unbesonnen? Ein halbes Jahrhundert bist du voraus mit deiner festen Zuversicht in alles Vernünftige. Etwas musst du doch haben, wo eine Nachricht ankommt. Ein Telegramm. Und du hättest mich stärker suchen sollen und diese psychischen Phänomene verwenden. Ich war doch leicht zu finden.

Das Taxi stand nicht mehr am Bahnhof.

Irgendwann kam ein Zug, mit dem sie zurückfuhr. Sie musste im Gang stehen. Oder hatte sie selbst schuld und hätte früher fahren müssen. Wenn Karlchen niemand gefunden hat, geht sie morgen Mittag ins Café. Abends vielleicht doch mit Annette zu der Party bei diesem Doktor. Ja, doch, es geht weiter. Der Trauer keine Nahrung, nicht die Hände im Schoß. Alles Sachen, die du nicht magst. Im Mai kommst du ja schon und hast die Abstände immer eingehalten. Nun schneite es nicht mehr. Die Dunkelheit kam schnell. Endlos lange noch bis Mai. Und sie hatte sich später, hinter Dresden, bisschen zurechtmachen wollen. Wenig von dem Lidblau und etwas Wangenrot.

Endlich weinte sie.