Impressum

Dietmar Beetz

Skalpell und Sextant

Gedichte

 

ISBN 978-3-95655-926-6 (E-Book)

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

Das Buch erschien erstmals 1977 im Mitteldeutschen Verlag Halle (Saale).

 

2018 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: verlag@edition-digital.de

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1

DIE TRAUER DREIER NACHMITTAGE

Dein Lippenrot am Himmel - eine Stunde.

Dein Kuß in meinem Tun - bis gegen zehn.

Zu blau die Nacht, zu lautlos. - Eine Wunde

wird nach dem Schmerz als Narbe fortbestehn.

 

Mir bleibt die Trauer dreier Nachmittage,

ein Lied, wie Senkblei schwer, sentimental.

Ich schluck zwei Unzen Skepsis. - Auf der Waage

wird Ironie gewichtlos, schlaff, banal.

 

So trag ich, leid- und lustvoll, an Begriffen

wie Sehnsucht, Wehmut - Alp oft Tag und Nacht. -

Mich hat das Düsentriebwerk wachgepfiffen,

doch munter auch die Nachtigall gemacht.

BABYLON 1962

Durch den Ozean bin ich geschwommen,

bin gelaufen durch die Lande ohne Rast;

wäre fast verdurstet und erfroren fast. -

Bin nun endlich in dein Haus gekommen.

 

War dein Bild in mir bei Tag und Nacht;

deine Stimme rief mir, hell und klar,

Mut und Kraft zu, wenn ich müde war. -

Habe dir mich selber mitgebracht.

 

Liegen wir nun beide Haut an Haut. -

Nur der Kuß uns noch zusammenhält;

deine leise Stimme ist so laut,

wenn ein Wort dir von den Lippen fällt.

 

Fremd bist du; kein Wort ist mir vertraut. -

Zwischen uns liegt eine weite Welt.

SELBST IM GEFLECHT DER GLIEDER

Selbst im Geflecht der Glieder,

hautnahe Konstellation,

Nacht, unter deinem Gefieder

mißlingt mir die Adaptation.

 

Nicht vor und nicht nach dieser Ballung

kastrier ich mein Vokabular;

selbst noch auf dem Gipfel der Wallung

werd ich, was da mißtönt, gewahr.

 

Und kann mir - ein Zwang - nicht versagen,

gereizt, weil ich aus war auf Tausch,

dich nach der Entflechtung zu fragen:

Was nun? Spekulierst du auf - Rausch?

KOMMERZIELLES AN DIE DAME G.

Miß Präsemester, frisch aus der Vitrine,

make up-garniert, die Kunst der Pompadour

versuchst du, exquisit dich einzunisten;

dein Ziel: ein Schaf mit Konto, reif zur Schur.

 

Du bietest: 1 Paar Brüste, 1 Paar Schenkel,

dazwischen das. (Der Kopf für den Frisör.)

Und leidenschaftlich gäbst du dich in Raten

nur dem, der blankofrei dein Zubehör.

 

Die Konkurrenz mit Hirn und Frauenhänden

beugst du nicht unters wohlgeformte Knie. -

Ein Rat: Schlaf künftig nur in der Vitrine;

sonst weht’s dir die Garnierung vom Menü!

BRIEF AN MARGIT K.

Ich treibe mit trunkenen Augen,

ein Floß, durch den Strudel der Stadt.

Es taucht aus der grünenden Tiefe

Dein Bild, nie an Farben zu satt.

 

Ich trage von Dir auf den Lippen

die Nacht, die an Schwärze verliert.

Ich hab ja auf Packeis gelegen!

Was ist meiner Haut bloß passiert?

 

Ich treibe mit sehenden Augen:

Ich hab dir zur Wohnung bestimmt

den Knoten im Netz der Gefäße,

wo Blut seine Kraft übernimmt.

NACH SOMMERLANGER TRENNUNG

Du, Startplatz meiner Träume,

des Monologs beim Flug

getreues Publikum -

wo soll die Sehnsucht landen,

die dein Gehör verlor?

 

Mein Ohr sucht zu belagern;

mein Auge röntgt die Stirn;

der Lippen Forschungsreise

muß Neuland - sommerbraun

und winterweiß - erkunden.

BLICK VON DER SPIRALE

Ich aber mied das temperierte Glück;

ich wollte zähneknirschend zärtlich sein,

die Liebe wissen hirnfiltriert.

 

Und ich fror ein um Mitternacht.

O Sucht nach Kristallisation! -

Und was folgt auf die Dauerform?

 

Auch du wirst sein: noch im Kalkül,

elastische Notwendigkeit;

denn meine Gleichung variiert.

HOHE ZEIT

Beim Versuch, dich zu plazieren,

wohldadiert im Lebenslauf,

wühlte ich die Sedimente

meiner Vorgeschichte auf.

 

Im erinnerungsgetrübten

Wasser, im Momentopal

kondensiert der Regenbogen,

blüht der Mohn des Meeres fahl.

 

Morgen werd ich die Koralle

im Herbarium konservieren

und sie dir als Morgengabe

zum Veredeln präsentieren.

MORGEN-SIEGEL

Noch liegt dir die Nacht in den Augen,

und fern dämmert auf dein Gesicht. -

Der Tag schneidet uns auseinander;

ich seh dich im steigenden Licht,

 

und seh schon, wie sich deine Lippen

verschwimmend verziehn, wie dein Blick

sich gleichfalls bereits von mir abhebt,

sich richtet auf fremdes Geschick.

 

Nun setz mir wie ich dir das Siegel,

das uns für das Tagwerk frankiert -

ein Schwingenpaar, das uns beflügelt

und trägt und zurück zu uns führt.

ES SCHLUCHZT DEIN SCHRITT

Es schluchzt dein Schritt vom Bahnsteig weg.

Gleich rollt mein Kaderschicksal ab.

 

Geh bitte, durchgedrückt die Knie!

Ich kann dein Leid nicht schleichen sehn.

 

Wink, wenn schon, ab den Schrei, der quillt!

Gib mir Fahrt frei! zu mir, zu uns!

 

Denk jetzt nicht an das Daunen-Eis!

Wir taun einander wieder auf.

 

Nun aber, bitte, geh, bevor

dein Bild, mein Paß, sich mir umflort.

EINMINUTENTRAUM

In siebenhundertzehn Minuten,

Sesam, springst du auf. –

 

Ein roter Vogel fliegt mich an;

ich trinke deinen Durst.

 

Mir wachsen Hände hundertfach;

dein Atem hüllt mich ein.

 

Ich tauche sieben Meere tief;

du kommst von weit zurück.

 

Die Sonne ist in uns, die See,

die Dünung, die verrollt.

 

Wir sagen tausend Worte uns;

wir sind so still dabei.

 

Fortan bleibt in uns ein Refrain,

ein Kompaß dir und mir. –

 

Für siebenhundertneun Minuten

leih mir Flügel, Zeit!

AN DAS UNGEBORENE

Namenloses Vielbenanntes,

du, noch eingeigelt, pochend

unter deiner Mutter Haut!

 

Seismographen - meine Hände,

deine globusrunde Welt

unzulänglich überdachend.

 

Dank auch für den Rippenstoß

deiner hoffentlich kompletten

daumenendgliedgroßen Faust!

2

RENNSTEIG BEI NEUSTADT

Farn und im Fenster aus Wipfeln die Wolke.

Beeren und Schwämme gibt’s heuer! -

Dampft so der Wald, oder springt auf der Lichtung

Mißgunst, der Gnom, um das Feuer?

 

Bäuchlings im Hohlweg der Förster, erschossen;