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Dorflinde


Dorflinde


1. Auflage

von: Gerd Bieker

8,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 28.01.2022
ISBN/EAN: 9783965215979
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 359

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Mit den Zeiten ist sie hochgewachsen. Hat Herzblättchen und Blütenduft hervorgebracht und kapslige Früchte mit einem kleinen Segel am Stiel. Man nennt den Baum ein Denkmal. Er hat alle gesehen, die vor mir da waren. Hier trafen sie sich wie wir. Haben einander zur Linde bestellt, in ihrem Schatten gerastet, sich beraten, gestritten und geliebt auf der Bank, die rund um den Stamm gezimmert ist, vor Wettern Schutz gesucht (Die Linden sollst du finden) und Blüten für lindernden Tee geerntet. Es wird die Legende erzählt, das Bäumchen sei als Sinnzeichen von Bauern unseres Dorfes nach dem harten Krieg der Preußen gegen die Sachsen hergepflanzt worden. Früher hieß sie die „Segenslinde“.
Ja, diese Segenslinde ist ein lebendiges Denkmal, erneuert sich mit jedem Frühjahr. Ein Denkmal von Beständigkeit.
Was hier gleich kurz nach dem Beginn des Buches so lobbesungen wird, das ist die titelgebende Dorflinde. Ein lebendiges Denkmal. Allerdings hat es sie beim letzten Gewitter erwischt. Und daher soll sie nach Ansicht einiger Leute, darunter des Dorf-Polizisten, des ABV, weg. Ein anderer dagegen hat eine andere Idee. „Die flicken wir wieder zusammen“, ruft Michael Mai und deutet mit dem Fäustling auf die Linde. „Wir behandeln sie. Wie einen Verwundeten.“ Zu den Rettern gehört auch Julius Schmiedel. Der Künstler und Naturschützer. Vor allem aber der 20-jährige Michael aus dem Bauerngeschlecht der Familie Mai. Er selbst versteht sich als Bauer, nicht als Agrotechniker oder Mechanisator, wie die neumodische Berufsbezeichnung lautet.
Und dieser Michael Mai, der im Herbst nächsten Jahres zur Armee muss, der hat gemeinsam mit seinen gleichaltrigen Jungs von der „Innung“ noch einiges vor, um Natur und Umwelt zu schützen. Dazu pflanzen sie in ihrer Freizeit Baumschösslinge an den Rändern der großen Felder an, damit der Boden bleibt. Denn ein richtiger Bauer versteht was vom Boden und von – Verantwortung. Aber diese unabgesprochene Initiative der jungen Leute hat auch Gegner und weckt Widerstand.
Zudem ist der Zwanzigjährige auf der Suche nach einer Freundin, einer Freundin, mit der sich alles teilen lässt, wie man so sagt.
Da ist Stefanie Morgenstern, die wunderschöne Tochter eines Generalmajors und angehende Lehrerin für Deutsch und Kunst. Und da ist seine Schulfreundin Gisa, die Pech gehabt hat und die mit ihrer süßen, kleinen Tochter Nicoletta allein ist. Als Michael bei der Fahne ist, bekommt er Post von beiden jungen Frauen. Wie wird er sich entscheiden?
Am 23. Juli 1937 in Grünhainichen geboren, Lehre als Buchdrucker, danach Zeitungsrotationsdrucker in ständiger Nachtarbeit.
Von 1960 bis 1963 Studium am Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ in Leipzig. Danach bis 1969 Kulturpolitischer Mitarbeiter beim Kulturbund der DDR.
Ab 1970 freier Autor in Karl-Marx-Stadt: Erzähler und Hörspielautor in Serien für Kinder, eigene Serien (Paule-Geschichten), Jugendbuchautor, vielseitige journalistische Mitarbeit bei Zeitungen und Zeitschriften sowie Autor von Stadt- und Regionalgeschichte.
Nach 1990 Arbeit als Buchhändler, Leiter des ABM-Vereins „Fachwerk heute e. V.“.
Er lebt mit seiner Partnerin Brigitte Dathe in Chemnitz.
Wir vier Freischärler der Innung stehen in Bereitschaft, doch Hauptmann Richard hält am Eingang ordensbesät und ganz allein mit strengem Blick die Ordnung aufrecht. Er grüßt mit unpersönlicher Würde herüber, als wären wir Diplomaten von der Insel und nicht Burschen seiner Ordnungsgruppe. Noch immer ist hier „Nach-Ostern“ …
Mittags muss ich zur Schicht in die Felder. Wie abgemacht, kutschiere ich vorher mit dem Dieselliesel auf einem geschmückten Anhänger die Kindergartengruppe meiner Mutter ins Grüne, nach alter Tradition. Als ich noch in den Kindergarten ging, zuckelten wir gemütlich mit Pferdegespannen und mit Gesang hinaus: „Immer lebe die Sonne, immer lebe die Mutti!“ Heute brauchen die Knirpse ihre ganze Kraft, um sich festzuhalten, damit sie nicht von den blankgerutschten Sitzbrettern gerüttelt werden.
Am Konsum stoppe ich meine Fuhre. Dort steht mutterseelenallein die Gisa Meixner, ihr Baby auf der Hüfte, und tut so, als gäbe es im Schaufenster was zu beschauen.
„Schwing dich auf, Mutti.“
Sie kann sich noch kindlich freuen. Lässt ihre hellen Augen strahlen wie Scheinwerfer.
Meine Mutter blickt bitterböse weg und hebt nur widerstrebend die braune Nicoletta auf den Schoß, damit Gisa über die Planke hochklettern kann. Nachher, auf dem Rastplatz unter der Dorflinde, nimmt sie mich tuschelnd ins Gebet: „Was soll das heißen? Wärmst du alte Geschichten auf? Bilde dir bloß nicht ein, dass ich dem Schokoladendrops die Großmutter spiele.“
Sie befindet sich in der Klemme: Im weitesten Sinne ist Nicoletta ein Erzeugnis der Völkerfreundschaft, von der meine Mutter den Wichtelmännern ihrer Kindergartengruppe so hübsch zu erzählen und zu singen weiß.
Die Kleinen scharen sich um das braune Baby. Sie beobachten stumm und wissbegierig, wie Gisa mit größter Selbstverständlichkeit den Pulli halb hochstreift und ihrem Kind die Brust gibt.
Mutter Christa erblasst. „Ist denn das die Möglichkeit!“
„Soll man nicht stillen, solange es geht?“, frage ich. Mir gefällt das friedvolle Bild: Die Sonne sprüht durch das Astwerk, und unter dem Klöppelschatten der Dorflinde sitzt inmitten einer andächtigen Rasselbande ein Mädchen aus meiner ehemaligen Klasse als Madonna. Wie auf alten Gemälden. Durch die Schwangerschaft ist Gisa füllig geworden, wie eine richtige, reife, verheiratete Frau.
„Schamlos! … Scham-los!“
Das mütterliche Gezischel verdirbt mir den zauberhaften Anblick. „Jetzt lass aber die Katze im Sack!“, sage ich und gehe demonstrativ zu Gisa hin.
„Ich muss losrollen, Gisa. Von dieser Kindergartentante da lass dir nichts bieten, kapiert?“
„Aber das ist doch deine Mutti …"
„Du bist jetzt auch eine Mutti. Dein Schokomädchen ist sogar das allerschönste.“
„Keine Angst“, sagt Gisa und birgt ihre Brust wieder unter dem Pullover. „Mich legt man nicht mehr so bald aufs Kreuz. Ich kann mich allein durchboxen. In dreimal zehn Monaten bekommt sie Nicoletta sowieso in ihren Kindergarten.“
„Bist du der Papi?“, will eins von den Kleinen wissen.
„Du lieber Himmel!“, ruft Mutter Christa spitz.
„Schön wär’s, ihr Engelchen, schön wär’s“, sage ich etwas naiv, winke und fahre zur Schicht.
Für meine Mutter Christa schäme ich mich sehr.

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