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Eine Anzeige in der Zeitung


Eine Anzeige in der Zeitung


1. Auflage

von: Günter Görlich

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 20.06.2022
ISBN/EAN: 9783965217188
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 475

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Eva warnt ihren Mann: Du brauchst nicht eifersüchtig zu werden. Wäre dumm. Der andere Mann, um den es bei dieser Bemerkung geht, das ist ein neuer Lehrer, der vor zwei Jahren an die Schule gekommen war - Ein kluger, gut ausgebildeter Mann und vor allen Dingen, das musste ich bald zugeben, eben auch ein Lehrer mir Leib und Seele, wie ihn sein Kollege Kähne beurteilt, der Erzähler der Geschichte und der Mann von Eva.
Vor zwei Jahren, Mitte August, war Manfred Just in der kleinen Stadt L. an unserer Schule aufgetaucht. Er war nicht zu übersehen, schon sein Äußeres sorgte dafür. Das gefiel mir nicht besonders. Auch Karl Strebelow teilte meine Meinung. Oder ich seine. Ich weiß nicht mehr genau, sprachen wir zunächst über Justs Äußeres oder über seine für unsere Begriffe hemmungslose Neugier, mit der er Kollegen, Schüler, Wandzeitungen, die Einrichtungen des Lehrerzimmers, überhaupt alles in unserer Schule musterte und begutachtete.
Sein Äußeres? Weiße Flanellhosen, zitronengelbes Hemd, offener Kragen und ein buntes Seidentüchlein um den Hals gebunden. Die Haare blond und für einen Lehrer etwas zu lang. In dieser Aufmachung stand er da oder schlenderte umher, sah sich alles an und hatte immer ein leichtes Lächeln im Gesicht.

Manfred Just, Oberlehrer, Geschichte, Geografie, Staatsbürgerkunde. Wird in diesen Fächern unterrichten, wie er vorgestellt wurde, kam von der berühmten Einstein-Schule, einer Erweiterten Oberschule in P., eine Bahnstunde von seinem jetzigen Arbeitsort an der 6. Oberschule in L. ( einer stinknormalen Schule) entfernt, aber weshalb er versetzt worden war, erfuhren seine neue Kolleginnen und Kollegen nicht. Ein Abstieg?
Just fällt aber nicht nur durch seine Kleidung auf, sondern auch durch seine Art des Unterrichts auf und durch seine Fragen, die zum Diskutieren reizen. Just bringt Unruhe in die Schule. In einer „besonderen Mission“ soll ihn Kähne unter Beobachtung halten. Und dann das:
„Woran ist er gestorben?“, fragte ich ungeduldig.
„An einer Überdosis Tabletten“, sagte Karl Strebelow nüchtern.
Ich glaubte, mich verhört zu haben.
„An Tabletten?“
„Ja, an einer Überdosis. Zuviel hat er geschluckt.“
„Er hat sich das Leben genommen?“
„Eine Anzeige in der Zeitung“ war auch vom DDR-Fernsehen verfilmt und erstmals am 7. September 1980 ausgestrahlt worden – mit Alexander Lang als Manfred Just, Hans Teuscher und Christine Schorn als Herbert Kähne und Eva Kähne sowie Kurt Böwe als Schuldirektor Karl Strebelow.
Geboren am 6. Januar 1928 in Breslau, gestorben am 14. Juli 2010 in Berlin.
Ab 1944 Flakhelfer, sowjetische Kriegsgefangenschaft bis Oktober 1949. Bauarbeiter, Volkspolizist.
Nach dem Pädagogikstudium war er Erzieher in einem Jugendwerkhof und in einem Lehrlingswohnheim.
1958 erhielt er für sein erstes Jugendbuch „Der Schwarze Peter“ den Jugendbuchpreis des Ministeriums für Kultur.
Weitere Auszeichnungen:
Kunstpreis des FDGB 1966, 1973
Nationalpreis 2. Klasse 1971
Held der Arbeit 1974
Nationalpreis 1. Klasse 1978
Joh.-R.-Becher-Medaille in Gold 1979
Vaterländischer Verdienstorden in Gold 1979
Ehrenspange zum VVO in Gold 1988
Goethepreis der Stadt Berlin 1983
Nun zu einem Vorfall, den wir durch unsere Tochter Monika erfahren haben und der uns sehr beunruhigt.
Die Tatsachen: Die Klasse hat den letzten Wandertag dazu benutzt, die Umgebung unserer Bezirkshauptstadt kennenzulernen. Wie unsere Tochter berichtet, war alles sehr schön, die Kinder waren wieder einmal begeistert von ihrem Klassenlehrer, dem Kollegen Just, der es versteht, mit Spaß und guten Einfällen solche Stunden zu einem Erlebnis zu machen. Es stellte sich aber plötzlich heraus, dass sich ein Schüler namens Mark Hübner sinnlos betrunken hatte. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, lallte und redete Unsinn. Alle waren erschrocken. Meine Tochter sagt, dass Mark sonst ein anständiger Junge ist, einer der Besten in der Klasse. Kollege Just brach den Ausflug ab, fuhr mit der ganzen Klasse in seine Wohnung, die am Stadtrand liegt. Dort ließ er Mark Hübner den Rausch ausschlafen und verbrachte den Rest des Tages mit den anderen in seiner Wohnung. Es soll sehr lustig gewesen sein. Sie sangen zur Gitarre. Herr Just führte Schmalfilme vor, die er auf seinen Reisen hergestellt hatte. Meine Tochter sagt, es sind interessante Filme aus der Sowjetunion, aus Polen und auch aus Kuba. Am frühen Abend war Mark Hübner wieder einigermaßen nüchtern, und sie fuhren nach Hause. Kollege Just sagte den Schülern, dass er mit Mark Hübner gesprochen habe und der alles sehr bereue. Der Lehrer schlug vor, die Angelegenheit damit bewenden zu lassen. Es ist klar, dass alle damit einverstanden waren. Unsere Tochter erzählte uns das ganz begeistert.
Meine Frau und ich haben uns lange darüber unterhalten. Wir meinen, der Kollege Just hat in diesem Fall nicht richtig gehandelt. Auf so ein Vergehen eines Schülers muss doch etwas erfolgen. Das kann doch nicht einfach im Sande verlaufen. Ich nehme an, dass Sie als Schulleiter vom Kollegen Just über die Sache nicht informiert wurden. Wir haben unserer Tochter nichts von unseren Besorgnissen gesagt, weil wir die Kinder nicht noch in weitere Schwierigkeiten bringen wollen. Verantwortlich ist doch hier der Lehrer. Ich denke an das, was noch folgen kann, wenn sich die Schüler so sicher fühlen vor einer Bestrafung oder dergleichen. Hat sich Kollege Just das genau überlegt? In welche Lage hat er sich gebracht? Ich kenne das aus meiner Arbeit. Klare Verhältnisse sind immer entscheidend für das Leben in einer Arbeitsgruppe. Ist das nicht der Fall, herrschen bald die unmöglichsten Zustände. Ich bitte Sie, Kollege Direktor, die Sachlage zu prüfen. Die Schüler sollten nicht mehr mit der Geschichte belastet werden, da der Vorfall schon eine Weile zurückliegt. Sie werden ja auch mit Kollegen Just die Angelegenheit kameradschaftlich klären.
Hochachtungsvoll Robert Volkmann
Ich gab Strebelow den Brief zurück.
„Das war also vor vierzehn Tagen“, sagte ich.
„Genau vor vierzehn Tagen“, sagte Strebelow mit Nachdruck, „weißt du etwas davon?“
„Wie kommst du darauf?“
„Es könnte doch sein.“
„Ich weiß nichts von der Sache.“
Strebelow faltete das Schriftstück zusammen. „Was hat sich der Kollege Just dabei gedacht? So einen Fall hat es in meiner langen Praxis noch nicht gegeben.“
„Was soll nun geschehen?“
„Ich werde für morgen nach Unterrichtsschluss den Pädagogischen Rat einberufen“, sagte Strebelow.
„Muss das sein? In fünf Tagen haben wir sowieso die normale Ratszusammenkunft.“
„Der Rat wird morgen zusammentreten“, sagte Strebelow entschieden.
„Du hebst die Sache damit ziemlich hoch“, sagte ich.
Er beugte sich vor, nahm seine Brille ab. „Das hier ist eine Eingabe. Aber auch ohne diesen Vermerk hätte ich die Sache mit Entschiedenheit behandelt. Du sagst, sie wird hochgehoben. Der Mann wird nicht hochgehoben. Der Mann wird auf die Erde zurückgeholt. Das ist dringend notwendig.“
„Wäre es nicht sinnvoller, zunächst einmal genau zu prüfen, bevor du solche Entschiedenheit an den Tag legst?“
„Du hast doch den Brief hier genau gelesen. Reicht dir das nicht?“
„Volkmann bittet um kameradschaftliche Klärung einer Sache, die ihn beunruhigt. Willst du nur daraufhin dein Urteil festlegen?“
Strebelow stand auf, legte den Brief in einen Aktenordner und verschloss den in seinem Panzerschrank.

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