Impressum

Heinz Kruschel

Die Rebellion der Franca Viola

ISBN 978-3-96521-226-8 (E-Book)

 

Das Buch erschien erstmals 1969 im Deutschen Militärverlag, Berlin (Erzählerreihe Heft 149).

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
 

2020 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

Tel.: 03860 505788

19065 Pinnow

E-Mail: verlag@edition-digital.de

Internet: http://www.edition-digital.de

Die Rebellion der Franca Viola

Die Sonne ging unter. Der Monte Sparagio warf seinen Abendschatten über den Ort.

Das Mädchen kam von den Weinbergen herab.

Ein Mann trat hinter den Aloezäunen hervor auf die schmale Straße, die sich den Berg hinaufwand.

Das dritte Mal schon, dachte das Mädchen. Hab’ ich ihm nicht deutlich genug gesagt, dass es keinen Zweck hat?

„Du bist schön. Franca“, sagte der Mann, „du wirst noch schöner werden, wenn du erst meine Frau bist.“

Franca schüttelte heftig den Kopf. „Quäle mich doch nicht. Ich habe dir gesagt, dass ich Luigi liebe …“

„Aber wir waren einmal versprochen …"

„Das ist lange her, Filippo. Damals war ich ein Kind, und mein Vater dachte …“ Sie stockte, sah den Mann an, bemerkte, wie seine Miene verschlossener wurde, böser, fordernder. Er war jung und straff, aber sein Gesicht wirkte alt. „Was dachte dein Vater, Franca?“ „Vielleicht dachte er, aus den beiden könnte mal ein Paar werden, nicht wahr, solche Gedanken machen sich die Eltern doch?“ Ich könnte ihm sagen, warum Vater die Verbindung gelöst hat, überlegte sie; aber ich wage es nicht, Filippo soll gewalttätig werden, wenn er die Nerven verliert; warum soll ich es auf die Spitze treiben, es ist kein Mensch in der Nähe, heute ist Markttag in Campotudia.

„Passt euch mein Lebenswandel nicht?“, fragte Filippo scharf.

„Ich weiß nicht, wie du lebst.“

„Man redet viel dummes Zeug über mich!“

„Ich kümmere mich nicht um das Gerede der Leute.“

„Na also“, sagte er, trat einen Schritt näher heran und umfasste das Mädchen. Franca bog den Kopf zurück und stemmte sich mit den Fäusten gegen seine Brust. Er lachte, er war stark, er küsste das Mädchen auf den Hals, Sie trat ihm mit dem Fuß gegen das Schienbein“ „Kleine Kröte“, sagte er, „aber du gefällst mir, so wie du bist …"

Sie erschrak. Sie fühlte die Gewissheit: Filippo Melodia ist ein Mann, vor dem man sich in Acht nehmen muss, sie durfte ihn nicht bis zum Äußersten reizen. „Bitte, Filippo“, sagte sie, „ich liebe Luigi, das habe ich dir schon oft gesagt.“

„Na und? Du weißt doch noch gar nicht, was Liebe ist, ich werde dich anbeten, Franca.“

„Ich will nicht.“

„Das wird sich ändern.“

„Nein.“

„Höre gut zu, Franca, ich bin nicht der Mann, der sich lächerlich macht. Ich habe das schon deinem Vater gesagt. Und ich lasse mich auch nicht von euch beleidigen.“

„Du verdrehst alles“, sagte sie, „niemand will dich beleidigen. Aber du kannst doch Liebe nicht mit Gewalt erzwingen!“

Er lächelte. „Ach Gott“, sagte er, „Liebe kommt später von allein, du bist kein kleines Mädchen mehr. Bei uns nimmt man sich die Mädchen, die man haben möchte, so viel solltest du wissen. Du wirst sehen, eines Tages entführe ich dich noch …“

„Ich muss gehen.“ Sie war voller Angst. Aber er ließ sie vorbei und sah ihr nach, wie sie den Hang hinunterlief. Mit der könnte man in eine große Stadt gehen und sich sehen lassen, dachte er, eine Figur hat sie. Aber ihr Vater hat sie zu viele Bücher lesen lassen, sonst wäre sie wie alle anderen, würde sich geehrt fühlen und sich nicht so zieren. Ich werde mir diesen Luigi vornehmen.

 

Markttag in Campotudia.

Die uralte Fatima röstete Würste aus Fleisch über dem offenen Kohlefeuer, Arbeitslose aus Turrumé Arcia verkauften Ginsterbesen, gesottene kleine Kürbisse und gekochte Polypen. Ambulante Barbiere boten ihre Dienste an. Der Drehorgelspieler diskutierte mit einem jungen Carabinieri, während er unentwegt weiterkurbelte und schwermütige neapolitanische Lieder über den Platz hallten. Ein Junge pries lautstark seinen gesammelten Unrat für die Gärten.

Luigi Trancomo fühlte sich in der Menge wohl. Fischgerüche kitzelten seine Nase, ein paar Café-Jungen liefen mit ihren großen Thermosflaschen über den Platz, und der Tombolaverkäufer, ein Kriegsversehrter mit Tapferkeitsauszeichnungen auf der Brust, rieft: „Kauft Billette, liebe Leute! Noch nie war die Gelegenheit so günstig! Die Sterne stehen gut! Heute gibt es Puppen und Wiegen und komplette Mahlzeiten zu gewinnen! Nur fünfzig Lire das Stück!“

„Gib mir die Siebzehn“, sagte Luigi zu ihm.

„Warum denn die Siebzehn? Vielleicht ist die schon weg…“

„Dann eben nicht.“

„Nun warte doch, da ist die Siebzehn ja noch. Warum willst du ausgerechnet die Siebzehn? Andere Zahlen sind auch sehr schön.“

„Na, rate mal.“

„Ist dein Mädchen vielleicht so alt?“

„Erraten.“

„Bei Santa Rosalia, setze nie auf ein Weib.“ Der Lottoverkäufer sah Luigi aufmerksam an und fragte: „Du arbeitest heute nicht?“

Im Steinbruch wird gesprengt“, sagte Luigi.

„Ich glaube, Alvarez will mit dir reden …“

„Was will er denn?“ *

Der Lottoverkäufer antwortete nicht, er überschrie schon wieder die Melodien der Drehorgel. „Bei der heiligen Santa Rosalia, beeilt euch, liebe Leute, es sind nur noch wenige Lose da, in einer Stunde wird Mutter Fatima die Glücksnummern ziehen!“

Luigi fand Alvarez vor dem Gafé Rosa: Der Krüppel saß, die Krücken neben sich, auf den steinernen Stufen und verkaufte aus einer zerbeulten amerikanischen Blechbüchse Blutegel an eine Tagelöhnerin. Luigi stellte sich zu ihr. Alvarez griente Luigi an, während er zu der Frau sagte: „Du musst sie ihm hinter die Ohren setzen. So wird dein Junge keine Hirnhautentzündung bekommen. Willst du die Egel bloß leihen oder kaufen? Kannst du sie selber melken? Sie lassen sich wieder verwenden, wenn du ihnen rechtzeitig das Blut abzapfst, aber es muss nach sechs Stunden geschehen, sonnst gerinnt es, und die Egel krepieren …“

„Ich möchte drei haben“, sagte die Frau schüchtern, „ich habe kein Geld, aber ich habe dir Kräuter mitgebracht, hundert Sträuße, eine ganze Tagesarbeit …“ Sie öffnete einen Sack und brachte gebündelten Fenchel, Kohl und Zichorie hervor.

„Wieder kein Geld“, maulte Alvarez

Das ist so gut wie Geld“, sagte Luigi, „du verkaufst sie doch im Handumdrehen …“

Alvarez warf die Bündel hinter sich. „Da, nimm schon“, sagte er zu der Frau, „und ich spreche ein Credo an das Herz Jesu, das das Übel wegnimmt.“ Er schob seine fleckige Schlägermütze in den Nacken und kratzte sich den Kopf.

„Du willst mich sprechen?“, fragte Luigi.

„Ich nicht“, sagte Alvarez und wies mit dem Daumen hinter sich, auf die Tür des Cafés Rosa, „geh nur ’rein, mein Junge, du wirst schon sehen …“

Luigi stieß mit dem Fuß die Tür auf. Im Café saß ein Liebespaar. An der Theke stand ein junger, geckenhaft gekleideter Mann und winkte Luigi zu. An seiner Hand blinkten Ringe. Er habe lange auf ihn gewartet, meinte der Mann, er habe mit ihm zu sprechen.

Luigi kannte den Mann. Jeder in Campotudia und in den Dörfern der Umgebung kannte ihn. Filippo Melodia gehörte zu den Leuten, die keine Arbeit hatten und denen es trotzdem gut ging. Früher beschaffte er Urkunden für Analphabeten, dann schmuggelte er ausländische Zigaretten. Das wusste jeder im Ort. Das wusste sogar die Polizei. Er fuhr mit einem Motorboot achtzig Meilen weit hinaus, wo die spanischen Schiffe vor Ustica ankerten, übernahm mit seinen Freunden die Kisten und brachte sie – ungeschoren vom Zoll – in den Hafen von Palermo. Die Polizei gehörte zu seinen Abnehmern. Das Geschäft brachte viel ein. Man munkelte über Melodia manches, aber man sprach nicht laut über ihn, die Menschen hatten Angst vor ihm und seinen Freunden.

Luigi konnte den Burschen nicht leiden. „Sprich schon“, sagte er.

„So trocken?“

„Ich habe wenig Zeit für dich.“

„Du wirst bald mehr haben. Was verdient man denn so in den Steinbrüchen?“

„Achthundert Lire.“

„Die Stunde?“

„Lass die Witze. Den Tag, das weißt du genau.“

„Ich schlage dir ein Geschäft vor. Ohne Umschweife und ohne Hintergedanken, ein sauberes Geschäft, bei dem du hunderttausend Lire bekommst, das ist reiner Verdienst …“

Luigi nahm die Zigarette nicht aus dem Mundwinkel. „Und was soll ich tun? Du verschenkst doch nichts."

Melodia lachte. Es wirkte nervös, dieses Lachen. „Eigentlich sollst du nichts tun. Das klingt komisch, was? Also was ist, schlägst du ein? Du gehst mit Franca Viola. Du hast nichts weiter zu tun, als die Finger von ihr zu lassen, verstanden? Es gibt viele Mädchen, du findest leicht wieder ’ne andre, besonders mit Hunderttausend in der Tasche. Du siehst Franca nicht wieder, machst Schluss mit ihr, das ist alles, was ich von dir verlange.“

Luigi drückte seine Zigarette aus, lächelte verächtlich und drehte sich um, aber Filippo packte ihn am Jackettärmel und sagte: „Lass deinen blöden Stolz, sag’ ich dir. Ich bin ihr seit Jahren versprochen, damals war sie dreizehn, da verlobten wir uns. Mit dem Segen der Eltern!“

„Jetzt hast du diesen Segen nicht mehr, der Alte hat das Verlöbnis gelöst, das weißt du …“

„Was schert mich der Alte, ich will das Mädchen. Ich will sie heiraten.“

„Dann sag ihr das doch.“ Luigi hatte Lust, dem Gecken die Faust ins Gesicht zu stoßen.

Luigi ist ein einfacher Arbeiter. Aber er hat vier Jahre lang die Schule besucht, das ist eine lange Zeit für sizilianische Verhältnisse. Er arbeitete seit seinem dreizehnten Lebensjahr in den Steinbrüchen, seine Eltern starben an der Schwindsucht. Luigi Trancomo hält nichts von der Politik, und er glaubt nicht an Gott. Vor den Wahlen kommen die Vertreter der Parteien in die Steinbrüche und versprechen und locken und bringen manchmal auch Makkaroni mit, die sie kostenlos verteilen.