Impressum

Guido Pauly

Die frühe Katze fängt den Vogel, der den späten Wurm verschmäht

ISBN 978-3-96521-198-8 (E-Book)

 

Titelbild: Ernst Franta

 

2020 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: verlag@edition-digital.de

Internet: http://www.edition-digital.de

OMATRICK

Im TV wurde vor dem Omatrick gewarnt. Es häufen sich die Fälle, wo Kinder gezielt von einer Frau angerufen werden, die sich als ihre Oma ausgibt und behauptet, beim Bingo Geld verloren zu haben. Sie benötige dringend finanzielle Hilfe, sonst flöge sie aus dem Heim. Eine Pflegekraft sei bereits unterwegs, um die Spardose des Enkelkindes in Empfang zu nehmen. Leider, so die Moderatorin, seien die Kinder heutzutage so sehr auf Nächstenliebe und soziales Engagement getrimmt, dass der Trick auch funktioniert.

UNBEGRÜNDET

Beim Besteigen der Fähre, die von Norddeich Mole auf Norderney führt, fiel er mir auf: Dieser Typ mit langem Rauschebart à la Bin Laden und den Augen, die nichts Gutes verhießen. Er stellte seinen Koffer aufs Laufband. Ich sagte mir, dass es nichts zu fürchten gäbe außer der Furcht. Aber dann: Gewissheit! Auf seinem schwarzen Pullover prangten weiß die Buchstaben „IS“. In Panik klammerte ich mich an einen Rettungsring und beobachtete die Lage. Angstschweiß lief mir in die Unterhose. Nach einer gefühlten Ewigkeit endlich Festland. Nichts wie weg! Ein fester Schultergriff stoppte mich: „Entschuldigen Sie bitte, mein Herr, Sie haben versehentlich meinen Koffer genommen.“ Er war es: Der Langbart mit den dunklen Augen und – sympathischem Lächeln. Ein Blick auf den Kofferanhänger: „Ingo Schmitz“.

PREISTRÄGER

Es war eine gute Idee von Willi gewesen, sämtliche Post auf die Adresse seiner alten Mutter umzuleiten. Und gut ist, dass er alle sechs Wochen bei ihr badet. Sonst hätte ihn der Brief des Energieunternehmens nie erreicht. Jetzt aber sitzt er im Alten Rathaus in der ersten Reihe, bekleidet mit einem grün-braunen Pullover, der einmal weiß war, löchriger Hose und abgelatschten Sandalen, aus denen schwarze Zehen lugen. Der Geruch Marke „Pumakäfig“ breitet sich aus. Doch der scheint den Anwesenden zu gefallen. Schon als er den Saal betrat, wurde Willi von vielen Leuten für sein ökologisches Outfit achtungsvoll gemustert. Nun gibt es eine Laudatio von einer örtlichen Grünen-Politikerin und da begreift Willi, dass er als „Energieeffizienz-Preisträger“ ausgezeichnet wird. Für zehn Jahre Leben ohne Strom! Als die Laudatorin seine Hand loslässt, ihren freundlichen Blick vom Blitzlichtgewitter zu ihm wendet und fragt, was er denn mit dem vielen Preisgeld anstellen wolle, weiß er die Antwort sofort: „Strom, endlich wieder Strom, die letzten zehn Jahre waren schlimmer als die Seuche.“

KEINEN IM T

„Ich heiße Heinz und trinke täglich fünf Flaschen naturtrüben Apfelsaft!“ Pffft – der Tennisball flog geradeswegs in die Hand eines Teilnehmers des Sitzkreises. „Ich bin Malte und vernasch’ an manchen Tagen zwanzig Tassen Kamillentee!“ Und wieder sauste die Filzkugel durch den Raum; geschnappt von ruhiger Hand. „Man nennt mich Keule. Jeden Morgen muss ich mir zum Wachwerden drei Liter Frischmilch reinpfeifen!“ – Meine zittrigen Griffel fassten daneben und zong! – traf mich der Ball am Kopf. Ich schüttelte mich und stammelte: „Ich bin ... ich bin ... wo bin ich denn hier?“

„Bei den Antonymen Alkoholikern!“

Da wurde mir klar, ich hatte mich in der Tür geirrt. Ich wollte zu den Anonymen!

ZAHLEN ERSCHNUPPERN

Mein Patenjunge ist nicht dumm. Er ist nicht minder klug als andere. Er kann es nur nicht so zeigen. Nach jeder Ehrenrunde, die er in der Grundschule drehte, wusste ich Trost: „Halb so wild, ist deinem Onkel und Albert Einstein auch einige Male passiert!“ In diesem Jahr hat’s dann aber geklappt, das Klassenziel der Primarstufe wurde erreicht und zur Belohnung gab’s ein nigelnagelneues Moped. Nun geht’s weiter. Aber wie?

Früher war es einfach: War das Kind handwerklich begabt, genügte die Hauptschule, potentiellen Kaufleuten trug die Realschule Rechnung und designierte Studentenköpfe besuchten das Gymnasium. Heute gestaltet sich die Schullandschaft multipompös.

Um nicht den Überblick zu verlieren, ist ein neuer Dienstleistungssektor entstanden: Schullaufbahnberatungsstellen. Als klügstem Kopf in der Familie fiel mir die Aufgabe zu, diese aufzusuchen. Nach langer Wartezeit sah ich mich einer Tasse Tee, ein paar Dinkel-Keksen und der Schullaufbahnberaterin („School career executive manager“ stand an ihrer Tür) gegenüber, die sogleich in medias res ging. Neben zahlreichen Privatschulen, die, sofern das nötige Kleingeld vorhanden (sie zwinkerte mir zu), in Frage kämen, gäbe es diverse Förderschulen – für Kinder mit diagnostizierter Dyskalkulie und/oder Legasthenie. Lernen nach den Konzepten omnisensorischer Pädagogik, die das haptische Erfassen von Buchstaben und Erschnuppern von Zahlen implementierte; von Lehrerinnen und Lehrern begleitet, die zu den Lösungen der Schülerinnen und Schüler die richtigen Aufgaben stellten. Alte Zöpfe seien entflochten, die restriktive Auslegung des Rechtschreibregelwerks, welche die kreative Entfaltung hemme, längst passé. „Edukandinnen und Edukanden abholen, wo sie stehen“, laute die Losung.

Ich verstand nur Bahnhof; sie fuhr fort: Für unseren Jungen käme auch die Inklusive Schule in Betracht, in der jegliche Formen von Konkurrenz und Differenz durch entschleunigtes Lerntempo egalisiert seien. Als Beispiel führte sie den Sportunterricht an: Alle Spiele endeten grundsätzlich unentschieden, um keinen zu benachteiligen und zu diskriminieren. Bei Lauf- und Sprungwettbewerben würde in gleicher Weise das Kind zum Sieger erklärt, das als letztes die Ziellinie überquert bzw. die geringste Weite erzielt. Ein Erfolgskonzept, das das Gemeinschaftsgefühl stärke, weil sich keiner mehr ausgegrenzt fühle.

Einige Projektschulen gingen ganz neue Wege; Kurse wie Bunte Vielfalt, Genderlehre und ÖBF (Öko-, Bio- und Fairtradekunde) seien in der Erprobungsphase. Zu rühmen und preisen seien außerdem: Sekundarschule, Orientierungsstufenschule, Hauptschule Plus, Realschule, Realschule Plus, Duale Oberschule, Regionale Schule, Gemeinschaftsschule, Gesamtschule, Gymnasium 12 und Gymnasium 13. Alle Schulformen seien selbstverständlich in den Ausführungen „Halbtagsschule“, „offene Ganztagsschule“ und „Ganztagsschule“ erhältlich.

Die Kekse waren aufgegessen und endlich gelang es mir, die Beraterin zu unterbrechen. Für meinen Neffen schwebe mir eine Schule vor, an der ordentlich Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt würde, sagte ich. Sie schaute mich an, als stamme ich von einem fern gelegenen Planeten und komplimentierte mich nach draußen – mit der Zusicherung, sich zu melden, wenn sie etwas Passendes gefunden habe.

TEST BESTANDEN

Ein Freund riet mir, ich solle einen Flachmann für 3,49 € ordern, abgezählte 4,49 € auf die Theke legen und gehen. Reagiert sie? Wenn nicht, sei sie keine Frau für mehr als eine Nacht, die kleine scharfe Nudel von der Tanke. Tagtäglich verfuhr ich so. Woche für Woche – keine Reaktion. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Dann endlich Erfolg. Sie rief mir nach: „Hey, Sie kriegen noch was zurück.“ Ich ging auf sie zu, lächelte und säuselte: „Danke, sehr lieb von Ihnen. – Ich würde Sie gerne heute Abend zum Essen einladen.“ Sie fauchte: „Alter, noch ganz knusper in der Birne? Nimm deinen Euro und schieb ab!“ Der Anfang ist gemacht: Sie sagt „du“ zu mir.

KORREKT

Hopfen-Otto, der gebildetste Säufer im Duisburger Kant-Park, sagte neulich: „Weißt du, was der Alpha-Trinker und der Epsilon-Alkoholiker gemeinsam haben? – Das Suffix!“

GUT GEANTWORTET

„Was denkst du, wenn du einen bärtigen Mann mit Sprengstoffgürtel am Gleis stehen siehst, der auf den Zug wartet?“

„Typisch Deutsche Bahn!“

FLEISCHER-FACHGESCHÄFT

Kundin: „Haben Sie auch Tofu?“

Verkäuferin: „Sogar in bester Metzgerqualität!“

AN DER HALTESTELLE

„Bist du nicht der stadtbekannte Typ, der alle mit blöden Fragen nervt?“

„Nein!“

„Der jedem auf den Sack geht?“

„Nein!“

„Bist du nicht?“

„Nein!“

„Wirklich nicht?“

„Nein!“

„Kennst du ihn?“

„Ja!“

LEBENSMITTELINDUSTRIE

Wahr ist, dass der „Wonder Burger“, der exakt wie Rindfleisch schmeckt, aber zu 100% pflanzlich ist, seit August 2019 im deutschen Lebensmittelhandel ist.

Unwahr ist, dass der „Wonder Tofu“, der exakt wie Sojabohnen und Wasser schmeckt, aber zu 100% aus Rindfleisch besteht, in Planung ist.

GLÜCKWUNSCH

Der Deutsche „MoAuba“ gewann 2019 beim FIFA eWorld Cup sensationell den WM-Titel. Er setzte sich im konsolenübergreifenden Finale (Xbox/PS4) in der Fußball-Simulation FIFA 19 in London gegen Titelverteidiger „Msdossary“ aus Saudi-Arabien mit 3:2 (1:1/2:1) durch und sicherte sich ein Preisgeld von 250.000 Dollar.

Den Siegtreffer erzielte er per Strafstoß nach Videobeweis.

REICHSADEL

Das Oberhaupt des Adelshauses Hohenzollern, Georg Friedrich Prinz von Preußen, erhob 2019 Anspruch auf Tausende Kunstwerke aus öffentlichen Museen.

Ferner forderte er die sofortige Freilassung aller inhaftierten „Reichsbürger“.

TEST

Im Foyer des Duisburger Lehmbruck-Museums tummelten sich übermütige Teenager. Als sie gegangen waren, lagen in der Ecke ein Jointstummel und drei Plastikbecher, einer zur Hälfte mit einer Flüssigkeit gefüllt. Zuerst wollte ich das Ensemble in einem Abfallbehälter entsorgen, auf dem lustigerweise „Gib’s mir, Guido!“ stand. Dann aber kaufte ich im Museums-Shop eine Postkarte und schrieb darauf in Druckbuchstaben: „Großzügige Schenkung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei“. Die Karte klebte ich mit einem Kaugummi an die Wand. – Ich bin schon sehr gespannt, ob das Putzpersonal aus den Fehlern so mancher übereifriger Kollegen in anderen Museen gelernt hat oder ob ich mich beim Museumsleiter über die unsensible Entfernung des Kunstwerks beschweren muss.

BIBELKUNDE

Wahr ist, dass Paulus an die Galater schrieb: Ihr erntet, was ihr sät.

Unwahr ist, dass Paulus an die Defätister schrieb: Ihr erntet, was ihr düngt.

RECHNEN MIT PÄPSTEN

Mein kleiner Neffe war zu Besuch. Wir saßen am Boden und formten Knetmännchen. Das Radio lief. Der Junge hatte wohl am Knopf gespielt und den Sender verstellt, denn im Programm ging es um Religion und Geschichte und mehrfach fiel der Name „Papst Paul IV.“.

„Papst Paul, der Vierte, Papst Paul, der Vierte“, echote der Kleine in infantilem Singsang. Dann sagte er: „Sein Papa heißt Papst Paul, der Dritte.“  „Das stimmt!“, jubilierte ich über den mathematischen Geistesblitz und stellte eine weitere Aufgabe: „Wie heißt der Opa von Papst Paul, dem Vierten?“

„Papst Paul, der, äh, der Zweite.“

„Richtig, du kleiner Albert Riese. Und sein Enkel?“ Verlegenes Schweigen. Aber dann: „Papst Paul, der Fünfte.“

Blitzgescheit der Bengel. Unbegreiflich, dass er nicht in die siebte Klasse versetzt worden ist.

VORSTELLBAR GROSS

Das Pantoffeltierchen ist unvorstellbar klein. Es misst in der Fläche 0,03 mm². Das entspricht etwa der Größe von einem 267 billionstel Fußballfeld.

DIGITAL SCHNORREN

„Haste mal ’nen Bitcoin?“ – Eine Frage, die ich unbeantwortet ließ, mich aber veranlasste, den Chatroom „Bahnhof“ zu verlassen.

BEIM ANALYTIKER

„Sie sind also der Meinung, die Menschen, mit denen Sie sich umgeben, seien alle doof. Die Ursache kann neurochemisch sein oder ein nicht verarbeitetes Kindheitstrauma.“

„Sind Sie bekloppt!“

KONFUZIUS SAGT

Hätte der Daoismus in Mekka seinen Ursprung gehabt, gäbe es Yiniten und Yangiten.

VIELE WEGE FÜHREN AUF DIE STRASSE