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Nachmittag eines Schriftstellers


Nachmittag eines Schriftstellers

Erzählungen
1. Auflage

von: Herbert Friedrich

6,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 02.11.2021
ISBN/EAN: 9783965215511
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 158

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Familiäre Ereignisse zwingen einen Schriftsteller, die Gedanken an die Historie abzubrechen, seine Schreibarbeiten zu unterbrechen und sich mit den Problemen des Hier und Heute auseinanderzusetzen. Eine Enkelin bringt durch egoistische Gedankenlosigkeit den einsamen Alltagstrott der schwerhörigen Großmutter durcheinander. Eine geschiedene Frau erfährt am Silvesterabend, den sie mit ihrem Freund feiert, dass sich ihre siebzehnjährige Tochter Neujahr verloben will, und bemerkt erst jetzt jene Fremdheit, die ihre einst so enge Beziehung zu ihrem Kind bedroht. Ein kleines Kind kommt in eine ihm fremde Welt, obwohl er ein König ist, ein König David. Dem achtzehnjährigen Werner Truckenbrodt, der sich Ende 1944 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hat, wird in den letzten furchtbaren Monaten des zweiten Weltkrieges die Sinnlosigkeit des Mitmarschierens bewusst.
Wache Beobachtungen, ein Gespür für das feine Knistern sozialer Spannungen kennzeichnen seine Erzählungen, immer wieder setzt sich Herbert Friedrich in seinen Texten mit ethisch-moralischen Fragen auseinander. Und fordert nachdrücklich zum Selber-Denken auf.
Wir jungen Hunde
Alte Frau am Freitagabend
Verlobung
Der Einzug des Königs David
Nachmittag eines Schriftstellers
Geboren am 7. August 1926 in Zschachwitz.
Volksschule in Dresden, Lehrerbildungsanstalt in Frankenberg. Ab 1944 Wehrmachtssoldat, von 1945 bis 1949 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft in Mittelasien.
1950 war er zunächst Hilfsarbeiter, dann Lehrer in Lohmen/Pirna und in Dresden. 1957 legte er das Staatsexamen ab und studierte von 1958 bis 1961 am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig. Seit 1961 freischaffender Schriftsteller in Dresden.
Auszeichnungen
Martin-Andersen-Nexö-Kunstpreis der Stadt Dresden 1966
Alex-Wedding-Preis 1973
Das war in der vierten Märzwoche 1945, und ich lag noch in der nämlichen Schule zu Nove Mesto und hatte mit dieser neuen Einheit eine neue Feldpostnummer, die ich gleich nach Hause schrieb: Signale in das Weltall, ohne Widerhall zu empfangen. Einer von jenem Haufen, Hängefalten unter den Augen, war noch nach dem Angriff durch Dresden gekommen und wusste, dass es Bomben bis Heidenau hinaus geregnet hatte. Auf dieser Strecke lag eben auch Zschachwitz.
Ich schrieb für den Hauptfeldwebel Namenslisten, damit er diese Truppe in den Griff kriegte. Auf mich schwor er plötzlich. Sein Atem roch widerlich; er musste Magengeschwüre haben. Köhler, Dreßler, Schenk. Viele Namen in diesen Listen, Truckenbrodts nicht. Geburtsjahre dazu, alt, viel zu alt, alles Greise, Städtenamen vom Rhein bis zur Ostsee. Und Blessing schob mir eine Zigarette zu, die ich mir auch ansteckte; da roch die Luft hier besser. Meinen Namen hätte ich gern gestrichen.
Die Tür flog auf, Dämmich stürzte herein, lehnte sich an die Wand. „Mensch …!“ Der ganze Kerl sah aus, als wolle er augenblicks umsinken. „Auf dem Hof … Habt ihr nicht den Knall gehört?“
Exreserveoffiziersbewerber Dämmich lehnte so elend dort, dass Hauptfeld Blessing nicht auf Strammstehen und ordentliche Meldung bestand, sondern sofort losjagte.
Ich schmiss die Zigarette weg und hetzte hinterher.
Auf dem Gang brüllte einer von den Neuen: „Telefonieren! Arzt!“
Ich jagte zurück in Blessings Raum und hatte den Knall nicht gehört und hatte die Verbindung zum Krankenhaus, während sich der kleine Dämmich neben mir wie in Krämpfen schüttelte und immerzu schrie: „Der Idiot lädt die Gewehrgranate noch mal!“
Eine Stunde später hatten wir die vier Toten in die Turnhalle gebracht und drei Schwerverletzte im Krankenhaus und die Splitter aus dem Hofsand geharkt und so auch das Blut zugerecht. Etliche Leute waren verbunden.
Wie sich herausstellte, war eine Gruppe am Gewehrgranatgerät ausgebildet worden. Ein Unteroffizier, Schwäble (ich hatte ihn nie recht kennengelernt), hatte die Granate abgeschossen, und diese war nicht explodiert. Da hatte er befohlen, das Geschoss aufzuheben und erneut in den Schießbecher zu stecken. Rohrkrepierer! Die Gruppe stand drum herum. Vier Tote, die doch hatten zum letzten Wall werden wollen, von Splittern durchsiebt, durch das SA-Hemd durch, die Luftwaffenbluse zerfetzt, zu diesen Stiefelhosen wurden keine Stiefel mehr benötigt.
Lähmende Stille lag über der Schule an diesem Märznachmittag, an dem die Sonne kräftig schien und Amseln flöteten; am Schulzaun blühte Forsythia. Ich musste auf der Liste, die ich gerade geschrieben hatte, vier Namen austilgen, das Schwäble darunter. Wer benachrichtigte die Verwandten? Einer der Toten stammte aus Küstrin, das hatte Hitler zur Festung erklärt, davor lagen die Russen.
Hauptfeld Blessing kam herein. Ich dachte, er tobt, weil ich noch in seinem Zimmer herumhocke. Stumm fixierte er mich von der Tür aus und fragte dann: „Welche Blutgruppe hast du?“
„B.“
„Genau die“, sagte Blessing und setzte sich und schnaufte seinen Stinkatem aus. Er langte zu den Zigaretten, während ich die Streichholzschachtel nahm. Er sagte: „Ich hab nicht geglaubt, dass ich noch einen mit B finde.“
Ich gab Blessing Feuer, er sog einige Züge ein, hustete, sagte: „Geh runter, geh zum Furier, sag, dass du B hast. Und dann geh mit dem Furier ins Krankenhaus. Einer von denen braucht Blut.“
Ich schob den Stuhl weg, stand da, blickte zum Fenster.
„Das machst du doch“, ermunterte mich Blessing. „Nur du hast B hier …“
Ich hastete die Treppen hinunter, fand den Furier nicht, aber meinen Gefährten Dämmich, der sagte, dass der Furier gerade zum Haus hinaus sei. So rannte ich die Straße entlang. Am Restaurant holte ich den Furier ein.
„Haben Sie B?“, fragte er.
Ich keuchte ein „Jawohl!“ heraus.
Stumm gingen wir nebeneinander die Straße zum Krankenhaus hinauf. Der Furier hatte AB.

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