Impressum

Gerhard Branstner

Der Himmel fällt aus den Wolken

Heitere Spiele dargestellt als eingebildete Aufführungen und wohlmeinend glossiert von zwei nicht minder eingebildeten Herren

 

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

 

ISBN 978-3-96521-251-0 (E-Book)

 

Das Buch erschien erstmals 1977 im Buchverlag Der Morgen, Berlin.

 

2020 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

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Die entzauberte Kirke

ein sagenhaftes Schaustück

 

„Dies ist mein Platz“, sagte Herr A.

„Das ist gut möglich“, erwiderte Herr B, „hier waren noch zwei Plätze frei, da habe ich mich auf gut Glück auf einen der beiden gesetzt.“

„Dann setze ich mich auf den anderen“, sagte Herr A äußerst liebenswürdig und ließ seinen fülligen Körper in den Sessel fallen.

„Äußerst liebenswürdig von Ihnen“, meinte Herr B, der, im Gegensatz zu seinem Sitznachbarn, von schmächtiger Kleinheit war, „wirklich äußerst …“

„Es fängt an“, sagte Herr A.

 

Stark rhythmisch betonte Musik erfüllt den Raum, zugleich ist das Geräusch von anbrandenden Meereswellen zu hören. Jetzt öffnet sich der Vorhang, und ein gespenstig wirkender Wald wird sichtbar. Im Vordergrund eine kleine Lichtung. Aus dem Walde dringt Schweinegegrunze, das wie ein Verspotten der Musik wirkt. Endlich lugt das Schwein selbst hinter einem Baum hervor und schnüffelt emsig. Als aus der Ferne Gesang ertönt, verschwindet es laut quiekend im Walde.

Der Gesang wird deutlicher, und zwei seltsame Gestalten, offenbar Schiffbrüchige, betreten die Lichtung. Ängstlich wie die Sieben Schwaben, klammern sie sich an ein wie eine Lanze eingelegtes zerbrochenes Ruder, und da der hintere der beiden nach vorn und der vordere nach hinten drängt, kommen sie nur mühsam voran, auch wenn sie sich durch ihren Gesang Mut zu machen versuchen.

Beide: „Eins, zwei, guck!

Eins, zwei, guck!

Ob kein Feind kommt, guck vorwärts und zuruck!“

Hintermann: „Was auch kommen tut …“

Vordermann: „Wir sind auf der Hut!“

Beide: „Eins, zwei, guck! ob kein Feind kommt, guck vorwärts und zuruck!“

Hintermann: „Wir haben kühnen Mut.“

Vordermann: „Auch wenn’s uns fürchten tut.“

Beide: „Eins, zwei, guck!

Eins, zwei, guck!“

Vordermann: „Vorwärts und zuruck!“

Da der Hintermann bei „vorwärts“ das Ruder losgelassen hatte, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, fällt der Vordermann, nun ohne Halt, bei „zuruck“ auf den Hintern. Der Hintermann bemerkt es nicht, denn er hat sich dem Publikum zugewandt und ruft jetzt klagend:

„O weh mir! Unter welches Volk bin ich nun wieder gefallen!“

Der Vordermann sitzt noch immer am Boden, krault sich hinterm Ohr und meint: „Volk ist gut! Außer mir seh ich kein Volk, unter das du fallen könntest, großer Odysseus. Und gefallen bist nicht du, sondern ich.“

Odysseus wendet sich dem vermeintlich hinter ihm stehenden Gefährten zu, findet ihn am Boden sitzend und herrscht ihn an: „Plompe!“

Plompe, der Putzfleck des Odysseus, rappelt sich hoch, nimmt pro forma Haltung an und versucht, seinen Herrn zu besänftigen, indem er gestenreich erklärt: „Ich weiß, ich weiß: Dass ich gefallen bin und nicht du, macht in deinen Augen, die auf Höheres gerichtet sind, keinen Unterschied. Ich sage es auch nur, um festzustellen, ob meine Sinne noch funktionieren. Seitdem wir nach dem Schiffbruch stundenlang im Meer herumgeschwommen sind, seh ich alles nur verschwommen. Und vielleicht sehe ich das Volk, unter das du gefallen bist, nur deshalb nicht, weil ich eben nichts sehe, während wir rings von Feinden umgeben sind.“

Plompe hat inzwischen wieder das Ruder gefasst und weicht jetzt, von seinen eigenen Worten ängstlich gemacht, zurück. Odysseus wird ärgerlich und gibt ihm einen Stoß in den Rücken.

„Hilfe!“ Plompe fährt erschrocken herum. „Bist du’s, Odysseus, der mich karabatscht? Oder sind’s die unsichtbaren Feinde?“

Odysseus kriegt es nun auch mit der Angst und befiehlt Plompe, das Vorauskommando zurückzurufen: „Ruf die Gefährten! Ruf sie zurück zum Strand! Dein furchtsam Reden hat mich bang gemacht. Wie sollen Herren Helden sein, wenn ihre Knechte keine sind!“

Plompe hat genießerisch beobachtet, dass seine Angstmacherei Erfolg hat, und gewinnt daraus selbst wieder Mut, zumindest gegen seinen Herrn: „Jaja, wenn den Helden die Angst ins Gedärm fährt, lassen sie vor Angst die Wahrheit fahren. Ruf doch selber!“

Odysseus schreit, als ob sein Putzfleck hundert Meter entfernt stünde: „Soldat Plompe!!“

Plompe, im gleichen Maße erschrocken wie belustigt, knallt die Hacken zusammen: „Mein König?!“

Odysseus, kurz: „Gefährten rufen!“

Plompe: „Gefährten rufen!“

Nachdem Plompe den Befehl wiederholt hat, macht er eine stramme Kehrtwendung und nimmt Anlauf, indem er einen Schritt zurück und vier, fünf Schritte nach vorn springt, nimmt jetzt die Hände als Sprachrohr an den Mund, hebt sich auf die Zehenspitzen und bleibt, den Kopf zum Ruf vorgestreckt, einen Augenblick in dieser Pose stehen. Dann sinkt er in sich zusammen und kommt wie ein geprügelter Hund zu Odysseus zurück.

„Seit ich bei den Fischen war“, erklärt er seinem Herrn, „seh ich nicht nur alles verschwommen, ich bin auch stumm wie ein Fisch geworden. Ich rufe, so laut ich kann, aber kein Laut kommt über die Lippen. Oder hast du was gehört?“

Statt diese Frechheit zu strafen, sagt Odysseus lediglich: „Plompe, du bist ein Feigling!“

„Ich weiß“, sagt Plompe, „wär ich sonst noch am Leben?“

Odysseus, nun doch empört: „Auch ich lebe noch!“

„Ganz recht“, stellt Plompe gelassen fest, „auch du lebst noch.“

Odysseus macht, die Faust mit dem Daumen nach unten, das für jeden Soldaten unmissverständliche Zeichen. Plompe lässt sich, nachdem er kurz die Hacken zusammengerissen hat, routinemäßig in Liegestütz fallen und absolviert, der vor seiner Nasenspitze sich auf- und abbewegenden Fußspitze Odysseus’ folgend, seine Armbeugen.

Odysseus blickt grinsend ins Publikum, um sich dann bei Plompe zu erkundigen: „Hast du jetzt deine Stimme wiedergefunden?“

Plompe lässt sich mit der Antwort Zeit. Er richtet sich gemächlich auf, kann sich nicht entschließen, ob er stramm oder kommod stehen soll, und meint endlich: „Ja, ich habe sie wiedergefunden, obwohl ich sie ganz woanders verloren hatte. Woher wusstest du, dass sie eben jetzt hier zu finden war?“

Odysseus, leicht konfus: „Ruf die Gefährten!“

Plompe dreht sich schulterzuckend um, geht lustlos einige Schritte vorwärts und piepst vorsichtig: „Hallo!“ Dreht sich entschuldigend zu Odysseus um: „Die Stimme ist noch schwach, sie muss erst wieder nachwachsen.“

Odysseus winkt ärgerlich ab, Plompe wendet sich wieder dem Walde zu und bemüht sich, möglichst leise zu schreien:

„Hallo, Hymnes, Kaas und alle übrigen Gefährten des Odysseus! Kommt zurück!“

„Lauter!“, brüllt Odysseus.

„Wenn ich lauter rufe, könnten es die Feinde hören“, erklärt Plompe und ruft wieder ziemlich leise: „Wir lichten die Anker!“ Zu Odysseus: „Aber die Schiffe sind doch gesunken?“

„Keine Rede davon, das würde die Moral untergraben!“

Also ruft Plompe, jetzt mit sichtlichem Vergnügen an dem Blödsinn: „Die Schiffe sind nicht gesunken! Der Schiffbruch war ein Irrtum, eine optische Täuschung, eine Feindmeldung! Die darauf hereingefallenen und dabei ersoffenen Griechen wurden auf der Flucht erschossen!“

Odysseus stößt Plompe erbost das Ruder in den Hintern. Plompe fährt erschrocken herum. Da dringt aus einem hinter ihm stehenden Baum ein grauenerregender Seufzer. Plompe fährt wieder herum, weicht einige Schritte von dem Baum zurück und rennt schließlich zur anderen Seite, wo ein zweiter Baum den gleichen Seufzer von sich gibt. Plompe flüchtet zu Odysseus.

„Oh, o Odysseus, wir sind von unsichtbaren Feinden umringt! Und ich bin zur rechten Zeit blind geworden. Denn wozu sollte ich sehen, wenn nichts zu sehen ist? Womöglich würde ich fälschlicherweise doch etwas sehen, während ich jetzt, wo ich nicht mehr sehen kann, ganz genau sehe, dass da nichts zu sehen ist. Meine Blindheit entspricht auf wunderbare Weise genau den hiesigen Verhältnissen.“

Odysseus deklamiert, um sich Mut zu machen: „Nicht Blindheit ist’s, die uns den Feind verbirgt. Hier waltet Zaubermacht, und Grauen wohnt ringsum!“

„Zaubermacht?! Grauen?!“ Plompe heult geradezu vor Furcht. „O Herr, ich fürcht mich nicht, gewiss nicht, nein. Nur ist mir schon die ganze Zeit so seltsam - im Bauch. Ich glaube, ich habe - ich muss -, o mein König, hast du nicht zufällig etwas Papyros bei dir?“

Odysseus holt widerwillig ein Stück Papier aus der Gesäßtasche, will es Plompe verächtlich reichen, hält überlegend inne, reißt nur ein Stück ab, reicht es Plompe und steckt das übrige wieder ein. Plompe nimmt das Ruder und verschwindet, bedacht, zwischen den beiden seufzenden Bäumen die Mitte zu halten, im Wald. Odysseus klagt in tragischem Pathos in Richtung des Putzflecks:

„Das ist das Schicksal aller großen Führer! Droht Untergang, entweichen feig die Knechte, und mutig steht der Herr allein!“

Er vergewissert sich, dass Plompe außer Sichtweite ist, holt den Papierrest hervor und will sich ebenfalls verdrücken. Da kommt Plompe, die Hose mit der einen, das Ruder mit der anderen Hand haltend, zurückgerannt:

„O Herr, sie kommen! Der ganze Wald ist voller Feinde! Hörst du nicht das Gebrüll der Schlangen?! Oder sind’s Schweine?“

Odysseus steckt schnell das Papier weg. „Ich höre nichts.“

„Wie“, ruft Plompe, „sind mir die Sinne verkehrt? Ich sehe nicht, was ist, und höre, was nicht ist? Beim Zeus, ich bin verhext!“

Da ertönt das Brüllen eines Löwen, worauf ein schreckliches Konzert von Tierstimmen einsetzt.

Odysseus, mannhaft: „Plompe!“

„Mein König?“ Plompe steht zitternd stramm, das Ruder noch immer mit der einen, die Hose mit der anderen Hand haltend.

Odysseus bedeutet Plompe, kommod zu stehen, ringt selbst um tragische Selbstbeherrschung:

„Kein förmliches Getue, die letzte Stunde naht. Du warst mein treuster Knecht, und königlicher Dank begleitet dich ins Grab. Doch falle ich, und du kommst lebend noch davon, so nimm für diesen Fall, mein Plompe, dieses hier.“ Er reicht Plompe sein Papierstück. „Ich brauch es dann nicht mehr.“

„O mein König, welch edle Denkungsart in dieser schweren Stunde.“ Plompe schnauft, zu Tränen gerührt, findet, dass einmal nicht genug ist, und schnauft ein zweites Mal, nimmt dann das Papier. „Das war doch wirklich nicht nötig.“

Odysseus: „Und nun, bereit zur letzten Schlacht! Die Reihen fest geschlossen!“ Er macht eine exakte Linkswendung, Plompe eine Rechtswendung, so dass beide in einer Linie mit dem Rücken zum Publikum stehen. Odysseus, vor Angst brüllend: „Ich steh zu dir und du zu mir!“ Macht nochmals Linkswendung, Plompe wiederum Rechtswendung, so dass sie jetzt Rücken gegen Rücken stehen. Odysseus: „Da komme, was da wolle!“

Das Gebrüll der Tiere ist jetzt ganz aus der Nähe zu hören.

„Oje, jetzt fallen sie über uns her!“ Plompe schlägt mit dem Ruder um sich, als wolle er die ihn vermeintlich anfallenden Feinde treffen. „Da! Da! Und da!“

Odysseus weist entsetzt in den Wald: „Ein Löwe!“

„Ein Löwe?“ Plompe springt schreiend von Odysseus weg, als ob der ihn ins Gesäß gebissen hätte, wirft das Ruder von sich und greift sich an den Hintern. „Es hat mich! Es hat mich!“

Er rennt, die Hände noch immer am Hintern, hilfesuchend im Kreise herum und schließlich wieder zu seinem Herrn. Gleich darauf treten, von einem Löwen angeführt, wilde Tiere, Haustiere und Fabeltiere aus dem Wald und bilden einen Halbkreis um Odysseus und Plompe. Der Löwe gibt Odysseus durch Zeichen zu verstehen, dass er nichts zu befürchten habe, während einige der anderen Tiere, vornehmlich ein Schwein, sich in wunderlicher Zahmheit mit Plompe zu schaffen machen, der, wie sein Herr, jedoch noch immer voller Angst ist und zurückweicht. Da der Löwe mit seinen Verständigungsversuchen keinen Erfolg hat, bedeutet er Odysseus, wenigstens einen Augenblick stehenzubleiben, gibt wie ein Dirigent den Tieren ein Zeichen, die sich auch sogleich zu einem Chor gruppieren. Ein mit lustigen melodischen Wendungen durchsetzter, ansonsten aber grässlicher Chorgesang hebt an. Plompe, der sich eben noch mit Pfuirufen und Klapsen der Tiere erwehrt hatte, erfreut sich jetzt, wenn auch mit kritischen Einwänden, an der Darbietung.

„Die Hexerei auf dieser Insel scheint von musikalischer Art zu sein. Das lass ich mir gefallen.“ Er singt mit: „Tiriralaladubdubdada. Aber nicht doch, Herr Affe, Sie singen ja einen fürchterlichen Tenor.“ Der Affe bemüht sich, höheren Anforderungen gerecht zu werden. Plompe wendet sich den Schweinen zu. „Die Bässe hingegen sind ausnehmend gut, voll tiefen Gefühls.“

Plompe grunzt einige Male mit. Als der Chor zu Ende ist, klatscht er begeistert Beifall und wendet sich gegen Odysseus: „O edler Odysseus, hier möchte ich bleiben. Ich meine, wenn sich’s machen lässt; Tiere, die singen, sind gewiss keine schlechten Menschen. Vor allem die Schweine machen einen ausgesprochen frommen Eindruck. Sie haben sogar Tränen in den Augen. Sicherlich vor Freude darüber, dass wir unter sie gekommen sind.“

Da kommt Hymnes, der Führer des Vorauskommandos, aus dem Wald gerannt und ruft außer Atem: „Odysseus, erbarm dich unser! Verlass die Deinen nicht!“

„Die Meinen? Wo sind sie?“

„Hier!“ Hymnes weist auf die Tiere.

„Wie? Verwandelt?“ Odysseus ist erschüttert. „Meine tapferen Gefährten in Tiere verwandelt! Welch grausam Schicksal! Wo ist mein treuer Polites, und Perimedes? Und der lustige Kaas?“

Hymnes tritt zu den Tieren. „Sie alle stehen vor dir.“ Er weist auf verschiedene Tiere und nennt jeweils den Namen, worauf das betreffende Tier durch Verbeugen die Richtigkeit der Angabe bestätigt. Odysseus wiederholt mit klagender Stimme jedes Mal den genannten Namen, worauf das Tier betrübt nickt. Nur Kaas, der in ein Schwein verwandelt ist, will sich, als Hymnes seinen Namen nennt, verdrücken, grunzt jedoch freudig auf, als Plompe auf ihn zuläuft. Plompe begrüßt seinen Kumpan:

„Kaas, mein allerliebster, lustiger Kaas - in ein allerliebstes, trauriges Schwein verwandelt! Sag, wie fühlst du dich? Lebst einen sorglosen Tag jetzt, hab ich recht?“ Kaas grunzt zustimmend. „Schmeckt das Essen, oder ist was dran auszusetzen?“ Kaas verneint. „Und sonst? Geordnete Verhältnisse?“ Kaas macht eine bedauernde Gebärde. „Ah, verstehe. Alter Schäker. Nur männliche Schweine hier. Gibt’s nichts Weibliches zu verwandeln auf dieser Insel?“ Kaas bejaht. „Dann begreif ich nicht, weshalb der hiesige Hexenmeister nicht Abhilfe schafft. Kümmert sich wohl nur um den Chorgesang und wundert sich dann, wenn die Schweine homosexuell werden. Dem werd ich die Flötentöne beibringen! Schweinerei so was: Gutes Essen und keine Säue! Da müssen ja die Sitten verfallen. Wart nur, mein guter Kaas, das wird bald anders hier, verlass dich da ganz auf mich!“

Odysseus hat indessen die übrigen Tiere identifiziert. „Doch sag mir, teurer Hymnes, wie wurden sie verwandelt? Und wie bliebst du verschont?“

„Wir wandten, laut Befehl, den du uns gabst, vom Strande uns ins Innere der Insel, Quartier zu suchen. Allein du bliebst zurück, und Plompe auch, die Beute zu verstecken, die uns der Schiffbruch ließ. Wir gingen, wie gesagt, der Insel Mitte zu und fanden …“

Odysseus: „Und fandet?“

Plompe: „Und fandet?“

Hymnes: „Und fanden …“

Plompe: „Jaja, soweit warn wir schon.“

Hymnes: „Und fanden ein Schloss.“

Plompe, begeistert: „Wie, ein richtiges Schloss? Mit Vorratskammer, Weinkeller und …“

Hymnes: „Mit Jubelschrei begrüßten wir’s und gingen rasch drauf hin.“

„Und als ihr’s aufmachen wolltet“, unkt Plompe, „war’s zu. Jaja, so ist das immer mit Schlössern.“

Hymnes, unbeirrt: „Das Tor ward aufgetan, und gleich der Morgensonne trat ein Weib hervor, von Nymphen hold begleitet.“

„Nymphen?“, ruft Plompe. „He, Kaas, deine Not hat bald ein Ende! Ich rieche Schweinefleisch!“

Hymnes: „Trat hervor und lud uns ein zu einem Trunk. Ihn schlürften gierig die Gefährten.“

„Achachach!“ Plompe windet sich vor Begierde.

„Allein nur ich“, fährt Hymnes fort, „berichtend dieser Dame, wer wir seien, den Mund von Ruhmestaten voll, trank nicht. Die andern, Herr, die andern aber schlürften Gift und wurden, was du siehst: zum Tier! Und menschlich nur blieb ihnen Sinn und Geist. Doch Menschengeist in Tiergestalt verkehrt in Ungeist sich. Was daraus folgt, ich wag es nicht zu denken.“

Odysseus wendet sich den verwandelten Gefährten zu: „Ein Fluch ruht auf uns Griechen, seit Troja wir besiegt.“

„Meine Rede schon seit langem“, ereifert sich Plompe. „Auf den Schiffen fast verdurstet, im salzigen Meerwasser fast versoffen. Und hier? Der Gipfel der Tragödie! Den gefüllten Becher in der Hand und doch nicht trinken dürfen, wenn du nicht zum Vieh werden willst. Das halte ich nicht aus! Komm, Odysseus, so schnell wie möglich runter von der verfluchten Insel. Sie brennt mir wie Feuer unter den Füßen.“

Auch Odysseus ist das alles nicht geheuer, und er geht mit sich zu Rate: „Hm, wenn es mir auch widerstrebt, die Gefährten im Stich zu lassen, so sollte man doch der Stimme des Volkes, die aus dir spricht …“

„Wie, edler Odysseus“, ruft Hymnes, „versäumen willst du die Gelegenheit, hinzuzufügen dem Kranze deiner Taten ein neues Ruhmesblatt!“

Odysseus schwenkt um. „Hm, wenn ich daran denke, dass einige Blätter bereits einen recht verwelkten Eindruck machen, sollte ich vielleicht doch …“

„Was?“, schimpft Plompe, „gegen Hexerei willst du kämpfen! Wo noch dazu ein Weib dahintersteckt! Auf dem Gebiete haben wir keine Erfahrungen. Das Risiko ist zu groß! Und besiegen wir die Hexe trotzdem, ist es noch blamabler. Solche Taten werden in Märchenbüchern verewigt. Solln etwa die Kinder über uns lachen? Odysseus, sei ein Mann - und lass das Weib links liegen.“ Er zupft ihn am Ärmel. „Komm! Wer vor der Schlacht flieht, kann nicht besiegt werden. Gut gelaufen ist halb gewonnen.“

Odysseus kratzt sich hinterm Ohr. „In Märchenbüchern, sagst du? Hm, das wär fürwahr blamabel.“

„Und die Gefährten“, gibt Hymnes zu bedenken, „als Tiere willst du sie hier lassen und fliehn. Wohin? Die Schiffe sind gesunken. Kein Weg führt uns von dieser Insel fort!“

„Hm.“ Odysseus versinkt in Nachdenken und deutet dabei unbewusst einmal auf Plompe und einmal auf Hymnes. „Hm.“ Schüttelt den Kopf, um gleich darauf zu nicken und wieder auf den einen und den anderen zu deuten. „Hm.“

Da schwebt eine Götterbotin aus der Höhe herab, nimmt vor Odysseus Aufstellung und spricht ihn in einer Art Sphärengesang an:

„Von Hermes gesandt durch die Luft, schweb eilig zur Erde ich nieder, Odysseus zu bringen den Duft der Blume, geborgen im Mieder.“

Sie holt einen Zweig weißen Flieders aus dem Busenausschnitt.

„Zu tilgen alte Schuld und Dank dir abzustatten, schickt Hermes dir die Blume zugleich mit seiner Huld.“

Die Götterbotin macht einen Knicks und überreicht Odysseus den Zweig.

Plompe entzückt: „Hm, weißer Flieder.“

Die Götterbotin:

„Doch halt sie stets im Schatten - die Huld nicht, nein: die Blume, dann bleibt ihr Duft erhalten und schützt vor Zauberkraft. Sie kann sich nicht entfalten: Aus Gift wird Himbeersaft.“

Sie macht wieder einen Knicks und bleibt erwartungsvoll stehen. Odysseus dreht den Flieder am Stiel und steckt die Nase in die Blüten. Die Götterbotin räuspert sich und hält die Hand auf. Odysseus begreift nicht:

„Schönen Dank auch - und herzliche Grüße.“

„Es war ein weiter Weg.“ Die Götterbotin streckt die Hand noch deutlicher vor.

„Schon gut, schon gut.“ Odysseus gibt ihr widerwillig eine Münze. „Aber jetzt troll dich!“

Die Götterbotin macht einen flüchtigen Knicks, erhebt sich in die Luft, umfliegt ein- oder zweimal Odysseus und schwebt singend davon:

„Meidet dich Zauber, so fängt dich die Liebe. Drum rät dir Hermes: Beschneide die Triebe. Wenn der weiße Flieder wieder blüht und die Liebe sie herniederzieht auf das Liebeslager, werden Helden mager …“

Odysseus blickt der entschwebenden Götterbotin nach, wendet sich dann den Tieren zu: „So folgt mir denn, Gefährten!“ Zu Plompe: „Verbergt eure Feigheit!“ Zu Hymnes: „Und unbesonn’ne Kühnheit - vor der mein Besinnen wie Zögern erscheinen mochte. Ich hielt meinen Arm, der mehr als jeder andre nach Rache für die Gefährten schrie, wenn auch nur mühsam, so doch aus gutem Grunde zurück. Gewisse Unternehmungen soll man nicht ohne einen Wink von oben ausführen. Meine guten Beziehungen zu den Göttern - und ihren dienstbaren Geistern - bewahrten mich schon vor mancher Unannehmlichkeit. Jetzt aber, da wir unseren Mut nicht mehr zu verstecken brauchen, vorwärts zu neuen Erfolgen!“

Von fern ertönt Gesang weiblicher Stimmen. Sogleich zittern die Tiere vor Angst.

Hymnes: „Wir brauchen nicht zu stürmen, der Feind naht selber schon.“

Der Gesang wird deutlicher:

„In guter Stund sei gegrüßt, gepriesenster der Helden! Wir kommen, gastlich dir gesinnt, Willkommen dir zu melden.“

Während sie noch die letzten Zeilen singen, treten Kirke und die Nymphen Melissa und Korinna aus dem Walde. Jetzt singt Kirke allein:

„Auf Meereswellen war der Durst dein ständiger Gefährte. Drum reich als erstes Nektar ich mit freundlicher Gebärde.“

Kirke nimmt das Gefäß, das Melissa in der Hand hält, und reicht es Odysseus. Der antwortet, was ihm sichtlich Mühe macht, ebenfalls gereimt:

„Diesen Becher, voll bis oben süßen Nektars, nehm ich an. Doch zuvor, so ist’s geboten, riech ich an der Blume Duft.“

Er zieht den Fliederzweig hervor, riecht daran und steckt ihn wieder fort. Deklamiert weiter:

„Nun wohlan, Schönste aller Herrscherinnen, die den dunkeln Horizont dieses Eilands übersonnt, da die Nacht erst floh von hinnen - zum Wohle dann!“

Er trinkt die Schale bis auf den letzten Tropfen aus. Kirke erwartet, dass er sich in ein Tier verwandelt. Als das nicht geschieht, ruft sie bestürzt:

„Wer, erzürnter Himmel, wer hat des Zaubers Kraft gebannt?!“

Odysseus leiert, wie ein Schulkind ein Gedicht, die Erklärung herunter:

„Einer hohem Gottheit Hand ließ den Zauber dir verderben. Und nun sollst du Todes sterben für so vieler Mannen Qual! Ohne Fehl soll dieser Stahl sich in deinem Blute färben.“

Da der Zauber versagt hat, besinnt Kirke sich ihrer weiblichen Mittel:

„Halt ein! O heldischster der Helden, der Mannen männlichster! Nicht deinen Degen stoße in meinen schwachen Leib.

Er bietet einem Krieger wohl bessern Zeitvertreib. Auch der Gefährten Qual setz ich zur Stund ein Ende, dass deine Feindschaft sich zu Freundschaft endlich wende.“

Während dieser Schmeichelrede hat Kirke sich mit unzweideutigen Gesten Odysseus genähert. Doch der hat noch Bedenken:

„Nicht so rasch bei der Hand. Die verflixte Reimerei lässt mich zu keinem klaren Gedanken kommen. Politische Fragen müssen ungereimt verhandelt werden. Wenn ich dich recht verstanden habe, so willst du, außer gewissen Gefälligkeiten, über die zu reden hier nicht der Ort ist, meine Gefährten in ihre menschliche Gestalt zurückverwandeln.“

„Für jetzt und alle Zeit“, beteuert Kirke. „Und du schenkst mir dafür das Leben.“

Odysseus schlägt in die dargebotene Hand ein. „Der Handel gilt!“ Er tritt einen Schritt zurück, reißt kurz die Hacken zusammen, verneigt sich und stellt sich vor: „Odysseus.“

Kirke: „Kirke.“

Odysseus reibt sich geschäftig die Hände: „Nun fix ans Werk! Verwandle die Genossen, damit wir bald zum bessern Teil des Handels kommen.“ Zu den Tieren gewandt: „Los, los! Herbei mit euch! Das faule Sichvergnügen hat ein Ende. Der Ernst des Lebens fordert euch zurück.“ Die Tiere bleiben jedoch ängstlich stehen. „Polites, tritt du als erster vor! Die andern scheun sich noch, sie traun dem Frieden nicht.“

Der Löwe kommt zögernd näher. Kirke zieht eine Rute aus ihrem Gewand. Musik klingt auf und steigert sich wie bei einem akrobatischen Kunststück, das vor seinem Höhepunkt steht. Kirke berührt Polites mit der Rute, und die Löwenmaske fällt ab. Odysseus kommentiert:

„Das Beispiel hilft dem Schwachen.“

Jetzt treten auch die übrigen Tiere eines nach dem anderen heran, und Kirke entzaubert sie auf die gleiche Weise. Allein Kaas rennt im Kreise herum und will sich vor der Rückverwandlung drücken. Plompe läuft ihm hinterher, will ihn am Schwanze erwischen, stolpert über Kaas und fällt hin, rappelt sich wieder auf und blickt sich suchend nach dem Gefährten um:

„Wo hinaus, guter Kaas? Willst durchaus kein Mensch wieder werden? Aber wart, ich krieg dich schon.“ Lockend: „Kaas, liebster, bester Kaas, erbarm dich meiner. Du bist Schwein - ich bin Mensch: welche Ungerechtigkeit. Wie kannst du das mit ansehen? Komm, sei kein Unmensch. Wenn auch nur mir zuliebe.“ Er erwischt Kaas, der beim Zuhören stehengeblieben war, am Schwanze und zieht den Widerstrebenden zu Kirke. „Hab ich dich endlich. Jetzt hat die Schweinerei ein Ende!“

Kirke berührt Kaas mit der Rute. Die Musik ehrt auch ihn mit einem flüchtigen Tusch. Plompe fällt dem entzauberten Kaas um den Hals:

„Kaas!“

Kaas macht sich aus der Umarmung frei. „Das war nicht recht von dir, Plompe! Der Mensch muss seinen Willen haben und sein können, was er will. Du aber zwingst mich, statt Schwein Mensch zu sein. Wo bleibt da die Freiheit des Individuums!“

„Seit du Schwein warst, hast du’s wohl mit der Philosophie? Sprichst auf einmal so gehoben.“

„Ich denke, das verliert sich bald, wo ich jetzt wieder Mensch bin.“

Kaas und Plompe gesellen sich zu Melissa und Korinna, die sich den Annäherungsversuchen der beiden nicht abgeneigt zeigen. Kirke wendet sich Odysseus zu und reicht ihm den Arm. Odysseus nimmt ihn geckenhaft galant. Musik klingt auf, und Kirke spricht:

„Nun, da dieses Werk vollbracht, wollen wir zum Mahl uns setzen. Und dem Mahle folgt die Nacht.“

Odysseus: „Wollen uns am Mahle lefzen und nicht weniger danach.“

Da kommt Lamento aus dem Walde gestürmt und ruft außer sich: „Wer ist der Fremdling, der Eindringling, der Wüstling, der das Gesetz dieser Insel, das gebietet, jeden Fremden seiner menschlichen Gestalt zu berauben, freventlich durchbricht?!“

Odysseus, nach kurzer Verwunderung in übertrieben weltmännischer Manier: „Odysseus mein Name. Und der Ihre?“

Lamento, verblüfft: „Lamento.“

„Hat der Herr“, erkundigt sich Odysseus bei Kirke, „irgendwelche älteren Rechte auf die Dame?“

„Das Recht des Eifersüchtigen, einen andern statt sich selbst am Ziel zu sehn“, erklärt Kirke und schmiegt sich unmissverständlich an Odysseus.

Lamento läuft wie der Tiger im Käfig hin und her: „Das mir, einst Herrscher über diese Insel! Und drum allein vom Zauberbann verschont. Und jetzt ein Haufen Zugereister mit dem gleichen Recht geehrt! Welch unerhörte Schmach! Nur Blut hilft wider das, nur Blut wäscht ab die Schande!“

Lamento zieht das Schwert. Plompe fragt Odysseus:

„Soll ich ihm den Arsch versohlen?“

Lamento weicht ängstlich zurück: „Unter diesen Umständen verzichte ich auf die Genugtuung.“

Er steckt das Schwert wieder weg und schreitet mit bemühter Gravität von dannen. Odysseus seinerseits bietet Kirke sieghaft den Arm und führt sie davon. Der Vorhang schließt sich langsam, zugleich klingt Musik auf, die zum nächsten Bild überleitet. Als der Vorhang sich wieder öffnet, liegt eine heitere Morgenstimmung über der Szene. Statt des Waldes sind kunstvolle Anlagen zu sehen, in deren Mitte ein Schloss von romantischer Schönheit steht. Einige Nymphen pflücken Blumen oder beschäftigen sich auf andere Art in. den Anlagen. Auf der Terrasse des Schlosses sitzen Korinna und Melissa. Melissa reckt und streckt sich:

„Das war ein Tag gestern.“

„Nach der ewigen Viecherei endlich mal menschliche Gesellschaft“, meint Korinna.

„Männliche wolltest du sagen.“

„Tu nicht so, als ob es dir dieser Plompe nicht genauso angetan hätte wie mir der Kaas.“

„Jaja, der Kaas scheint dir’s oft angetan zu haben. Wenn ich ihn nicht sah, warst auch du nicht zu finden. Und ich hab dich viele Male vermisst.“

Beide lachen verständnisvoll. Da kommen Kaas und Plumpe durch die Anlagen in Richtung Terrasse.

Korinna entdeckt sie als erste: „Da sind sie ja!“

Die Mädchen benehmen sich plötzlich betont unbeteiligt.

Plompe, mit weltmännischer Verbeugung: „Guten Morgen, ihr Hübschen!“

Kaas: „Guten Morgen auch.“

Korinna und Melissa wie aus einem Munde: „Guten Morgen.“

Plötzlich prusten beide vor Lachen laut heraus und sind wieder so natürlich und lebhaft wie vorher.

„Wie geht’s der Herrschaft?“, erkundigt sich Kaas.

„Wenn du Kirke meinst, danke“, gibt Korinna Auskunft. „Und wie beliebt es Herrn Odysseus zu gehen?“

Plompe: „Auch danke.“

„Das wird nicht lange so bleiben“, meint Melissa.

„Droht neues Unheil?“, fragt Plompe.

„Kirke will, so hat sie mir verraten, Odysseus in sich verliebt machen, um mit der Liebe zu erreichen, was der Zauber nicht vermochte.“

„Das trifft sich gut“, meint Plompe, „Odysseus nämlich, so hat er mir verraten, will Kirke in sich verliebt machen.“

„Und warum?“, fragt Melissa.

„Um Lamentos Eifersucht zu stacheln. Dann wird uns der arme Tor, um seinen Rivalen loszuwerden, ein Schiff bauen. Allein Lamento versteht sich auf das Werk, besitzt das Werkzeug und die Fähigkeit, die andern anzuleiten.“

Korinna: „Demnach will Kirke, dass Odysseus sich in sie, und Odysseus, dass Kirke sich in ihn verliebt: Sie, um ihn zu bannen, er, um fortzukommen.“

„Ein Kuriosum der Intrige“, bemerkt Kaas. „Beide wählen zum entgegengesetzten Zweck die gleiche List. Nur fürchte ich, das ist der List zuviel.“

„Das fürcht ich auch“, meint Plompe. „Zwar gelingt dem Alten stets das Spiel, aber in summa sind wir die Verlierer. Nehmt Troja! Er kam auf die Idee mit dem hohlen Gaul. Nun gut, Troja wurde genommen. Aber wie sieht es wirklich aus? Wir verloren neun Zehntel unsrer Krieger. Und bevor wir die Heimat erreicht haben, bleibt von dem einen Zehntel wieder nur ein Zehntel. Da bleibt von hundert einer, wenn ich richtig rechne.“

„Da hilft nur eins: Wir müssen uns vermehren!“, ruft Kaas und macht sich sogleich mit Korinna zu schaffen. „He, Kätzchen, hast du was für meine Rechnung übrig?“

Plompe zu Melissa: „Ein gewitzter Bursch, der Kaas, wie? Doch ich bin auch nicht von den Dümmsten einer.“

Er folgt dem Beispiel seines Freundes. Die vier albern miteinander herum, bis es den Mädchen zu stark wird. Sie laufen kichernd davon. Soldaten kommen ihnen halbtrunken entgegen, mit Bechern und Kannen in der Hand, und belästigen Melissa und Korinna sowie die anderen sich in den Anlagen aufhaltenden Nymphen. Dann ziehen sie grölend weiter. Ein Soldat beginnt zu singen:

„Wir fuhren aus auf Schiffen zehn, jo-ho-ho! - und sahen neune untergehn!“

Die anderen Soldaten fallen ein:

„Jo-ho-ho!“

Soldat: „Das letzte hat ein großes Leck!“

Jetzt stimmen auch Kaas und Plompe ein:

„Jo-ho-ho!“

Soldat: „Und säuft uns unterm Steven weg.“

Alle: „Jo-ho-ho!“

Soldat: „Das letzte hat ein großes Leck und säuft uns unterm Steven weg.“

Alle: „Jo-ho-ho! Und säuft uns unterm Steven weg. Jo-ho-ho! Jo-ho-ho!“

 

Die Soldaten verschwinden aus dem Blickfeld. Kaas, wie sein Freund noch immer auf den Stufen der Terrasse sitzend, meint zu Plompe:

„Ganz erträglich hier auf Ääa, findest du nicht auch, Plompe? Und wenn die Dame Kirke unseren Alten reinlegt, wär’s mir erst recht ein Spaß.“

Plompe brüllt plötzlich: „Wie kannst du so was wollen? Mir scheint, du denkst noch immer in den Kategorien eines Schweins, ich dagegen denke in weltgeschichtlichen Kategorien, womit ich sagen will, dass der Name unseres Königs nicht von einer Schweinehirtin beschmutzt werden darf!“

„Was schreist du so?“, fragt Kaas verdutzt, „ich sitze doch neben dir.“

Plompe, leise: „Du ja, aber dort hinter dem Gebüsch sitzt noch wer anderes. Wenn mich nicht alles täuscht, ist das Odysseus.“

Kaas begreift: „Ah, darum lobst du ihn und schimpfst die Kirke eine Schweinehirtin.“

Kaas erhebt sich und geht auf das Gebüsch zu. Plompe folgt ihm und brüllt wieder:

„Jawohl, eine Schweinehirtin!“

Da tritt statt des vermuteten Odysseus Kirke, von Korinna begleitet, hinter dem Gebüsch hervor. Kaas und Plompe weichen erschrocken zurück. Kaas fällt dabei auf den Hintern, Plompe lacht irre auf, fängt sich aber als erster und tut so, als ob er Kaas zu Boden gestoßen hätte, und boxt einige Male in dessen Richtung:

„So, das soll für diesmal genügen. Aber wenn du dich noch einmal unterstehst, unsere erhabene Gönnerin eine Schweinehirtin zu schimpfen, kommst du nicht wieder so glimpflich davon!“

Kaas rappelt sich hoch: „Ich bin sprachlos!“

Plumpe, zu sich: „Mein Glück.“ Brüllt: „Dein Glück!“

Jetzt brüllt auch Kaas: „Das lass ich nicht auf mir sitzen!“

„Wie, du wagst, es zu leugnen?“ Plompe wendet sich Kirke zu: „Es ist immer dasselbe mit ihm. Wie ich ihn kenne, wird er gleich behaupten, nicht er, sondern ich hätte Sie eine Schweine …“

Kaas: „Jawohl, niemand anders als du!“

Plompe triumphiert: „Sagte ich’s nicht? Dabei lügt er nicht mal in böser Absicht. Er will mir damit nicht etwa schaden. Nein, gewiss nicht. Es ist eher krankhaft bedingt. Deshalb sollte man ihn auch besser bedauern als bestrafen. Und wenn ich ihn vorhin zu Boden schlug, so nur, weil ich einen Augenblick die Beherrschung verlor. Es ist für einen Mann meines Charakters ein starkes Stück, solch edle Dame wie Sie dermaßen beschimpft zu hören. Ich bitte, meine Unbeherrschtheit zu verzeihn. Auch du, Kaas, verzeih mir.“ Er umfasst Kaas gerührt.

Kirke: „Genug davon!“ Zu Kaas: „Der eine sei entschuldigt“, zu Plompe, „dem andern sei ob seines höflichen Charakters ein Schatz verliehn: Ruf im Walde, im Gebirge, ruf, die Stimme laut erhebend, nur den Namen Brutamonte, und er wird den Schatz dir geben!“

„Ich werd’s gewiss besorgen, gnä’ Frau.“ Plompe verneigt sich. „Und tausend Dank.“ Er schiebt ab und meint, auf Kaas gemünzt, kopfschüttelnd: „Was es doch für lügnerische Menschen gibt, nicht zu glauben.“ Er beschleunigt seinen Schritt und ruft in kurzen Abständen: „Brutamonte! Brutamonte!“

Kaas geht in der entgegengesetzten Richtung davon, resigniert: „Schwein muss der Mensch haben. Noch besser aber, er ist eins.“ Da hat er plötzlich einen Einfall und läuft schnell zu Kirke zurück. „Hochedle Frau! Dürft ich mir eine Gnade ausbitten? Eine Kleinigkeit für Sie, für mich aber die ewige Seligkeit: Ich mochte wieder Schwein werden.“

„Dein Wunsch sei dir gewährt“, erklärt Kirke huldvoll, „doch nicht in dieser Stunde. Gedulde dich noch kurze Zeit.“

„Kurze Zeit! Ha, die ist schnell vorbei! Aber dann: Auf immer Schwein!“ Er verneigt sich tief, läuft jubelnd davon: „ Ade, du Jammertal, bald kannst du mir den geschwänzten Rücken herunterrutschen!“

Kirke wendet sich Korinna zu: „Und nun zu dir. Du weißt, ich will Odysseus durch Liebe unterwerfen. Und ich entzog mich ihm, um ihn dadurch zu stacheln. Doch statt mir nachzustellen, entzieht er gleichfalls sich. Jetzt mach du’s umgekehrt: Zeig dich ihm feil und bitt ihn um ein Stelldichein zur Nacht. Dort trete ich, im Dunkeln unerkannt, an deine Stelle, du verstehst?“

„Ach, Herrin, die wenigen Stunden, die Kaas noch Mensch ist, soll ich an einen andern Mann verwenden?“

„Wenn dir das Spiel gelingt, dann sollst du, wenn du willst, ein hübsches Schweinchen sein.“

„Wenn Kaas mich nicht vorher mit dem Odysseus erwischt und sich vor Eifersucht in einen Hornochsen verwünscht.“

„Genug jetzt des Disputs. Ich bin die Herrin, du die Dienerin, die tut, was ihr befohlen!“

Kirke geht zum Schloss davon, Korinna hingegen ruft klagend aus:

„Wenn das ins Auge geht, dann bleibt kein Auge trocken!“

Während sich der Vorhang schließt, klingt Musik auf und leitet zum nächsten Bild über, das wieder die Terrasse zeigt, diesmal jedoch mit Blumenarrangements geschmückt und von prachtvollen Sitzkissen bedeckt. Nymphen kommen aus verschiedenen Richtungen tanzend heran und gruppieren sich in malerischen Stellungen. Die Musik wechselt das Thema, und Kirke nebst Odysseus, Lamento und Hymnes kommen aus dem Schloss und nehmen unter Vorsitz Kirkes Platz. Kirke eröffnet die Konversation:

„Ich hab euch, Freunde des Gesprächs, der heitern Überlegung, des feinen Urteils auch, gebeten, teilzunehmen an dem Gerichtshof, der in Liebesdingen richtet, wie es Brauch seit langem schon auf dieser Insel hier. Die erste Frage füglich kommt von mir. Was ist leichter: ohne Liebe verliebt sich zeigen oder wahre Liebe verschweigen?“

Lamento vergewissert sich: „Wahrer Liebe Schein vernichten?“

Odysseus: „Oder falsche Lieb erdichten?“

Hymnes, trocken: Kirke:

Kirke: „Was ist leichter?“

Lamento: „Liebe meucheln?!“

Odysseus: „Liebe heucheln?!“

Hymnes, trocken: „Beides ist ein hartes Brot.“

Kirke: „Diese Antwort …“

Lamento: „Hilft uns auch nicht …“

Odysseus: „Aus der Not.“

Lamento nimmt eine gravitätische Pose ein:

„Liebe ist ein echtes Fühlen, das sich nicht erheucheln lässt. Eher noch lässt sich’s verbergen, wenn es auch das Herz abpresst.“

Odysseus ahmt Lamentos Pose nach:

„Wahre Liebe zu verbergen ist so schwer wie Flöhe hüten. Leichter ist es, einen andern mit der Liebe Schein betrügen.“

Lamento: „Nur ein Heuchler kann das sagen!“

Odysseus: „Nur ein Schwachkopf kann es wagen, meinen Zorn zu wecken!“

Beide springen auf und greifen nach dem Schwert. Kirke hebt gebieterisch die Hand: