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Ein beschneites Feuerwerk


Ein beschneites Feuerwerk

Sinnsuche und Liebesleben der Ulrike B. in zwei Systemen
1. Auflage

von: Harry Schmidtt

8,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 20.08.2018
ISBN/EAN: 9783956559044
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 488

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Industriegestalterin Rike ist keine Außenseiterin und auch nicht privilegiert. Sie muss als allein erziehende Mutter Geld verdienen. Doch ihr Beruf wird nicht mehr benötigt. Und sie hat keine Schulter, um sich mal anzulehnen.
Statt die neuen Freiheiten zu nutzen, arbeitet sie sich ab an deren Zwängen. Manchmal aber bricht sie aus. Da sprühen an ihrem Himmel die Funken.
Eine tapfere, illusionslose Suche nach Sinnerfüllung im Leben, nach Schönheit und Glück.
Eine Liebesgeschichte jenseits aller Klischees.
Tiefen auslotend, sinnlich, pointiert.
Geboren und aufgewachsen in der Nähe von Ribnitz-Damgarten, habe ich auch hier in der Region (Rostock) vor langer Zeit Mathematik studiert. Bis zur Wende arbeitete ich in einem Rechenzentrum, dann unter schwierigen Verhältnissen in Firmen, die Häuser und Yachten bauten. Inzwischen 70 Jahre alt und längst vierfacher Opa, habe ich mich neben der Arbeit als dröger Programmierer schon immer aktiv mit Schöner Literatur befasst. In der DDR-Zeit versuchte ich ziemlich lange, einen Verlag von meinem (phantastisch verfremdeten) Mauer-Roman zu überzeugen. Kurz vor der Wende bekam ich eine Zulassung zum Fernstudium am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“. Doch da war anderes lebenswichtiger.
Im Jahr 2000 erschien im Scheunenverlag, Kückenshagen, mein Erzählband „Lapislazulisteine für Ostdeutsche“.
Inzwischen bin ich Rentner und habe – was ich nie hatte – genügend Zeit zum Schreiben.
Im März 2014 wurde der Roman „Ein beschneites Feuerwerk“ erstmals veröffentlicht, meine literarische Auseinandersetzung mit den Problemen und Herausforderungen der Wende.
2016 folgte „Der Sprosser und die Gottesbrille – ein nachdenklicher Thriller“ und
2018: Eulenort. Aus dem unglaublichen Leben des Rudi Kleineich oder Glückssuche in einer harten Zeit.
Ich wohne mit meiner Frau, unserem Hund und zwei Katzen am Dorfrand; vor uns nur noch Feld, Wald, die Flussniederung der Trebel.

Harry Schmidt August 2018
Nach dem nächtlichen Plotten kamen Schlag auf Schlag neue Projekte. Einfamilienhäuser zumeist, die Rike versuchte, auseinander herzuleiten. Gestalterisch konnte sie nichts tun. Auch nicht beraten. Wenn der Chef mit dem Bauherrn zusammen saß, war sie gar nicht dabei.
Dann wollte er plötzlich eine Visualisierung. Drei der Häuser sollten einen Wohnpark bilden. Mit Rasenflächen, Wegen, Stellplätzen und ein paar Bäumen drum herum. Der Bauträger brauche es für die Bank, sagte der Chef. Und er selbst brauche es bis Mittwochfrüh. Ganz einfach! Keine detaillierte Konstruktion, nur Hüllen! Nur Klötze! Eine Darstellung in Baukasten-Optik reiche vollkommen.
Er habe das Rendering doch nicht gekauft, wagte Rike einzuwenden …
„Die Basisvariante natürlich! Ohne Lichtquellen und dem ganzen Pipapo!“
Rike schüttelte den Kopf. Beim besten Willen –, das sei nicht zu schaffen!
Er sah sie durchdringend an. „Versuchen Sie es doch erst mal!“ Und angewidert den Mund verziehend: Wenn er etwas nicht ausstehen könne, dann Leute, die keinen Kampfgeist hätten. Außerdem stehe ihr das Büro auch abends zur Verfügung. Da habe er volles Vertrauen zu seinen Mitarbeitern.
Sie versuchte es mit der Hüllenfunktion und anschließender Isometrie. Es funktionierte nicht. – Keine Chance!
Der nächste Tag dann wurde zum Fiasko. Rike war nachts schon dauernd aufgewacht; fühlte sich morgens schon zerschlagen. Die Wände der Häuser sahen noch ganz ordentlich aus. Mit den Fenstern, das ging auch noch an. Bis auf die Terrassentüren, die schwarze undurchsichtige Scheiben hatten. Aber die Dächer! Meistens brach der Befehl einfach ab. Wenn nicht, schwebten die Flächen mit den Ziegeln in der Luft oder durchbohrten die Wand. Rike versuchte es nicht zehn, nein, wohl an die hundert Mal.
Irgendwann ließ sich die Datei nicht mehr öffnen. Und Rike war um sechzehn Uhr wieder da, wo sie morgens angefangen hatte.
Sie rief Felix an. Der war sofort am Apparat. Aber bedrückt, wortkarg. So als habe er all seinen lässigen Optimismus verloren. Das sei doch nur eine Notvariante für ganz einfache Fälle, begann er die Programmfunktion zu erklären. Und siezte Rike sogar. Korrigierte sich dann mit einem kleinen, unfrohen Auflachen. Da funktioniere sicher einiges nicht, meinte er noch. Dazu gebe es auch eine lapidare Mitteilung, irgendwo im Benutzerhandbuch. Das sei wie Auto fahren mit dem Notrad. Man komme nur langsam vorwärts und habe immer ein ungutes Gefühl.
Rike fand seinen Vergleich nicht recht passend. Immerhin konnte man damit fahren! – Aber das war ja auch egal.
„Und jetzt?“
Ja, da könne er ihr auch nicht helfen, murmelte er kaum verständlich.
Rike sagte gar nichts mehr. Legte aber auch nicht auf. Sie hörte ihn atmen am anderen Ende der Leitung. Er schien noch zu überlegen, mit sich zu kämpfen.
„Und wenn du es – einfach mit der Hand zeichnest? Nach guter alter Designer-Tradition?“
Ja, meinte Rike resignierend, das müsse sie dann wohl. „Und du?“, fragt sie ihn noch. „IMPROVISIERT deine Frau wieder?“
Er murmelte etwas, das wie eine Bestätigung klang.
Rike folgte einem plötzlichen Impuls: „Soll ich sie einfach mal anrufen, mit ihr reden?“
„Nein, bloß das nicht!“, rief er ins Telefon. Er schien sehr erschrocken zu sein. Dann haben sie sich wohl verabschiedet. Es gab ja auch nichts mehr zu sagen.
Rike fuhr schnell nach Hause. Aß hastig. Hörte nur mit halbem Ohr, was Anne ihr von einem neu zugezogenen Jungen erzählte. Der in die Parallelklasse gehe. Der langsam wie eine Schildkröte sei. Und der rede wie ein alter Opa.
Rike fuhr zurück in die Firma.
Es war schon etwas unheimlich, abends so allein in der Mühle. Überall knarrte und schurrte es, obwohl doch ruhiges Herbstwetter war. Immer wieder meinte Rike, unten Schritte zu hören. Bis sie es nicht mehr aushielt und von innen abschloss.
Dann schrie eine Eule, ganz wie im klassischen Gruselfilm. Der Ton kam von oben, aus dem Gebälk. Da saß sie wirklich. Ziemlich klein, reglos, gelbäugig, nur manchmal den Kopf wie in Zeitlupe bis auf den Rücken drehend. Nun schien sie Rike entdeckt zu haben. Und machte artig einen Knicks. Es war ein Steinkauz. Rike sah es sofort: Waldkäuze hatten nicht so einen platten Kopf, so eine niedrige Stirn. Der Vogel rief erneut sein: „Qui–witt! – Komm mit!“ – Nein, so schnell gab sie nicht auf. Da konnte der lange schreien!
Sie hatte sich an den winzigen Arbeitsplatz des Lehrlings gesetzt. Sie räumte die Zeichenmaschine frei und begann, den Wohnpark zu skizzieren. Die Müdigkeit bröckelte langsam ab von ihr. Machte nach und nach einer leicht angespannten Befriedigung Platz. Rike fühlte sich auf sicherem Terrain. War nicht mehr abhängig von irgendwelchen unkalkulierbaren Reaktionen der Maschine. Sie sah mit Wohlgefallen, was da entstand unter ihren Händen. Zum Schluss setzte sie noch ein paar farbige Akzente. Und trällerte sogar dabei. Leise und etwas rasselnd. Kurz nach Mitternacht war sie fertig. Der Kauz hatte seinen Balken längst verlassen.
Am Mittwochmorgen dann kam sie später. Hatte aber einen Zettel hingelegt. Sie war immer noch stolz auf ihr nächtliches Werk. Allerdings auch ein bisschen besorgt. Schließlich hatte sie den teueren Arbeitsplatz einfach links liegen lassen.
Der Chef war noch nicht da. Frau Roth zuckte nur mit den Schultern. Erst als Rike mittags zurückkam von der Dönerbude am Markt, saß er mit einem weißhaarigen, langmähnigen Mann unten im Büro. Er nickte nur flüchtig. Sie diskutierten über Bankkredite und Fördermittel. Und plötzlich klappte die Tür, und beide waren verschwunden. Rikes kolorierte Isometrie lag noch auf dem Tisch.
Der Auftrag des Bauträgers mit den langen, weißen Haaren zerschlug sich wieder. Doch der Chef meinte zu Rikes Überraschung, er finde es gut, wenn sie ab und an die Computerzeichnungen händisch ergänze. Mit ihrer persönlicher Handschrift abrunde.

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