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Eine Sommergeschichte


Eine Sommergeschichte


1. Auflage

von: Günter Görlich

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 28.06.2022
ISBN/EAN: 9783965217232
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 398

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Das erste Mal begegnen sich Robert und Anke an einem heißen Sommertag auf einer berühmten Berliner Baustelle in der Nähe der Kommode, der früheren Königlichen Bibliothek – also von einer Begegnung kann eigentlich noch keine Rede sein: das Mädchen hatte eine Lücke im Bauzaun entdeckt und fotografierte die Fassade des damals noch kriegszerstörten Gebäudes in der Straße Unter den Linden. Dann begab sie sich wieder außerhalb des für Fremde verbotenen Bereichs:
In diesem Moment war Robert angekommen. Er sprang durch die Zaunlücke und blickte dem Mädchen nach. Er sah vom schwachen Luftzug leicht bewegtes blondes Haar, eine schlanke Figur, schlenkernde Arme. Zeit hat sie, das Bauwerk hat sie fotografiert, und nun läuft sie weiter, anderen Sehenswürdigkeiten, anderen Erlebnissen auf der Spur. Die Männer, die sie auf der Baustelle für einen Augenblick gesehen hat, wird sie bald oder schon jetzt vergessen haben: den Langen, der so komisch seinen zerkratzten Schutzhelm vor ihr schwenkte, den Untersetzten, der die Brechstange wie ein Spielzeug in der Hand hielt, und auch den Älteren, der eine schwarze Weste trug an diesem heißen Julitag.
Nicht gesehen hatte sie dagegen Robert, der ihr durch die Zaunlücke nachschaute und wie manchmal dachte, etwas versäumt zu haben. Aber dann entschloss er sich doch, auf die andere Straßenseite zu den beiden Humboldts vor der Universität zu wechseln und sich neben das verwunderte Mädchen auf den Sockel von Alexander zu setzen. Ihren Namen kannte er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Er weiß nur, dass sie vielleicht das schönste Mädchen ist, das ihm je begegnet ist.
Sie verabreden sich für einen Besuch im Café mit den bunten Sonnenschirmen, und Robert, der bisher außer mit Monika wenig Erfahrungen mit Mädchen hat, fühlt sich jetzt in einer verwandelten Welt. Alles scheint sich so zu entwickeln, wie sich das ein junger Mann vorstellt, der das wahrscheinlich schönste Mädchen kennengelernt hat, das ihm je begegnet ist – von dem er kaum etwas weiß und zugleich schon so viel.
Manches aber weiß er eben nicht von Anke, und deshalb passiert noch manches Überraschende, er bekommt zwei Briefe und braucht den Anstoß eines Kollegen und dessen Motorrad als Leihgabe, um zunächst eine große Entfernung zwischen den beiden jungen Leuten zu überwinden. Und es gibt noch eine andere große Entfernung zwischen Robert und Anke und trotzdem auch eine Fortsetzung dieser hübschen, mit lockerer Hand geschrieben Sommergeschichte – eine Jugendliebe zu DDR-Zeiten.
Geboren am 6. Januar 1928 in Breslau, gestorben am 14. Juli 2010 in Berlin.
Ab 1944 Flakhelfer, sowjetische Kriegsgefangenschaft bis Oktober 1949. Bauarbeiter, Volkspolizist.
Nach dem Pädagogikstudium war er Erzieher in einem Jugendwerkhof und in einem Lehrlingswohnheim.
1958 erhielt er für sein erstes Jugendbuch „Der Schwarze Peter“ den Jugendbuchpreis des Ministeriums für Kultur.
Weitere Auszeichnungen:
Kunstpreis des FDGB 1966, 1973
Nationalpreis 2. Klasse 1971
Held der Arbeit 1974
Nationalpreis 1. Klasse 1978
Joh.-R.-Becher-Medaille in Gold 1979
Vaterländischer Verdienstorden in Gold 1979
Ehrenspange zum VVO in Gold 1988
Goethepreis der Stadt Berlin 1983
Später, als sie wieder am Bohren waren, kam Marschke zu Robert, der heute an der Bewegewinde arbeitete, sah ihn eine Weile an und sagte: „Du siehst verdammt unausgeschlafen aus.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte er weiter, legte sich das Schweißgerät zurecht und überließ Robert dem Nachdenken über diese Bemerkung. Bezog sich das auf den gestrigen Abend im Kastanienschuppen mit Monika? Oder hatte Marschke es nur so hingesagt, weil Robert tatsächlich müde war und geistesabwesend. Egal. Hier hatte man zu arbeiten. Wenn’s zu schlimm würde mit der Hitze und der Müdigkeit, dann könnte ein Eimer Wasser helfen. Ein Eimer Wasser – da war er mit seinen Gedanken wieder bei Anke. Vorgestern hatte er sich auch gerade einen Eimer Wasser über den Kopf gegossen, als sie an der Kommode durch die Bauzaunlücke trat. Im Grunde genommen dachte er ununterbrochen an Anke, hatte ihren Brief eingesteckt, und was Marschke da als Müdigkeit bezeichnet hatte, war einfach Traurigkeit, eine blödsinnige Traurigkeit. Wann hatte er jemals so was verspürt? Noch nie, gestand sich Robert ein, noch nie. Und was war geschehen? Zum Lachen, wenn man’s äußerlich betrachtete: Man kennt seit zwei Tagen ein Mädchen. Man sagt „Sie“ zu dem Wesen. Man hat einen Brief bekommen, einen merkwürdigen Brief, von dem man immer noch nicht weiß, ist das Spaß oder Ernst. Und man kommt nicht los von der Sache, und nun ahnt man, hat schon die Befürchtung, dass es vorbei ist. Deshalb fühlt man sich so …
„Pass auf, Robert!“, schrie Bogner. „Was ist denn los mit dir?“
Man muss sich rausreißen aus der Stimmung, man muss sich konzentrieren. Sonst fliegen einem die Seile um die Ohren, oder sonst was passiert. Doch die Konzentration auf die Arbeit konnte die Traurigkeit nicht verdrängen, sie hielt sich hartnäckig. Die Wände der Baugrube waren heute schmutzig-braun, die Geräte rostig und zerschlissen, Marschke wirkte kleiner als sonst, und seine Perlmuttknöpfe glänzten kaum; Glomm lachte zu laut und riss die blödesten Witze, die es überhaupt gab. Bogners Helm war aufreizend weiß, sehr unnatürlich in dieser Umgebung; Schmidt sah am Stauchbohrer aus wie ein wild gewordener Waldschrat. Und Robert selbst? Er fühlte sich gar nicht in die Landschaft passend, in keine Landschaft anscheinend. Bis dann kurz vor Mittag – die Frische des Gewittergusses war schon wieder aufgebraucht, die Staubfahnen über dem weiten Baugelände wehten wieder – sich mit Motorengedröhn Bertels schweres Seitenwagengespann ankündigte.
Marschke blickte misstrauisch auf, legte sein Schweißgerät aus der Hand, schob die Brille hoch.
„Der kommt ja schon wieder. Der kann’s nicht lassen“, knurrte er.
„Er ist in großer Liebe zu uns entbrannt, der Bertel“, meinte Schmidt.
„Die Prämie wird’s sein“, sagte Bogner, „man will sich doch die Prämie nicht verderben. Völlig klar.“
Bertel fuhr dicht an den Rand der Baugrube heran. Er war nicht allein. Das Irgendwann war zum Jetzt geworden, auf dem Sozius von Bertels Maschine saß Anke. Robert, der vor der Winde gehockt hatte und die Lager ölen wollte, stellte die Ölkanne beiseite und richtete sich auf. Kein Zweifel, dort oben am Rand der Baugrube neben Max Bertel stand Anke.
„Hallo, Leute!“, rief Bertel, „für den Kollegen Robert Weißgerber ist Besuch da. Er soll sich schleunigst heraufbemühen. Wo ist der Kerl?“ Robert lief auf die Leiter zu, hörte aber noch Hermann sagen: „Der Bertel will uns wohl heute auf den Arm nehmen. Hat eine neue Tour.“
Als Robert auf halber Höhe war, rief Schmidt: „Die Dame kennen wir. Klar, das ist das neugierige Mädchen von der Kommode. Auf, Leute, es ist sowieso bald Mittag!“
Robert stieg aus der Baugrube, klopfte sich Lehm und Sand von der Hose und den Händen. Anke trug blaue Leinenhosen und eine rote Bluse. Heute passte der Schutzhelm genau. Bertel hatte ihn bestimmt aus dem zentralen Magazin beschafft. Bertel! Da stand er neben Anke und war, wie es schien, neugierig auf die Begegnung zwischen den beiden. Aber Robert sah nur Anke. Hatte es überhaupt eine Traurigkeit gegeben?
Anke kam ihm entgegen, gab ihm die Hand und sagte: „Da bin ich, Herr Bertel war mir sehr behilflich.“
„Dass Sie mich hier gesucht haben.“ Robert strahlte.

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