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Heimkehr in ein fremdes Land


Heimkehr in ein fremdes Land


1. Auflage

von: Günter Görlich

9,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 28.06.2022
ISBN/EAN: 9783965217218
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 805

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Dieser dicke, mehr als 400 Seiten starke Roman hat einen programmatischen Titel, der unbestritten auch mit den ganz eigenen biografischen Erfahrungen des Autors zu tun hat, der selbst im Mai 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war, zu Arbeitseinsätzen im nördlichen Ural eingesetzt, im Oktober 1949 nach Ost-Berlin entlassen wurde – dem Gründungsmonat der DDR, deren Entwicklung er von Anfang an miterlebt und auch mitgestaltet hat.
Sein dickes Buch beginnt allerdings noch in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft, wo, Martin Stein, geboren fünfzehnter März neunzehnhundertachtundzwanzig, Feldarbeiten zu verrichten hat. Es ist 1947, Anfang Dezember. Martin arbeitet im Kartoffelbunker. Und er fürchtet sich vor dem kommenden, harten Winter im Ural. Zu Weihnachten kommt er in den Schacht, wo die „Woijna plenni“ im Hauptschacht Nr. 1 im Kombinat „Stalinkohle“ eingesetzt sind, um Steinkohle zu fördern.
Auf der Förderbühne herrscht ein Gedränge wie vor der Kantine. Martin wird in den Förderkorb hineingedrückt, gegen ein Gitter gepresst, kommt sich vor wie ein Hammel, der zur Schlachtbank gebracht wird. Als es in die Tiefe geht, versucht er in den Knien zu federn, vergisst das aber, weil der Ohrendruck so stark wird, dass er Angst bekommt.
Im Kriegsgefangenenlager lernt er auf zunächst unsympathische Weise auch den früheren deutschen Unteroffizier Morenz kennen, einen waschechten Berliner, der sich auf die andere Seite geschlagen hat und ihn zum ersten Mal mit sowjetischer Literatur bekanntmacht, der eher als Martin nach Hause, nach Berlin entlassen wird, und der in seinem Leben noch eine große Rolle spielen wird – auch wenn sich Heimkehrer Martin nicht immer so verhält, wie es sein älterer Freund von ihm erwartet.
Martin hat noch manches zu verkraften in seinem neuen Leben im „fremden Land“, darunter den neuen Mann an der Seite seiner Mutter, die Bekanntschaften und ersten sexuelle Erfahrungen mit jungen Frauen wie der Kellnerin Erna und mit Margot, die er erst zufällig trifft, wieder verliert und zu seinem Glück wiedertrifft. Und alles scheint gut zu werden in dieser schwierigen Zeit in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Doch dann trifft Martin eine Entscheidung, die Margot nicht gefällt, und sein Freund und Förderer Morenz kommt in überraschende Schwierigkeiten – nicht zuletzt mit seinen eigenen Genossen, die ihn für einen Verräter halten (müssen).
Geboren am 6. Januar 1928 in Breslau, gestorben am 14. Juli 2010 in Berlin.
Ab 1944 Flakhelfer, sowjetische Kriegsgefangenschaft bis Oktober 1949. Bauarbeiter, Volkspolizist.
Nach dem Pädagogikstudium war er Erzieher in einem Jugendwerkhof und in einem Lehrlingswohnheim.
1958 erhielt er für sein erstes Jugendbuch „Der Schwarze Peter“ den Jugendbuchpreis des Ministeriums für Kultur.
Weitere Auszeichnungen:
Kunstpreis des FDGB 1966, 1973
Nationalpreis 2. Klasse 1971
Held der Arbeit 1974
Nationalpreis 1. Klasse 1978
Joh.-R.-Becher-Medaille in Gold 1979
Vaterländischer Verdienstorden in Gold 1979
Ehrenspange zum VVO in Gold 1988
Goethepreis der Stadt Berlin 1983
Aus traumlosem Schlaf aufschrecken, sofort hellwach sein, das kann Martin, das hat er sich in Jahren angewöhnt. Graues Licht im Zimmer, Kleidungsstücke liegen verstreut auf den Stühlen, auf dem Tisch.
Warum aber so plötzlich hellwach?
Starkes Klopfen an der Tür. Margot liegt auf der Seite, schläft fest, drückt ihr Gesicht ins Kissen. Erneut das starke Klopfen.
„Ja. Was denn?“, ruft Martin.
„Mach auf.“
Hinter der Tür dumpf die Stimme von Werner Morenz.
„Ist doch auf.“
Morenz tritt ins Zimmer. Die zerdrückte, nasse Mütze tief in die Stirn gezogen, der Mantel fleckig von Straßenschmutz, erdfarbene Spritzer an den Stiefeln.
Martin setzt sich auf und starrt Morenz an. Auch Margot ist nun wach, ist genauso hellwach wie Martin.
Draußen Schritte, Stimmen, gedämpfte Kommandos, Anweisungen.
Morenz schließt behutsam die Tür, nimmt die Mütze ab und setzt sich auf einen Stuhl. Grau und müde ist sein Gesicht. Er blickt Martin an, dann Margot, als müsse er sich besinnen, warum er hier ist. Er dreht die Mütze in den Händen, poliert mit dem Ärmel das Mützenschild, was nicht viel nutzt, es ist beschlagen, blind, schon brüchig.
Er sagt: „Hüttenrauch ist tot. Sie haben ihn erstochen. Umgebracht.“
Eine Mitteilung. Wie lange braucht man, um zu begreifen: Das ist kein quälender Traum. Margot versteht eher, sie schlägt die Hände vors Gesicht.
Da muss auch Martin einsehen, dass an dieser Mitteilung alles wirklich ist, so wirklich wie der Freund dort am Tisch, der jetzt aufsteht und sagt: „Zieht euch an und kommt rüber.“
Und er lässt die beiden allein.
Wenig später gehen sie ins Zimmer nebenan. Margot klammert sich an Martins Arm. Martin hat für einen Augenblick die unsinnige Vorstellung, dass Arthur im Zimmer liegen könnte, am Fußboden oder auf dem Bett. Erstochen.
Am Tisch sitzt Fries, aufrecht, leere Augen im starren Gesicht. Fischer lehnt am Ofen, und zwei Leute in Zivil blättern in Büchern, haben Schubladen geöffnet. Werner Morenz hat Kartons vom Schrank geholt und stellt sie behutsam, als enthielten sie sehr Kostbares, auf den Tisch.
Fischer zeigt auf das Sofa, dorthin sollen sie sich setzen. Er erklärt ihnen den Tatbestand, er dämpft seine Stimme, um seine Erregung zu zügeln, um sich vom Zorn nicht überwältigen zu lassen. Heute Morgen hat eine Streife Arthur Hüttenrauch gefunden, am Kanal, an der gesperrten Brücke, im Weidengebüsch.
Der Hund des Streifenpostens hatte Witterung aufgenommen, sonst hätte man den Toten noch nicht entdeckt. Er hockte in einer Vertiefung, kauerte dort, als wäre er eingeschlafen und nach vorn gefallen. Spuren eines Kampfes waren nicht feststellbar, Spuren überhaupt hat man bisher noch nicht sichern können. Es sieht aus, als habe man Hüttenrauch von hinten erstochen, als sei er überrascht worden. Der tödliche Stich ist mit einem Dolch ausgeführt worden.
Soweit der Tatbestand. Dann Fragen an Margot und Martin.
Waren Anzeichen zu bemerken, dass Hüttenrauch irgendwelchen Leuten nachstellte? Gab es hier in der Wohnung Besuch, der ihnen nicht bekannt war, der ihnen in irgendeiner Form auffällig in Erinnerung geblieben ist? Hat Hüttenrauch irgendetwas geäußert, das auf Bedrohung oder ähnliches schließen lässt. Sachliche, nüchterne Fragen. Gefühle stehen jetzt nicht im Vordergrund.
Dieser Ton bringt die beiden zur Besinnung.
Nichts sei aufgefallen, sagt Martin, nur Arthur sei viel spazieren gegangen; solange er hier wohne, habe Arthur weite Streifzüge unternommen. Das sei für seine Gesundheit notwendig gewesen, und dann habe er doch über alles Bescheid wissen wollen, was in seinem Ort geschah.
Fries wirft ein: „Bis nach zwölf haben wir hier gesessen. Ein schönes Silvester. Arthur hatte Punsch gebraut. Ich war dann müde. Er wollte noch eine kleine Biege machen, wie er sagte. Ich habe ja in den paar Tagen gestaunt, wie oft Arthur unterwegs war. Ich bin dann eingeschlafen. Seine Stimme war ruhig, als er sich von mir verabschiedete. Ich versteh mich auf Stimmen. Da war keine Unruhe zu spüren, gar nichts. Was haben wir gelacht an diesem Abend. Im Radio erzählten sie hübsche Witze. Hüttenrauch hat genauso oft gelacht wie ich, noch lauter als ich. Er war aufgekratzt, lustig. Da ist keine Verstellung möglich, das weiß ich. Vor mir kann niemand seine Stimme verstellen.“
„Aber Sie hatten Punsch getrunken und waren müde“, sagt Fischer, „Sie haben gelacht, und es war, wie Sie sagten, ein schöner Silvesterabend. Ist es nicht möglich, dass Ihre Aufmerksamkeit ein wenig nachgelassen hat? War wirklich nicht mehr, als Hüttenrauch sagte, er wolle eine Biege machen?“
Der Blinde denkt nach, er richtet das Gesicht nicht zum Sprechenden, er braucht das nicht.
„Nein, nein, da war nicht mehr. Ich spüre so etwas bestimmt.“
Und sagt auf einmal laut: „Wer hat ihn bloß umgebracht?“
Wer soll die Frage beantworten? Bis jetzt weiß niemand etwas über den Mörder. Oder die Mörder. Schweigen also. Nur das Rascheln der Papiere, das unterdrückte Schluchzen Margots.
Martin fällt ein, dass Arthur vor wenigen Wochen Papiere verbrannt hat, und das sagt er Fischer.
„Was waren das für Papiere?“

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