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Begegnungen der Weltgeschichte


Begegnungen der Weltgeschichte


1. Auflage

von: Volker Ebersbach

10,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 12.07.2022
ISBN/EAN: 9783965217270
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 1271

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Die Bücher von Volker Eberbach liest man immer mit Gewinn, man kommt aus der Lektüre informierter und wissender, ja fast schon gelehrter heraus als man hineingegangen ist. Das gilt auch für diese weltgeschichtlichen Begegnungen, über die der Autor in einem ebenso aufschlussreichen wie seine damit verbundenen Intensionen erhellenden Vorwort schreibt: „Zu den aufregendsten Momenten der Weltgeschichte gehören die, in denen zwei bedeutende Männer einander begegnen. Begegnungen brachten oft einiges zustande, nicht immer Gutes. Sie waren einmalig, oder sie wiederholten sich. Man ging voller Hochachtung auseinander oder im Zorn. Aus mancher Begegnung erwuchs ein schweres Zerwürfnis. Oft enthielt die Begegnung ein großes Versprechen; selten wurde es eingelöst. Oft bahnte sie eine besondere Chance an; meist wurde sie vertan. Die Beteiligten repräsentierten verschiedene Religionen oder unterschiedliche Staatsformen, einander entgegengesetzte Machtansprüche oder Kulturkreise, die lange voneinander nichts gewusst hatten, scheinbar verwandte Auffassungen von Kunst und gegensätzliche Ziele des Forschens. Am faszinierendsten wirken auf uns Heutige solche Begegnungen und Zerwürfnisse, in denen Geist und Macht aufeinandertrafen, Kontrahenten, wie Heinrich Mann sie in seinen Essays herausstellte“, wie der Heinrich-Mann-Biograf notiert.
Greifen wir eine dieser Begegnungen der Weltgeschichte heraus, die von Friedrich dem Großen und Voltaire, dessen Biografie über weite Strecken die eines Flüchtlings ist, wie der Autor beweist:
Verwandte Irrtümer können Freundschaften stiften. Klären sie sich nur einem der beiden Freunde auf, so kommt es zu tiefer Entzweiung. Aber löst man sich je voneinander ganz?
Es ist das Jahr 1766. Das Zerwürfnis zwischen Voltaire und dem König von Preußen liegt dreizehn Jahre zurück. Seit acht Jahren lebt der früh gealterte, geistig jedoch immer wieder sich verjüngende Dichter und Philosoph auf seinem Gut Ferney nahe der Schweizer Grenze, auf dem Sprung, vor französischen Behörden zu den Calvinisten von Genf zu fliehen, deren Toleranz allerdings für einen ständigen Aufenthalt in ihren Mauern auch nicht weit genug geht. Auf einmal liegt der Gedanke nahe, sich nochmals nordostwärts auf die Reise zu machen, zu Friedrich II. nach Potsdam. Warum will der Hofnarr noch mal zu seinem König? Und was hatte eigentlich zu dem Zerwürfnis zwischen diesen beiden Aufklärern geführt?
Es war ein doppelter Irrtum, wie Ebersbach aufklärt. Lesen Sie selbst. Es lohnt sich.
GOTT ODER GÖTTER - Joseph und Potiphars Weib
EXIL BEIM FEIND - Themistokles und Artaxerxes I.
DER UNBELEHRBARE - Aristoteles und Alexander der Große
QUO USQUE TANDEM - Cicero und Catilina
DAS JUBILÄUM DER HENKER - Tiberius und Agrippina d. Ä.
TROST IN DER AGONIE - Boethius und Theoderich der Große
VON ROM NACH AACHEN - Kaiser Karl der Große und Papst Leo III.
DER GANG NACH CANOSSA - Heinrich IV. und Gregor VII.
EIN KÖNIG VON JERUSALEM - Der Staufer Friedrich II. und Malik al Kamil
DIE GUNST DES GROSSKHANS - Marco Polo und Kublai-Khan
DER GENIALE QUERULANT - Kolumbus und Isabella von Kastilien
ZWEI FALLENSTELLER - Atahualpa und Francisco Pizarro
„HIER STEHE ICH…“ - Martin Luther und Karl V. *
DAS GEWISSEN UND DIE UTOPIE - Thomas Morus und Heinrich VIII.
DOPPELSPIEL DER GESTIRNE - Kepler und Wallenstein
VERWANDTE IRRTÜMER - Voltaire und Friedrich der Große
DER ABTRÜNNIGE PAGE - Zarin Katharina II. und Alexander N. Radischtschew
PARADIES UND GUILLOTINE - Robespierre und Danton
„DIE POLITIK IST DAS SCHICKSAL“ - Johann Wolfgang von Goethe
und Napoleon I.
„ARIADNE, ICH LIEBE DICH“ - Friedrich Nietzsche und Richard Wagner
DIE WEISSEN FLECKE SCHWARZAFRIKAS - David Livingstone und Henry Morton Stanley
DER GEERBTE KANZLER - Otto von Bismarck und Kaiser Wilhelm II.
START DER SUPERMÄCHTE - Franklin Delano Roosevelt und Josef Stalin
DIE MACHT DER SANFTMÜTIGEN - Mahatma Gandhi und Pandit Nehru
Volker Ebersbach ist am 6. September 1942 in Bernburg/Saale geboren und dort aufgewachsen. Nach Abitur und Schlosserlehre studierte er von 1961 bis 1966 Klassische Philologie und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1967 promovierte er über den römischen Satiriker Titus Petronius. Danach lehrte er Deutsch als Fremdsprache ab 1967 in Leipzig, 1968 in Bagdad, 1971 bis 1974 an der Universität Budapest, wo er auch mit seiner Familie lebte.
Seit 1976 ist er freier Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. Er schreibt Erzählungen und Romane, Kurzprosa, Gedichte, Essays, Kinderbücher, Biografien und Anekdoten. Er übersetzte aus dem Lateinischen ausgewählte Werke von Catull, Vergil, Ovid, Petronius, das Waltharilied, Janus Pannonius und Jan Kochanowski. Einzelne Werke wurden ins Slowenische und Koreanische übersetzt.
Von 1997 bis 2002 war er Stadtschreiber in Bernburg. Danach lehrte er bis 2004 an der Universität Leipzig.
2. Der „Mann aus Stahl“ und die Sowjetmacht
Stalin, der Mann aus Stahl, wie sich Josef Wissarionowitsch Dshugaschwili seit 1913 nannte, war zunächst ein recht hölzerner Genosse. Warum er sein Geburtsdatum, den 6. Dezember 1878, im Parteifragebogen später in den 21. Dezember 1879 änderte, ließ sich nicht klären. Seine Eltern, der Schuster Wissarion I. Dshugaschwili und seine geduldige Frau Jekaterina, waren noch als georgische Leibeigene geboren worden. Eine Hütte in Gori, eine Proletarierwohnung in Tiflis. Außer „Sosso“, wie ihn die Mutter zärtlich nannte, starben dem Paar alle Kinder. Dennoch prügelte ihn der meist betrunkene Vater bei geringstem Anlass. Der Junge lernte früh, sich zu verstellen. Zusammen mit einiger Intelligenz ergab dies einen Musterschüler, dem der Pope ein Stipendium für das Priesterseminar in Tiflis verschaffte. Gegen die Schnüffelei der Mönche bewährte, vervollkommnete sich der jugendliche Verstellungskünstler: Heuchelei als Antwort auf autoritäres Erziehen, aber auch als Schutz vor Heuchlern. Ein Mitschüler wusste: „Wenn man ihn etwas fragte, so pflegte er sich Zeit zu lassen, ehe er antwortete.“ Ein großer Schweiger, ein guter Zuhörer. Zugleich war er auf Widerrede nicht gut zu sprechen, bessere Argumente beim anderen stimmten ihn mürrisch. Gab ihm jemand Überlegenheit zu spüren, verbreitete er über ihn irgendetwas Abträgliches, beobachtet oder erfunden. Alles ließ sich unterdrücken, nur nicht das Geltungsbedürfnis.
Der autoritäre Druck formte daraus einen Rebellen. Der Seminarist las nicht nur Gogol und Tschechow, sondern auch, heimlich, Darwin und Victor Hugo. Ein Lehrer beschlagnahmte „Die Elenden“, ein Leihbibliotheksexemplar. Das Doppelleben des Rebellen staute die täglichen Demütigungen und wurde zum Nährboden eines gefühlsmäßigen Radikalismus, der sich vom mehr Theoretischen seiner späteren Genossen, die aus kleinbürgerlich-intellektuellem Milieu kamen, sehr unterschied. Die ersten Agitatoren, die im Kaukasus erschienen, noch russische Narodniki und Terroristen, bald aber auch gut ausgebildete Marxisten, unter ihnen sein späterer Schwiegervater, der Petersburger Arbeiter Sergej Allilujew, fanden bei ihm aufmerksame Ohren. Ihre Wühlarbeit war schon im Gang, als er ins Seminar eintrat. Ob Sylvester Dshibladse hinter dem mysteriösen Mord am Rektor steckte, wurde nie aufgeklärt. Er leitete den sozialistischen Geheimklub Messame Dassy in Tiflis. 1898 wurde J.W Dshugaschwili aufgenommen. Als Zirkelleiter lehrte er bald Farbikarbeiter, was er las und hörte. Aber nun half keine Verstellung mehr. Der Seminarist vernachlässigte sein Pensum, versäumte eine Prüfung und wurde Ende Mai 1899 relegiert.
Nun begann Dshugaschwilis Weg zum Berufsrevolutionär Leninschen Typs. Zugleich schlug der Marxismus einen Weg ein, den Marx seiner Lehre am wenigsten gewünscht hätte. Lenins „Iskra“, in Leipzig gedruckt, fand bis nach Tiflis, und der gescheiterte Seminarist gehörte sofort zu den „Iskraleuten“, seine Argumente waren bolschewistisch noch vor der Spaltung der russischen Sozialdemokratie, sein Radikalismus sah sogar in der Polizeiknute einen Verbündeten: Sie erhöhe die Zahl der Empörer. Der als Schreiber am Observatorium getarnte Agitator nahm den Namen eines in der Dichtung gefeierten Räubers an, der den Reichen nahm und den Armen gab: Koba. Der „Unbezwingliche“ organisierte Maifeiern und Banküberfälle, die, als „Expropriationen“ beschönigt, die Parteikasse auffüllten. Die zaristische Geheimpolizei Ochrana kam ihm auf die Spur. Es blieb nicht bei Durchsuchungen; nach einer Demonstration am 9. März 1902 in Batumi, die fünfzehn Arbeiter das Leben kostete, begann ein wechselvolles Leben zwischen illegaler Arbeit, Gefängnishaft und Verbannung. Die Haftbedingungen waren allerdings, verglichen mit denen in sowjetischen Lagern unter Stalin, locker. Bücher waren erlaubt, Diskussionen mit anderen Häftlingen möglich; aus Sibirien gelang ihm die Flucht. Für seine kirchlich geschlossene Ehe mit Jekaterina Swanidse blieb wenig Zeit. Sie gebar den Sohn Jascha, der in einem deutschen Konzentrationslager als Kriegsgefangener umkommen sollte. Sie selbst starb 1907.
1905, im Jahr der gescheiterten Revolution, reiste Koba mit falschem Pass ins finnische Tammerfors und traf auf der Parteikonferenz zum ersten Mal mit Lenin zusammen. Er hatte sich einen Adler, einen Riesen vorgestellt und sah einen „ziemlich durchschnittlich aussehenden Mann“, der mit seinem Gegner Martow nicht radikal genug umging. Seine autoritäre Prägung erwartete wohl die heroische Erlösergestalt, zu der er später erst Lenin und dann sich selbst stilisieren ließ. Auf dem IV. Parteikongress 1906 in Stockholm musste sich Koba wegen der „Expropriationen“ Vorhaltungen machen lassen. Unter der dünnen Haut gleicher Parteigesinnung vertiefte sich eine Kluft zwischen dem vergleichsweise wenig gebildeten, aber rastlosen, unverwüstlichen Aufrührer und den Genossen, die im Exil an der feineren Lebensart Westeuropas ihren Stil schulten. In diesem Minderwertigkeitskomplex wurzelten Kobas Ressentiments gegen seine späteren Rivalen Trotzki, Sinowjew und Kamenjew. 1913 unterzeichnete der Parteiaktivist einen in Wien, der Metropole der Vielvölkermonarchie Österreich-Ungarn, verfassten Artikel zur Nationalitätenfrage, der ihn zum Volkskommissar für dieses Ressort prädestinieren sollte, mit „Stalin“. Vorangegangen waren Wochen vertrautester Nähe zu Lenin in dessen polnischem Exil. Nicht weit von dem Haus ihrer Zusammenkünfte in Krakow bildete, gleichfalls im Untergrund, Pilsudski, der andere legendäre Schnauzbart der kommenden Zeit, Offiziere aus, von denen dann viele im Wald von Katyn auf Befehl Stalins erschossen werden sollten.
Den Beginn des Weltkriegs erlebte Stalin in Kureika am sibirischen Polarkreis. Ein ZK-Mitglied namens Malinowski hatte ihn an die Ochrana verraten. Diese Verbannung wurde die härteste, einsamste und längste, denn ahnungslos beauftragte Lenin gerade den Verräter damit, Stalins Flucht vorzubereiten. Nicht einmal die Einberufung zum Militärdienst erlöste ihn: Er war nicht tauglich. Von einer Blutvergiftung im Kindesalter war ihm die linke Armbeuge steif geblieben.
Durch die Wirren der Revolution schlug er sich 1917 mit anderen Verbannten nach Petersburg durch. Die Bolschewiki wählten ihn in ihr Zentralkomitee. In der Prawda warb er für Lenins Ziel, die bürgerliche Revolution in die proletarische hinüberzuführen. Er stimmte für den bewaffneten Aufstand, war aber an dem Tag, an dem Arbeiter und Soldaten das Winterpalais stürmten, an keiner Schlüsselposition zu finden. Erst der Bürgerkrieg verschaffte ihm Gelegenheit, sich um die Revolution verdient zu machen: Mit Woroschilow und Budjonny verteidigte er Zarizyn gegen die Weißgardisten, die Moskau von Getreide und Öl abschneiden wollten. Dafür sollte die Stadt an der Wolga später den Namen Stalingrad tragen.
Andere Verdienste hatte er nicht aufzuweisen, als es um Lenins Nachfolge ging. Wer ihn genauer kannte, konnte eher Lenins Vorbehalte bestätigen. In seiner eigenen Heimat hatte der Volkskommissar für Nationalitätenfragen grob gegen Lenins Grundsätze verstoßen und die Ausrufung eines unabhängigen Georgien 1921 mit dem Einmarsch der Roten Armee beantwortet. Er war nicht nur grob bisweilen, sondern auch unbeholfen, im Denken langsam und schematisch, in Schriftlichem schwerfällig. Aber wer kannte ihn genau? Seine Unscheinbarkeit ermöglichte ihm eine fast unauffällige Machtübernahme. In das bürokratische Stadium, das der Sowjetmacht bevorstand, als sie mit Lenin ihren revolutionären Schwung verloren hatte, passte bedächtiges, pedantisches, rücksichtsloses, starr an Geplantem festhaltendes Vorgehen sogar besser als Trotzkis, Sinowjews, Kamenjews jüdisch lebhafter Geist. Der Sieg der Bolschewiki schien bewiesen zu haben, dass man von Marx abweichen durfte. Nun erwies es sich als notwendig, von Lenin abzuweichen. Aber jeden, der dies kritisierte, traf die Anklage, ein Abweichler zu sein. Lenins Autorität, die zu seinen Lebzeiten autoritäres Regieren verhindert hatte, prägte es für Stalin vor. Mit dem Mausoleum auf dem Roten Platz initiierte er den Leninkult als das Milieu, in dem der Stalinkult wuchs. An die Stelle einer Selbstreinigung der Partei durch Wahlen trat allmählich die Säuberung. Trotzki, der Gegenspieler, der Stalin rettete, indem er die Echtheit des geheimen Zusatzes in Lenins Testament bezweifelte, den Stalin später aus dem Land trieb und 1940 in Mexiko mit einem Eispickel erschlagen ließ, vertraute noch, obwohl auch er furchtbar sein konnte mit seinem berüchtigten Panzerzug, den guten Impulsen der Volksmassen, wenn er die permanente Revolution verkündete. Stalin hatte bittere Erfahrungen mit den Menschen gemacht und setzte auf Terror. Lenin hatte den Marxismus dogmatisiert; Stalin bürokratisierte das leninsche Dogma bis zu byzantinischer Meinungsgleichheit. Russland hatte viele Wechsel auf eine Zukunft mit wirtschaftlichem Fortschritt. Stalin beschlagnahmte sie alle zugunsten seiner, der radikalsten Lösung der Verteilungsprobleme: Enteignung der Kulaken, sprunghafte Entwicklung der Schwerindustrie, annähernd gleiche Lebensbedingungen der meisten auf niedrigem Niveau: asiatische Despotie mit moderner Technik.
Schwere Rückschläge, Hungersnöte in den zwangskollektivierten Regionen, industrielle Disproportionen, Stockungen in der Planerfüllung blieben nicht aus. Zum Jahreswechsel 1932/33, der auch für die USA und Deutschland etwas Schicksalhaftes hatte, nach dem Selbstmord Nadeshda Allilujewas, mit der er seit 1919 verheiratet war und einen Sohn und eine Tochter hatte, Wassili und Swetlana, ereilten den „Stählernen“, den kleinwüchsigen, pockennarbigen, pfeiferauchenden Diktator mit dem leutseligen und lauernden Blick Selbstzweifel, die letzten vielleicht: Er bot dem Politbüro seinen Rücktritt an. Molotow, der „Hammermann“, beruhigte ihn: „Schluss damit! Schluss! Du hast das Vertrauen der Partei.“
Stalin hatte die Sowjetmacht vor die Aufgabe gestellt, den Kommunismus durch den Aufbau des Sozialismus in einem Teil der Welt vorzubereiten. Er selbst stand vor der Aufgabe, das Staatsschiff Sowjetunion durch die Strömungen und Untiefen der Weltpolitik zu lavieren und auf die Stürme vorzubereiten, die es erwartete.
Er unternahm in den Dreißigerjahren etwas scheinbar völlig Unverständliches: Einen neuen Weltkrieg hielt er für so unvermeidlich wie Hitler, der ihn im Schilde führte. Gerade an seinem Vorabend aber schwächte er Partei und Armee durch eine gnadenlose Säuberungsaktion, durch Schauprozesse, Hinrichtungen und Deportationen in Arbeitslager, und die Opfer waren gerade die bewährtesten Genossen, viele von ihnen Weggefährten Lenins. Seine Ankläger gaben vor, die Sowjetmacht zu retten; in Wahrheit ließ ein einziger „Mann aus Stahl“ alle Männer, die in einer Stunde seiner Schwäche gegen ihn eine Regierung bilden könnten, physisch vernichten. Gerade die Mitwisser des bolschewistischen Weges zur Macht, des Weges zur Macht über den Umsturz eines im Krieg erschütterten Regimes wie das des Zaren, glaubte er prophylaktisch liquidieren zu müssen. Der Atheist aus dem Priesterseminar hielt mit seiner mittelmäßigen Intelligenz den Radikalismus des Todes für die einzig zuverlässige Basis eigener Machtvollkommenheit. Den Verlust an Kapazitäten hoffte der Menschenverächter durch treu ergebene Massen auszugleichen, die mit dem Wunsch nach einem Idol, nach einem heiligen Leitbild in Menschengestalt, nach einem Ersatz-Gott an „Väterchen Stalin“ glaubten. Aber der eingefleischte Stalinist brauchte diese Vaterfigur eigentlich gar nicht mehr. Es genügte ihm, zu wissen, dass in den kommenden harten Zeiten ein starker Mann die Führung übernehmen musste. Wer wie Stalin seine Stärke bewiesen hatte, dem galt es zu folgen. Blinder Gehorsam stärkte ihn noch mehr und schützte einen zugleich vor seiner Furchtbarkeit. Nicht anders funktionierte im Grunde das Führerprinzip der Nazis.

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