Impressum

Erika und Jürgen Borchardt

Petermännchen will König werden

Seltsame Geschichten um seine Erlösung

Die schönsten Sagen und Geschichten, Teil 3

 

ISBN 978-3-95655-882-5 (E–Book)

ISBN 978-3-95655-881-8 (Buch)

 

Titelbild, Illustrationen: Jürgen Willbarth

 

Für unsere Tochter Antje

und für alle, die Orte und Geschichten voller Geheimnisse mögen

 

© 2019 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: verlag@edition–digital.de

Internet: http://www.edition-digital.de

Zu diesem Buch

Der Schweriner Schlossgeist Petermännchen: Ein zum Zwerg gewordener Obotritengott? Verwunschener Slawenprinz? Mittelalterlicher Poltergeist? Oder nichts von all dem und nur ein geheimnisvoller Hofzwerg? Auf jeden Fall ist diese im Verlauf von einigen Jahrhunderten gewachsene Sagengestalt nun freudig angenommener Hausgeist des Schweriner Schlosses. Er ist zugleich – und das macht ihn zu einem recht ungewöhnlichen Geist in der deutschen Mythologie – ein Wandelgeist mit vielerlei Eigenschaften; er bewegt sich in allen Sphären: lebt auch in einem Berg, nutzt Gänge unter der Erde, hat Behausungen und Schatzkammern im Wasser, kann durch die Lüfte fliegen und sich unsichtbar machen. Und: Er hat große Macht; der kleine Mann beobachtet alles, lohnt gute, straft böse Taten und er kündigt auf rätselhafte Weise Ereignisse an.

Trotz allem: Er will nicht bleiben, der er ist; er will werden, der er war.

 

Dieses Buch – das dritte einer mehrteiligen Sammlung über den Schlossgeist – enthält Geschichten zu den vielen wundersamen Erlösungsarten, durch die Petermännchen seine frühere Gestalt wieder gewinnen könnte. In den dazu überlieferten Sagen ist er ein verwunschener Prinz und Erbe des Königreiches Mecklenburg.

Mindestens sechzehn Arten der Erlösung sind überliefert. Höchst seltsam sind sie, manche lustig, gar närrisch, andere dagegen unheimlich, geradezu haarsträubend mysteriös. Die Möglichkeit der Erlösung überhaupt und die vielen Arten sind eine weitere Besonderheit des Schweriner Petermännchens. Vielleicht sind sie auch ein Zeugnis, wie groß der Wunsch nach Erlösung in der Volksfantasie war.

 

Und nun – auch dies eine Besonderheit dieser Sagenfigur – die Folgen der Erlösung: Sie wären katastrophal für das Schloss, die Insel und ganz Schwerin. All das würde in Blut und Wasser untergehen! Andererseits: Wäre Petermännchen erlöst, dann würde er als König das Land gerecht regieren. So glaubte man.

Wie soll man da wohl den Bitten des Geistes um Erlösung begegnen – bei einer solchen Widersprüchlichkeit der Folgen?!

 

Nur wenige der in den Geschichten handelnden Personen stellen sich die Frage nach der möglichen Tragweite ihres Tuns. Ihre Verhaltensmotive sind sehr unterschiedlicher Natur. Reicher Lohn winkt dem, der den Geist aus dem Zwergendasein erlöst. Und – fast – alles scheint auch ziemlich einfach zu sein. Aber die Wirklichkeit ist eine andere, birgt Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Davon handeln die Geschichten. Als das beinah verzweifelte Petermännchen selbst seine Erlösung in die Hand nimmt und sie scheinbar auch nach Plan verläuft, stellt sich am Ende heraus: Sogar ein Geist kann sich irren. Aber eine Möglichkeit bleibt ihm noch. Dafür braucht er eigentlich bloß Geduld. Und wieder kommt alles anders …

 

Fragen wir nun mal: Wäre Petermännchen erlöst und König, könnte er unter den damaligen Verhältnissen oder denen von heute überhaupt gerecht regieren?

Sollte man ihn erlösen? Oder lieber nicht? Was meinen Sie, liebe Leser?

 

Vielleicht aber behalten wir den kleinen Schlossgeist so, wie er ist; da wissen wir wenigstens, was wir haben …?

 

Dieses Buch enthält ausgewählte und stark überarbeitete Geschichten aus früheren Petermännchen-Büchern der Autoren sowie neue und hier erstmals veröffentlichte Geschichten, alle frei nach Volksüberlieferungen gestaltet. Die in Niederdeutsch vorliegenden Überlieferungen sind im Anhang zu finden. Was die Autoren hinzufügen, sind Handlung und Figurengestaltung, um zu motivieren, warum sich die Erlösung als so schwierig erweist.

Zusätzlich sind bei den Geschichten auch die Orte des geheimnisvollen Geschehens benannt. Sie aufzusuchen, um dort das geheimnisvolle Geschehen in der eigenen Fantasie zu erleben – wofür die Illustrationen einen zusätzlichen Raum bieten, mag ein weiterer Reiz des Buches sein.

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Eigenartige Leute. Kindergeschichten

Das Faultier im Burggarten

Sagenort: Schwerin – Schloss, Burggarten

 

Nach hundert Jahren war wieder einmal, scheinbar urplötzlich, der Erlösungstag des Schlossgeistes herangekommen. Petermännchen hatte bei all der Arbeit im Schloss, dem Aufpassen und Lohnen und Strafen, gar keine Zeit gehabt, diesen Tag richtig vorzubereiten, er war in der letzten Zeit nicht mal dazu gekommen, jemanden, so im Vorbeigehen, bloß mal rasch zu necken.

Nun durfte er keine einzige Stunde versäumen. Unter der Dienerschaft, einschließlich der Soldaten, gab es drei Personen, die an einem Sonntag geboren waren. So viel wenigstens hatte Petermännchen noch herausfinden können. Aus Zeitnot wählte er den nächst Erreichbaren. Auf dem kürzesten Weg ging er schnurstracks zur Seeseite des Burggartens, dort hielt der Soldat Gunderich Wache. Außer dass Gunderich an einem Sonntag geboren war, wusste Petermännchen nichts von ihm. Das genügte dem Schlossgeist eigentlich auch; ihm schien die Aufgabe kinderleicht und der Lohn riesengroß. Was musste der Soldat mehr wissen und was sollte schon schiefgehn. Jeder, sogar ein Dummkopf, könnte ihn erlösen.

 

Petermännchen wusste nicht, dass Gunderichs Bekannte ihn Faultier nannten. Er war in der Tat so faul, dass es wirklich nicht zu beschreiben ist. Nur schlafen konnte er wie kein anderer, lange und ausdauernd. Im Schlafen war er unübertroffener Meister. Selbst wenn er zum Dienst musste, kam er nicht von alleine aus dem Bett. Es halfen kein Schütteln und kein Zureden. Kaum ließ man ihn beim Wecken los, da war er schon wieder eingeschlafen und schnarchte selig vor sich hin. Sein Vater hatte schon erwogen, am Bett ein Gestell anzubauen. Die Mutter brauchte dann nur noch den großen Hebel nach unten drücken und das ganze Bett käme in eine solche Schräglage, dass das Bettzeug samt dem Faultier auf die Erde rutschen würde. Aber die Mutter lehnte diese rabiate Methode, wie sie den Vorschlag nannte, wortreich ab. Sie hoffte, dass sich ihr Sohn doch noch eines Besseren besinnen würde. Nach wie vor deckte sie für ihn auch extra den Frühstückstisch. Alleine hätte er es nicht gemacht. Selbst dazu war er zu faul. „Der Junge kann doch nicht hungrig zum Dienst gehen“, antwortete sie, wenn der Vater sie deswegen schalt. Welche Mutter lässt schon ihr Kind ohne Not hungern? Kurz gesagt, Gunderichs Hauptziel schien auch als erwachsener Mann darin zu bestehen, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Es war ein Wunder, dass er das Gehen noch nicht verlernt hatte.

Für den Wachdienst reichte das gerade noch so.

 

Und ausgerechnet dieser Bursche sollte den Schlossgeist erlösen, und nur weil er in der Mitternachtsstunde vom Samstag zum Sonntag geboren war? Aber Petermännchen hatte jetzt keine Zeit mehr, und er war auch ungeduldig. Das kann man ihm nicht verdenken. Wer läuft schon gerne als Zwerg herum, wenn er ein König sein könnte. Vielleicht aber war Petermännchen deshalb so sorglos, weil die Aufgabe sooo kinderleicht zu erfüllen war.

 

Der Schlossgeist ging also auf den Soldaten zu. Der hatte es sich auf einer Bank bequem gemacht. „He, Soldat!“, rief ihn das Petermännchen an. „Willst du einen hübschen Batzen Geld verdienen?“

Gunderich wandte sich langsam, sehr langsam, ganz, ganz langsam um – ein Störenfried! Einer, der seinen friedlichen Wachdienst störte. Er sah zwar, dass da ein seltsamer kleiner Mann stand, wunderte sich jedoch nicht darüber. Selbst zum Wundern war er zu träge. „Einen Batzen Geld könnte ich schon gebrauchen. Aber sicherlich soll ich dafür auch was tun; umsonst gibst du es mir bestimmt nicht. Womöglich ist das sogar mit Arbeit verbunden und arbeiten kann und will ich im Dienst nicht.“ Und schon drehte er sich wieder weg und brachte seinen Kopf in eine bequemere Lage. Das lange Sprechen und Kopfwenden hatte ihm viel Mühe bereitet.

„Du brauchst mir nur einen kleinen Gefallen zu tun“, bat der Geist. „Wer weiß, was du unter einem kleinen Gefallen verstehst“, nörgelte Gunderich. „Es ist ganz einfach. Ein Kind könnte diese Aufgabe sogar erfüllen“, widersprach der Schlossgeist. „Aber ich habe keine Zeit“, Gunderich setzte sich noch bequemer hin und gähnte ausgiebig. „Ach, lass mich in Ruhe. Du siehst doch, ich muss Wache schieben.“

Petermännchen war verblüfft. „Du weißt noch gar nicht, was ich von dir möchte! Es dauert nur ein paar Minuten, und ich werde in dieser Zeit für dich wachen.“ „Hab trotzdem keine Zeit“, brummelte der Soldat vor sich hin. Er bekam kaum die Zähne auseinander und Petermännchen musste sich vorbeugen, um ihn überhaupt verstehen zu können. „Ich hab doch schon gesagt, das ist sicher mit Arbeit verbunden, und im Dienst, das sag ich dir noch mal, kann ich und will ich nicht arbeiten.“ „Aber nein“, widersprach der Schlossgeist. „Du brauchst nicht zu arbeiten, keine Feldarbeit verrichten, nichts bauen, keine Fische fangen oder irgend eine andere nützliche Arbeit verrichten, nur ein bisschen klettern. Das machen doch alle jungen Leute gerne. Du brauchst nur auf den Schlossturm zu steigen und mir das Schlüsselbund herunterzuholen, das dort oben liegt. Mehr nicht. Für dich jungen Burschen ist das doch eine Kleinigkeit!“ Gunderich sah entsetzt auf den großen Turm. „Da hoch soll ich?“ Der Schreck fuhr ihm in die Glieder: „Sooo viele Treppen steigen? Nie im Leben. Dann tun mir ja die Beine weh.“

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Petermännchen mochte sagen, was er wollte, Gunderich war durch nichts zu bewegen, auch nur von der Bank aufzustehen. Manche behaupteten, er sei sogar zu faul, einen Goldtaler von der Straße aufzuheben, weil er sich dann bücken müsste. „Der Turm ist mir zu hoch. Ich komme da sowieso nicht rauf. Und außerdem könnte ich vielleicht stolpern und mir sogar ein Bein brechen“, nuschelte er vor sich hin. Dann drehte er sich um und knurrte bloß noch: „Ich habe keine Lust, und damit basta!“

Da jammerte der Schlossgeist, dass es einen Stein erweichen konnte. „Du bist genau um Mitternacht geboren, ein Sonntagskind, du könntest mich erlösen. Ich bitte dich, hilf mir doch! Hab Erbarmen, erlöse mich von dieser Zwergengestalt!“ „Was geht das mich an“, entgegnete der Soldat. „Mit mir hat auch keiner Erbarmen. Ich muss fast jeden Tag zum Dienst gehen. Das kannst du dir gar nicht vorstellen, was das für harte Arbeit ist, jeden Morgen aufstehen. Ich bin immer noch müde. Lass mich endlich in Ruhe!“

„So muss ich denn noch einmal hundert Jahre verwunschen bleiben, bis mich jemand erlösen kann.“ Immer leiser wurde die Stimme des Schlossgeistes bei diesen Worten und immer kleiner und durchsichtiger seine Gestalt, bis sie ganz verschwand.

 

Der Soldat erzählte am Abend zu Hause das Erlebnis mit dem Schlossgeist. Was heißt, er erzählte. „Hab das Petermännchen“, brachte er plötzlich zwischen zwei Bissen beim Essen hervor. „Was ‚hab das Petermännchen‘? Hast du es gesehen? Geohrfeigt? Geküsst?“ Die Mutter ärgerte sich immer ein bisschen über diese sparsame Sprechweise ihres Sohnes. „Na, gesehn eben.“ „Ja, und? Weiter!“ „Der wollte was.“ „Was wollte er. Nun sprich doch endlich.“ Es dauerte mehr als eine Stunde, ehe die Eltern wussten, was sich ereignet hatte. Für Gunderich war das aber schon eine Glanzleistung.

 

Er wurde von seinem Vater tüchtig ausgescholten, weil er nicht mal versucht hatte, den Schlossgeist zu erlösen. „Bloß auf den Turm steigen und ein Schlüsselbund herunter holen!“ Der Vater konnte gar nicht aufhören, vor lauter Unverständnis den Kopf zu schütteln. Darüber vergaß er sogar das Petermännchen. Er schüttelte nur immer wieder den Kopf über seinen Sohn und dessen Faulheit.

Die Mutter jedoch, sie war insgeheim stolz auf ihren Sohn. So lange und so schön konnte man sich mit ihm unterhalten. Und so spannend konnte er das Erzählen machen. Und wie klug und weitsichtig er war, alle möglichen Gefahren hatte er bedacht. Was hätte da nicht alles passieren können! Wenn er die Treppe runter gefallen wäre! Nicht auszudenken. Sie war schon zufrieden, dass er wieder gesund nach Hause gekommen war.

 

Wie es mit Gunderich weiter ging? Ja, das ist leider nicht überliefert.

Der geschwätzige Prahlhans

Sagenort: Schwerin – Schloss, Hauptportal, Kastanie am Eingang zum Burggarten

 

Für den Wachdienst am Hauptportal des Schlosses wählten die Offiziere mit Vorliebe hübsche, große und gut gewachsene Burschen aus. In ihren schmucken Uniformen waren sie tatsächlich eine wahre Zierde. Und es erfüllte sie auch selbst mit Stolz, für diesen Posten auserwählt zu sein. Manch einem stieg die Ehre jedoch zu Kopf.

 

Der junge Edwin war wegen seines schönen Wuchses einem der Offiziere des Herzogs aufgefallen, geworben und auch bald für diesen Wachdienst eingeteilt. Edwin hatte schlanke, aber kräftige Glieder, schmale Hüften und einen breiten Brustkorb, ebenmäßige Gesichtszüge, nussbraunes Lockenhaar und einen kecken Schnurrbart. Wer ihn ansah, dem war er eine Augenweide.

 

Jedes Mal, bevor er seinen Dienst antrat, wusch sich der schöne Edwin hingebungsvoll von Kopf bis Fuß, sogar die Ohren, fettete das Haar und den Schnurrbart mit duftender Pomade ein, bis beides glänzte wie eine Speckschwarte. Dann bürstete er die Uniform fast eine Stunde lang, so dass auch nicht das winzigste Fusselchen zu sehen war. Er achtete in allen anderen Dingen gleichfalls darauf, dass alles bis zum letzten I-Tüpfelchen tipptopp war. Wenn er dann die Uniform und die blankgeputzten Stiefel anhatte, betrachtete er sich wohlgefällig im Spiegel. Ja, so konnte er sich jederzeit sehen lassen, sogar auf einem Fest des Herzogs. Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, dass er eine Einladung ins Schloss erhielt. Irgend jemand aus der fürstlichen Familie oder vom Hofstaat musste doch Augen im Kopf haben. Sie mussten doch das außergewöhnlich Schöne seiner Person erkennen.

 

Bald kam es, wie es kommen musste. Edwin dünkte sich nicht nur schöner sondern auch klüger als alle anderen und hatte an jedem, nur nicht an sich selbst, etwas auszusetzen. Ja, es fehlte nicht viel, und er hielt sich für ebenso prächtig und unfehlbar wie der Herzog selbst, dem zu dienen er die Ehre hatte. Zugleich bildete er sich etwas darauf ein, in der Mitternachtsstunde vom Sonnabend zum Sonntag geboren zu sein. Er war ein Sonntagskind.

 

An einem Abend im Monat Mai stand Edwin wieder einmal geschniegelt und gebügelt Wache. Ein frischer Wind drohte seine sorgsam gelegte Frisur durcheinanderzubringen. Edwin stellte sich Schutz suchend hinter den Stamm der dicken alten Kastanie, die am Eingang des Burggartens stand. Da hörte er ein leises Kichern. Alsbald verstummte es und wurde an anderer Stelle vernehmbar. „Wer da?“, rief Edwin, der Wachsoldat, seinen Schreck hinter einem forschen Ton verbergend. „Zeig dich, so dir dein Leben lieb ist!“ Drohend hielt er den Säbel in den Händen. Da raschelte es neben ihm, und mit einem Male, wie aus dem Erdboden gewachsen, stand ein kleines Männlein vor ihm, mit einem federgeschmückten Hut auf dem Kopf, einem Hut, fast so groß wie das ganze Kerlchen. Es hatte Stulpenstiefel an, die ihm bis zu den Knien reichten. Dazu trug es ein enges Wams und einen großen weiß gefältelten Kragen. Edwin kannte diese Tracht der Kriegsleute, die einst durch Mecklenburg gezogen und das Land verwüstet hatten. Mehr als die unvermutete Erscheinung machte ihm jedoch zu schaffen, dass er den Namen des seltsamen Kragens, der so fein gekräuselt war, vergessen hatte. Das konnte doch nicht sein, dass er, der schöne und kluge Edwin, den Namen nicht wusste! Schier unmöglich, er kam einfach nicht drauf. Mehlkragen? Nein, so hieß er nicht. Aber irgend etwas mit Mehl hatte es zu tun, überlegte Edwin weiter. „Mehl, mahlen, Mühle“, murmelte er vor sich hin. Natürlich! Eine Mühlsteinkrause war es. Wusste er doch, dass er alles wusste! Abschätzig blickte er auf den kleinen Mann. Lächerlich, sich wie ein Soldat zu kleiden, wenn man so klein wie ein zehnjähriges Kind ist. „Guten Abend, Soldat“, sagte das Männchen. Scheinbar bemerkte es die geringschätzigen Blicke Edwins nicht. „Wollen wir unsere Kräfte messen?“ Nun musste der schöne Edwin doch grinsen. Er fand es belustigend, dass der Wicht mit dem grauen Bart ihn herausforderte. Verächtlich winkte er ab. Das Männchen aber blieb beharrlich. „Überleg es dir gut. Wenn du drei Nächte mit mir ringst, dann bin ich von dieser zwergenhaften Gestalt erlöst und du ein reicher Mann“, sprach es. „Du weißt es offenbar nicht“, setzte es erklärend hinzu, „ich bin ein verwunschener Königssohn.“ Edwin wollte sich schier ausschütten vor Lachen. „Du und ein Königssohn?“ Doch das Männchen fuhr mit unerschütterlicher Ruhe fort: „Lach nur. Ja, lach nur. Aber hör mir auch zu. Deine Kameraden haben dir bestimmt schon Geschichten vom Schlossgeist erzählt.“ Das ist wahr, dachte Edwin, aber ich habe die ja eher so als Jux genommen. Sollte es den zwergenhaften Geist wirklich geben? Und jetzt steht er da vor mir? Der Kleine sprach weiter: „Du bekommst von mir so viel, dass du dir mehrere Uniformen, sogar aus feinem englischen Tuch, kaufen kannst.“ Jetzt wurde Edwins Geist munter. „Und Stiefel aus Leder, wie sie der Herzog trägt, Pomade, die dein Haar wie Seide glänzen lässt. Ich habe dich beobachtet, ich kenne deine geheimen Wünsche.“ Edwin überlegte schweigend und beobachtete den kleinen Mann nun aufmerksamer. „Seit vielen, vielen Jahren muss ich hier wandeln und auf meine Erlösung warten. Du bist ein Soldat, der in der Mitternachtsstunde und sogar an einem Sonntag geboren ist. Du könntest es tun.“ Noch war der schöne Edwin unschlüssig. Petermännchen spürte seinen schwächer werdenden Widerstand. „Wer diese Tat vollbringt, wird für alle Zeit berühmt und im ganzen Land bekannt sein. Alle würden dich bewundern, auch die Mädchen. Niemand würde dir mehr widerstehen können.“ Oh, das waren schlagende Argumente. Edwin hatte bereits des Öfteren überlegt, was er noch tun könnte, um mehr Chancen bei den Mädchen zu haben. Er war sogar schon darauf verfallen, Tanzunterricht zu nehmen, damit er sich des Sonntags elegant zur Musik wiegen könnte und nicht wie die Bauernburschen herumhopste. Er in seiner schönen Uniform, tanzend wie einer vom Fürstenhofe, was würden sich die Mädchen um ihn reißen! Alle würden ihn kennen und bewundern. Das ist ein Angebot, dachte er. Nun wurde Edwin ernst und nachdenklich: „Du bist wirklich das Petermännchen?“ „Ja, so ist es! Und wenn du mich erlöst, gewinne ich meine früheren Gestalt und auch mein Königreich zurück.“ „Wie kann so etwas geschehen?“, wollte Edwin wissen. „Meinst du, der Herzog wird dir so mir nichts dir nichts das Land Mecklenburg überlassen? Nie und nimmer wird das geschehen. Warum auch?“ Da antwortete das Petermännchen mit dunkler Stimme: „Das braucht er auch nicht. Er wird dann nicht mehr da sein. Schwerin und das Schloss mitsamt der Burginsel werden im Augenblick meiner Erlösung im See versinken, und das alte Schwerin wird in strahlender Pracht daraus empor tauchen.“ Und sogleich fragte er noch einmal: „Ringst du nun mit mir?“ Edwin überlegte wieder und schüttelte dann den Kopf. „Nein!“ Er würde nicht mit dem Männlein ringen. Nicht, weil ihm das wunderschöne Schloss leid tat, das er jetzt bewachte, oder gar die herzogliche Familie, die ihm den Lohn zahlte. Er würde dann eben bei dem neuen Herrscher Wache stehen. Das war es nicht. Aber bei dem Gerangel mit dem Schlossgeist könnte ihm dieser ja seine schöne Uniform beschmutzen. Und er hatte nur zwei. Abermals schüttelte er den Kopf.