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Frisör Kleinekorte


Frisör Kleinekorte


1. Auflage

von: C. U. Wiesner

6,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 18.10.2013
ISBN/EAN: 9783863944032
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 135

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

„Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“
Mit diesen Worten begrüßte der Frisörmeister Kowalczik gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden, ob das nun ein alter Zausel oder ein junger Spund wie ich damals war.
Ende der fünfziger Jahre wohnte ich im Bezirk Prenzlauer Berg in einer Untermieterbude am Arnswalder Platz. Gleich um die Ecke, in der Dimitroff-, heute Danziger Straße, lag des Altberliner Figaros armseliger, aber sauberer kleiner Laden, der mich mit seinen vielfältigen Utensilien an das Bühnenbild eines frühen Gerhart-Hauptmann-Dramas erinnerte. An der Tür hing ein handgeschriebenes Schild: Freitag und Sonnabend kann ich Kinder keine Haare schneiden. Den Frisierstühlen gegenüber prangte halblebensgroß eingerahmtes handkoloriertes Foto. Es zeigte den schnauzbärtigen Ladenbesitzer in der kleidsamen Infanteristenuniform des Ersten Weltkriegs, neben sich, wie einen Hund an der Kette, ein wassergekühltes Schweres Maschinengewehr auf Rädern, darunter ein Schild: Wir Herrenfrisöre kämpfen für den Frieden.
Solange Meister Kowalczik seinen Kunden bediente, vom Kittelumbinden bis zum Kragenabbürsten, redete er auf ihn ein. Monologe voller skurriler Lebensweisheiten und komischen Döntjes aus seinen langen Erdentagen. Die weitere Personnage bestand aus seiner Ehefrau, Muttern, die höchstens mal mit einem Töppken Kaffe in Erscheinung trat, aber in den Erzählungen ihres Mannes eine gewisse Rolle spielte.
Eigentlich wollten alle Kunden am liebsten nur vom Meister selber bedient werden. Kam man aber zu spät, so musste man mit seinem Jehülfen, Herrn Kafforke, vorlieb nehmen. Der hatte leider nur zwei Themen. Kopfschuppen und Urlaub. Bei letzterem verlief der Dialog etwa so:
„Wahns denn dies Jahr schon uff Urlaub?“ – „Ja.“ – „Wo wahnsen?“ – „In Bad Liebenstein.“- „Kenn ick.“
Den ersten Monolog in diesem Buch, Frisör Kleinekorte trauert verlorenen Werten nach, habe ich mir fast wörtlich aus dem Gedächtnis notiert.
Der echte Kleinekorte betrieb dereinst in meiner Heimatstadt Brandenburg einen Branntweinausschank. Auch der Name Kafforke ist nicht ganz erfunden. Kafurke hieß ein Gehilfe in dem für damalige Verhältnisse geradezu vornehmen Salon Wallik. Der lag genau gegenüber dem Eulenspiegel Verlag in der Berliner Kronenstraße. Und dort ließen sich sogar hohe Staatsfunktionäre die Haare schneiden, zum Beispiel der Präsident der Akademie für Landwirtschaftswissenschaften Prof. Dr. Stubbe.



Frisör Kleinekorte trauert verlorenen Werten nach
Frisör Kleinekorte äußert sich zu Fragen der
Weltraumschifffahrt
Frisör Kleinekorte wird es warm ums Herze
Frisör Kleinekorte wettert gegen die Klatschmäuler
Frisör Kleinekorte war in Pietzkau
Frisör Kleinekorte sieht das mit seinen Augen
Frisör Kleinekorte hört den Frühling rauschen
Frisör Kleinekorte als Theaterkritiker
Frisör Kleinekorte kann, wenn er will
Frisör Kleinekorte berichtet über ein Kunsterlebnis
Frisör Kleinekorte in Weimar
Frisör Kleinekorte badet in den Wellen der Kultur
Frisör Kleinekorte äußert Herbstgedanken
Frisör Kleinekorte besucht den Weihnachtsmarkt
Frisör Kleinekorte war wieder mal in Pietzkau
Frisör Kleinekorte als Kriminalexperte
Frisör Kleinekortes Schulweisheiten
Frisör Kleinekorte belichtet sich selber
Frisör Kleinekorte feiert Jubiläum
Frisör Kleinekorte auf der Wartburg
Frisör Kleinekorte und sein Enkel
Frisör Kleinekorte als Sportskanone
Frisör Kleinekorte als rüstiger Reiserentner
Frisör Kleinekorte hat Liebeskummer
Frisör Kleinekorte hält nichts von Politik
Frisör Kleinekorte hört die Glocken läuten
Frisör Kleinekorte bedient einen höheren Beamten
Frisör Kleinekorte vor dem Tor des Todes
C. U. Wiesner
Geboren im letzten Monat der Weimarer Republik, am Neujahrstag 1933, in der einstigen märkischen Hauptstadt Brandenburg, entwich nach dem Abitur den heimatlichen Stadtmauerzwängen, gelangte in eine etwas größere Hauptstadt, ohne zu ahnen, dass man dort schon zehn Jahre später aus väterlicher Sorge bemüht sein würde, ihm den Horizont mit erheblicherem Bauaufwand zu verstellen.
Eines Tages mochte er fürder nicht mehr in der eingefriedeten Hauptstadt leben und zog es vor, in die vertrauten märkischen Wälder zurückzukehren.
Dank prophetischer Gaben bestellte er den Möbelwagen von Berlin-Pankow nach Klosterfelde für den 9. November 1989.
Während des achtunddreißigjährigen Berlin-Aufenthalts:
Studien als Dolmetscher für Englisch; Germanistik und Filmszenaristik (diese im Gegensatz zu jenen hin und wieder angewandt).
Tätig als Lektor, Redakteur, Reporter, Theaterkritiker, Mitarbeiter der satirischen Zeitschrift Eulenspiegel, Entertainer in eigener Sache, Schauspieler (leider zu selten) und (vorwiegend) Schriftsteller.
Sein bekanntestes Geschöpf ist der Frisör Kleinekorte, den das Berlin-Brandenburgische Wörterbuch zu Recht an die Seite der Volksfiguren von Glaßbrenner und Tucholsky stellt.
C.U.W. schrieb u. a. Hörspiele, Kabarett-Texte, Fernsehfilme und Fernsehserien (u. a. Gespenstergeschichten wie Spuk unterm Riesenrad, Spuk im Hochhaus, Spuk aus der Gruft für Kinder von 8 bis 88 Jahren) sowie dreizehn Bücher, vom Kinderbuch über den Kriminalroman, die satirische Darstellung eigener Umwelt im weitesten Sinne bis zum bitteren erst um die Jahreswende 1989/90 nach einiger Verzögerung erschienenen Märchenroman für Erwachsene Die Geister von Thorland, Machs gut, Schneewittchen! und Lebwohl, Rapunzel! erzählen von den Kinder- und Jugendjahren in der Havelstadt Brandenburg.

Er kam zur Tür hereingeschlichen, grüßte verlegen und blickte scheu zu den Tischen, an denen die Einheimischen saßen. Dann fragte er höflich, ob er bei mir Platz nehmen dürfe. Ich hatte nichts dagegen. Der Mann steckte in einem sauberen, aber ungemein armseligen Nachkriegsanzug, wie ihn heute nicht einmal Empfänger der Mindestrente anziehen würden. Sein verängstigter Gesichtsausdruck, der gleichwohl nicht vom schlechten Gewissen eines Bösewichts geprägt schien, weckte mein Mitleid. Ich lud den Mann zu einem Bier und einem Korn ein, wobei ich nicht verhehlen will, dass mich eine gewisse berufliche Neugier trieb, sein offensichtlich trauriges Schicksal zu ergründen. Er sprach jedoch nur über das Wetter und über die unzureichende Straßenbeleuchtung von Trockenburg. Erst später, kurz vor der Polizeistunde - die letzten Einheimischen hatten singend das Lokal verlassen - rückte er mit seiner Geschichte heraus: »Sehnse, ich bin an sich 'n ganz normaler Mensch, verheiratet, zwei erwachsene Töchter, nette Schwiegersöhne ...«
»Ihr Familienleben ist also in Ordnung?«, warf ich ein. »Vermutlich Sorgen im Beruf?«
»Nein«, antwortete er, »ich bin Buchhalter und hab mir seit dreißig Jahren nie was zuschulden kommen lassen.«
»Na also«, erwiderte ich. »Quält Sie irgendein heimtückisches Leiden?«
»Ach wo«, sagte er treuherzig, »ich bin kerngesund. Aber das verdammte Zahlenlotto ... fünf, sechs Jahre lang habe ich jede Woche zwei Tippscheine abgegeben und nie was gewonnen.«
»Das müssen Sie sich nicht zu Herzen nehmen«, entgegnete ich. »Mir geht’s genauso.«
»Na, dann wissen Sie ja, wie das ist. Man hofft von Woche zu Woche, macht Pläne, man verspricht den Leuten das Blaue vom Himmel ...«
Ich nickte. »Und gewinnen tut man immer wieder nichts.«
»Doch«, flüsterte er, »vor drei Wochen hatte ich einen Fünfer. Einhundertsechsundachtzigtausendzweihundertfünfundvierzig Mark.«
Vor Ärger hätte ich fast mein Bierglas umgeworfen. Da hatte ich also von meinen paar Piepen diesen Krösus den ganzen Abend freigehalten. Ich fasste mich. »Nun sagen Sie bloß, Sie haben die Tasche mit dem vielen Zaster in der Eisenbahn stehen lassen oder gar Ihren Tippschein gar nicht abgegeben?«
Er grinste hilflos. »Von wegen! Ich bin ein korrekter Mensch. Das Geld habe ich noch bis auf den letzten Pfennig beisammen.«
»Ich versteh Sie nicht«, sagte ich ungehalten, »da könnten Sie leben wie Gott in Frankreich, sich ein Häuschen bauen, Maßanzüge tragen, ins Ausland reisen ...«
»Eben nicht«, unterbrach er mich. »Damals, als ich nicht an einen Hauptgewinn glaubte, hab ich meinen Kollegen eine gemeinsame Reise nach - ist ja auch egal -, meinem Freund eine Motorjacht, jedem Schwiegersohn einen neuen Wagen, meinen Töchtern einen Persianer ... und was ich den Leuten hier so abends in der Kneipe versprochen habe! Als ich dann heimlich das Geld abholte, dachte ich, die sollten mal wissen ...«
Ich begann ihn zu begreifen. »Und nun tut Ihnen das alles leid, und da mimen Sie in der Öffentlichkeit den armen Mann, und zu Hause machen Sie mit Ihrer Frau Lebeschön?«
Er schüttelte den Kopf. »Das geht auch nicht. Wenn meine Frau von dem Gewinn wüsste, wär es sofort in Trockenburg herum. Und deshalb sag ich mir jeden Tag: Nur nicht auffallen - dass bloß keiner dahinterkommt und mich beim Wort nehmen will. Was soll ich machen? Die Arbeit aufgeben? Da würden die Kollegen stutzig werden. Kauf ich mir Schnaps, fragt mich meine Frau, wo ich das Geld herhabe. Sagen Sie selbst, was blieb mir übrig, als die Tasche mit den Geldscheinbündeln an einem sicheren Ort zu vergraben?«
»Ja, aber«, fragte ich ihn, »was haben Sie denn nun von Ihrem Hauptgewinn?«
Er drehte sich eine Zigarette und lächelte versonnen. »Das schöne Gefühl, ein steinreicher Mann zu sein. Spendieren Sie mir noch ein Bier?«

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