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Kinder des Narziss


Kinder des Narziss

Roman
1. Auflage

von: Volker Ebersbach

9,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 02.03.2022
ISBN/EAN: 9783965216266
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 492

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Drei Jahreszahlen spielen in diesem bemerkenswerten Buch eine wichtige Rolle: 1942, 1949 und 1961. Wie lange kann eine Freundschaft zwischen zwei Jungen halten? Als Siegfried Stufenhauer und Wolfgang Siebensohn, beide Jahrgang 1942 zur Welt und 7 Jahre später, als sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR gegründet werden, zur Schule gekommen, glauben sie, dass ihre Freundschaft ein Leben lang dauern wird. Aber dann kommt der 13. August 1961, die Mauerzeit beginnt, und einige Zeit später passiert ein Unglück. War es ein Unfall, war es Absicht?
Der TRABANT knattert durch einen Wald, hüpft über Schlaglöcher. Oktobersonne blendet scheinwerfergrell aus mancher Schneise.
Hier waren wir noch nie, wundert sich Wolfgang.
Ich kenne, sagt sie hastig, da, wo jetzt Sperrzone ist, jeden Weg und Steg. Als ich Kind war, konnte noch jeder hin. Ich habe dir zu Pfingsten eine Stelle gezeigt, von der Kurve zur Burg Kranichstein aus, du erinnerst dich?
Ich wusste gar nicht, dass du mit solchen Gedanken spielst.
Ich spiele nicht! Es gibt da eine Brücke.
Die ist vermint.
Mein Vater meint, die nicht. Wir sollten nachsehen.
Ich will nicht mehr. Es war eine Schnapsidee.
Ach! Diese Frau will dich nicht mehr, nicht wahr?
Ich, ich will es nicht! Er brüllt es fast. Sie hat die Katze aus dem Sack gelassen: Es kostet eine Stange Geld. Man muss das abzahlen wie einen Kredit. Ich bin kein Sklave, der sich freikauft oder freikaufen lässt. Ja, ich sah das lockerer in Budapest. Da schien alles leicht, da gab es kein Problem, vor dem ich kapituliert hätte. Der Mief hier, die Unentschlossenheit, deine Eifersucht, das ist alles so lähmend. Die DDR ist irgendwie klebrig. Ist man draußen, wird alles leicht. Drin traut man sich einfach nichts mehr.
Du, aber ich trau mich jetzt, ich will jetzt auch raus!
Einfach über die Grenze? Du musst verrückt sein. Warum nicht gleich zum Mond, zum Mars, in eine andere Galaxis.
Bloß nachschauen, ob die Brücke noch da ist.
Es wird eine Fahrt ohne Wiederkehr. Von den beiden Freunden, die sich in dieselbe Frau verliebt hatten, bleibt nur einer am Leben. Wolfgang und Ulrike sterben beim Passieren der Zonengrenze, auf der ein großes HALT-Schild vor dem Weiterfahren warnt.
Viel, viel später, VOR DEN TRÜMMERN seines Lebens wird Siegfried Stufenhauer sich fragen, was seine Freundschaft mit Wolfgang Siebensohn zusammenhielt trotz der Belastungen, Krisen, Zerwürfnisse, von denen jedes eine Freundschaft hätte beenden können. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
VORGESCHICHTE
I. Buch: Narzissen in Meißner Porzellan
1. Kapitel GESPENSTER
2. Kapitel RUINEN
3. Kapitel Der Hakelmann
4. Kapitel Mutter in Stiefeln
5. Kapitel SCHNACKI
6. Kapitel Freunde fürs Leben
7. Kapitel ZEITKINO
8. Kapitel STERNGUCKER
9. Kapitel GEHEIMNISSE
10. Kapitel SCHWINDEL
11. Kapitel Erste Liebesgrüße
12. Kapitel Gipfel mit Helden
13. Kapitel HAUSMUSIK
14. Kapitel Ein Frühlingstraum
15. Kapitel Eine Beurteilung
16. Kapitel Anziehende Erscheinungen
17. Kapitel SCHULFEEZ
18. Kapitel GLIMPFLICH?
19. Kapitel Kurvendiskussionen
20. Kapitel Sphärenklänge
21. Kapitel Sommer im April
22. Kapitel Gipfel im Nebel
23. Kapitel Mulus
24. Kapitel Epilog im August
II. Buch: SCHERBEN
1. Kapitel VEREHRER
2. Kapitel KRISEN
3. Kapitel SPIEGELFECHTEN
4. Kapitel KRAMEN
5. Kapitel TEESTUNDE
6. Kapitel KETTEN
7. Kapitel WARTEN
8. Kapitel Mondfinsternis
9. Kapitel Spiegelschrift
10. Kapitel UNGEZIEFER
11. Kapitel SPHÄRENREISE
12. Kapitel ZWEI HERREN
13. Kapitel GRENZFÄLLE
14. Kapitel Krebsverdacht
15. Kapitel Ein Traumberuf
16. Kapitel Sand in den Adern
17. Kapitel Abbruchviertel
18. Kapitel Der Stänker
19. Kapitel Die weiße Katze
20. Kapitel KINDERTAG
21. Kapitel STADTSOMMER
22. Kapitel Himmelwürmchen
23. Kapitel DANIEL
24. Kapitel WENDEMANÖVER
Volker Ebersbach ist am 6. September 1942 in Bernburg/Saale geboren und dort aufgewachsen. Nach Abitur und Schlosserlehre studierte er von 1961 bis 1966 Klassische Philologie und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1967 promovierte er über den römischen Satiriker Titus Petronius. Danach lehrte er Deutsch als Fremdsprache ab 1967 in Leipzig, 1968 in Bagdad, 1971 bis 1974 an der Universität Budapest, wo er auch mit seiner Familie lebte.
Seit 1976 ist er freier Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. Er schreibt Erzählungen und Romane, Kurzprosa, Gedichte, Essays, Kinderbücher, Biografien und Anekdoten. Er übersetzte aus dem Lateinischen ausgewählte Werke von Catull, Vergil, Ovid, Petronius, das Waltharilied, Janus Pannonius und Jan Kochanowski. Einzelne Werke wurden ins Slowenische und Koreanische übersetzt.
Von 1997 bis 2002 war er Stadtschreiber in Bernburg. Danach lehrte er bis 2004 an der Universität Leipzig.
Lion-Feuchtwanger-Preis, 1985
Stipendiat des Künstlerhauses Wiepersdorf und des Stuttgarter Schriftstellerhauses, 1993
VOR DEN TRÜMMERN seines Lebens wird Siegfried Stufenhauer sich fragen, was seine Freundschaft mit Wolfgang Siebensohn zusammenhielt trotz der Belastungen, Krisen, Zerwürfnisse, von denen jedes eine Freundschaft hätte beenden können.
Sie sind, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen, noch Kinder. Man grollt, aus Spaß wird Ernst, man schlägt sich und verträgt sich, bindet einander Bären auf. Mal ist die Schuld des einen, mal die des anderen schwerer. Warum, fragt sich Sigi als Endvierziger, durch Umwälzungen gehalten, sich dieser Freundschaft zu entsinnen, warum fühlte ich mich so verantwortlich für ihn? Was trieb mich, ihn immer wieder vorm Abrutschen zu bewahren? Hätte ich ihn sich selber überlassen, wäre alles im Sand verlaufen, ohne den schroffen Bruch, der dann noch ein politisches Gesicht bekam.
Wenn Sigi vom Schulhof den Fahrradschuppen sah, hörte er Wölfchen neuerdings Reden führen, die ihm buchstäblich spanisch vorkamen. Immer stand Dietmar Scholz bei ihm, der Neue, der vom Rummel, der nur so lange bleiben sollte, wie seine Eltern auf der Töpferwiese ein Looping und ein Karussell betrieben, der den Fahrradschuppen als Raucherversteck benutzte, manchmal auch Heribert Stöpel, der mit seinem Vater querlag wie Sigi mit Stadtrat Horn. Sigi kam widerwillig. Er fühlte sich ausgegrenzt. Lustlos nahm er die Zigarette, die Scholz anbot, und er war froh, als Wölfchen nach einem Probezug hustend und spuckend zugab, dass es ihm nicht schmeckte. Stöpel qualmte verbissen mit, zeigte sich Scholz gefällig, wo er konnte, und hing, wenn Wolfgang Spanisch sprach, an seinen Lippen. Warum, sagte sich Sigi, sollen die neuen Freunde meines Freundes nicht meine Freunde sein? So stahl er sich in jeder Pause, auch wenn ihn niemand einlud, zu dem Trio und blieb, obgleich ihn Scholz wie einen ungebetenen Gast empfing. Er hörte Wojank über Hernán Cortéz reden, den Eroberer von Mexiko, über Azteken und andere Indianer, den Bauernführer Zapata mit dem riesigen Sombrero. Wolfgang schilderte die Palmen, Kakteen und Agaven, die schneebedeckten Vulkane Popocatepetl und Citlaltepetl, die amüsanten Namen lehrerhaft wiederholend, schüttelte eine echte Maraca-Klapper und flocht fortwährend Spanisches ein, bis man sich zu der Frage eingeladen fühlte, ob er schon selber in Mexiko gewesen sei.
Längst tippte Sigi auf einen neuen Fimmel. Aber er fand es sonderbar, eigentlich kränkend, dass er nicht wie früher ins Vertrauen gezogen wurde. Dann hätte er aufgepasst, dass dieses Himmelwürmchen nicht übertrieb und sich lächerlich machte. Jetzt aber war es kaum mit anzusehen, wie er prahlte und gockelte vor dem Prahlhans Scholz und dem dümmlich, gläubig, kriecherisch glotzenden Stöpel.
Der stellt denn auch die Frage.
Wölfchen schaut, bevor er Antwort gibt, einen Herzschlag lang Sigi an, und hinter der Brille irrlichtert ein Glanz, den Mutter sicher meint, wenn sie von Lügensternchen in den Augen spricht. Noch eine Weile windet sich der Gefragte, als hätte er den Freund nicht gern als Ohrenzeugen. Dann kommt es mit belegter Stimme: Wenn du‘s genau wissen willst – ja! Wolfgang sieht dabei Sigi länger an als Scholz und Stöpel. In seinem Blick liegt auftrumpfender Trotz. Sigi versteht: Du warst ja auch nicht zimperlich mit deiner Folterkammer!
Sigi hofft ihn von einem Irrweg wegzurufen, fragt: Wann soll denn das gewesen sein? Wir kennen uns seit Schulanfang. Und außerdem kriegt man dahin gar keinen Pass.
Das Grinsen, mit dem Wölfchen dazu schweigt, ist nicht verlegen, eher entschlossen, noch weiter zu gehen, lieber noch eins draufzusetzen, um nicht als Spinner dazustehen.
Ich darf darüber gar nicht sprechen, sagt er feierlich. Aber ihr zwingt mich ja dazu.
Scholz drängt: Uns kannst du es schon sagen. Wir sind doch Freunde. Denkst du, wir halten nicht die Klappe?
Wir versprechen dir, alles bleibt unter uns, bekräftigt Stöpel.
Ich stamme von da.
Der Schwindel geht ihm leicht über die Zunge.
Ich bin in Mexiko geboren!
Und nun wendet er sich ohne eine Spur Unsicherheit an Sigi: Das sind nämlich gar nicht meine Eltern! Ich bin bei denen bloß in Pflege, weil meine Eltern wollten, dass ich als Deutscher aufwachse.
Stöpel bleibt der Mund offen. Scholz bestaunt das Wundertier. Sigi verfolgt entsetzt, wie die sich die Taschen vollhauen lassen. Ein bisschen Anerkennung kann der Eulenspiegel dem Münchhausen nicht versagen. Aber er hat schon Mitleid mit dem Schwindler. Wie kommt man aus so einer dreisten Lüge wieder raus? Wird dem nicht schwindlig von so viel Schwindelei? Gemeinsam haben sie von Reisen in die weite Welt geträumt. Wolfgang starrte dann wie manche Welfenburgerinnen wehmütig blöd in die Ferne oder ins Leere. Aber das jetzt, das ging zu weit.
Und was ist mit deinen richtigen Eltern?
Wölfchen schaut unsicher von einem zum andern.
Es gibt ja viele Deutsche in Lateinamerika, stammelt er. Die beiden deuten die Klemme, in der er sitzt, zugunsten ihres Glaubens, und Stöpel, Sohn eines Parteisekretärs, gibt ihm das Stichwort: Parteigeheimnis, was? Wenn du das für dich behältst, also, dafür haben wir Verständnis.
Der Schwindler nickt erlöst. Meine Eltern waren im Widerstand. Mehr darf ich euch wirklich nicht sagen. Ich weiß es gar nicht so genau. Lasst mich in Ruhe. Ich will nicht mehr darüber reden.

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