Impressum

Aljonna und Klaus Möckel

Von Seemonstern, Hexern, Drachen, Feen und Smaragdenbienen

8 Zauberland-Märchen in einem E-Book

ISBN 978-3-96521-094-3 (E-Book)

 

Die Druckausgabe der acht Bücher erschienen unter dem Pseudonym „Nikolai Bachnow“ 1996 bis 2003 bei LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt GmbH.

Illustrationen: Hans-Eberhard Ernst

 

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Vorwort

Als Alexander Wolkow Mitte des vorigen Jahrhunderts seine Bücher über das Zauberland jenseits der Weltumspannenden Berge veröffentlichte, in denen er sich am berühmten "Zauberer von Oz" des Amerikaners Lyman Frank Baum orientierte, konnte er nicht ahnen, welchen Erfolg er damit haben würde. Nicht nur in der damaligen Sowjetunion fanden die Geschichten vom Mädchen Elli, dem Weisen Scheuch, dem Tapferen Löwen und dem Eisernen Holzfäller zahlreiche Leser, sie wurden auch in viele Sprachen übersetzt. In der DDR wuchsen Generationen von Kindern mit den sympathischen Helden auf, und die Wolkow-Bücher überlebten schließlich sogar die Wende. 1992 wurde der "Zauberer der Smaragdenstadt" im LeiV Verlag Leipzig neu herausgebracht und stand, genau wie einige weitere Bücher der Märchenreihe, in den Bestsellerlisten für Kinderliteratur lange an vorderster Stelle.

Es ist nicht erstaunlich, dass sich in Russland und anderswo bald Autoren fanden, die an diesen Erfolg anknüpfen wollten. Nach einigen Experimenten mit russischen Schriftstellern, die, den neuen Zeiten Rechnung tragend, die Wolkowschen Gestalten zum Teil auf ferne Atolle und ins Weltall schickten, kam der Verlag auf die Idee, wieder die ursprüngliche Wirkungsstätte in den Mittelpunkt zu rücken. Klaus und Aljonna Möckel, die sich als Schriftsteller bzw. Übersetzerin in der DDR einen Namen gemacht hatten, übernahmen unter dem Pseudonym Nikolai Bachnow (Nikolai als russische Version von Klaus; Bachnow nach dem Mädchennamen Bach der Übersetzerin), die Aufgabe, weitere Geschichten für die sympathischen Helden zu erfinden.

Natürlich sollten die Leser – Kinder und Erwachsene, die diese Bücher früher verschlungen und inzwischen selbst Kinder hatten – den Bezug zum bisherigen Geschehen herstellen bzw. den Übergang nachvollziehen können. Neue Gestalten waren schon in den letzten Wolkow-Bänden aufgetaucht, Söhne und Nichten der ursprünglichen Heldin Elli bestanden gefahrvolle Abenteuer, und in drei Bänden des Nachfolge-Autors Kusnezow wirkten weitere Helden mit. Doch das ursprüngliche Zauberland rückte dadurch in den Hintergrund, war kaum noch fassbar, das Geschehen oft verwirrend und zu abstrakt dargestellt.

Um diese Situation, die von vielen Lesern als unglücklich empfunden wurde, zu beenden und gleichzeitig die wichtigsten Verbindungen fortzuführen, konzentrierten sich Aljonna und Klaus Möckel erneut auf die Grundzüge der Zauberland-Serie. Sie hielten, zumindest in den ersten Bänden, an einigen der neueren Figuren wie dem Kapitän Charlie oder Chris Tall, Ellis Sohn, fest, stellten aber die vertrauten Gestalten wieder mehr ins Zentrum. Mit der Zeit formte sich ein neues Ensemble, in dem neben dem Scheuch, dem Löwen und dem Holzfäller besonders Goodwins Enkelin Jessica und die Puppe Prinzessin Betty, die der Scheuch zur Frau genommen hatte, herausragten, zu dem aber auch witzige Gestalten wie der Hobbyzauberer Pet Riva, die starke Spinne Minni oder der schlaue Mäuserich Larry Katzenschreck gehörten.

1996 kam es zur Veröffentlichung des ersten Bachnow/Möckel-Bandes "In den Fängen des Seemonsters", in dem sich die Bewohner des Zauberlandes mit einer Verschmutzung im Muschelmeer, dem Reich der Fee Belldora, auseinandersetzen müssen. "Manches hat sich im Zauberland verändert", schrieb seinerzeit die Kritikerin Karolin Kullmann im Internet, "aber dennoch hat man von der ersten Seite an das Gefühl, wieder im wundervollen Märchenreich zu sein ... Mit dem Autor Nikolai Bachnow, der von nun an das Schreiben neuer Geschichten übernimmt, hat die Reihe viel dazu gewonnen." Und die Rezensentin, die auch zu den späteren Büchern Kritiken verfasste, sprach am Ende die Hoffnung aus, "dass auch die Nachfolger mithalten können".

Von dem Autorenpaar entstanden in den Jahren 1996 bis 2003 acht Bände, die nun auch digital vorliegen. Aljonna und Klaus Möckel hatten sich vorgenommen, gut verständlich, spannend, mit Fantasie und Humor zu erzählen, so wie es für Kinder (und Erwachsene) sein sollte. Der Leser mag nun selbst urteilen, ob sich die Hoffnung der Kritikerin erfüllt hat.

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In den Fängen des Seemonsters

Erster Teil: Eine gefährliche Flussfahrt

Ein Delfin bittet um Hilfe

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Der Storch Klapp flog über die weiten Ebenen des Zauberlandes. Er war schon lange unterwegs und etwas müde, deshalb freute er sich, als er in der Ferne einen breiten, silbern glänzenden Fluss auftauchen sah. In Ufernähe hatte er auf dem Dach einer alten Scheune sein Nest gebaut.

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Klapp war nur einer von vielen Störchen im Zauberland, aber er hatte einen berühmten Vorfahren. Sein Urgroßvater Adebar hatte nämlich vor langer Zeit den Weisen Scheuch aus einer gefährlichen Situation gerettet. Damals waren das Mädchen Elli aus Kansas, der Eiserne Holzfäller, der Feige Löwe und die Strohpuppe Scheuch auf dem Weg in die Smaragdenstadt zum Schrecklichen Zauberer Goodwin gewesen. Sie hatten gerade diesen Wasserlauf mit einem Floß zu überqueren versucht. Dabei war der Scheuch mitten im Fluss an der Stange hängen geblieben, die er zum Staken benutzte. Sie hatte sich im Grund verhakt. Die Freunde dagegen wurden durch die Strömung abgetrieben, erreichten mit Mühe das Ufer und trafen später auf Adebar. Er befreite die Strohpuppe aus ihrer misslichen Lage und brachte sie an Land.

Nachdem der Scheuch Herrscher in der Smaragdenstadt und wegen seiner Weisheit berühmt geworden war, machte diese Geschichte in Storchenkreisen natürlich die Runde und wurde entsprechend ausgeschmückt. In Wirklichkeit war die Rettungstat recht einfach gewesen, hatte längst nicht so viel Mut erfordert, wie Adebar hinterher behauptete. Der Löwe hatte sogar ein bisschen die Zähne blecken müssen, damit der Storch endlich zur Flussmitte flog. Aber wie auch immer, Klapp hatte seinen Urahn als leuchtendes Beispiel vor Augen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als auf ähnliche Weise berühmt zu werden.

Deshalb fiel jetzt sofort alle Müdigkeit von ihm ab, als er im Wasser plötzlich einen großen Fisch zappeln sah. Es war in der Nähe einer Sandbank an einer seichten Stelle, und der Fisch - oder war es ein Tier, das da hin und her schnellte - hatte sich in einem Netz verfangen. Erst als Klapp zu ihm hinunter flog, bemerkte er, dass es sich um einen Delfin handelte.

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"Wie kommst du denn hierher?“, fragte der Storch. "Ich habe deinesgleichen zwar schon auf meinen Reisen nach Süden im Meer gesehen, noch nie aber in diesem Fluss."

"Das ist eine lange Geschichte", erwiderte der Delfin. "Ich will sie dir erzählen, sobald du mir aus diesem Netz geholfen hast. Aber beeile dich, denn ich bekomme kaum noch Luft. Ein Glück, dass es hier flach ist und ich die Nase ab und zu aus dem Wasser heben kann."

Der Storch hatte einige Mühe, ein Loch ins Netz zu reißen, doch mit seinem scharfen Schnabel schaffte er es schließlich. Als die Lücke groß genug war, zwängte sich der Delfin hindurch, seufzte erleichtert auf und glitt ins Wasser zurück.

"Also was ist?", drängte Klapp. "Du wolltest mir deine Geschichte erzählen."

"Sofort. Vielleicht kannst du mir sogar helfen. Die Zeit drängt, denn ich sitze schon eine Weile hier fest."

"Wenn ich mich nicht irre, habe ich dir gerade geholfen. Was willst du noch?"

"Kennst du den Weg zur Smaragdenstadt?"

"Natürlich", erwiderte Klapp. "Man fliegt über das große Mohnfeld und danach immer den Gelben Backsteinweg entlang. Ein, zwei Stunden, dann sieht man die Stadt schon."

"Ich kann nicht fliegen", wandte der Delfin ein.

"Dann musst du flussaufwärts schwimmen, rechts in den großen Kanal einbiegen und später den Bach nehmen. Das dauert aber viel länger", sagte der Storch.

Der Delfin überlegte:

"Also hör zu", begann er schließlich. "Ich heiße Floy und komme aus dem Norden, wo ziemlich am Rande des Zauberlandes das weiße Muschelmeer liegt. Das Unterwasserreich, in dem ich lebe, ist sehr schön und wird von der Seekönigin Belldora regiert. Sie ist eine Nixe von zierlichem Wuchs, aber großer Anmut und Kraft. Belldora herrscht, solange ich denken kann, zur Zufriedenheit aller Meeressäuger, Fische und des sonstigen Getiers. In ihrem Schloss, erbaut aus blauem Glas und feinstem Muschelwerk, ist jedermann willkommen, der sich uns in Frieden und mit Freundlichkeit nähert.

Man muss sagen, dass es in unserem Reich immer gerecht zuging. Natürlich werden die kleinen Fische von den großen gefressen, auch unsereins greift sich so manchen wohlschmeckenden Kaltblüter, um den Hunger zu stillen. Doch das geschieht stets in der nötigen Ordnung und in Maßen. Es blieb Raum zum Leben für jeden, und alles war im Gleichgewicht. Wir hatten stets sauberes Wasser. Bis eines Tages das Seemonster kam und uns in größte Not brachte."

"Das Seemonster? Was soll das sein?", fragte Klapp erstaunt.

"Wenn man das so genau erklären könnte", seufzte Floy. "Es tritt nicht immer in gleicher Gestalt auf, sondern kann die Formen wechseln. Mitunter ähnelt es einer riesigen wabbligen Qualle, mitunter einer öligen Meduse, die unser sauberes Wasser aufsaugt und als Schmutzflut wieder ausscheidet. Es hat hundert faulige Arme und webt damit dichte Algenteppiche, die alles Leben ersticken.

Am Anfang war das Monster allein, klein und unscheinbar. Es trieb sich hier und dort im Meer herum, war unansehnlich, ja hässlich, wurde aber trotzdem freundlich von unserer Königin empfangen, als es unvermutet ans Schlosstor klopfte. Es behauptete, von weither zu kommen, verlassen und arm zu sein, und durfte sich deshalb bei den Korallen unterhalb der Riffe ansiedeln. Doch das war ein Fehler, denn dort, wo es tausend Winkel und Gänge gibt, wuchs es im Verborgenen mit ungeheurer Geschwindigkeit. Mit einem Mal war der Korallenwald von einer Schlammschicht überzogen, schwarzes Gras wucherte überall und nahm den Bewohnern die Luft."

"Das ist ja wirklich hinterhältig", sagte der Storch empört.

"Das ist aber noch nicht alles", fuhr Floy erregt fort. "Es stellte sich heraus, dass dieses Ungeheuer Kinder gebar, die ähnliche Eigenschaften besaßen und sich überall im Meer verbreiteten. Sie trübten unser Wasser, nahmen uns die Sonne weg, vergifteten den Meeresgrund. Aus allen Ecken des Reiches gingen Beschwerden bei der Seekönigin ein. Fische wurden krank, Schildkröten erstickten, Robbenbabys starben. Belldora rief das Monster zu sich, befahl ihm mit diesem gefährlichen Treiben aufzuhören, doch es hielt sich an keine Anordnungen. Im Gegenteil, höhnisch erklärte es, dies sei seine Art zu leben und seinen Besitz zu vergrößern. Belldora habe ihm gar nichts zu sagen."

Floy, noch von den Strapazen der Reise und der Gefangenschaft im Netz erschöpft, schwieg einen Augenblick.

"Zu spät haben wir gemerkt, welch ungeheure Gefahr von diesen Unwesen ausging", sagte er dann. "Als wir uns endlich dazu entschlossen, den Kampf gegen die Algen, den Unrat und Schmutz zu beginnen, nahm der schon überhand. Außerdem: Wie kommt man gegen Öl und stinkende Gifte an, die den Meeresboden, die Korallenbänke und Muschelkolonien zerfressen? In höchster Not schickt mich die Königin deshalb in die Smaragdenstadt, um Rat und Hilfe zu holen. Unsere einzige Hoffnung ist der Weise Scheuch, von dessen Klugheit das ganze Zauberland spricht. Er allein könnte Abhilfe schaffen."

Klapp, auf einem Bein stehend, nickte:

"Das stimmt, deine Königin hat richtig gehandelt. Der Scheuch und seine Freunde haben seinerzeit die böse Zauberin Bastinda besiegt. Sie haben dem gefährlichen Urfin, der Hexe Arachna und vielen anderen das Handwerk gelegt. Gewiss wird unser Herrscher auch euch zu Hilfe kommen."

"Aber Eile ist geboten", sagte Floy. "Wie du es schilderst, muss ich noch eine ganze Weile schwimmen, um zur Smaragdenstadt zu gelangen. Ich weiß gar nicht, ob ich es schaffe, denn ich vertrage euer Flusswasser schlecht. Bei uns im Meer ist es angenehm salzig."

In Klapp blitzte ein Gedanke auf. Wenn er zur Rettung dieses Muschelmeeres beitragen könnte, würde er vielleicht so berühmt wie sein Urahn. Außerdem wär's wirklich eine gute Tat.

"Und wenn nun ich dem Scheuch eure Not erkläre?", schlug er vor. "In zwei Stunden bin ich in der Smaragdenstadt."

"Das würdest du für uns tun?"

"Im Zauberland hilft einer dem anderen", sagte der Storch würdevoll.

"Aber wie erfahren wir, was der Weise Scheuch beschließt?", fragte der Delfin.

"Kehre getrost zu deiner Königin zurück", erwiderte Klapp. "Unser Herrscher wird Mittel und Wege finden, euch zu verständigen."

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Die Hochzeit des Weisen Scheuch

Der Storch nickte dem Delfin noch einmal zu und erhob sich wieder in die Lüfte. Die Wichtigkeit seiner Botschaft sprengte ihm fast die Brust, und so schwang er emsig seine Flügel. Schon bald sah er in der Ferne die Türme der Smaragdenstadt aufragen. Sie waren aus Glas und Marmor errichtet und an der Spitze mit grünen Edelsteinen besetzt. Was Klapp allerdings nicht wusste - im Palast fand gerade ein großes Fest statt. Ein einmaliges Fest: Der Weise Scheuch feierte Hochzeit! Das Ereignis war überall im Land verkündet worden, aber der Storch, der im Süden gewesen war, hatte noch nichts davon gehört.

Doch es muss auch gesagt werden, dass der Scheuch die Sache lange geheim gehalten hatte. Nur sein enger Vertrauter, der Feldmarschall Din Gior, wusste davon. Ihm war nicht entgangen, dass der Herrscher auffallend oft Ausflüge ins benachbarte Puppendorf unternommen hatte. Von dort kehrte er eines Tages mit einem Puppenmädchen zurück, das genau seine Größe, störrisches braunes Haar und eine kecke Stupsnase hatte.

"Die oder keine werde ich zur Frau nehmen, denn ich habe lange genug allein im Land regiert", erklärte er dem erstaunten Din Gior.

"Falls ich einverstanden bin, eine Strohpuppe zu heiraten", erwiderte das Puppenmädchen lachend.

"Eine Strohpuppe, die immerhin ein prächtiges Gehirn aus Sägemehl mit Nadeln hat und deshalb klüger ist als manch anderer", erwiderte der Scheuch.

"Ich nehme dich vor allem wegen deines lustigen Gesichts zum Mann", sagte die Puppe und gab ihm einen Kuss.

Din Gior strich sich nachdenklich seinen langen Bart, er fand das Puppenmädchen etwas respektlos.

"Wie heißen Sie denn, mein Fräulein?", fragte er.

"Betty Strubbelhaar."

Dieser Name passte durchaus zur Erscheinung der Puppe. Doch der Feldmarschall, auf Würde bedacht, redete sie immer nur mit Prinzessin Betty an. Er setzte auch durch, dass sie bei Hof so genannt wurde. Anfangs hatte er seine Schwierigkeiten mit ihr, denn sie hielt noch weniger von herrschaftlicher Etikette als der Weise Scheuch selbst, bald aber schloss er sie wegen ihrer Fröhlichkeit ins Herz. Er war ja schon alt, und etwas frischer Wind im Palast konnte nicht schaden.

Der Scheuch und Betty jedoch liebten einander sehr, und so wurde endlich Hochzeit gefeiert. Genau am Tag, als Klapp in der Smaragdenstadt eintraf. Gäste von überallher waren aus diesem Anlass gekommen: die Käuer mit ihren goldenen Glöckchen an den blauen Hüten, die Zwinkerer in violetten Gewändern, die Marranen im gewohnten flammenden Rot. Die Gärtner hatten Blumen und Früchte in großer Menge zum Schloss gebracht, von den Häusern und Türmen wehten bunte Flaggen.

Der Storch, der das muntere Treiben auf dem Schlossplatz und die Blumen sah, war zwar verwundert, dachte aber nur daran, seine Nachricht zu überbringen. Deshalb meldete er sich auch nicht erst beim Torhüter Faramant an, sondern flog direkt durchs weit geöffnete Fenster des Festsaals zum Thron mit Prinzessin Betty und dem Scheuch.

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Gerade waren die Gäste dabei, ihre Hochzeitsgeschenke zu überreichen, denn am Vormittag hatte die Trauung stattgefunden. Die Erzgräber hatten ein wunderbares Smaragdenkollier gefertigt, der Eiserne Holzfäller eine silberne Axt geschmiedet. Die Krähe Kaggi-Karr schleppte ein neues Funkgerät herbei, und der Tapfere Löwe brachte ein herrliches Gesteck aus Tannen- und Mistelzweigen aus dem Wald mit, geschmückt mit Pfauenfedern.

Auch von jenseits der Wüste und der Weltumspannenden Berge waren Gratulanten gekommen: der Junge Chris Tall, Sohn von Elli, der Fee des Tötenden Häuschens, und sein Onkel Charlie Black. Der wackere Seemann, der ja seit seinem Abenteuer auf dem Planeten Irena wieder beide Beine hatte, richtete herzliche Grüße vom Kraken Prim aus; sie hatten sich erst vor Kurzem an der Küste getroffen.

Klapp nahm das alles kaum zur Kenntnis. Er landete vor dem Thron und begann:

"Weiser Scheuch, ich muss dir eine Nachricht überbringen."

Din Gior, der neben dem Herrscherpaar Platz genommen hatte, fragte tadelnd:

"Was denn, hast du kein Geschenk mitgebracht?"

"Wieso ein Geschenk? Hat hier jemand Geburtstag?"

Über diese Antwort mussten die Gäste ringsum lachen. Einige Käuer am Eingang des Saales schüttelten erstaunt die Köpfe, sodass die Glöckchen an ihren spitzen Hüten zu klingeln begannen.

"Nun sag schon, was du uns mitzuteilen hast, Storch", forderte Betty ihn auf.

Erst jetzt bemerkte Klapp die vielen Leute in ihren Festgewändern, die wertvollen Geschenke und das Puppenmädchen, das einen weißen Brautschleier trug. Sie hatte eine kleine goldene, mit Smaragden verzierte Krone im Haar.

"Wer seid Ihr, schöne Puppe?", fragte er überrascht, zog ein Bein an und legte den Kopf schief.

"Das ist seit heute Morgen meine liebe Frau", entgegnete an ihrer Stelle der Scheuch.

"Oh ... ich wusste nicht ..." Klapp fing zu stottern an. "Herzlichen Glückwunsch, Eure Exzellenzen ..."

"Danke", erwiderte der Scheuch, "aber warum auf einmal so förmlich? Es genügt, wenn du uns mit dem Namen anredest. Das ist Betty, und mich kennst du ja."

Din Gior hielt es für angebracht, zu ergänzen:

"Prinzessin Betty, bitte!"

"Also, was willst du?", fragte der Scheuch.

Da begann der Storch zu erzählen. Er berichtete, was er von dem Delfin über die Seekönigin, ihr Volk und das schreckliche Monster erfahren hatte. Zum Schluss sagte er:

"Ich sehe, dass ich mit meiner Nachricht zu einem ungünstigen Zeitpunkt komme. Aber das Muschelmeer braucht deinen Rat, Weiser Scheuch, und unsere Hilfe."

Die Begegnung mit den Bibern

Als der Storch seine Rede beendet hatte, begannen die Gäste aufgeregt miteinander zu tuscheln. Die Käuer steckten die Köpfe zusammen, wobei sie in Gefahr gerieten, sich gegenseitig die Hüte vom Haupt zu stoßen. Die Zwinkerer blinzelten nervös mit den Augen, die Marranen schwangen empört ihre Fäuste - sie konnten ja kräftig zuschlagen.

Der Scheuch aber sorgte mit einer Handbewegung für Ruhe. Er bat die Anwesenden, in der Feier fortzufahren und nicht böse zu sein, wenn er sich mit seinen Vertrauten kurz zur Beratung zurückzog. Er lobte Klapp für seinen Einsatz und rief dann die engsten seiner Freunde in den hinteren Raum. Prinzessin Betty dagegen blieb im großen Empfangssaal und nahm die weiteren Glückwünsche entgegen. Es war ihre erste Amtshandlung als Herrscherin.

"Bei allen Haien der Ozeane", rief Charlie Black, kaum dass sie die Tür zum Beratungszimmer hinter sich geschlossen hatten. "Zwar kenne ich dieses Muschelmeer nicht, doch geschieht dort offensichtlich eine gewaltige Schweinerei, gegen die wir einschreiten müssen."

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"Aber wie?", sagte der Scheuch. "Wenn ich Klapp recht verstanden habe, lebt das Seemonster im Wasser. Um gegen dieses Ungeheuer kämpfen zu können, brauchen wir Schiffe, am besten Tauchboote."

Der Eiserne Holzfäller, dessen Gelenke schon beim geringsten Regen einzurosten drohten, legte die Hand aufs Herz:

"Ich fühle mit der Seekönigin", sagte er, "und es würde mir nichts ausmachen, zu ihrem Schloss in der Tiefe hinabzusteigen. Doch was nützt das, wenn mir Arme und Beine steif werden. So viel Öl, um dort unten meine Gelenke beweglich zu halten, gibt es gar nicht."

Der Tapfere Löwe schüttelte trotzig die Mähne.

"Das Wasser ist zwar nicht mein Element, und das Tauchen würde mir schwerfallen, aber schwimmen kann ich immerhin. Am besten, wir prüfen an Ort und Stelle, was wir tun können."

Chris Tall hatte bisher geschwiegen. Er hatte Respekt vor den berühmten Gestalten aus dem Zauberland und traute sich nicht, ihnen ins Wort zu fallen. Nun aber zupfte er Onkel Charlie am Ärmel:

"Und was ist mit deinem Schiff, dem Katamaran? Man kann ihn ja auch als Tauchboot benutzen." Chris erinnerte sich noch genau an die verwegene Fahrt mit dem Piloten Kau-Ruck zum Korallenriff. Damals hatten sie den Seemann aus schwieriger Lage befreit.

Charlie zog die Stirn kraus.

"Den Katamaran können wir im Moment leider nicht einsetzen. Er liegt im Hafen und wird gerade überholt. Das dauert noch mindestens zwei Wochen. Es ist wirklich ärgerlich."

Chris war enttäuscht, schöpfte aber sofort neue Hoffnung, als der Scheuch sagte:

"Der Löwe hat recht. Ich schlage vor, nicht lange zu zögern und gleich morgen früh zum Muschelmeer aufzubrechen. Wir nehmen den Weg, auf dem der Delfin gekommen ist. Das heißt, wir gehen zuerst zum Fluss und suchen uns ein gutes Schiff. Seinerzeit, als wir auf dem Weg zum Großen Goodwin waren, haben wir zwar notgedrungen ein Floß benutzt, aber damit würden wir diesmal nicht weit kommen."

"Und was mache ich?", fragte der Storch, der merkte, dass ihn keiner mehr beachtete.

Charlie Black gab als erster eine Antwort:

"Für dich gibt es zwei sehr wichtige Aufgaben, Klapp. Zunächst fliegst du, so schnell du kannst, zum Muschelmeer und meldest der Seekönigin unsere Ankunft. Du sprichst ihr Mut zu, sagst, wir würden ihr zu Hilfe eilen. Dann aber begibst du dich zum großen Ozean, zur Bucht, in der Prim sein Quartier hat. Ich beschreibe dir den Ort nachher noch genauer. Der Krake ist Unterwasserspezialist. Traust du dir zu, ihn auf dem Rücken zu uns zu bringen? Er könnte uns dort unten gute Dienste leisten."

"Mein Urahn Adebar hat einst den Scheuch errettet, da werde ich doch wohl einen Kraken transportieren können", erwiderte der Storch. "Selbst wenn er schwer sein sollte."

"Wie ich ihn kenne, wird er sich aufblasen und dadurch leicht machen", sagte Charlie.

"Dann ist alles klar", erklärte der Scheuch, "kehren wir zum Fest zurück. Die Nacht aber wollen wir zum Ausruhen nutzen, damit wir morgen alle frisch bei Kräften sind."

Am nächsten Morgen, die Sonne hatte sich kaum hinter den Weltumspannenden Bergen erhoben, brach die kleine Gesellschaft auf. Der Scheuch verabschiedete sich zärtlich von Prinzessin Betty, die zwar gern mitgekommen wäre, aber für ihn das Regieren übernehmen musste. Sie packte den Reisenden vorsorglich Butterbrote mit Schinken ein, dem Tapferen Löwen zusätzlich sogar eine Schweinshaxe. Der Eiserne Holzfäller, der ja nichts zu essen brauchte, wurde mit einer Flasche besten Maschinenöls ausgestattet, und der Weise Scheuch, gleichfalls nicht auf Nahrung angewiesen, bekam ein Foto von ihr mit. Er steckte es in die Innentasche seiner Jacke und fühlte sich damit jeder Gefahr gewachsen.

Klapp war als Vorbote schon zum Muschelmeer unterwegs, und die anderen schritten kräftig aus, um erst einmal zum Fluss zu gelangen. Chris, mit einer Baseballmütze ausgestattet, und der Scheuch durften abwechselnd auf dem Rücken des Löwen reiten, denn sie hatten die kürzesten Beine. Charlie Black, der ab und zu das Fernrohr ans Auge setzte, bildete die Vorhut, der Eiserne Holzfäller aber sicherte die Rückfront.

Als sie den Fluss fast erreicht hatten, trafen sie an einem Bach auf ein Biberpaar. Das Männchen war eifrig damit beschäftigt, Baumstämme zu fällen und große Äste für einen Damm zusammenzutragen, das Weibchen aber hockte traurig am Ufer und schien zu schwach zum Arbeiten.

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Der Biber hieß Brix und kannte den Löwen von früher.

"Meine Frau ist seit zwei Tagen krank", erklärte er, als sie sich begrüßt hatten. "Sie hat irgendetwas gefressen, das ihr schwer im Magen liegt und sich offenbar nicht verdauen lässt. Die besten Heilkräuter haben wir gesammelt, doch sie wirken nicht. Ich bin in großer Sorge."

Der Scheuch strengte seinen Kopf an, dass ihm die Nadelköpfe unter den Haaren hervortraten.

"Was hat sie gefressen?", fragte er. "Kann sie sich denn gar nicht mehr daran erinnern?"

"Ein glitschiges, durchsichtiges Ding war's", erwiderte die Biberfrau leise. "Es ist mir wie von selbst durch die Zähne gerutscht. Zusammen mit ein paar wohlschmeckenden Pflanzen. Ich hab es runtergeschluckt, ohne mir etwas dabei zu denken."

"Und wo war das?", wollte der Scheuch wissen.

"Drüben am Fluss. Wo das Schilf so dicht ist und so schön hoch wächst."

Der Scheuch schwieg nachdenklich, doch dem alten Seebären Charlie kam ein Verdacht:

"Bei allen blitzenden Korsarensäbeln", rief er, "so was kenne ich doch von den Klippen und Stränden der letzten Jahre! Wird der Dreck jetzt etwa auch schon ins Zauberland gespült?" Und er bat die Biberfrau das Maul aufzumachen, so weit es nur ging.

Die Biberfrau tat, wie ihr geheißen. Charlie hielt ihr mit der einen Hand den Unterkiefer fest, damit sie nicht aus Versehen zubiss, mit der anderen griff er ihr in den Hals. Das heißt, er benutzte nur zwei Finger, denn ein Biber ist ja kein Krokodil.

Sofort begann das Tier zu keuchen, zu husten und spucken. Es übergab sich fast. Aber bevor es noch erbrechen konnte, zog ihm der Seemann schnell die Finger aus dem Schlund. Triumphierend schwenkte er eine zerrissene Plastiktüte hin und her.

"Dachte ich mir's doch: Es handelt sich wieder mal um ein Stück Müll. Wie viele Schildkröten und Robben sind schon an so was zugrunde gegangen."

Weder der Scheuch, noch der Löwe, noch der Eiserne Holzfäller hatten bisher eine Plastiktüte gesehen, von den Bibern ganz zu schweigen. Misstrauisch betrachteten alle die durchsichtige Hülle und ließen sich von Charlie erklären, wozu sie den Menschen diente. Auch Chris gab eifrig Auskunft.

"Wenn ich einkaufen gehe, sind solche Tüten schon nützlich", berichtete er, "aber sobald sie nicht mehr gebraucht werden, gehören sie in spezielle Abfallbehälter."

"Papperlapapp", sagte Charlie, "früher hatten wir Taschen, Körbe oder Beutel, die man ständig benutzen konnte. Die brachten niemanden in Gefahr."

Es blieb keine Zeit, diese Frage endgültig zu klären, sie mussten ja weiter. Der Biberfrau jedenfalls ging es ohne die Tüte im Magen wesentlich besser, und ihrem Mann sah man die Erleichterung an.

"Das werde ich euch nie vergessen", sagte er gerührt. Dann verschwand er für einen Augenblick in seinem Bau und kam mit einem daumenlangen, an einem Kettchen aus Bast hängenden Biberzahn zurück.

"Nehmt den zum Dank. Er stammt von meiner Großmutter und besitzt magische Kräfte. Wenn ihr in Gefahr seid, braucht ihr ihn nur fest zu drücken, und wir spüren es. Wo immer wir sind - wir eilen euch zu Hilfe. Zwar gehören wir nicht zu den größten Tieren hier am Fluss, aber ihr wisst ja, wir haben ein scharfes Gebiss und sind Meister im Dämmebauen."

Charlie trug sein Fernglas, der Eiserne Holzfäller die Flasche mit dem Öl und den Proviant, der Scheuch das Foto seiner geliebten Betty. Also hing Chris sich den Zahn um den Hals. Nachdem sie sich bedankt und verabschiedet hatten, setzten sie ihren Weg fort, zufrieden, den Bibern geholfen zu haben.

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Ein vergesslicher Zauberer

Sie erreichten den Fluss in der Nähe jener Stelle, wo der Storch Klapp den Delfin aus dem Netz befreit hatte. Das Wasser, das im Sonnenschein silbrig glänzte, floss ruhig dahin, aber ein Schiff oder auch nur ein Boot war nirgends zu sehen.

"Bei allen einäugigen Piraten", sagte Käptn Charlie, nachdem er mit seinem Fernrohr lange flußauf- und flussabwärts Ausschau gehalten hatte, "gibt es in eurem schönen Land denn überhaupt keine Schiffsleute? Es muss doch Spaß machen, von einem Ort zum andern zu segeln, und ein billigeres Transportmittel für eure Waren findet man auch nicht. Habt ihr noch nie daran gedacht, eine zünftige Handelsflotte zu baun?"

Daran hatten der Scheuch, der Eiserne Holzfäller und der Tapfere Löwe, die ja alle drei nicht unbedingt fürs Wasser geschaffen waren, tatsächlich noch nicht gedacht.

"Du hast recht", sagte der Scheuch, "ein paar Schiffe wären gewiss nicht schlecht. Wenn wir wieder in der Smaragdenstadt sind, werde ich den Befehl geben, welche zu bauen."

Das war nun zwar ein guter Vorsatz, nützte aber im Augenblick wenig. Deshalb schlug der Eiserne Holzfäller vor, zur nächsten Stadt zu gehen und dort nach einem Boot zu fragen.

Sie kamen am Kupferwald vorbei, der von einem leisen Sirren erfüllt war und schon von Weitem rotgolden leuchtete, sahen auf der anderen Seite des Flusses die Spiegelberge blinken. Dorthin flogen die Vögel gern, um sich zur Vogelhochzeit herauszuputzen. Auch das Mohnfeld lag an ihrem Weg, in dem seinerzeit der Tapfere Löwe und Elli, die Mutter von Chris, beinahe umgekommen wären. Sie hüteten sich, es erneut zu betreten, zumal Chris und sogar Charlie Black sofort zu gähnen anfingen, so schläfrig machte der starke Duft der großen roten Blumen.

Plötzlich, noch nicht einmal die Kirchturmspitze des nächsten Ortes war aufgetaucht, sahen sie einen dunkelbraunen Kahn im Schilf liegen. Doch Kahn war nicht das richtige Wort, es handelte sich um eine größere Schaluppe mit einer kräftigen Schiffsschraube hinten und Platz für fünf, sechs Leute. Ein alter Mann mit Schirmmütze und Tabakspfeife saß am Bug und hielt seine Angel ins Wasser.

"Das könnte es sein, unser Schiff", rief Käptn Charlie erfreut. "Zwar kann sich diese Schaluppe weder mit meinem einstigen Schoner noch gar mit unserem Katamaran 'Arsak' vergleichen, aber zum Muschelmeer wird sie uns bestimmt bringen."

"Es scheint dem alten Angler dort zu gehören", sagte der Löwe, "wir werden ihn fragen, was er dafür haben will."

Sie näherten sich dem Schiff, und der Scheuch rief:

"Guten Tag, lieber Mann. Bist du der Besitzer dieser Schaluppe?"

Der Alte drehte den Kopf und erwiderte:

"Wozu wollt ihr das wissen?"

"Wir möchten den Kahn kaufen oder mieten, um damit zum Muschelmeer zu fahren."

"Da könnte jeder kommen. Wo soll ich dann sitzen und angeln? Ich angle jeden Tag hier." Er zeigte auf einen Drahtkorb mit Fischen, der im Wasser hing.

"Sie finden bestimmt einen anderen Platz", sagte Chris eifrig. "Bitte, wir brauchen Ihr Schiff, um der Seekönigin, den Delfinen und Robben zu Hilfe zu kommen, die von einem Seemonster bedroht sind!"

"Delfine und Robben interessieren mich nicht. Womit wollt ihr überhaupt bezahlen?"

"Ich habe hier einen Smaragd", sagte der Scheuch, "er ist von auserlesener Qualität. Für das Schiff wäre er mir nicht zu schade."

"Edelsteine interessieren mich auch nicht. Ich kann sie weder roh noch gebraten essen. Sucht euer Schiff woanders."

"Bei allen Klippen und Sandbänken, guter Mann", versuchte es nun Charlie Black, "wir müssen jemandem aus der Not helfen, und die Zeit drängt. Schau dir diese Dublone an, sie ist ein paar Hundert Jahre alt und ein Vermögen wert. Du kannst sie zwar auch nicht braten oder essen, aber tonnenweise Fisch dafür kaufen. Na, ist das ein Angebot?"

"Ich brauche keine Fische zu kaufen, ich fang sie mir selber", erwiderte der Alte ungerührt und wandte sich wieder seiner Angel zu.

Der Tapfere Löwe wurde ärgerlich:

"Hat man je einen solchen Dickschädel gesehn?! Ich glaube, ich muss ihn ein bisschen mit meinen Tatzen streicheln, damit er zur Vernunft kommt."

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Mit einem Sprung wollte er auf den Kahn übersetzen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, doch da geschah etwas Sonderbares. Der Alte zog blitzschnell die Angel aus dem Wasser und schwang sie über den Kopf des Löwen. Dazu murmelte er irgendeinen Spruch. Ein Blitz fuhr am helllichten Tag vom Himmel hernieder, ein Donnerschlag ertönte, und das stolze Raubtier verwandelte sich augenblicklich in ein niedliches Kätzchen. Der Angelhaken aber spießte sich ihm ins Genick und wirbelte ihn durch die Luft ins Wasser.

Während der winzig gewordene Löwe vor Schreck quietschte und an seiner Schnur verzweifelt im Wasser strampelte, um nicht unterzugehen, sagte der Alte:

"Lern du erst mal richtig schwimmen, statt anderen ihre Angelplätze streitig zu machen."

Über diesen Vorgang waren die Freunde natürlich sehr erschrocken. Der Eiserne Holzfäller, der bisher geschwiegen hatte, fasste sich als erster ein Herz:

"Ich sehe, dass du ein großer Zauberer bist, mit dem wir uns nicht messen können", sagte er. "Der Löwe hat dich erzürnt, aber bedenke bitte, dass es in seiner Natur liegt, etwas ungestüm zu sein. Er hätte dir gewiss nichts Böses getan. Deshalb lass Gnade vor Recht ergehen, und gib ihm seine frühere Gestalt zurück."

Der Alte zog die Angelschnur aus dem Wasser, sodass der kleine Löwe an Deck purzelte. Japsend und außerstande, einen Tatzenhieb auszuteilen oder gar zuzubeißen, blieb er dort liegen.

"Ich bin kein großer Zauberer, denn die sind seit Hurrikap und der bösen Gingema ausgestorben. Ich war nur als junger Mann bei der guten Fee Stella in Diensten. Ein Zauberlehrling gewissermaßen", er lachte. "Ich habe mir einige von ihren Tricks abgeguckt. Wie ihr seht, reicht das, um mit Leuten wie euch fertig zu werden."

"Wenn du bei Stella in Diensten warst, solltest du nicht so dickköpfig, abweisend und überheblich sein", sagte der Scheuch, auf die Gefahr hin, den Alten erneut zu erzürnen. "Ich kenne Stella. Sie hätte uns bestimmt geholfen."

"Ihr wollt Stella kennen?", fragte der Angler erstaunt.

"Und ob. Wir sind sogar mit ihr befreundet. Sie hat Elli geholfen, nach Hause zu kommen, damals, als Goodwin mit dem Ballon davongeflogen war. Gibst du nun unserem Freund seine wahre Gestalt zurück?"

"Elli? Die Fee des Tötenden Häuschens etwa, die Gingema und Bastinda besiegt hat?"

"Ja, genau die", mischte sich Chris stolz sein. "Sie ist meine Mutter."

Nun drehte sich der Angler zum ersten Mal ganz zu der kleinen Gesellschaft herum und musterte jeden einzelnen von Kopf bis Fuß.

"Eine Strohpuppe mit spitzem Hut", murmelte er, "ein langer dünner Eisenkerl mit der Axt und ein Löwe, der im Augenblick freilich nur ein Kätzchen ist - ich hab's doch wohl nicht mit dem berühmten Weisen Scheuch und seinen Freunden zu tun?"

"Doch, das hast du", erwiderte der Scheuch bescheiden, "aber so berühmt und so weise bin ich nun auch wieder nicht. Zum Beispiel ist es mir bisher einfach nicht in den Sinn gekommen, gute Schiffe zu bauen, die man ja offensichtlich manchmal braucht."

"Und ob man sie braucht", fügte Charlie nachdrücklich hinzu.

Der Alte wollte etwas entgegnen, doch da meldete sich mit ungewohnt dünner Stimme der Tapfere Löwe zu Wort:

"Ihr redet und redet", sagte er, "und vergesst dabei ganz, dass ich noch immer in dieser kümmerlichen Gestalt herumlaufe."

"Na gut, befreien wir dich aus deiner engen Hülle", der Alte lachte. "Lass es dir immerhin zur Lehre dienen."

Er löste den Haken aus dem Fell, stellte sich breitbeinig hin, schwang seine Angel und rief:

"Racki, nacki, Donnerkraut, kehr zurück in deine Haut!"

Alle erwarteten ein Blitzen und Krachen in der Luft, nahmen an, dass im nächsten Augenblick das mächtige Tier von einst vor ihnen stände, doch nichts dergleichen geschah. Der Löwe schaute sie nach wie vor in Katzengestalt an.

"Der Spruch war wohl nicht ganz richtig", sagte der Alte verlegen. "Na ja, ist eine Weile her, dass ich zuletzt gezaubert habe. Ich versuch's gleich noch mal:

Racki, zacki, Donnerquell, kehr zurück ins alte Fell!"

Aber auch dieser Spruch wirkte nicht, und während sich die Freunde betreten ansahen, wurde der Alte langsam kribbelig.

"Na, so was", sagte er, "es müsste doch klappen. Wie war der Spruch nur gleich ... Racki, schnacki, Donnerlittchen ..."

Er probierte es in immer neuen Varianten, aber nichts geschah. Schließlich gab er zu:

"Nein, es wird nichts, ich hab's tatsächlich vergessen. Himmel, ist mir das peinlich. Warum musstest du vorhin aber auch so wild auf mich losstürzen? Sonst wäre überhaupt nichts passiert."

"Ich bin auf dich los, weil du so uneinsichtig warst. Wir müssen der Seekönigin und ihrem Volk helfen", miaute wütend der kleine Löwe. "Wie soll ich jetzt vor sie hintreten?"

"Hast du denn kein Zauberbuch?", fragte der Scheuch. "Kannst du dich nicht bei Stella erkundigen?"

"Die Sache ist die", erklärte der Alte kleinlaut, "dass ich kein Zauberbuch besitze und mich mit Stella überworfen habe. Schon vor Jahren. Ich hatte ... nun ja, ihren Papagei in einen Staubwedel verwandelt und ihren Hund in einen Eiswürfel. Den Papagei konnte sie retten, er hatte bloß einen chronischen Husten davongetragen. Der Hund ist leider weggeschmolzen."

"Du hattest also schon damals deine Schwierigkeiten mit dem Zurückzaubern", stellte der Eiserne Holzfäller ernsthaft fest.

"Na klar, er war nicht gerade der gewandteste Lehrling, deshalb hat ihn Stella wahrscheinlich hinausgeworfen", ergänzte Charlie respektlos.

Der Alte, der sich durchschaut fühlte, war nun echt zerknirscht.

"Ihr wollt doch zu dieser Seekönigin", sagte er, "vielleicht weiß die eine Lösung."

"Was", fauchte der Löwe, "ich, der aufgebrochen ist, um der Königin Belldora zu helfen, soll sie selbst im Hilfe bitten?! Das fehlte noch."

"Sei nicht so stolz", wies ihn der Eiserne Holzfäller zurecht. "Du warst vorhin wirklich ein bisschen unbesonnen und solltest jetzt Ruhe bewahren. Wenn sie dir deine einstige Größe zurückgegeben hat, wirst du dich durch deine Taten erkenntlich zeigen."

"Und falls es nicht gelingt, kannst du dich immer noch an Stella selbst wenden", tröstete der Scheuch.

Chris aber fügte hinzu:

"Außerdem kann man auch als kleines Tier eine große Hilfe sein. Ich brauche da bloß an meine Abenteuer auf der Rameria und an die niedlichen Puschel zu denken. Ohne sie wäre ich verloren gewesen. Sie haben mich aus dem Gefängnis befreit und in ihren unterirdischen Höhlen versteckt."

Diese Worte vor allem machten dem Löwen etwas Mut. Charlie aber, zielstrebig wie immer, hob besonders die praktische Seite der Verwandlung hervor:

"Gut ist im Moment auch, dass du nicht so schwer bist", sagte er. "Im Kahn wäre es sonst schon ein bisschen eng geworden." Und zu dem Alten: "Ich sehe es hoffentlich richtig - nach allem, was gerade passiert ist, wirst du uns dein Schiff doch wohl für einige Zeit überlassen?"

"Aber ja, das bin ich euch jetzt schuldig."

"Wir bringen es dir auch unbeschadet zurück", versicherte der Käptn, "da kannst du ganz beruhigt sein."

Der Alte nickte seufzend.

"Fragt, wenn ihr zurück seid, nach Pet Riva", sagte er, "so heiße ich nämlich." Dann holte er seinen Drahtkorb mit den Fischen aus dem Wasser, griff nach der Angel und seinem Stühlchen und balancierte über einen Steg an Land. Die Freunde dagegen machten es sich in der Schaluppe bequem. Der Eiserne Holzfäller nahm auf einer Bank im Heck Platz, der Scheuch kletterte auf die Kommandobrücke, Chris gesellte sich zu dem kleinen Löwen am Bug, und Charlie warf den Motor an.

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Nachdem sie die Haltetaue gelöst hatten, stachen sie in See. Das Schiff, das bestimmt seit Langem nicht mehr übers Wasser getuckert war, ächzte und knarrte, doch es setzte sich in Bewegung. Charlie, inzwischen am Ruder, hatte alle Hände voll zu tun, es auf Kurs zu bringen. Die übrigen aber, ausgenommen der kleine Löwe, winkten dem Alten zu. Noch immer betreten, aber auch ein wenig gerührt, winkte er mit seiner Angel zurück.

Die grauen Wassermänner

Inzwischen war längst Mittag vorüber. Die Wanderung, das Erlebnis mit den Bibern und nicht zuletzt die Begegnung mit dem alten Fischer hatten die Zeit wie im Flug verstreichen lassen. Der Scheuch und der Eiserne Holzfäller mussten nicht essen, die anderen aber merkten, dass ihnen der Magen knurrte. Charlie und Chris packten den mitgeführten Proviant aus und ließen es sich schmecken. Auch der Löwe machte sich über die Schweinshaxe her, die ihm Prinzessin Betty eingepackt hatte, und nun ergab sich ein weiterer Vorteil: Was der große Löwe sonst auf einmal verschlungen hätte, würde für den kleinen mehrere Tage reichen. Weil es ihm fast unehrenhaft erschien, eine derart bescheidene Portion zu vertilgen, fraß er dennoch, soviel er konnte. Gesättigt schlief er schließlich im Arm von Chris ein.

Sie fuhren in der Nachmittagssonne dahin, Dörfer, Felder und Wiesen zogen vorbei, Wälder und Berge grüßten herüber. Die Möwen, die sich gern mit Brot füttern lassen oder in der Kielspur von Schiffen fischen, jagten kreischend über sie hinweg. Vorsorglich ölte der Eiserne Holzfäller seine Gelenke, während der Scheuch ab und zu einen sehnsüchtigen Blick auf das Foto seiner jungen Frau warf. Da nichts Ungewöhnliches geschah, wurde sogar Charlie am Ruder etwas schläfrig. Plötzlich aber riss er die Augen auf und stieß einen Pfiff aus.

"Was ist denn das?", rief er erstaunt aus.

Der Scheuch war sofort an seiner Seite.

"Ich sehe nichts, was meinst du?"

"Dort bei der Sandbank. Nein, rechts bei den großen Steinen. Ah, jetzt sind sie verschwunden. Ist ja eigenartig."

"Nun sag schon, was du bemerkt hast", drängte der Scheuch. "Was heißt verschwunden? Wer? Waren es irgendwelche Lebewesen, Seehunde oder gar Delfine wie Floy, den Klapp aus diesem Netz befreit hat?"

Charlie setzte den Feldstecher an, konnte aber offenbar nichts Aufregendes mehr entdecken.

"Weder Delfine noch Seehunde", erwiderte er dann, "solcher Tierchen wegen würde ich doch nicht so ein Aufhebens machen. Nein, was sich dort bewegt hat, sah nach menschlichen Wesen aus. Sie hatten dicke Bäuche und große Köpfe, schienen mir wabblig, quabblig und graugrün. Sie glotzten mit Froschaugen herüber, und einer zeigte mit dem Finger auf uns. Welcher Mensch aber kann so lange unter Wasser bleiben?"

Mittlerweile hatten sich die Freunde genähert und hielten gleichfalls Ausschau. Selbst der kleine Löwe war erwacht. Er streckte blinzelnd den Kopf über die Reling.

"Vielleicht waren es Piraten", sagte Chris, der sofort ein spannendes Abenteuer vermutete. "Sie haben sich im Schilf versteckt, um uns anzugreifen."

"O nein, mit Piraten hab ich mich in meinem Leben genug herumgeprügelt", erwiderte der Seemann. "Die rieche ich auf drei Meilen Entfernung. Außerdem hätten sie irgendwo einen seetüchtigen Schoner liegen. Ich kann aber nicht die kleinste Nussschale entdecken, so weit das Fernrohr reicht."

Sie starrten noch eine Weile zu jener Sandbank und den Steinen hinüber, suchten mit dem Fernglas den Fluss ab. Da sie nichts Verdächtiges mehr beobachteten, kehrten sie endlich an ihre Plätze zurück.

Mit einem Mal rümpfte der Löwe die Nase und sagte:

"Riecht ihr denn nichts? Es stinkt hier ja so nach Schlamm und totem Fisch." Er beugte sich weit über die Reling, fuhr aber sofort wieder zurück. Ein dicklicher, schmutziger Arm hatte aus dem Wasser heraus nach ihm gegriffen. "Was sind denn das für hässliche Geister?", rief er.

Im selben Augenblick begann der Kahn zu schwanken und sich im Kreis zu drehen. Charlie, der verzweifelt das Ruder gepackt hielt, konnte das Steuerrad kaum noch bewegen, ja, er hätte es loslassen müssen, wäre ihm nicht der Eiserne Holzfäller zu Hilfe gekommen. Gemeinsam stemmten sie sich gegen eine unsichtbare Kraft, die sie in eine andere Richtung lenken wollte.

Dann gab diese Kraft unvermutet wieder nach, aber nun legte sich die Schaluppe auf die Seite.

"Hilfe, wir kentern", schrie Chris, der sich schon in den Wellen versinken sah. Zusammen mit dem Scheuch und dem Eisernen Holzfäller rannte er zur gegenüberliegenden Reling, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Er und der federleichte Scheuch hätten wenig bewirkt, doch der schwere Eisenkerl, der sich trotz seiner Angst vor dem Wasser halb auf den Fluss hinauslehnte, verhinderte das Schlimmste. Sie kippten nicht um, sondern fuhren nur an die fünfzig Meter, in Schräglage schaukelnd und schwankend, auf dem Fluss dahin. Und jetzt rochen auch alle anderen den fauligen Fischgestank.

Der Tapfere Löwe war inzwischen zu Käptn Charlie auf die Brücke gesprungen. Die Pfoten mit den ausgestreckten Krallen gegen die Bodenplanken gestemmt, damit er nicht abrutschte, begann er zu fauchen und zu brüllen, so laut es seine schwache Stimme hergab. Dabei blickte er angestrengt nach steuerbord, wo sich wilde Wirbel bildeten.

Plötzlich tauchte ein dicker Kopf mit rötlich vorquellenden Augen aus den Fluten auf, und eine graue Platschhand, fast eine Flosse, fasste nach dem Schiffsgeländer.

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"Ein Wassermann!", schrie Chris, der zwar noch nie einen in Wirklichkeit, wohl aber in Büchern abgebildet gesehen hatte.

Charlie ließ das Ruder los und stürzte zu seinen Gefährten, um mit ihnen das Schiff im Lot zu halten. Der kleine Löwe jedoch setzte zum Sprung auf den schwabbligen Gegner an, der das Schiff entweder entern oder umkippen wollte. Seine neue Körpergröße nicht gewohnt, verschätzte er sich in der Entfernung und landete vor dem Ziel, wurde dann allerdings vom Schwung weitergetragen, rutschte in die Relingseile und schlug seine Zähne in die Hand des unheimlichen Wesens. Das dickköpfige kleine Männchen quietschte wie ein Ferkel und verschwand wieder in den Wellen. Ein Teil seiner Flossenhand blieb im Maul des Löwen zurück.

Sekunden später neigte sich die Schaluppe zur anderen Seite, sodass eine Woge das Deck überschwemmte und der kleine Löwe mit dem Kopf gegen das Steuerrad flog.

Der Fluss wirbelte und strudelte, aber die Wassermänner hatten losgelassen. Ja, es mussten mehrere sein, man sah ihre schemenhaften Gestalten blitzschnell untertauchen. Offenbar traten sie den Rückzug an.

Charlie, Chris, der Scheuch und mit einiger Verzögerung auch der Eiserne Holzfäller sprangen zur Mitte des Schiffes, damit es nicht nach ihrer Seite hin umschlug. Misstrauisch beobachteten sie noch eine Weile die Wasseroberfläche. Erst als sich der faulige Fischgeruch verzog, atmeten sie etwas auf.

Inzwischen war die Strömung stärker geworden, und der Kahn trieb mit großer Geschwindigkeit auf einen Felsen zu, der mitten aus dem Fluss aufragte. Die Freunde, noch mit den vorangegangenen Erlebnissen beschäftigt, merkten es erst in letzter Minute. Mit zwei Sätzen, die des Tapferen Löwen würdig gewesen wären, hetzte Käptn Charlie zum Ruder und riss es herum. Das Schiff machte eine jähe Wendung und schoss um Haaresbreite an der Klippe vorbei. Dabei knirschte und schrammte es am Kiel. Unter Wasser war der Felsen wohl breiter.

"Bei allen Riffen der Ozeane", schimpfte Charlie, "das war knapp. Durch diese Teufel habe ich alter Esel mich ablenken lassen. Beinahe hätten wir mit unseren Leibern die Fische gefüttert."

"An mir hätten sie sich die Zähne ausgebissen", entgegnete der Eiserne Holzfäller trocken, "trotzdem wäre es dumm gewesen zu kentern. Die Seekönigin hätte dann vergeblich auf unsere Hilfe gehofft."

"Und Pet Riva hätte lange warten können, bis er sein Schiff zurückbekommt", ergänzte der Scheuch.

"Das wäre wirklich meine geringste Sorge", knurrte der kleine Löwe und machte ein grimmiges Gesicht.

Die anderen mussten lachen, zumal der Löwe aussah, als hätte er gerade mit der Schnauze im Schlamm gewühlt. Er war ums Maul herum ganz braun und grau verschmiert. Vor ihm lag ein Stück glibbriges, grünliches Pflanzenzeug.

"Was ist denn mit dir passiert?", fragte Chris überrascht.

Der Löwe, der sich ja nicht im Spiegel betrachten konnte, fuhr mit der Tatze über sein Gesicht.

"Ich hab den Kerl an der Flosse erwischt", sagte er, "aber sie war wie Brei. Und das da sind seine Finger." Er deutete vor sich auf den Boden.

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"Seine Finger?", fragte der Scheuch. "Das sind doch nur Wasserpflanzen."

"Nicht einmal das", ergänzte Käptn Charlie. "Öliger Schlamm ist es, alte Wagenschmiere."

Tatsächlich hatten sich die Pflanzen in schmutzigen, breiigen Schlamm verwandelt.

Der Tapfere Löwe blickte verblüfft auf das Häufchen Dreck.

"Ich schwör's, ich hatte seine glibbrige Pfote zwischen den Zähnen", murmelte er.

"Das mag schon sein", erwiderte Charlie. "Jetzt liegt hier aber nur noch ein bisschen Unrat. Ich hab euch ja gleich gesagt, dass mit diesen Quallenköpfen etwas nicht stimmt. Sie kamen mir von Anfang an verdächtig vor."

"Jedenfalls haben wir sie erst einmal in die Flucht geschlagen", erklärte zufrieden der Eiserne Holzfäller.

"Stimmt, doch sie können's erneut versuchen. Wir müssen vorsichtig sein", warnte Charlie.

Der Hinterhalt

Angespannt schauten die Freunde auf den Fluss, konnten aber keine Spur von den grauen Wassermännern mehr entdecken. Es war, als sei nichts geschehen. Dunkel und ruhig strömten die Fluten dahin.

"Was meinst du, Onkel Charlie", fragte Chris nach einer Weile, "wollten die uns kapern?"

"Sah eher so aus, als hätten sie uns am liebsten mitsamt unserer Jolle auf den Grund geschickt. Ich frage mich, warum?" Der Seemann wiegte nachdenklich den Kopf.

"Auf alle Fälle war das mehr als ein Schabernack", gab der Eiserne Holzfäller zu bedenken.

"Diese Quallenköpfe scheinen ziemlich böse Geister zu sein", vermutete der Scheuch. "Es gibt im Zauberland also immer noch welche. Zumindest im Wasser. Ich will allerdings gern zugeben, dass ich mich da nicht so auskenne."