„Was soll das Gebrüll?“, fragte sich Schober. Auch die anderen Freunde blieben an der Tür stehen und schüttelten die Köpfe. Mayrhofer lachte.
„Freunde, ich zitierte nur den Herrn Polizeichef von Wien“, sagte Senn, „den allergnädigsten Herrn Sedlnitzky. Und wenn ihr euch gesetzt habt, spiel ich den Kaiser.“
„Du bist noch genauso rebellisch wie damals im Konvikt, wo sie dich rausgeworfen haben wegen der Karzergeschichte mit den Stiefeln“, meinte Schubert.
Schober, der um sein Institut bangte, sagte vorsichtig: „Michl, wenn du jetzt gar den Kaiser nachahmst, bitt ich dich, mach’s leis, ganz leis, möcht keine Scherereien, verstehst. Du magst ja mit deiner Sach recht haben und den Metternich ehr ich erst, wenn man ihn wird begraben, aber ich sag mir halt, lieber ein bißl feig dahinleben als gar nicht, verstehst, also sprich leis, Michl!“
„Ganz leis“, hauchte Senn und trat vor die Freunde, die auf einer hölzernen Eckbank saßen und lauschten, schmunzelten und die Köpfe einzogen. „Verlasst’s euch drauf, ich werd leis sein, so leis wie Seine Majestät, wenn er durch die Wirtshäuser schleicht, in seinem alten Kaputrock. Und nun präpariert euch, ihr seid’s jetzt des Kaisers Dozenten am Laibacher Lyzeum. Also bleibt brav sitzen, schaut’s ein bissl blöd, ich geh und komm als Kaiser Franz wieder.“ Er verschwand.
Auf dem Flur klirrte ein Eimer.
Unter den Fenstern ratterte eine Kutsche vorbei.
Plötzlich trat Senn wieder ein. Als Kaiser. In eine große braune Decke gewickelt und einen blauen Kochtopf auf dem Kopf, mit einem Besen herumfuchtelnd, sagte er: „Dozenten von Laibach, hört’s zu. Ich brauche kane Gelehrten, sondern brave Bürger. Die Jugend zu solchen zu bilden, liegt Ihnen ob. Wer mir dient, muss lehren, was ich befehle.“
„Das machen’s ja zur Genüge“, unterbrach Schober.
„Wer das nicht kann“, brummte Senn mit tiefer kaiserlicher Stimme, „wer mir mit neuen Ideen kommt – wo ich selber schon keine hab – der kann gehen, oder ich werde ihn entfernen. Am liebsten sein mir die Dichter, welche nicht dichten, und die Maler, welche nicht malen.“
„Und die Musiker, Majestät?“, rief Schubert lachend dazwischen.
„Ja, die Musiker, Dozenten, die Musiker, jaja, hinter deren Bübereien ist schwer zu kommen. Was heißt das schon: Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Der Erlkönig? Dozenten! Ich kenne keinen Erlkönig, aber ich kenn die Jakobiner, und die können reiten! Wenn’s den Rossini nicht gäb, möcht ich die ganze Musik verbieten.“
Die Freunde klatschten in die Hände, bogen sich vor Lachen, stießen sich an und fuhren erschreckt zusammen, als es plötzlich klopfte.
Senn riss die Decke vom Leib, warf sie in einen Winkel, den Kochtopf dazu und begann mit dem Besen die Stube zu fegen.
Fünf Polizisten stürmten herein.
„Sie sind der Senn, Michael, Tiroler?“
„Ja, der bin ich! Und Sie sind’s gnädige Kommando von Herrn Sedlnitzky?“
Sie ließen ihn unbeachtet stehen, durchwühlten einen Schrank, einen Tischkasten, einen Koffer. Danach rissen sie Bücher vom Regal, durchblätterten sie, schüttelten die Bücher, aber nichts, auch kein Zettel, fiel heraus.
„Verhaftet im Namen Seiner Majestät!“, sagte ein Polizist zu Senn.
„Da hört sich aber alles auf!“, schrie Schober, gerade er, der vor Minuten noch geglaubt hatte, feige sein zu dürfen.
„Schmeißt’s doch die Kerle hinaus!“, schrie ein anderer.
Und Schubert brüllte wütend: „Ja, sein mir denn in einem Gefängnis? Was seid’s ihr Polizisten nur für nichtsnutzige Kerle!“
„Im Wiener Gefängnis, Franzl“, schrie Senn. „Aber ich hab keine Angst und scher mich einen Teufel um die Metternichschen. Mich kriegt ihr nicht, dazu seid’s viel zu dumm, zu dumm, hört’s ihr’s! Und gefunden habt ihr auch nichts, gar nichts, also lasst mich aus von der Verhafterei!“
Es dauerte geraume Zeit, bis die Polizeileute über den Tumult Herr wurden. Sie schleppten Senn zu ihrem Fiaker, während zwei Beamte zurückblieben und die Namen der anderen notierten.
Michael Senn wurde zu vierzehn Monaten Gefängnis verurteilt, weil er einer illegalen Studentenvereinigung angehört und die Polizei im Tagebuch eines anderen Freundes den Satz gefunden hatte: „Senn ist der einzige Mensch, den ich fähig halte, für eine Idee zu sterben.“ Auch Franz Schubert, dem es nicht gegeben war, wie Senn zu kämpfen, der lieber duldete als sich auflehnte, hatte sich an diesem Abend offen und mutig auf Michaels Seite gestellt. So geschah es, dass ihm wegen „Beleidigung von Amtspersonen“ eine schwere Rüge erteilt und ihm gleichzeitig von der Metternichschen Polizei bescheinigt wurde, er wäre ein „grobes Subjekt“.
Schubert sah Michael Senn nie wieder, doch vergaß er ihn nicht. Außer zwei Liedern, die er für ihn vertont hatte, kannte er eins, das ihm Senn im Konvikt geschenkt hatte: