Impressum

Bernd Wolff

Im Zug hinter Brest

ISBN 978-3-95655-041-6 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1975
bei Der Kinderbuchverlag Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
Foto: Detlev Komarek

 

© 2014 EDITION digital®
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Godern
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Am Feuer sitzen,
die trockenen Zweige knistern hören
und darüber nachdenken,
wie unsagbar schön das Leben ist,
wenn man es nicht fürchtet
und es offenen Herzens auf sich nimmt ...

Konstantin Paustowski

1. Kapitel

Der Zug jagt dahin, schießt dahin durch die weite belorussische Landschaft - ein schwarzer Pfeil, der die Sonne verfolgt.

Wälder, von flachen goldenen Strahlen durchflossen, gleiten vorüber, kaum dreißigjährig, tiefgrün und saftig: moosige Flecken unter Birkenstämmen, Fichtenschneisen voll Heidelbeeren, Erlensümpfe, unergründlich schwarzes Wasser, von keinem Hauch bewegt. Dörfer, wie verloren in diesem Grün. Goldbraune Felder, auf denen Getreidehocken lange streifenförmige Schatten werfen. Aufgescheucht flüchtende Elstern und vorbeiflatternde Lieder, schwermütig wie roter Mohn.

Bahnschranken, aus geschälten, rot-weiß gestrichenen Stangen gefügt, mit einem klobigen Kasten voll Sand als Widergewicht. Kommt wirklich jemand vorüber den lieben langen Tag, so hebt er sie selber hoch für sich und sein Gespannwägelchen. Denn Autos können hier nicht fahren, mahlen sich hoffnungslos fest im lockeren Sand. Kein Mensch sichtbar weit und breit. Und doch deutet alles auf Menschen hin. Liebevoll versorgte Landschaft. Nicht zuletzt auch an den Bahndämmen die regelmäßigen Betonklötze mit dem roten Stern und der Aufschrift „Slawa KPSS“.

Alles das jagt vorbei, huscht, gleitet, wischt vorbei, vorbei, vorbei ...

„Morgen um neunzehn Uhr fünf sind wir zu Hause“, sagt Jürgen, „zweiundzwanzig Stunden noch, fast ein ganzer Tag ...“

„Und dann?“, fragt Britta.

„Dann ist alles vorbei.“

Britta schüttelt heftig den Kopf. Der scharfe, singende Fahrtwind treibt ihr das Wasser in die Augen.

„Das ist nie vorbei! Nie! Hörst du?“

„Wirst schon sehen“, sagt Jürgen schulterzuckend.

Britta blitzt ihn an. „Als ob das eine Frage wär! Als ob man sich darüber streiten müsste! Kannst du so etwas ausziehn wie ein Hemd, das in die Wäsche muss? Ich verspreche dir: Nie ist das vorbei für mich!“

Und sie fügt hinzu, leise, abgewendet: „Sonst müsst’s auch mit uns vorbei sein. Willst du das?“

Der Fahrtwind faucht und pfeift.

„Als ob’s danach geht, was ich will“, sagt Jürgen gepresst. „Du wirst in deinen Ort fahren und ich in meinen, jeder wird seine Aufgaben haben, überfallen werden sie dich: Tu dies und mach das, wo du doch jetzt dort warst ... So ist das, Strippe!“

Britta lacht schon wieder. In ihrem linken Mundwinkel bildet sich ein Grübchen.

„Wenn’s weiter nichts ist“, sagt sie, „das Ding werden wir schon schaukeln!“

2. Kapitel

Bei jedem Lokomotivenpfiff reckt der Mann den Hals wie ein Ganter, schnauft vor Anstrengung, sogar der Mund öffnet sich: ein rundes dunkles Mauseloch - jedes Mal wieder umsonst.

Schwitzend vor Aufregung und Enttäuschung, wischt er die feuchten Handflächen an der Hose ab, reißt den Unterarm hoch, um dessen dünnes Handgelenk die Uhr immer wieder nach innen rutscht - ach, und die Zeit geht hin, die kostbare Zeit, die man hier nutzlos vertut. Eine Schnapsidee war es, ein Irrsinn, auf die Tochter zu warten, als ob’s noch nicht genügt hätte mit der Reparatur vorhin! Aber jetzt aufgeben, umkehren, wo der Zug jeden Moment einlaufen kann?

Da steht man hier, fremd wie ein Pfahl, zwischen all den Menschen - schwatzende, albernde, lachende, in blauen Blusen und mit Sträußen unter dem Arm -, das weiße Hemd verrußt einem hoffnungslos, aber zu verderben ist daran ohnehin nicht mehr viel, und wer soll sich bei der Hitze etwa noch die Dienstjacke überziehen? Ach, warum hat man sich nur auf so etwas eingelassen? Und der Zug kommt und kommt nicht. Wer weiß, was ihn aufgehalten hat unterwegs; hat vielleicht eine Kuh auf den Schienen gelegen, oder jemandem ist es eingefallen, die Notbremse zu ziehen - viel kann passieren, wenn die Strecke lang ist!

Der Fanfarenzug dahinten probt nun schon zum fünfundzwanzigsten Male immer wieder das gleiche Lied, „Sabota u nas prastaja“, wenn man der dicken Blonden hier nebenan und ihrem Gesang Glauben schenken kann, es muss was Russisches sein, aber warum sich der eine Trompeter immer wieder bei der gleichen Stelle verbläst, bleibt unerfindlich. Ach, rausschmeißen sollte man den Kerl mitsamt seiner verqueren Trompete, Kohlen schippen lassen, Lok heizen meinetwegen, dass er mal einen Begriff bekommt von ordentlicher Arbeit und anständigen Leuten nicht den Gehörgang strapaziert - Armstrong würde sich noch im Grabe die Ohren zuhalten, wenn er’s hören könnte. Nun, Gott sei Dank, er kann nicht!

Nicht unflott sonst, das Lied, das erinnert einen an mancherlei, an die wirbelnden, seidengleißenden Röcke der Mädchen vom Moissejew-Ensemble, die man mal gefahren hatte, das waren noch Zeiten!, an die Reisebüroprospekte mit goldenen Moskauer Zwiebelkuppeln und - plötzlich hier - an den mächtigen tabakgefärbten knoblauchduftenden Schnurrbart des Sergeanten Welinzew, Iwan Denissowitsch.

Als der Mann so weit gekommen ist, staunt er erst mal: Iwan Denissowitsch, ist denn das möglich, mit keiner Silbe daran gedacht in all den vierundzwanzig Jahren, und plötzlich ist alles wieder da wie gestern? Gibt’s denn das?

Er reckt den Hals, diesmal in anderer Richtung, sucht die Stelle, an der es gewesen war, an der er als spillriger scheuer Dreizehnjähriger mit dem tropfenden Schulranzen diesem Mischka, diesem Bären, unter den Schnurrbart geraten war. Ist es dort gewesen - oder dort? Meine Güte, wie lange ist man schon nicht mehr auf einem Bahnhof gewesen, glatt ein Menschenalter, kann man bald sagen! Und doch: Wie gestern, wie gestern! Man zittert jetzt noch unwillkürlich in Erinnerung an den Klang dieser Stimme, dieser gemütlichen, röhrenden, furchtbaren:

„Nu, Towaristsch, du lärnen? Das ist gutt, a be we ge de e, ains und ains - swai, ain Stein und ain Stein schon bald - Chaus. Doitschland kapuut, du wiedär aufbauen, darum lärnen, lärnen, immer noch lärnen!“

Sie war nicht übermäßig lang, diese Rede, eben so lang, wie man braucht, um aus einem hinreichend großen Stück „Prawda“ und drei Fingern voll Machorka eine Papirossa zu drehen, zu kniffen und anzurauchen, länger auf keinen Fall und, so betrachtet, sicher auch nicht allzu bedeutsam, und trotzdem eine Rede, die einen zu Stein erstarren und zu Eis gefrieren ließ. Noch heute stellt sich dieses untrügliche merkwürdige Gefühl um die Blase herum wieder ein, wenn man daran denkt. Aber heute ist man ein Mann, der sich im Gegensatz zu damals zu beherrschen weiß, und außerdem ist es, wie gesagt, vierundzwanzig Jahre her, und man lebt noch, wie jeder sehen kann, hat es also glücklich überstanden, kann sogar darüber lächeln heute mit flüchtigem, von einem Mundwinkel zum anderen huschenden Lachen, na also!

Das Furchtbare dieser Worte damals bestand nicht in ihrem Sinn - den hatte man in dem eisigen Schrecken gar nicht mitbekommen, sondern in der Vorstellung, was nachher passieren könnte und ja dann auch prompt passierte. Deubel noch eins!

Hatte er einen doch gutmütig auf die Schulter und auf den Ranzen geklopft, der Hüne, der verfluchte, mit einer Hand, groß wie eine Bärentatze, und hatte sie verwundert betrachtet, als es nicht von Büchern nur so klapperte in diesem Ranzen. Hatte, noch ehe man Zeit gefunden zum Entwischen, wieder zugepratzt und unter den Ranzen gefasst, den tropfenden, der schwer war wie ein Soldatentornister, so was überhaupt so einem mageren Jungchen anzuhängen, die Faschisten, die verdammten!, hatte misstrauisch und geübt aufgeschnallt und gesehen, was er nicht sehen durfte: Die Weisheit glotzte ihn mit Bücklingsaugen an.

Ach so, aha, so also: ein Schieber! Na warte, Bürschchen, so denn doch nicht!

Wie diese Stimme rollen konnte, Gewitter oder Erdbeben - schwankte nicht schon der Bahnsteig unter den Füßen?

„Du wohnen? Ich mitkommen, dawai!“

Ach, man selber so mager in der knielangen und viel zu weiten, abgeschnittenen Ladenhose von Onkel Albert, man blickte nur vor lauter Entsetzen und Erschrockenheit auf die schmutzigen Barfußzehen in den zehnmal geflickten Holzklapperpantinen, diesen Jesuslatschen, als wenn man sie das erste Mal anhätte; und aus dem Mund, rund wie ein Mauselöchlein, hauchte kaum hörbar das Wörtchen: „Weit, weit …

Als ob das einen bösen Geist bannen, einen Recken erschrecken könnte! So saß man also in dem Zug, eingekeilt in einer schwitzenden, stinkenden Menge, die auch von dem Machorkarauch nicht besser roch, zählte seine kilometerlang klopfenden Herzschläge - springt es nicht schon zwischen den Rippenspangen hervor, das ungestüme Ding? -, antwortete verzagt auf die Fragen, die auf einen abgeschossen wurden wie Katjuschas, die gefürchteten heulenden Geschosse von vor wenigen Jahren.

Ja, Berten, Berten Bindseil hieße man ... Die Eltern? Ein Schulterzucken - beim Onkel Albert wohne man jetzt in der Mark, Kolonialwarenhändler, ein winziger Laden, da müsse man schon zur Hand gehen ein bisschen.

Ob er das zur Hand gehen nenne, das da, auf dem schwarzen Markt? Nun ja, heutzutage schöbe doch jeder ...

„Jedär, jedär! Aber du? Wir machen Gitler kapuut, du sollen aufbauen Doitschland, neues, verstehn? Und was du machen? Ach, hol dich doch Kuckuck!“

Die Bärentatze fuhr durch den Rauch, krachte auf den Schulranzen, dass der Bücklingssaft herausspritzte und man verängstigt und herzklopfend schwieg.

Onkel Albert und Tante Ida waren bis an die Wand zurückgewichen, bleicher noch als der Tod, starrten mit angstvoll aufgerissenen Augen auf den gesträubten, tabakgefärbten Schnauzbart, in dem sich ein Fetzchen „Prawda“ verfangen hatte und der dadurch noch furchtbarer wirkte. Starrten auf die riesigen roten, mit dünnen blonden Härchen übersäten Bärenpranken, die zwischen sich den verhängnisvollen Schulranzen hielten wie ein winziges Spielzeug, ihn vor ihren Augen schüttelten, ihn schließlich umdrehten, dass die Bücklinge herausglitten und trudelten, sich überschlugen, mit verwunderten bronzenen Glotzaugen liegen blieben mitten auf dem Teppich, ein eigenartiges, zum Lachen reizendes Stillleben, wenn man an Lachen überhaupt denken könnte in solcher Situation.

„Was ist das?“, fragte der Hüne anklagend. „Bücher für Schule? Mathematik und Geographija und Geinrich Geine?“

Er schüttelte den Schulranzen immer noch, und Tante und Onkel zitterten, als sollten sie erschossen werden. Sie waren bloß kleine Schieber, wollten es auch einmal versuchen und waren beim ersten Mal hereingefallen. Abseits stand Berten, etwas trotzig und etwas verwundert. Es war ihm, als ginge ihn alles nicht so recht an.

Schließlich schleuderte der Sergeant den Schulranzen ebenfalls auf die Erde und befahl: „Frau, du Schultasche in Ordnung bringen!“, und an den Onkel gewandt: „Du nicht mähr Kind auf schwarzen Markt schicken, wenn muss in Schule lärnen. Sonst dich einspärren, Kulak, verfluchter! Ich wiedärkommen, Vertrauen - gutt, Kontrolle - bäßer!“

Er hielt Wort, saß schon ein paar Tage später da, breitbeinig und unerschütterlich, reichte ein halbes duftendes Schwarzbrot herüber, rauchte drei, vier Papirossy, von denen die Gardinen gelb und braun wurden - nichts entging ihm.

Einmal, später, brachte er Bücklinge mit, die er augenzwinkernd der Frau übergab, lud sich selbst zum Abendbrot ein, zauberte ein Fläschchen mit wasserheller Flüssigkeit hervor, lehnte allerdings die eilfertig von der Tante herbeigeschleppten Kristalllikörgläschen ab, griff sich statt dessen aus dem Küchenschrank zwei leere Mostrichgläser, die er sorgfältig bis an den Rand vollgoss, aß mit gutem Appetit, nötigte den Onkel zum Trinken: „Cheute moja Shenja Djen roshdenija, verstehn, fünfunddreißig Sommer, du trinken auf Gesundheit!“

Am nächsten Tag baumelte an der Ladenklinke ein schiefes Schild: „Wegen Krankheit vorübergehend geschlossen!“

Einmal auch verlangte Iwan Denissowitsch Bertens Zeugnis zu sehen, prüfte es lange, hielt es behutsam in den gelb gerauchten Fingern, wiegte den Kopf, zog die buschigen Brauen zusammen, schnaufte unter dem beizbraunen Schnauzbart hervor, nickte auch ein paarmal und sagte schließlich: „Chauptsache, immer gutt lärnen. Dumm ist wie Wäterfahne, kann jedär Wind machen, was will er. Dumm ist schlächt, lärnen gutt!“ Und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: „Auch Onkelchen und Tante Ida schon vill gelärnt ...“

Der Mann Berten Bindseil auf seinem Bahnsteig lacht auf, sodass die dicke Blonde erstaunt abbricht und auf ihn sieht und dann beleidigt von dannen zieht, sie denkt, es sei ihres Gesanges wegen. Und der Fanfarenzug probt immer noch, es ist zum Steinerweichen, mindestens zum dreiunddreißigsten Male bläst der Trompeter den gleichen falschen Ton.

Der müsste dem Iwan Denissowitsch in die Finger geraten, geht es Berten durch den Kopf, der würde ihm schon den rechten Ton beibringen ... und er denkt: Vielleicht hat Britta ihn dort getroffen, den Welinzew, den Schnauzbart, das wär ein Ding! Ob er noch lebt? Aber dass er nicht mehr lebt, das gibt’s doch gar nicht!

Ein Elektrokarren hupt sich den Weg frei, hinter ihm schlenkern und klappern drei leere Plattenwagen. Ein Wunder, dass sie keinem über die Zehen fahren! Der Karren bleibt stehen, ächzend steigt der Fahrer, ein kleiner spitzbäuchiger Alter mit blauer Jacke und riesenhafter Dienstmütze, ab.

„Kommt der Moskauer Zug nun bald? Man steht sich hier die Beine in den Bauch ...“ Es klingt grimmiger, als es Bertens Absicht war. Sein Mund steht empört offen.

Der Fahrer schiebt die Mütze ins Genick und stemmt die Hände in die Seiten.

„Dann zieh se man immer schon wieder ’n Stückchen raus. Det Längste hat er hinter sich, jetzt kanner jeden Momang rinjeschob’n komm.“ Und er kratzt sich wichtig am Haaransatz.

Mann, denkt Berten Bindseil erleichtert, Britta, mach bloß hin, ich habe keine Zeit mehr!

Nervös wischt er sich die feuchte Hand an der Hose ab und streicht sich den Haarstietz glatt, der sofort wieder hochsteht. Er wechselt die Kraftfahrerjacke von einem Arm auf den anderen und wieder zurück, blickt zur Uhr, tritt von einem Fuß auf den anderen. Hoffentlich entdecke ich sie gleich, denkt er, das ist ja ein Betrieb hier, unglaublich!

Und dann bemerkt er den Zug doch erst, als der schon fast in der Halle ist, hereingleitet wie eine Flotte: die beinahe lautlose Lok als Flaggschiff, dahinter mit reliefartig geprägten Unionswappen hohe grüne Wagen, aus denen Hunderte Hände winken, hinein in diese Brandung von Jubel und Blumensträußen und winkenden blauen Armen und dem ohrenbetäubend schmetternden Blech des Fanfarenzuges: „Sabota u nas prastaja“ mit dem verqueren Trompetenton. In einer Ecke brüllt man im Chor: „Acht - neun - zehn - Klasse! Wir begrüßen unsere Asse!“

Berten Bindseil wendet sich hierhin, dahin, ruckt mit dem Hals, reißt den Mund auf, schnauft vor Erregung, er kann nichts sehen. Ist das ein Betrieb! Kurz entschlossen schwingt er sich auf einen der gelben Gepäckwagen, steht nun dort oben, weit sichtbar in seinem weißen Hemd, wie einer, der eine Ansprache halten will.

Dazu, selbst wenn er es wollte, kommt er nicht. Jemand zerrt an seinem Bein, will ihn unbedingt wieder unten haben: der kleine Eisenbahner mit der Dienstmütze.

„Mensch, Männeken, det is keen Aussichtsturm, wenn de unbedingt kieken willst, bring dir jefälligst paar Stelzen mit!“

Berten Bindseil beginnt zu schwanken. Nicht viel, und er wäre wie ein Baumstamm heruntergeschlagen, gerade noch so, dass er sich mit der Hand auf der Dienstmütze abfangen kann. Er springt herunter. Aber für Entschuldigungen oder Diskussionen bleibt ihm keine Zeit weiter. Jemand stößt ihn an, mit dem Koffer geradewegs in die Kniekehlen, dass er einknickt. Wütend fährt er herum. „He, olle Zwirnsfaden, wo kommst denn du her?“, jubelt es ihm ins Gesicht, und da wird er einfach angesprungen, fühlt er feuchte weiche Lippen auf seiner unrasierten Wange, greift er zu und stemmt er den schmalen Mädchenkörper in die Höhe und setzt ihn ab und strahlt und sagt: „Strippe, Mädchen! Na, da bist du ja wieder! Und wie siehst du aus, Britta?“

Er hält sie mit ausgestreckten Armen an den Schultern, betrachtet sie voll Zärtlichkeit, die dunklen klugen strahlenden Augen unter dem in die Stirn gefransten Pony, das fast noch ein bisschen schmaler gewordene Gesicht, die Nase, die sich vor Lachen kraust. Sieh an, sie hat sich herausgeputzt! Er wendet sie hierhin, dahin, schüttelt den Kopf über die beiden riesenhaften Zopfschleifen, die dicht über den Schläfen ein mageres Haarpinselchen festhalten, zupft mal an dem roten, unten etwas ausgezipfelten Halstuch.

„Na“, sagt er, „immer noch die alte! Braun gebrannt bist du! Hattest wohl schönes Wetter? Na, wirst du mir alles unterwegs erzählen. Hast du deine Sachen alle? Dann können wir wohl, was? - Mensch, ich hab gewartet wie auf Kohlen!“

Britta lässt die Arme sinken. Das Lachen erlischt auf ihrem Gesicht.

„Wieso? Wohin?“, fragt sie verwundert.

Nun ist es an Berten Bindseil, erstaunt zu sein. „Na, ab nach Hause! Mädchen, in zweieinhalb Stunden beginnt meine Schicht, Arbeiterbus, das weißt du doch! Ich kann mich nicht ellenlang aufhalten. Komm, Große!“ Britta tritt zurück.

„Unmöglich, Vati!“, erklärt sie. „Sieh mal, ich kann doch hier nicht einfach weg. Heute Abend ist Abschlussappell, ich muss die Meldung machen. Und großer Empfang soll auch sein, beim Zentralrat, du siehst doch, was hier los ist. Morgen, ja? Vor morgen komme ich unmöglich weg.“ Berten Bindseil greift entschlossen nach ihren Koffern. Seine Finger umschließen ihre Hand und den Griff. Unentrinnbar.

„Sieh mal“, sagt er weich, „die Sache ist so: Hab heute früh Vietnamesen zum Zentralflughafen gefahren, mit dem großen Ikarus, weißt du. Wie ich wieder starten will, merke ich: Defekt in der Bremsleitung. Kleiner Riss nur, aber was soll ich machen? Ich sage dir: vier Stunden Reparatur, wenn du nicht das richtige Zeug da hast! Wie ich endlich fertig bin, denke ich, na, nun kannst du die Lütte gleich mitnehmen. Warte aber auch schon über eine geschlagene Stunde hier, ganz abgesehen von der Tour von Schönefeld bis hierher. ... zig Umleitungen haben sie wieder in diesem verdammten Berlin mit ihrer Bauerei, findet sich bald keiner mehr durch. Na, macht nichts. Willst du mich jetzt etwa so wieder abzittern lassen, bloß mit deinem bisschen Gepäck? Das kannst du doch nicht gut machen. Denk doch bloß mal an Mutti, wie die sich freut, wenn ich dich mitbringe!“

Britta blickt zu Boden, kaut an ihrer Unterlippe. Gibt es denn so was: Eben noch voll Wiedersehensfreude, und nun plötzlich zu Tode enttäuscht? So hat man sich das wahrhaftig nicht vorgestellt, das Eintreffen zu Hause ... Der Fackelmarsch durch das nächtliche Berlin, das Lenindenkmal, der ukrainische Granit von Flammen bezuckt, die Abschlussworte des Delegationsleiters. Ach, ist das vielleicht ein Mist! Wer soll sie dort vertreten? Jürgen vielleicht? Ach Jürgen ...

Langsam, widerstrebend, folgt Britta ihrem Vater.

Der Delegationsleiter blickt Berten Bindseil an, als verstünde er ihn nicht. Er ist blass, so blass, dass seine Sommersprossen wie verwaschene Schmutzflecken aussehen. Britta starrt ihn erschrocken an. Fritz Deutschmann, was ist mit ihm?

„Fahren Sie!“, sagt er, und seine Stimme klingt gepresst vor gewaltsamer Beherrschung. „Nehmen Sie sie mit! Ob jetzt oder später, das bleibt sich doch gleich. Ich würde auch lieber heute als morgen, aber ich ...“

„So sei doch nicht halsstarrig!“, fährt ihn der Dicke, der pustend neben ihm steht, an. „Traust du uns gar nichts zu? Das bisschen Freundschaftszug werden wir doch wohl noch zu Ende bringen können. Deine Frau ist jetzt das Wichtigste für dich, merk dir das! - Los, Peter nimmt dich gleich wieder mit zurück! Fahr endlich!“

Britta wird rot, dann blass. Ihr Mund ist erschrocken geöffnet. Sie reicht dem Delegationsleiter die Hand. „Alles, alles Gute!“, sagt sie leise.

Fritz Deutschmann zieht sie an sich.

„Drück uns die Daumen, Britta, hörst du?“, flüstert er. Britta nickt heftig. Dass bloß alles glattgeht!

Auch von Ellen muss sie sich noch verabschieden, Ellen mit den langen Haaren, die bis über die Schulterblätter reichen und nach vorn über das Gesicht fallen, wenn sie Gitarre spielt.

„Ja, hast du denn gedacht, wir könnten ewig so weitermachen?“, fragt sie spöttisch. „Vielleicht treffen wir uns mal wieder, die Welt ist klein, besonders in Klein-Klagenthin. Aber mach dich vorher mal bemerkbar, falls wir gerade auf Tournee sind mit dem Klub ...“

Bleibt noch Jürgen. Britta kann nicht gehen, ohne ihm wenigstens noch einmal die Hand zu drücken. Berten Bindseil sieht es mit Ungeduld. Wieder tritt er von einem Fuß auf den anderen. Ach, was versteht er schon!

„Du willst doch nicht schon eine Mücke machen?“, fragt Jürgen überrascht. In seinem unregelmäßigen Gesicht zuckt es. Die Kaumuskeln rollen.

„Also nichts heute Abend?“, fragt er. Es klingt hoffnungslos.

„Bring mich nicht noch zum Heulen!“, fährt ihn Britta an. „Als ob’s nicht ohne mich ginge! Hast doch selber gesagt, dass alles vorbei ist! - Denk mal an die Bilder, ja!“

Sie bückt sich plötzlich zu ihrer Reisetasche, die dick mit sperrendem Reißverschluss zu ihren Füßen steht, nestelt daran herum, zieht ein wolliges Etwas hervor, einem Hund ähnlich oder einem Affen, betrachtet es, reicht es dann rasch Jürgen hin.

„Hier, meinen Schneupi! Was anderes hab ich nicht. Mach’s gut!“

Wie Jürgen hölzern danach greift, berühren sich ihre Fingerspitzen. Es kribbelt, als sprängen Funken über. „Wird es nun endlich?“, mahnt Berten Bindseil nervös und huckt die Koffer an. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich heute noch Arbeiterbus fahren muss!“

In ihm ist plötzlich wieder ein Gefühl wie damals, als Iwan Denissowitsch Welinzew ihn ertappt hatte. Bloß bald zu Hause sein, denkt er.

Niedergeschlagen, mit gesenktem Kopf bahnt sich Britta hinter ihm her ihren Weg.

3. Kapitel

Vor der Ladenkasse im Bregenower Konsum standen, behäbig und selbstzufrieden, zwei Frauen, stützten sich auf die vollen Einkaufskörbe und unterhielten sich, als gäbe es keinen besseren Platz auf der Welt.

„Denk dir, so ein Luder ist er, ein durchtriebenes. Schon nach einer Woche erhalte ich einen Brief: Los ist hier nicht viel, immer dasselbe, baden, wandern, Tischtennis spielen. Das bei der Hitze! Ist ja auch wahr, sollen doch die Kinder in Ruhe lassen, finde ich, sind doch schließlich Ferien! - Also: Bleibt nur die Milchbar, die ist fetzig. Richtig fetzig schreibt er, so ein Ausdruck! Liebe Mutti, schick mir Geld, das andere ist schon alle! - Was sagst du dazu? Fünfundzwanzig Mark in einer Woche? Na, der kann es, was?“

„Was du nicht sagst, Trudchen! Na, der lebt ja nicht schlecht! Wie der Baron von Oerzen, sollte man meinen. - Was hast du getan?“

„Was sollte ich machen? Soll er hungern dort im Lager? Hier hätte er mich auch was gekostet. Hab ihm also neues geschickt. Einen Fünfziger gleich, dass er nicht gleich wieder ankommt …“

„Schöne Erziehungsmethoden“, mischte sich die Kassiererin ein.

„Ja, es kann eben nicht jeder sein Kind nach Moskau schicken, die anderen müssen sich eben mit weniger begnügen. Aber freilich: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf ...“

„Oder im Briefumschlag. Gefüttert mit einem roten Fünfziger. - Sie entschuldigen mich für einen Moment, dort drüben warten Kunden auf mich!“

Die Kassiererin erhob sich resolut, eine dunkelhaarige Frau in Kittelschürze, trat rasch auf ein junges Mädchen im lockeren Sommerkleid zu. „Was darf’s denn sein, Frau Gust?“ Ihre Stimme klang spröde und ein wenig schleppend.

Die Angeredete fuhr herum, lächelte. Sie war tatsächlich noch sehr jung, mit weichen fließenden Zügen; verborgen unter den lockeren Falten ihres Kleides, was jeder sehen konnte: Dass sie bald ein Kind erwartete. Nun stand sie und sah mit offenem, etwas kessem Blick auf die Verkäuferin, lächelte. „Denken Sie sich, Frau Bindseil“, sagte sie, „ich bin auf saure Gurken aus. Ich habe einen unverschämten Appetit auf saure Gurken. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren! - Die neue Ernte ist wohl noch nicht so weit?“ Hanna Bindseil überlegte.

„Ich hätte da noch ein großes Glas Gewürzgurken, wenn Ihnen damit gedient wäre? Ja, ich kenne das, in dem Zustand hat man manchmal seltsame Anwandlungen. Ehe Britta geboren wurde, da konnte ich nur immer Pflaumenmusbrote essen, nichts wie Pflaumenmusbrote, morgens, mittags, abends. Nun, es hat ihr, hoffe ich, nicht geschadet, bis jetzt jedenfalls habe ich noch nichts bemerkt. - Warten Sie, ich hole Ihnen das Glas einmal vor ...“ Mit raschen Schritten verschwand sie in den Lagerräumen.

„Das ist doch unerhört!“, beschwerte sich die Dicke an der Kasse. „Lässt uns hier stehen wie grüne Jungen und bedient andere! Wenn ich das meinem Mann sage ...“

„Ja, bitte?“ Hanna Bindseil stand, mit ihrer Kittelschürze ein großes Dreiliterglas reibend, schon wieder im Raum. Ihre dunklen Augen funkelten. Sie setzte sich hinter die Kasse.

„Sie hatten sich doch noch zu erzählen, ich kann leider nicht so lange warten. Bin im Dienst, wissen Sie. Macht bei Ihnen siebenundzwanzig Mark dreiundsechzig. Drei Pfennig haben Sie nicht da?“

„Ich möchte wetten“, sagte sie zu Frau Gust, als die beiden draußen waren, „die Frau Wehler rechnet jetzt erst mal den Zettel nach, ob ich mir auch nichts in die Tasche gewirtschaftet habe. Aber dem Sohn fünfzig Mark schicken, das kann sie. Na, nicht meine Sache! Hier ist übrigens Ihr Gurkenglas.“

„Wunderbar“, die junge Frau lachte, „das reicht für drei Tage. Mir läuft jetzt schon das Wasser im Munde zusammen. Kann ich meinen Mann nachher rumschicken, dass er das Glas abholt. Mir ist es im Moment zu schwer. Er wird zwar maulen, sitzt gerade wieder über einem Bild - ach, ein bisschen frische Luft wird ihm nichts schaden!“

Hanna Bindseil zwinkerte ihr zu. „Sie verstehen’s ...“

„Ja“, sagte die junge Frau, „muss ja. Wenn ich den nicht ein bisschen an die Kandare nehme ... Gibt es Neues von Strippe?“

Die Verkäuferin wiegt den Kopf. „Heute müsste sie zurückkommen, wenn alles seine Richtigkeit hat.“

„Was? Heute schon? Und ich hab noch nicht einmal eine Nachricht?“

„Och, es geht ihr gut. Fühlt sich pudelwohl. Bloß an das Essen musste sie sich erst gewöhnen: morgens, mittags, abends warm, wo sie doch sowieso isst wie ein Hänfling. Bin ja gespannt, wie sie sie mir herausgefüttert haben. Ja, die Post geht lange von da. Mehr als eine Karte haben wir auch noch nicht, und die war zehn Tage unterwegs. - Na, mein Mann ist heute in Berlin, dienstlich, verstehen Sie, ich hab ja so ein bisschen die Hoffnung, dass er sie mir mitbringt!“

„Das wäre ja nicht auszudenken! Frau Bindseil! Schicken Sie sie mir rum, ja? Sie wird mich schon irgendwo finden; bin ich nicht zu Hause, stecke ich in der Schule, Sie wissen ja.“

Hanna Bindseil lachte.

„Da brauch ich sie nicht groß aufzufordern, Frau Gust, den Weg findet sie allein. Kaum hat sie sich ein bisschen verschnauft, heißt es todsicher: Ich muss erst mal nach Dagmar sehen. Wir sind manchmal schon richtig eifersüchtig auf Sie!“

Dagmar Gust wehrte erschrocken ab.

„Meistens ist es dienstlich, Frau Bindseil, Tatsache. Sie glauben gar nicht, wie viel es da immer zu bereden und zu klären gibt, ein Außenstehender hält es immer nicht für möglich. Und den ganzen Freundschaftsrat kann ich doch nicht jedes Mal zusammentrommeln. Haben uns gut aufeinander eingespielt, wir beide. Ich weiß bloß nicht, was wird, wenn ich aussetzen muss …“

„Gott, wir haben alle Kinder gekriegt, und der Betrieb ist nicht dran zugrunde gegangen ...“

„Ihrer sowieso nicht. Wie Sie den in Schwung haben! Sagenhaft! Wo hätte ich sonst zu dieser Zeit solche Gewürzgurken bekommen? Höre ich doch neulich in der Kreisstadt, wie eine Frau zur anderen sagt: Nach Bregenow musst du fahren, in den Intershop, dort bekommst du alles!“

„Ach na ja“, wehrte die Verkaufsstellenleiterin verlegen ab. „Einfach ist das auch nicht. Dauernd muss man dem Großhandel auf die Hacken treten. Aber die wissen schon Bescheid, wenn ich komme. Die wissen, dass ich mich nicht verschaukeln lasse, da müssen die Karten auf den Tisch! Es ist ja doch bloß alles zum Besten der Bevölkerung.“ Die junge Frau lächelte ihr freundlich zu.

„Wem sagen Sie das! - Grüßen Sie Britta, ich wäre gespannt auf ihre Filme. Sagen Sie, ich setze alles schon an, Entwickler, Fixierbad ...“

Wie sie davonging, ein klein wenig schwerfällig, aber trotz allem doch irgendwie mädchenhaft, dachte Hanna Bindseil: Ein feiner Kerl ist sie! Und sie weiß, was sie will. Wie gut für Britta, dass sie die hat und keine andere! Laut rief sie hinterher: „Um das Glas machen Sie sich keine Sorgen! Das schicke ich Ihnen rum. Lassen Sie Ihren Mann getrost malen. Ist ja auch ’ne Art Arbeit, nicht wahr?“

4. Kapitel

Das Schweigen dauert bis hinter Berlin. Der lange Ikarusbus schießt dahin, dröhnt, wippt, schwingt - lächerlich, hundertvierzig brüllende PS einzig und allein für zwei Mann und eine Handvoll Gepäck!

Berten Bindseil fährt wie ein Wilder. Mit zusammengekniffenen Augen und leicht geöffnetem Mund stiert er auf die in der Abendsonne flimmernde Straße; seine mageren, sehnigen Arme wirbeln das große Steuerrad nur so; beim Überholen betätigt er jedes Mal laut und anhaltend die Hupe.

Der Tacho frisst die Kilometer. Asphaltbahn, Betonpiste, holperndes Kopfsteinpflaster der Ortsdurchfahrten - alles schlingt er in sich hinein, Kurven und Geraden und hügelauf, hügelab. Sein Gegenspieler ist die Uhr, die runde rutschende Armbanduhr an des Fahrers linkem Handgelenk, die unbeirrt vor sich hin tickt und gerade dadurch so bedrohlich ist, dass die Tachonadel höher und höher klettert.

Denn Berten Bindseil denkt an nachher, an die Arbeiter, die schwitzend und abgespannt und schimpfend darauf warten, dass sie nach der Schicht nun endlich nach Hause gefahren werden, an den Einsatzleiter, der in verpeektem blauen Kittel auf ihn zugerollt kommt und ihn anfährt: „Was hast du dir nur gedacht, Kollege! Bringst uns den ganzen Einsatzplan durcheinander! Brauchst für so eine lumpige Berlinfahrt drei Tagesreisen! Merk dir eins: Pünktlichkeit ist oberstes Prinzip. Der Bus ist für die Fahrgäste da und nicht umgekehrt. Und wer das nicht begreifen kann, der ist bei uns fehl am Platze“, und der Einsatzleiter, kugelrund und glatzköpfig und glatt rasiert, hat plötzlich verteufelte Ähnlichkeit mit dem Sergeanten Iwan Denissowitsch Welinzew.

Ach, der dicke Hamm! Plustert sich auf wie ein Truthahn und weiß doch von nichts. „Panne“ ist ein Wort, das für ihn nicht existiert. „Wer sein Fahrzeug regelmäßig pflegt und wartet, hat keine Pannen. Pannen sind die Quittung für Pfusch und Liederlichkeit. Und wer pfuscht, der ist bei uns fehl am Platze!“

Ach, der dicke Hamm! Garantiert wird er einen annehmen wie ein Kampfstier, wenn man jetzt die Glaswerktour verpasst. Man kann ihm doch nicht sagen: Sieh sie dir an, diese Tochter, unsere Britta, ist sie nicht ein Schmuckstück durch und durch? Die Augen und der Mund von der Mutter, aber die Haare von mir, ohne Zweifel, und gut gewachsen ist sie, schlank und rank wie eine Birke, Mann, gelenkig und nicht auf den Kopf gefallen und Freundschaftsratsvorsitzende obendrein. Viel Verantwortung für solchen jungen Menschen, natürlich, aber was hilft’s? Das Leben verlangt es. Und sie meistert’s, Mann, fabelhaft, wie sie das meistert! Sicher wird sie später mal Professor oder Generaldirektor oder Minister für Wasserwirtschaft, von Einsatzleiter ganz zu schweigen, und da brabbelst du rum, weil ich die Genossin Minister mal vom Ostbahnhof abgeholt habe! Als ob es darüber überhaupt zu diskutieren gäbe! Belobigen müsstest du mich, für hervorragende Initiative. So sieht’s doch aus, verehrter Kollege, und wer das nicht begreift, der sollte lieber zur Städtischen Müllabfuhr gehen! Ach, schön wär es schon, dem dicken Hamm mal so richtig die Meinung zu sagen, aber, aber ...!