Details

Abschied von Rostock


Abschied von Rostock


1. Auflage

von: Rudi Czerwenka

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 15.05.2017
ISBN/EAN: 9783956557941
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 85

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Welche Gefühle bewegen einen Menschen, wenn er einen Ort verlassen muss, an dem er gern und lange gelebt hat. Und woran erinnert er sich?
Schweren Herzens nimmt der 77-jährige Rudi Czerwenka aus gesundheitlichen Gründen Abschied von Rostock, wo er 30 Jahre als freiberuflicher Schriftsteller und Journalist gearbeitet hat: „Alles, was bei einem solchen Umzug zu erledigen ist, war getan. Die Kündigung des alten und der Abschluss des neuen Mietvertrages waren erfolgt, mit allem dazu erforderlichen behördlichen Drum und Dran. Der Schwiegersohn hatte einen Kleintransporter organisiert und die Teile des künftig verwendbaren Mobiliars zu Emils neuer Wohnstätte gefahren. Seine Nachmieterin saß in den Startlöchern, im Frauenhaus, hatte also nichts und freute sich über alles, was sie übernehmen durfte, Emils alte Couch, den Kleiderschrank im Flur, die komplette Küchenzeile mit all dem Kleinzeug bis hin zu den Essbestecken. Das Sozialkaufhaus hatte sogar einen Lastwagen geschickt und Wäsche und Schuhwerk und Bücher und Regale und anderes noch Verwertbare abgeholt. Nur Emil persönlich war noch übriggeblieben als Umzugsgut, hatte die letzte Nacht fast schlaflos in seiner ziemlich ausgeräumten bisherigen Wohnung verbracht und dachte an sein neues Zuhause auf dieser fernen Insel, das er nur von ein paar Fotos her kannte.“
Der Autor denkt zurück an alte und neue Zeiten, wie es gewesen war – vor und nach der Wende und auch an die erfolgreichste Buchlesung seines Lebens, die bei der Nationalen Volksarmee auf der stillen Insel Rügen stattfand. Und er berichtet über Persönliches und Berufliches aus seinem langen Leben. Eine große Portion Abschiedsschmerz ist aber immer dabei. Denn der Abschied von Rostock sollte ein Abschied für immer werden. Drei Monate nach dem Tod von Rudi Czerwenka erschien dieses, sein nun endgültig letztes Werk.
Abschied
Ausnahmsweise vis-à-vis
Ausgerechnet Emil
Flüchtling oder Vertriebener, Umsiedler oder Wandervogel
"Doch wie's da drinnen aussieht ..."
Hochzeiten und andere Rituale
"Erika"
Emils Nah-Verkehr
"Роmmеrland ist abgebrannt"
Emils Rendezvous und andere sympathische Leute
Lehrer werden war nicht schwer, Lehrer sein dagegen sehr
Bretter, die die Welt bedeuten
Schild und Schwert der Partei
"Amsel, Drossel, Fink und Star ..."
Rudi Czerwenka
Geboren am 4.4.1927 in Breslau, aufgewachsen im dörflichen Umfeld der Stadt, Abbruch der Schule in der 11. Klasse infolge Einberufung, Flakhelfer, Soldat, amerikanische Kriegsgefangenschaft, nach der Entlassung Kochlehre in Jena, Volkspolizist, Kurzausbildung zum Neulehrer, Einsatz in Mecklenburg, zuerst in Kröpelin, dann an der einklassigen Dorfschule Spoldershagen, schließlich in Bad Sülze.
1983 nach dem Tod der Ehefrau Aufgabe des Lehrerberufs, seitdem als freiberuflicher Schriftsteller und Journalist in Rostock, seit 2013 in Ahlbeck.
Erste journalistische Versuche ab 1955, Kontakte zum und nachfolgend Mitglied im Schriftstellerverband.
1959 und 1960 erschienen seine ersten beiden historischen Kinderbücher „Magellans Page“ und „Geheimnisvoller Strom“ im Leipziger Prisma-Verlag unter dem Pseudonym Rudi Wenk. „Anker auf“ veröffentlichte der Weimarer Gebrüder Knabe Verlag 1963 unter seinem richtigen Namen.
Seit Mitte der 1970er Jahre arbeitete er ausschließlich für Presse, Rundfunk, Theater und Fernsehen u. a. 7 erfolgreiche Schwänke für das DDR-Fernsehen.
Durch den Wegfall sämtlicher Auftrag- und Arbeitgeber nach der Wende kehrte er zum gedruckten Buch zurück und schrieb Romane und Erzählungen zur Regionalgeschichte und - gegenwart:
Die Hexe vom Fischland, Wo Kapitäne geboren wurden, Dorfschulmeister Franz Kuhlmann, Störtebekers Erben (Jugendbuch), Achterbahn, Waldschenke, Julias wilde Jahre, Unser täglich Brötchen u. a.
Fast 20 Jahre beteiligte er sich am Almanach „Rostock zwischen zwei Sommern“.
Rudi Czerwenka ist am 1. Februar 2017 in Greifswald verstorben. Er hinterließ das Manuskript für das autobiografische Werk „Abschied aus Rostock“.
So menschenleer und brachliegend wie nach dem Dreißigjährigen Krieg, wie in dem alten Volkslied vom Maikäfer besungen, sah es nach dem vorerst letzten Völkermorden in Europa nicht aus. Emil musste es wissen, er hatte sowohl in Mecklenburg als auch in Vorpommern vorübergehend sein Zuhause gefunden. Zuerst hatte dieser schmale Landstrich an der Ostsee noch ganz anders geheißen, war nach der damaligen Bezirkshauptstadt benannt worden. Aber da war Schwerin und sein Schloss als Wohnsitz für die Abgeordneten noch nicht im Streitkern der Debatten.
Der Name Mecklenburg-Vorpommern für eines der neuen östlichen Bundesländer wurde erst mit der Wiedervereinigung amtlich und schriftlich festgelegt. Da das ein wenig zu lang erschien, wurde es zu Meck-Pomm abgekürzt. Eine nochmalige Reduzierung hättte bei MG geendet, aber das war ein Schusswaffe und demnach verpönt.
Emils Erfahrungen kamen direkt aus den früheren Grenzgebieten von Mecklenburg und Vorpommern, so auch von Ribnitz und Damgarten. Ein Unterschied zwischen den beiden Orten war nicht zu bemerken, höchstens in der Größe der jeweiligen Bauwerke. Auch die einst geteilte Welt auf der Halbinsel Fischland bis Zingst lebte nur noch in den Geschichten der Ureinwohner weiter. Und das stille Dorf, in dem Emil als Schulmeister tätig war, dämmerte in völliger Abgeschiedenheit dahin, egal ob mecklenburgisch oder vorpommersch.
Allerdings hatte man bereits im vorigen Jahrhundert versucht, das Land in die allgemeine Entwicklung einzubinden. Heute ist es fast unglaubwürdig, dass man damals innerhalb von zwei Stunden ohne umzusteigen mit der Eisenbahn von Berlin bis nach Heringsdorf gelangte, mit Kind und Kegel, mit Dienerschaft und mitreisender Prominenz, um auf Usedom die Sommerzeit zu genießen. Gleiches galt für die Insel Rügen.
Auch die Landwirtschaft erlebte eine Blüteperiode. Großställe beherbergten die Rinder im Winterhalbjahr, im Sommer wurden sie auf die kleineren Inseln verfrachtet, in die Freiheit. Am östlichen Ausläufer der Halbinsel Zingst entstand ein Betrieb, der Grünfutter aufnahm, zu Pellets verarbeitete und an die vorherigen Produzenten zurücklieferte.
Auch Emil und andere Kollegen Schriftsteller wurden eingeladen, sich das einmal anzusehen. Zuerst ging's in die Pelletfabrik. Dann traf man sich am Strand, wo eine Kolonne hochachsiger Autos auf die Gäste wartete. Mit je einem ortskundigen Fahrer, der den Bodden schon zu seinen Kinderzeiten per Fahrrad überwunden hatte, ging es weiter bis zur aus dem Dunst herausschimmernden Insel. Man wurde nicht nass, höchsten innerlich, denn jeder Pkw führte eine Flasche Schnaps mit, die bis zur Landung entleert werden musste. Auf dem Inselchen traf man sich wieder. Alles war vorbereitet. Die Frau des Gutsdirektors spielte Gitarre. Er selbst entzündete den Reisighaufen. Die Gäste labten sich an Bier und Räucheraal.
Später einmal traf Emil auf den ehemaligen Direktor des ehemaligen Volkseigenen Gutes und sprach mit ihm über seine künftigen Pläne. Er wolle nach China oder in die Mongolei gehen und dort in der Wüste Gobi für den Aufbau der Viehwirtschaft arbeiten.
All das ist mal gewesen, auch die Existenz der vorpommerschen Werften. Wenn Emil jetzt per Taxi durchs Land rollt, meistens zu irgendeinem Arzttermin, dann sind die Straßen frei von jeglicher Betriebsamkeit. Nichts von „blühenden Landschaften“, abgesehen von den Rapsfeldern. Der Nordosten der Bundesrepublik scheint beim Wiederaufbau übersehen oder vergessen worden zu sein. Die Hallen der einstigen Großbetriebe stehen noch, aber unter neuen Namen. „Abschleppdienst und Reparaturwerkstatt“ steht an dem einen. Der Hof ist vollgepfropft von Autos aller Typen und Größen. Wer hat die alle abgeschleppt? An einem Haus lockt „Fremdenzimmer frei“, an einem anderen „Eier-Automat“ ein paar Kilometer weiter - „Ei, Ei, Ei - Hier fährt man doch nicht vorbei!“ Wer möchte in dieser Einöde übernachten, auch mit Frühstück mit vielleicht nestwarmem Ei? An einer scharfen Kurve, zusätzlich gefährdet durch mehrere gerade an dieser Stelle errichteten Häuser hängt ein Schild „Gaststätte zum Himmel“. Der Wirt scheint ein Witzbold zu sein. Den wenigen Ansiedlungen am Straßenrand ist anzusehen, wer hier zu Hause ist, Rentner mit oder ohne Sparkonto, Arbeitslose oder Lohnsteuerzahler. Entweder ist der gesamte Besitz einschließlich Vorgärten abrissfähig und verwahrlost, oder das Wohnhäuschen ist schön bunt renoviert, alles andere aber sich selbst überlassen.
Emils Taxifahrer lehnte den Vorschlag, sich nach dem strapaziösen Arztbesuch und vor der Rückfahrt noch eine Kaffeepause zu gönnen, ab und verwies auf ein ihm bekanntes Lokal unterwegs auf dem Heimweg. Schon nach kurzer Fahrt waren sie am Ziel, vor dem von ferne winkenden Waldrand, ein großflächiger Parkplatz mit einigen flachen Gebäuden ringsum. Außer ihnen parkte ein einziges Auto.
Der Fahrer durchlüftete bereits den Wagen, seine Frau saß noch am Gästetisch und zahlte. Emil und sein Taximann suchten sich einen schattigen Außentisch und betraten dann das Lokal. Die Wirtin kassierte draußen. Im Lokal herrschte also Ruhe, auch am recht leeren Kuchenbüfett. Aber sie wollten ja nur Kaffee trinken und gingen wieder nach draußen, wo sie nun von der Wirtin begrüßt wurden. Sie und der Taxifahrer kannten sich. Er war früher als Alleinunterhalter unterwegs gewesen, sie hatte eine Nähstube betrieben und ihm sein Karnevalskostüm zurechtgeschneidert. So fand Emil seine Ruhe, und die beiden unterhielten sich, unter anderem über Tricks, wie man Versicherungen überzeugen könnte, nach etwaigen Unfällen die vollen Kosten zu übernehmen. Das wuchs sich zu einem längeren Gespräch aus, denn der Taxifahrer hatte seine Erfahrungen. Als sie endlich weiterfuhren, gerieten sie in Wolgast in einen längeren Stau. Aber der Fahrer kannte sich auch hier aus, scherte aus, umging den Stau und ordnete sich irgendwo an der Spitze neu ein. Sie kamen jedenfalls pünktlich zum Abend ins Seniorenheim.

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