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Wolkenberge tragen nicht


Wolkenberge tragen nicht


1. Auflage

von: Dorothea Iser

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 15.01.2015
ISBN/EAN: 9783956552564
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 327

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

„Was würde ich tun, wenn nur ein Tag mein ganzes Leben wäre? Ich würde auf Wiesen laufen, mich in nasses Gras werfen, nicht rühren, nur horchen und Erde atmen. Wenn die Sonne die Feuchtigkeit aufsaugt, drehe ich mich um, lasse mich trocknen, sehe in Wolken, schlage Schaum aus ihnen, stecke das Dorf hinein. Wolkenberge, aus denen das Dorf aufsteigt wie aus Nebel: die zwei Straßen wie Adern von einem Blatt, bebaut mit Ein- und Zweifamilienhäusern, bewachsen mit Blumen und Bäumen, umgeben von Koppeln und Wäldern, das Forsthaus mit steilem Giebel, der Stierberg mit seinem Aussichtsturm …“
Mein Dorf, ich nenne es Wolkenberg. Simone Dieskau, aus dem Jugendwerkhof entlassen, will in einem Dorf neu beginnen, alles anders machen und besser. Sie steht vor Problemen, die sie allein nicht bewältigen kann. Da trifft sie Jan Brinke, der ihr helfen könnte, sich in dem neuen Leben zurechtzufinden, der aber selbst Schwächen hat, gegen die er ankämpfen muss. Jan, der seinen Dienst in der Nationalen Volksarmee ableistet, will beweisen, dass man Ziele, die man sich stellt, auch erreicht.
Vor seinem Mädchen, das er für drei Jahre allein im Dorf weiß, will er bestehen.
Simone, belastet durch ihre bisherige Entwicklung, sucht ihren Anspruch auf Liebe zu verwirklichen.
„Wer bin ich denn schon? Männer trauen sie mir zu, aber Kinder? Ich wäre jetzt gern bei Jan. Bei ihm fällt das alles von mir ab, da fühle ich mich frei. Das ist ein gutes Gefühl, das ist wie nackt schlafen.“
Gibt es für Mone und Jan eine Chance? Sie sind mit einer frühen Trennung belastet und sollen doch schon Positionen für ein gemeinsames Leben mit einem Kind finden.
Geboren 1946 in Elbingerode/ Harz, aufgewachsen in Sophienhof/ Rothesütte, Abitur, Pädagogik-Studium, 1967 Examen, anschließend Einsatz im Jugendwerkhof als Erzieherin.
Erste Schreibversuche im Zirkel schreibender Arbeiter, 1975 bis 1978 Fernstudium am Literaturinstitut in Leipzig, seit 1980 freiberuflich tätig.
1990 bis 2000 Geschäftsführerin des Friedrich-Bödecker-Kreises in Sachsen-Anhalt e.V., ab 2000 Vorsitzende.
Ab 1990 Vorsitzende des Pelikan in Sachsen-Anhalt e.V. , Arbeit als Herausgeberin und Verlegerin, Mitglied im P.E.N., Mitglied der Europäischen Autorenvereinigung Die KOGGE.
Verheiratet, zwei Kinder und zwei Enkel.
Zipfelchen schrie lauter. Das Wasser kochte vor sich hin. Bestimmt, Jan, wir schaffen das eine Jahr auch noch, denke ich. - Fencheltee ohne Zucker oder mit? - «Was macht so’n lumpiges Jahr aus?»
Da saß ich und redete mit mir und heulte ein bisschen, bis sich Zipfelchens Stimme überschlug. Sie ließ mir keine Zeit zum Nachdenken.
Die Nächte waren kurz zwischen zehn und fünf Uhr früh. Manchmal fielen mir die Augen zu, wenn ich Zipfelchen noch im Arm hielt. Mein Kopf war schwer. Schatten verzerrten sich, schwammen über Tisch und Wände. Ich wollte nicht einschlafen. Zipfelchen könnte mir aus den Armen rutschen.
Betty kam jeden Tag. Sie heizte, half Flasche kochen und waschen. Mir fiel das alles noch schwer. Aber das gab ich nicht zu, wusste nicht mal, warum.
Wenn ich durchs Dorf ging, fühlte ich mich stark und froh vor Glück, weil die Leute mir nachsahen: Die hat sich aber rausgemacht, vor einem Jahr noch, und die Kleine so gepflegt. Und wenn das Glück müde wurde und in Zipfelchens Kissen zurückkroch, dann hörte ich andere Stimmen, die sagten: Kein Wunder, das ist Betty, klar, erst mal abwarten, ja, die Großmütter. Das machte mich verrückt! Immer noch, Betty und Betty! Na, ich bin doch die Mutter. Es wird auch ohne sie gehen. Wenn ich so dachte, regte mich alles an ihr auf. Ich beobachtete sie. Na, sie tat wirklich, als wären wir beide ihre Kinder. Haben wir das nötig? Ich nehme ihr jede Arbeit aus der Hand, versuche es auch schon mit dem Heizen.
Betty sagt: «Viel zu kalt!»
«Aber für uns reicht’s», sage ich. «Wenn ich Bettina rausnehme, schalte ich die Heizsonne an.»
Da sitzt Betty vor mir, und ich erzähle und erzähle, dass man heute die Kinder nicht mehr bündelt, sondern ihnen gleich Strampler anzieht, früher mal, das ja, aber heute, sollen sich doch bewegen können.
Betty ist ganz ruhig, sieht mich nur an.
Ich weiß schon, was sie denkt. Mone, mach mir nichts vor! Da fühle ich mich erst recht wie ein kleines Mädchen und rede noch mehr. Soll sie mich anschreien, mir vorhalten, wie undankbar ich bin, wie egoistisch, was sie für mich getan hat. Dann würde ich sagen: «Geh!» Jan könnte ich schreiben, so eine ist Betty, die mir ihre Hilfe vorrechnet, und ich könnte mich bedauern lassen, so eine Schwiegermutter.
Alles wäre einfach, wenn, ja, wenn Betty anders wäre, denn sie schreit nicht, niemals. Sie sieht müde aus, wenn sie sich ärgert, und lässt den Kaffee in der Tasse kalt werden. Ich kann mit ihr reden, aber ihre Gedanken sind woanders, sind irgendwo abgelenkt worden. Da sage ich: «Morgen muss ich zur Mütterberatung.»
Sie nickt mir zu.
«Ich ziehe Bettina die neue Garnitur an, die von dir. Habe schon alles zurechtgelegt: Wiegekarte, Impfausweis. Bettinas großer Tag, erste Busfahrt in die Stadt. Tina oder Betty, was meinst du, wie werden wir sie rufen?» Das frage ich, weil sie mir leid tut, ein bisschen wenigstens, und denke, na, da freut sie sich, Bettina nach Betty.
Aber sie fragt: «Ist nicht bald Mütterberatung?»
«Morgen, Betty», sage ich.
«Leg dir alles hin: die Papiere, Impfausweis, Mutter- und Stillkarte, Wiegekarte.»
«Ja, Betty.»
«Hast du was?», fragt sie da.
«Warum?»
«Na, du sagst gar nichts.»
Als ich immer noch nichts sage, redet sie trotzdem weiter, als wäre sie allein. Sie wartet wohl, dass ich sie bitte, komm mit zur Beratung. Das ist nicht drin.
Wir sehen ihr nach, wie sie grußlos an den Leuten vorbeigeht. Zipfelchen drücke ich fest an mich, nicht nur wegen Betty, auch wegen dieser Beratung, wieder Schwestern, wieder Fragen und Weinen, Wiegen und Messen, Spritzen vielleicht.
Es muss sein, zeig es ihnen, Zipfelchen!
Als ich dann mit Bettina im Wartezimmer sitze, bin ich froh, dass ich ohne Betty gefahren bin. Omas und Tanten gibt es hier genug, nur Väter sind selten. Das ist gut, so vermisse ich Jan nicht zu sehr.
Alle Kinder sehe ich mir an, lächele den Müttern zu, hebe mal eine Klapper auf. Dabei fühle ich genau, wie sie lange Hälse nach meinem Zipfelchen machen. Sie ist doch das niedlichste Kind. Die schwarze Stirnlocke ringelt sich unter der Mütze vor, und als eine Frau sich über sie beugt, lacht sie und schmollt, so ein Spiel, dass man gar nicht wegsehen mag. Ob das anderen Müttern auch so geht?
Da werde ich aufgerufen und erschrecke, weil ich Bettina noch nicht mal ausgezogen habe. Die Schwestern sind ärgerlich. Ich beeile mich, aber Bettina schreit, und ich komme nicht klar mit den vielen Sachen und den wirren Fragen.
Als Bettina endlich auf dem Wickeltisch liegt, stehe ich der Ärztin im Wege und weiß nicht, wohin.
«Stillen Sie noch? Wie viel trinkt sie? Das Kind ist wund, besser pflegen, hinter den Ohren entzündet, ja, da müssen Sie besser aufpassen!»
Das Gesicht brennt mir. Sie schieben mich weiter. Was werden sie noch alles finden?
Bettina liegt auf der Waage, rudert mit Armen und Beinen. Einen Löffel habe ich auch vergessen. Wie ein Schulkind ohne Hausaufgaben stehe ich da, und neue Fragen kommen, nach der Wohnung, ob Krippe und so was. Zum Schluss sagt eine Frau: «Wir werden uns das einmal ansehen.»
Warum denn nur? Ich frage nichts, weil mir vor Schreck nichts einfällt. Wie leer bin ich. Schluss, aus!
Ich will aufwachen wie aus einem Traum, ein Albtraum ist das. Aber ich wache nicht auf. Ich merke, dass ich mit Bettina durchs Wartezimmer gehe, gar nicht freundlich sind die Gesichter, sie wenden sich ab, verächtlich oder höhnisch.
Natürlich, man muss sie überprüfen, so eine mit einem Kind, das kann nicht gut gehen.

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