Details

Im Zwielicht der Freiheit


Im Zwielicht der Freiheit

Potsdam ist mehr als Sanssouci
1. Auflage

von: Sigrid Grabner

8,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 20.04.2022
ISBN/EAN: 9783965216587
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 324

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Am 29. Oktober 2022 wird die heute in Potsdam lebende Schriftstellerin Sigrid Grabner 80 Jahre alt. Rechnet man nach, dann kommt man logischerweise auf den Jahrgang 42 – so auch der Haupttitel des ersten Bandes der Autobiografie der Autorin, Indonesienkundlerin und Katholikin. Über ihr Leben hat Sigrid Grabner in einer zweibändigen Autobiografie Auskunft gegeben. Unter dem Titel „Jahrgang 42. Mein Leben zwischen den Zeiten“ hatte sie über ihre ersten 47 Lebensjahre geschrieben – vom 29. Oktober 2022 bis zum 10. November 1989, nachdem sich wenige Tage nach ihrem 47. Geburtstag alles geändert hatte:
Nach dem Erscheinen der Autobiografie „Jahrgang 42“, die mit den Ereignissen des Herbstes 1989 in der DDR endet, fragten mich Leser aus Ost und West, wie es denn nach dem Fall der Mauer weitergegangen sei, heißt es zu Beginn des Vorwortes zum zweiten Teil ihrer Autobiografie, der Sigrid Grabner den ebenso schönen wie nachdenklich stimmenden Titel „Im Zwielicht der Freiheit. Potsdam ist mehr als Sanssouci“ gegeben hat. Schließlich seien die ersten Jahre des vereinigten Deutschlands widersprüchlich, reich an Ereignissen und oft bis zum Zerreißen angespannt gewesen. Beim Mauerfall siebenundvierzig Jahre, hätte doch noch eine Reihe aktiver Jahre vor mir gelegen.
Inzwischen sind fast dreißig Jahre seit den turbulenten Monaten und Wochen des Herbstes 1989 vergangen. Viel Wasser ist seither ins Meer geflossen und auch mein Lebensfluss nähert sich der Mündung ins Meer der Ewigkeit. So habe ich mich entschlossen, Zeugnis über mein Leben im wiedervereinigten Deutschland abzulegen und sie gleichsam als Flaschenpost dem Strom der Zeit anzuvertrauen. Wer sie findet, dem erzählt sie etwas über Glück, Enttäuschungen, Versagen und Hoffnung, vor allem aber viel über sich selbst. Die Zeiten ändern sich, die Menschen nicht.

Teil 2 setzt noch einmal da ein, wo Teil 1 aufgehört hat, am 9. November 1989, als ein Wort alles veränderte – es lautete „sofort“. Dieses sofort bedeutete für viele Menschen der nun bald ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und auch für die Autorin eine heftige Zäsur:
Ich ging durch eine Stadt, in der ich seit vierundzwanzig Jahren lebte, und sah sie mit anderen Augen. Sie schien noch grauer und zerstörter als vor dem Mauerfall. Die Spuren der Einschüsse in den Mauerwänden aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, der fünfundvierzig Jahre zurücklag, die schadhaften Straßen, die desolaten Dächer …
Ein Angebot aus Wuppertal
Reise nach Südtirol und Rom
Wie Potsdam die Einheit feierte
Absage an Wuppertal
„Tausend Jahre Potsdam"
Venedig und Emmi BonhoeffersTod
Festbuch und künftige Stasibehörde
Firmung in Stockholm
Erfahrungen mit Verlagen
Beisetzung Friedrichs II. im Park von Sanssouci
Der normale Wahnsinn des Alltags
Irrungen und Wirrungen
Aufregungen um die Tausendjahrfeier
Ehrengast in der Villa Massimo
Absturz und arbeitslos
Maria
Potsdams Tausendjahrfeier 1993
Die Russen ziehen ab
Brandenburgisches Literaturbüro
Körber-Stipendium
Auf neuen Wegen
Abgesang
„Vergangenheitsbewältigung"
Begegnungen im Literaturbüro
Joachim Fest
Imre Kertész
Ruth Elias, Louis Begley, Stella Müller-Madej
Binjamin Wilkomirski
Israel
Wieder Schriftstellerin
Uta Maaß
Uta von Aretin
Wanda Poltawska
Reisen
Rom, immer wieder Rom
Auf den Spuren des Apostels Paulus in der Türkei
Fatima
Über Freundschaft
Herbert Fischer
Wilhelm Stintzing
Zurück zum Anfang
Merseburg
Böhmen
Was mich trägt
Am 29.10.1942 in Tetschen-Bodenbach geboren, ab 1947 in Merseburg. Nach dem Abitur in Halle und einjährigem Praktikum in der Landwirtschaft studierte sie von 1962-1967 an der Berliner Humboldtuniversität Kulturwissenschaft und Indonesienkunde, 1972 Promotion. Seit 1972 freischaffende Schriftstellerin.
Sie lebt in Potsdam, war mit dem Schriftsteller und KZ-Überlebenden Hasso Grabner verheiratet und hat zwei Kinder.
1992 Ehrengast der Villa Massimo
2000 Stipendiatin im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf
Die Russen ziehen ab
Wenige Tage nach der Podiumsdiskussion wurde im Haus der Offiziere, dem ehemaligen Konzerthaus, eine „Russische Woche“ eröffnet. In einigen Monaten sollten nach fast fünfzigjähriger Besatzung die russischen Streitkräfte aus der ehemaligen DDR abziehen. Der Oberbürgermeister hielt eine etwas ungeschickte Rede, wahrscheinlich der Unsicherheit geschuldet, ob der Abzug der Russen gefeiert oder bedauert werden sollte und ob ihnen zu danken sei oder ob man es lassen sollte.
Der bevorstehende Abzug der russischen Streitkräfte stieß in der Bevölkerung auf eine seltsame Gleichgültigkeit. Kaum jemand hatte nach den Schrecken und Zerstörungen des Krieges 1945 und danach die russischen Soldaten als Befreier empfunden. Die älteren Zeitgenossen erinnerten sich an Vergewaltigungen, Vertreibungen, Enteignungen, Verhaftungen, an die drückenden Reparationen. Die viel gepriesene Freundschaft zum sowjetischen Brudervolk fand nur auf dem Papier und in offiziellen Reden statt. Die Soldaten durften ihre Kasernen nicht verlassen, die Offiziere keine privaten Kontakte zu Deutschen pflegen.
Fünfzig Jahre sind im Leben eines Menschen eine lange Zeit. Die Toten hatten ihre Toten begraben, die Erinnerungen waren verblasst, die Wunden vernarbt. Man verspürte höchstens Mitleid mit den in den Kasernen eingesperrten Rotarmisten und Verachtung für die Offiziere, die sich mit deutschen Parteifunktionären hin und wieder zu Saufgelagen trafen. Nun kehrten sie, die Nachkommen der Sieger von einst, in ein armes heruntergewirtschaftetes Land zurück. Ihre Heimat war uns jahrzehntelang als „Vaterland der Werktätigen“, als leuchtendes Beispiel des Kommunismus gepriesen worden. In den Empfindungen der Ostdeutschen über den Abzug der Roten Armee mischten sich traurige Erinnerungen, Erleichterung und Mitleid mit dem ungewissen Schicksal der russischen Soldaten. Jubel gab es keinen, nur offizielle Abschiedskomitees von politisch Verantwortlichen mit dem Austausch von Geschenken und sorgenvollen Gedanken über die Hinterlassenschaften auf den riesigen Übungsgeländen der Roten Armee.
Davon sprach der Oberbürgermeister nicht. Geübt im alten und neuen Politsprech, sagte er mit vielen Worten – nichts.

Ein Jahr später, am 31. August 1994, zogen die letzten sowjetischen Einheiten aus Deutschland ab, offiziell verabschiedet von Bundeskanzler Kohl und dem russischen Präsidenten Jelzin. Am Abend sah ich mir eine Gesprächsrunde im ORB Fernsehen zu diesem denkwürdigen Ereignis an und notierte: „Teilnehmer waren Lew Kopelew, Wolfgang Leonhardt, ein Generalmajor von der Bundeswehr, ein russischer General, ein spanischer Journalist und ein Landrat aus der Prignitz. Nur der russische General, der Bundeswehrgeneral und Lew Kopelew zeigten in diesem beschämenden und verletzenden Gespräch Würde und Anstand. Der Spanier feierte die Russen und Stalin in einem Atemzug, sprach von den heutigen Deutschen als Siegern, die den Russen eins auswischen würden und von den russischen Kriegsverbrechen als Nebensächlichkeiten. Der Landrat schwärmte von seiner Kinderzeit mit den russischen Soldaten beim Schießen und am Lagerfeuer und dass das Dorf ohne die ‚spannende Gegenwart' der Russen undenkbar sei. Rudolf Leonhardt sprach von ‚wehmütiger Trauer', mit der ihn der Abzug der Russen erfülle, und verwechselte das mit seiner Trauer über ein vergangenes Leben, das von den Russen geprägt worden war.
Keiner sagte ganz einfach: Es ist gut, dass die Russen gehen, denn fünfzig Jahre Besatzung, in denen zuletzt die Enkel der Sieger die Enkel der Besiegten unterdrückten, ist anormal und für beide Seiten demoralisierend. Hier aber wurde man des Dankens dafür nicht müde. Erst der Abzug dieser Armee mit ihren schrecklichen Waffen macht doch eine Freundschaft zum russischen Volk möglich, einem Volk, das durch eine siebzig Jahre währende Diktatur schwer gelitten hat und schwer an ihren Folgen trägt. Die Hitlerarmee hauste drei Jahre zerstörerisch in der Sowjetunion, das stalinistische Regime fast siebzig Jahre, eroberte Anrainerstaaten wie die baltischen oder die mittelasiatischen und verleibte sie sich ein, überzog Länder von Afghanistan bis Osteuropa mit kriegerischen Angriffen.
In den baltischen Ländern, von wo gestern ebenfalls die letzten Militäreinheiten abzogen, vollzog sich das in Stille und ohne Dankesreden. Die Russen haben die Deutschen unter großen Blutopfern von der Nazidiktatur befreit, aber sie brachten nicht Freiheit und Demokratie, sondern ein totalitäres Regime, das neue Opfer forderte. Warum sagt das keiner? Die Enkel der Befreier und Eroberer sind in Würde und finanziell ausgestattet abgezogen. Aber wofür sollten wir ihnen danken? Es reicht, ihnen alles Gute zu wünschen.
Mich ekelte zeitweise bei diesem TV-Gespräch, triefend von intellektueller Larmoyanz. Nur die anwesenden Generäle benahmen sich normal.“

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