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Harte Jahre


Harte Jahre

Roman
1. Auflage

von: Jürgen Ritschel

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 29.08.2012
ISBN/EAN: 9783863947859
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 389

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Habent sua fata libelli - Bücher haben ihre Schicksale – so lautet ein berühmtes lateinisches Sprichwort: Im Leben eines Buches oder eines künftigen Buches kann viel passieren. Genau das ist diesem Roman passiert – er wurde gleich zweimal aus dem Verkehr gezogen: Zunächst wurde er aus dem Mitteldeutschen Verlag in Halle an den DDR-Militärverlag in Berlin weitergereicht. Und wieder war dieser Roman weg vom Fenster. So langsam sinkt die Zahl derjenigen, die sich noch an ihre Zeit bei der Fahne und an die dort herrschenden Bedingungen erinnern können. Und damit sind wir bei einem Hauptthema dieses aufmüpfigen Buches – beim Widerspruch von Sein und Schein, wie er in der DDR nicht länger zu verbergen war – auch in der Armee des Volkes nicht. Das muss auch Werner Rosenkranz erfahren, der sich gleich nach dem Abitur als Soldat meldet und Funktechniker einer Fliegerabwehr-Raketeneinheit wird:
Rosenkranz hatte sich beim Geländelauf einen Knöchel verstaucht und hinkte. Darum hinkte er auch beim Laufschritt vom Kompaniegebäude zum Essensaal, und er hinkte beim Laufschritt vom Essensaal zum Kompaniegebäude. Die Offiziersschüler standen an jeder Biegung, jeder Ecke, jedem Flur, jedem Treppenabsatz und heizten die frischen Kanoniere an. „Laufen Sie! Laufen Sie!“
Von überall her drangen diese Rufe. Ein Kanon der Hatz. Und Rosenkranz hinkte an einem der Antreibenden vorbei.
„Laufen Sie! Sie sollen laufen!“
„Kann nicht. Bein verstaucht.“ Rosenkranz hatte es schnoddrig gesagt, provokant, wütend, weil er auf Strenge und auf gesunden Leistungsdruck eingestellt war, nicht aber auf Vorgesetzte, die ihn mit Genuss nach ihrer Laune tanzen ließen und die sich beim Antreiben gegenseitig zu übertrumpfen suchten. Er hinkte absichtlich stärker und lief langsamer. Das war er seinen Schmerzen schuldig und seinem Stolz. Der Offiziersschüler rannte ihm nach, baute sich vor ihm auf. Sehr dicht. Seine Stimme nahm eine hohe Tonlage an. „Was bilden Sie sich ein, wer Sie sind? Ich hatte befohlen: Laufen Sie! Name und Gruppe. Sie melden sich im Gruppenführerzimmer!“
Rosenkranz nannte Namen und Gruppe, aber er versprach sich vor Erregung. Er wusste, etwas Unangenehmes würde folgen. Warum? Er wurde zum Essen gehetzt; er wurde nach dem Essen gehetzt. Früh, mittags, abends. Man trieb ihn an. Warum? Man ignorierte seinen Schmerz im Knöchel. Warum? War das nicht der Auftakt, ihm seine Würde auszutreiben, seinen Charakter zu brechen? Stimmte solche Art mit dem vorgegebenen Geist dieser Armee überein?
Jürgen Ritschel
Geboren 1943 in Roßlau/Elbe. Erweiterte Oberschule in Roßlau. Abitur. Armeezeit als Soldat.
Studium an der TU Dresden, Fachrichtung Feinwerktechnik-Regelungstechnik. Arbeit in mehreren Betrieben als Konstrukteur und Wissenschaftlicher Mitarbeiter, längste Zeit im Zentrum Forschung und Technik Robotron Dresden.
Erste Schreibversuche während des Studiums. Sechs Jahre neben dem Beruf Autor in einem Berliner Arbeitkreis Dramatik, der betreut wurde von Dramaturgen und Regisseuren aus Theatern, Rundfunk und Film. Teilnahme des Arbeitskreises an Poetenseminaren in Schwerin. Der Arbeitskreis war eine wichtige Etappe auf dem Weg zum Schriftsteller.
Seit 1978 freiberuflicher Schriftsteller. Leiter des Zirkels schreibender Arbeiter im Stahl- und Walzwerk Riesa. 1982 Umzug von Dresden in die Sächsische Schweiz. Mitglied im Schriftstellerverband der DDR.
Nach der Wende Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller (VS) der BRD und im Förderverein für Literatur e.V. in Dresden. Sozialhilfe, Übernahme in die Arbeitlosigkeit.
Ab 1994 freiberufliche Tätigkeit als Textbüro und Schriftsteller. 1999 Austritt aus VS und Förderverein. Durchführung von Literaturwerkstätten in Kleingießhübel.
1995 Leiter der Literaturwerkstatt des Kulturraumes Elbtal mit den Stadtbibliotheken Riesa und Meißen und der Karl-Preusker-Bibliothek Großenhain. Gefördert vom Kulturkonvent dieses Kulturraumes. Nach Erweiterung des Kulturraumes: Literaturwerkstatt des Kulturraumes Meißen-Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Ausübung bis heute. Entwicklung neuer Autoren bis zur Veröffentlichungsreife.
Verlagsgründung 2003. Seit 2005 Leiter der Schreibwerkstatt des Nationalparkzentrums Bad Schandau. Gründer und Schirmherr der Autorengruppe Elbtal, die sich in der Gründungsphase befindet.
Bibliografie
Barackencarlos. Roman, Mitteldeutscher Verlag, Halle – Leipzig 1981
Hoffnungen. Erzählungen, Militärverlag der DDR, Berlin 1987
Harte Jahre. Roman, Brandenburgisches Verlagshaus 1990
Klara Leopoldina Morgengold. Kurze Erzählungen, Verlag Jürgen Ritschel, 2004
Anne hat heut Nacht geträumt... Kinderbuch, Verlag Jürgen Ritschel, 2006
Ein Wort der Kunst. Essays, Verlag Jürgen Ritschel, 2008
Leben in Elbgebieten. Anthologie (Kunst, Natur, Gesellschaft), Verlag Jürgen Ritschel, Heft 1 im Jahr 2003, Heft 2 im Jahr 2004
Eine Woche später zählte der Hauptfeldwebel beim Morgenappell von links nach rechts ab und teilte die Revierdienste ein. Rosenkranz und Brauer erwischten die Toiletten. Ganz zufällig. Wie zufällig, erwies sich bald. Drei der sechs Zylinder waren hoffnungslos verstopft.
Brauer prallte zurück, als die üble Brühe nach dem Ziehen stieg, und er unterdrückte heftigen Brechreiz. Er war ohnehin von zartem Wesen mit heller Knabenstimme, blasser Haut, feinstem rötlichblondem Haar, hellblauen Augen, kleinen Fettpölsterchen hier und da. Er sprach ein gepflegtes Hochdeutsch, Hannoveraner Deutsch, wie er immer versicherte. Er war der friedfertigste, netteste Mensch, der eher ein liebevolles Mädchen hätte sein können als ein Mann im Waffenrock. Irgendwer hatte ihn Lola genannt nach einem alten Armeewitz. Und wie er dort stand, vom Gestank gelähmt, und wie er seinen aufbegehrenden Körper zu bändigen suchte, tat er Rosenkranz leid.
"Komm raus, Lola, ich versuche mich mal." Er stand gleichermaßen hilflos vor dem ersten Becken und schluckte den Ekel weg. Ekel und aufkommende Wut überlagerten sich. Es existierte kein Revierdienstplan. Eine bewusste Unterlassung, um willkürlich diesen oder jenen für bestimmte Arbeiten einteilen zu können. Rosenkranz' Eichstrich war erreicht. "Sauerei, elende!" Dieser Aufschrei, der durch die Flure des Gebäudes schallte und wegen seiner doppelten Deutbarkeit aufmüpfig war, beorderte den Hauptwachtmeister zu den Toiletten. Er schob seine Mütze nach hinten und sah eine Weile amüsiert zu, wie der Abiturient hilflos in der Kacke rührte. "Kommen Sie an die frische Luft, Mann!" Er ging in den Raum, öffnete seelenruhig zwei Fenster. "Hier stinkt's wie im Affenhaus, aber an das einfachste denken Sie nicht."
Rosenkranz duckte sich. Dieser Hieb saß.
"Ich habe etwas gegen Muttersöhnchen, die kotzen, wenn sie ein Klo reinigen müssen." Der Hauptwachtmeister zog seine Uniformjacke aus, streifte beide Hemdsärmel über die Muskeln, rückte Eimer und Wasserschlauch zurecht. Er stellte sich stolz vor das erste Becken: Unterhemd, drüber die derben Hosenträger, die Mütze auf dem Hinterkopf. Ein verächtlicher Blick zu Rosenkranz, dann tauchte er einen Arm bis zum Ellenbogen in die frische Jauche, griff und grapschte und rührte und brachte endlich ein Knäuel Zeitungspapier hervor. Gelassen warf er es in den Eimer und spülte sich den Arm ab. Während er die Uniformjacke überzog, sagte er: "In einer Viertelstunde melden Sie Vollzuck!"
Zeit und Ton und die Hast, in der dieser Befehl ausgesprochen war, ließen Rosenkranz keine Wahl. Er zog seine Uniformjacke aus, streifte die Hemdsärmel hoch, wandte sein Gesicht zur Seite, atmete nicht und zog aus dem zweiten Becken ein Bündel Zeitungspapier. Er grinste Lola an. Den hob es wieder. Und nach Ablauf der Viertelstunde sagte er zu Lola: "Geh und melde Vollzuck!"
Jetzt lächelte auch Lola. Er hatte verstanden. Der Vollzug war ein Vollzuck beim Spieß. Und der schüchterne, blasse Jüngling stellte sich im schallenden Flur drei Meter vor den Hauptwachtmeister hin und rief: "Ich melde Vollzuck, Genosse Hauptwachtmeister!"
Einige lachten über die Parodie, und von diesem Augenblick an verging die Autorität des Oberfeldwebels, des Weibels, des Weibes, der Mutter der Kompanie.
Abends darauf, als die Soldaten stillstanden, abmarschbereit zum Abendessen, umhüllt vom Dunkel, und der Weibel ein letztes Räuspern und Knistern durch Warten und Schweigen merzen wollte, ertönte in den vorderen Reihen der Ruf eines Käuzchens. Der Hauptwachtmeister lief leise nach vorn. Da rief ein Käuzchen hinten. Die Soldaten kicherten. Er wartete, bis wieder Stille eingetreten war, und sagte kurz und schneidig und in einem Atemzug: "Ich habe schon Pferde kotzen sehen, direkt vor der Apotheke, im Gleichschritt marsch, ein Lied!"

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