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Ein Anruf mit Folgen


Ein Anruf mit Folgen


1. Auflage

von: Günter Görlich

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 20.06.2022
ISBN/EAN: 9783965217164
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 379

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Wie stellt man sich den Tagesablauf eines Schriftstellers vor? Er kann ziemlich genau eingeteilt sein, wie die ersten Sätze dieser Erzählung von Günter Görlich zeigen:
Der Anruf kam um zehn Uhr dreißig. Robert Berger wusste das später so genau, weil er kurz vor dem Läuten auf die Uhr geschaut hatte. Eine Seite hatte er geschrieben, lag also gut in der Zeit.
Es ist ein modernes Telefon, dessen Läuten ihn immer noch erschrecken lässt. Eine gewisse Überraschung ist ihm auch anzumerken, als er den Hörer für das erste Gespräch dieses Mittwochs abnimmt und sich meldet, ohne seinen Namen zu nennen:
„Spreche ich mit Herrn Berger?“, fragte eine Männerstimme.
Berger bejahte. Die Stimme klang gelangweilt oder müde.
„Hier ist die Direktion 3, Mitte. Kriminalpolizei, Kommissar Hinrich. Herr Berger, kennen Sie einen Jens Krause, oder auch Till Spiegel?“
„Ja“, sagte Berger, „ich kenne ihn, und mir sind auch beide Namen bekannt.“
„Sie sind der Schriftsteller Robert Berger?“
„Ja, ich war 's auf jeden Fall, und bin's wohl auch noch“, antwortete Berger.
„Wir möchten Sie sprechen, Herr Berger“, sagte der Kommissar, „geht es morgen Vormittag?“ Berger reizte die Stimme am Telefon.
„In welcher Angelegenheit?“, fragte er.
„In der Sache Jens Krause oder Till Spiegel“, meinte der Kommissar.
„Was ist mit Jens Krause?“
„Jens Krause ist tot.“
Wie Berger weiter erfährt, weiß auch die Polizei noch nicht, ob es ein Unfall oder ein Verbrechen war. Aber sie hätten einen angefangenen Brief an ihn gefunden, und im Notizbuch stünden seine Adresse und seine Telefonnummer. Deshalb wollten sie ihn sprechen – morgen um elf in Dienstzimmer des Kommissars.
Berger beginnt sich an den jungen Kollegen zu erinnern, der gerade dreißig geworden war. Er hatte sich gegen manche Widerstände für die außerordentliche Begabung dieses Mannes und das Veröffentlichen seiner Bücher eingesetzt. Ihm hatten vor allem zwei Dinge gefallen: Der junge Mann schrieb Prosa, eine lakonische, erstaunlich dichte Prosa. Berger schrieb auch Prosa. Und den Älteren beeindruckten die Ehrlichkeit des jungen Schreibers, seine Versuche, hinter die Dinge zu kommen.
Für Diskussionen sorgte besonders eine Erzählung: In „Requiem für Sandra“ ging es um Sehnsüchte, Träume, Enttäuschungen und den Selbstmord einer Studentin. Ein Thema, über das auch Berger einmal geschrieben hatte. Und jetzt war Jens Krause tot. Hatte er sich auch selbst umgebracht? Oder war es Mord? Später bekommt Berger einen Aktenkoffer mit brisanten Aufzeichnungen.
Geboren am 6. Januar 1928 in Breslau, gestorben am 14. Juli 2010 in Berlin.
Ab 1944 Flakhelfer, sowjetische Kriegsgefangenschaft bis Oktober 1949. Bauarbeiter, Volkspolizist.
Nach dem Pädagogikstudium war er Erzieher in einem Jugendwerkhof und in einem Lehrlingswohnheim.
1958 erhielt er für sein erstes Jugendbuch „Der Schwarze Peter“ den Jugendbuchpreis des Ministeriums für Kultur.
Weitere Auszeichnungen:
Kunstpreis des FDGB 1966, 1973
Nationalpreis 2. Klasse 1971
Held der Arbeit 1974
Nationalpreis 1. Klasse 1978
Joh.-R.-Becher-Medaille in Gold 1979
Vaterländischer Verdienstorden in Gold 1979
Ehrenspange zum VVO in Gold 1988
Goethepreis der Stadt Berlin 1983
Robert Berger war aber am nächsten Tag nicht zu Marlene Stallmach in die Linienstraße gegangen. Die Warnung und die Bitte seiner Frau hatten ihn zögern lassen. Vielleicht kommt noch ein Anruf, der ihm Klarheit bringen könnte, hoffte er, der die Befürchtungen Ilonas aufheben würde.
Doch es kam kein Anruf in dieser Hinsicht, die Männerstimme meldete sich nicht.
So entschloss sich Berger am übernächsten Tag doch, „Marlenes Stall“ aufzusuchen. Er hielt die Ungewissheit nicht aus, er hatte auch das Gefühl, in der Sache Jens Krause vor neuen Entdeckungen zu stehen. Oder bildete er sich das nur ein?
Auf dem gewohnten Weg in die Linienstraße legte er sich seine Taktik zurecht. Er nahm sich vor, auf keinen Fall mit der Tür ins Haus zu fallen, sehr vorsichtig vorzugehen bei der Marlene Stallmach und dann auch wahrheitsgemäß über seine eigene Gefühlslage zu reden. Er wollte nicht wie ein Vornehmer wirken, wie ein Schnüffler oder wie ein Schreiber, der eine aufregende Story sucht. Er wollte sich vor der Frau als Betroffener öffnen. Und da musste er sich nicht verstellen.
Berger hatte für seinen erneuten Besuch bei der Stallmach die frühe Nachmittagsstunde gewählt. Er nahm an, dass die Mittagsgäste, die Leute von der Müllabfuhr und die Arbeiter von den umliegenden Baustellen, vielleicht dann nicht mehr in der Kneipe sind. Er hoffte, in eine ruhige Stunde zu kommen, vor dem Ansturm der Männer, die nach Feierabend in „Marlenes Stall“ einkehrten.
Bergers Hoffnung erfüllte sich nicht. Er sah, als er eintrat, fast alle Tische waren besetzt, auch der Tresen war umlagert.
Dann entdeckte er die Wirtin an einem Tisch. Sie saß dort mit zwei Männern, kehrte ihm den Rücken zu. Sie redete und die Männer hörten ihr zu. Berger schätzte die beiden auf Mitte dreißig. Er hätte nicht sagen können warum, er nahm an, dass sie keine Hiesigen waren. Nicht durch ihre Kleidung kam er zu dieser Annahme, sie trugen schwarze Jacken aus Nappaleder, ihr Gesichtsschnitt brachte ihn zu dieser Annahme. Polen oder Russen, schätzte er.
Zunächst wollte sich Berger bei Marlene Stallmach bemerkbar machen, unterließ es dann aber. Die Erzählung der Melanie Schmidt kam ihm in den Sinn über die Männer, die sie mit Jens in der Wohnung angetroffen hatte und die später auch in ihrem Keller auftauchten. Und dann ist noch der seltsame Telefonanruf, den Ilona entgegengenommen hatte.
Er fand einen Platz am Nebentisch, an dem zwei Männer in seinem Alter saßen und schweigend ihr Bier tranken, seinen gemurmelten Gruß in der gleichen Weise erwiderten.
Berger, der eine Armlänge hinter Marlene Stallmach saß, hörte sie reden, doch verstehen konnte er nichts. Sie sprach nicht laut, und in der Gaststube war es nicht gerade still. Dann vernahm er die Stimme eines Mannes, auch er sprach nicht laut, und Berger war es nicht möglich, etwas zu verstehen.
Aber dann sagte der Mann laut, langsam und deutlich: „Bringen Sie uns noch einmal zwei Bier.“
Marlene Stallmach erhob sich sofort und ging zum Tresen.
Berger musterte verstohlen die beiden Männer am Nachbartisch, hoffte, sie würden untereinander ein paar Sätze wechseln.
Doch sie schwiegen, schauten vor sich hin.
Als Marlene Stallmach mit dem Bier an den Tisch zurückkam, bemerkte sie Berger. Sie stutzte einen Augenblick, wandte sich rasch ab, kehrte ihm wieder den Rücken zu. Es war, als dränge sie sich zwischen ihn und ihre beiden Gesprächspartner am Tisch.
Berger wusste nun, sie wollte ihn nicht kennen, jedenfalls jetzt nicht, vor den Männern am Tisch wollte sie es nicht. Berger erhob sich und ging zum Tresen, suchte einen freien Platz und bestellte ein Bier, behielt den Tisch, an dem die Männer mit Marlene Stallmach saßen, jedoch im Blick.
Marlene Stallmach schaute sich rasch um, wollte wohl sehen, ob Berger noch am Nachbartisch saß. Sie lehnte sich sichtlich erleichtert zurück, als sie feststellte, dass Berger nicht mehr hinter ihr saß. Doch als sie ihn am Tresen entdeckte, nahm ihr Gesicht wieder den angespannten Ausdruck an. Sie sprach dann wieder mit den Männern, die ihr mit unbewegten Gesichtern zuhörten und ihr Bier tranken.
Berger beunruhigte das sonderbare Verhalten der Stallmach. Wer sind diese Männer? Was wollen sie von ihr?
In dem Augenblick erhob sich die Stallmach am Tisch und ging hinter den Tresen. Sie spülte Gläser, sah Berger nicht an, tat, als kenne sie ihn nicht, hätte ihn noch nie gesehen.
Doch dann brachte sie ein Bier zu seinem Platz am Tresen. Die Stallmach war blass, zwang sich zu einem unnatürlichen Lächeln, beugte sich zu ihm hinüber.
„Gehen Sie“, sagte sie leise, „Sie müssen jetzt gehen, gleich, auf der Stelle. In Ihrem Interesse. Trinken Sie das Bier aus und gehen Sie.“
„Sagen Sie mir, was los ist“, forderte Berger, „was ist passiert?“

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