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Morgen am Lickweg


Morgen am Lickweg


1. Auflage

von: Karl-Heinz Schleinitz

8,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 13.07.2021
ISBN/EAN: 9783965214873
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 478

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Fruchtbar sind die Felder am Lickweg. Das alles war einmal Junkerland, und nur an einer Stelle ragte der Lansfid-Acker mitten hinein in die Domäne des Herrn. Zwei Jahrhunderte lang hielten sich die Lansfids hartnäckig gegen den Junker, und als er 1945 zum Teufel gejagt wurde, begrüßte und unterstützte Robert Lansfid die Bodenreform aus ganzem Herzen. Nun aber, da der weitere Schritt zur Genossenschaft vor ihm steht, stemmt er sich mit aller Macht dagegen.
Die stürmischen Märztage 1960 haben das Dörfchen Spellhagen in Aufruhr gebracht. Doch was ist das, was sich sichtbar vor aller Augen abspielt, verglichen mit dem Sturm, der unter jedem Dach, in jedem Menschen tobt, mit dem Für und Wider langer schlafloser Nächte, mit dem Hoffen und Suchen, als endlich die Raine gefallen sind und dem leichthin über den Zaun gesprochenen Wort nun die Beratung am gemeinsamen Tisch und die Arbeit auf dem gemeinsamen Feld folgen muss.
UNBEANTWORTETE FRAGEN
DIE LANSFIDS
FREUND UND FEIND
ALARM
DIE SPINNE
DIE SINNE DREIMAL SCHÄRFEN
„MEIN KORN“
GERECHTIGKEIT
SINKST DU?
NÄCHTLICHE SAAT
HÜNDCHEN, WOHIN LÄUFST DU?
LORE
DAS EIERKARUSSELL
DIE KATASTROPHE
KRIEG ODER FRIEDEN
DIE ALTEN UND DIE JUNGEN
SÜSSER WEIN
KLARE WAHRHEIT
BUDJONNY
RAINE
SINGT DIE NACHTIGALL?
Karl-Heinz Schleinitz wurde am 11. Juli 1921 in Brieskow als Sohn eines Bergmanns und Baggerführers und einer Zeitungsausträgerin geboren. Nach dem Besuch der Volksschule wollte er eigentlich Bildhauer werden. Da seine Eltern ein solches Kunststudium jedoch nicht finanzieren konnten, absolvierte er als Notbehelf eine Lehre als Versicherungskaufmann. Während des Zweiten Weltkrieg war Schleinitz, der bereits als Kind Segelflugmodelle gebaut, 1936 erste Gleitflughüpfer unternommen und 1939 den Luftfahrerschein erworben hatte, Fluglehrer, in den letzten Kriegsmonaten Jagdflieger. Dabei wurde er dreimal abgeschossen. Nach dem Krieg arbeitete Schleinitz als Landarbeiter und als Bergmann, wurde Chefredakteur einer Werkzeitung und baute das Welzower Volkskunstensemble auf. 1952 wurde er Redakteur der von 1945 bis 1955 von der Sowjetarmee in der SBZ herausgegebenen „Täglichen Rundschau“, wo er mit Wolfgang Leonhard, Wolfgang Harich, Stefan Heym und Ingeborg Meyer-Rey zusammenarbeite. Unter Chefredakteur Hermann Axen wurde er 1956 Redakteur des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“. Seit 1962 war Schleinitz, der neben seinen Büchern viele Kurzgeschichten schrieb, für die DEFA arbeitete und Beiträge für Funk und Fernsehen der DDR lieferte, freischaffend tätig. Von ihm stammen mehr als 800 meist mehrteilige Reportagen in großen DDR-Zeitschriften. Schleinitz, der zwei Mal verheiratet war, vier Kinder, fünf Enkel und sechs Urenkel hatte, starb am 9. August 2019 im Alter von 98 Jahren in Berlin. Für sein journalistisches und literarisches Schaffen wurde er 1961 mit dem Literaturpreis des FDGB und 1987 mit dem Vaterländischer Verdienstorden in Bronze geehrt.
Hannes ließ dem Vater den Vortritt, und Schramm öffnete die Tür. Er blieb wie versteinert stehen. Träume ich? Er bemerkte nicht das Komische in der Haltung des Mädchens mit der senkrecht gezückten Kelle und dem überschwappenden Wasserkessel. Er sah nur das ihm unirdisch scheinende Schöne: ein Menschenkind mit fragenden dunklen Samtaugen, Lippen vom Hauch sattroter Mohnblüten, die zartbraune Haut unter der schwarzen Wildnis des Haares blutübergossen, ein Mädchen noch und schon eine Frau. Am Halse pulste ihr Herz.
Ist denn das möglich? In Schramm stürzten die Jahre ein, er rief: „Anna!“ – und wusste nicht, dass er es rief.
Lore zuckte ratlos mit den Schultern. „Ich bin die Tochter. Ich hole die Mutter.“ Und da sie bemerkte, dass der Fremde noch immer unbeweglich in der Tür stand und sie anstarrte, fügte sie unsicher hinzu: „Bitte, kommen Sie doch herein.“ Schramm sah die ihm traumhaft dünkende Erscheinung aus einer anderen Tür davonhuschen, er fand in die Wirklichkeit zurück und begriff, wo er sich befand. Doch schon der nächste Atemzug führte ihn in rasendem Flug in seine Jugend mit Anna. Ein Chaos von Bildern stürmte auf ihn ein, scheinbar ohne Sinn und Zusammenhang und doch sich machtvoll zu einer Harmonie zusammenfindend wie die Linien im brausenden Spiel einer Orgel. Er sah sich mit Anna in der Bibliothek des Barons, dann vor der Mamsell, dann wieder am Lickweg in hellen Nächten mit betäubenden Gerüchen von Jasmin und Korn. Anna!
Im Herrenzimmer sagte Lore aufgeregt zu ihrer Mutter: „Dich will jemand sprechen. Er ist so komisch. Wie er mich angestarrt hat. Ein Verrückter!“
„Was du nur immer siehst“, fertigte die Mutter sie ab und ging zur Küche. Die Sorgen der letzten Wochen, das in Jahren gewachsene Gefühl, wie tot neben dem Mann herzuleben, die bittere Einsamkeit hatten ihre Spuren gezeichnet. Sie war grauer geworden, gebückt, verhärmt.
So sah Schramm seine Anna wieder, und er, der eben noch in taumelnden Bildern die große Liebe seiner Jugend mit dem lebensdurstigen, blutvollen Mädchen nacherlebte, wischte sich mit der Hand über die Augen. Was ist denn nun wahr? Das kann doch nicht sein! Da hörte er eine spröde Stimme sprechen, und darin war nichts mehr von der Glut seiner Anna: „Sie haben nach mir verlangt?“
Schramm schnürte es die Kehle zu. Was ist aus dir geworden, Anna! Er wollte davonlaufen, er meinte, mit dieser Ernüchterung nicht fertig zu werden. Aber die Beine waren ihm wie Holz.
Als Anna den Mann sah, kam ein unheimlicher Gedanke in ihr auf. Sie zwang ihn nieder. So etwas gibt es doch gar nicht! Aber der Gedanke war übermächtig, ihr war, als gösse jemand in ihre Adern abwechselnd kochendes und eisiges Wasser. Sie zwang sich nochmals zu fragen, und ihre Stimme bebte: „Sie wollten mich sprechen?“
„Anna“, flüsterte Schramm.
Da wusste Anna, alles ist wahr. Sie tastete nach einem Stuhl und ließ sich kraftlos fallen. Ich habe es ja gewusst, einmal wird er vor mir stehen …
Lore sah verständnislos auf den Mann und dann zur Mutter. Dann begann sie zu begreifen. Da hörte sie den jungen Fremden mit unsicherer Stimme, die forsch sein sollte und doch ungeschickt klang, fragen: „Könnten Sie mir nicht das Haus zeigen? Ich interessiere mich für alte Häuser.“
Lore, die in ihrer Sorge um die Mutter den sympathischen Jungen vergessen hatte, antwortete nach einem kurzen Blick auf die Mutter leise: „Sehr gern.“
Sie ließen die Alten allein, und doch blieben bei allem Erregenden, das in zwei jungen Menschen im gegenseitigen ersten Entdecken aufkommt, ihre Gedanken bei Otto und Anna. „Otto“ und „Anna“ hörten sie auch hinter ihren eigenen Namen, als sie sich formal bekannt machten. Sie führten Gespräche, die wichtig sein sollten, und wussten sie nichtig am Rande des unfassbaren Ereignisses, dass sich die Bahnen zweier Menschen nach drei Jahrzehnten wieder gefunden hatten.

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