Details

Unterm Hut in der Sonne oder Das neue Buch Nickel


Unterm Hut in der Sonne oder Das neue Buch Nickel

Roman
1. Auflage

von: Rainer Lindow

8,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 22.05.2014
ISBN/EAN: 9783863942540
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 395

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Wir wollen uns hier nicht bei den Vorfahren des Nickel aufhalten, obwohl das gleich im ersten Abschnitt sehr lesenswerte Geschichten sind. Und damit sind wir schon bei Nickel selbst, dem Sohn des Pfarrers aus Sparka, der erst siebzehnjährig in einen großen Krieg geschickt wurde und der sich dann von dort in Richtung seiner Thüringischen Heimat verabschiedete: „Ich bin zu Hause. Kennt ihr Leuchtewitz? Klassefrauen. Und in Sparka, das ist daneben, da wartet mein Vater. Er weiß, wie es weitergeht.“ Wirklich?
Es dauert lange, bis er glaubt, was er dann hört. Sie haben den Vater im Steinbruch erschossen, zusammen mit drei geflüchteten Polen, die er in der Kirche versteckt hielt. Die Mutter und die Schwester waren im Pfarrhaus, als die Bombe traf. Am Morgen noch gehörte Nickel zu der Schar, die hofften, denn er lebte und aß aus der Büchse. Jetzt weiß er, der Weg war umsonst, denn der Vater kann ihm nichts mehr sagen. Er vermochte sich nicht rauszuhalten, nachdem er schon die Flaschen an der Friedhofsmauer zerschmissen hatte. Nicht dem Helden fällt der Sieg zu, dem Weisen nicht das Brot und dem Einsichtigen nicht die Gunst.
Und Nickel hat es auch mit den Frauen, so im Frühjahr 1946, als die Sache mit Zilla passiert:
Zilla geht Nickel aus dem Weg. Sie hat ihn, so denkt sie rachsüchtig, in die Blechbude gebracht, nun soll er sehen, wie er zurechtkommt. Der Erich wird’s ihm schon zeigen. Und schließlich: Wer ist schon Nickel? Nichts als der Sohn vom Pfarrer.
Sie wären noch jahrelang voreinander weggelaufen, wenn ihnen nicht jenes Abenteuer zugestoßen wäre, von dem nun berichtet werden soll, macht der Autor verdammt neugierig, was dann passiert. Jedenfalls wird Nickel zum Retter eines Mädchens und kommt dann selber in große Schwierigkeiten und fast um seine Männlichkeit. Es heißt, er sei entmannt worden.
Als Nickel später in den Konsum tritt, verstummen die Frauen und blicken verstohlen auf seine Hose. Er kauft etwas, geht hinaus ans Wehr, stützt die Arme aufs hölzerne Geländer der alten Brücke und fasst einen Entschluss: Er wird zeigen, was er hat und was er kann. Er wird Zilla heiraten und sieben Kinder mit ihr zeugen. Ob es wirklich so kommt?
Der Roman erschien 1980 erst zehn Jahre nach seiner Vollendung, da Rainer Lindow infolge der Biermann-Affäre mit anderen Autoren und Lektoren den Aufbau-Verlag verlassen musste, wo „Nickel“ ursprünglich erscheinen sollte. Im Eulenspiegel Verlag erlebte der Roman bis 1989 drei Auflagen mit 55.000 Exemplaren.
1942 in Berlin geboren, 1960 Abitur
1962 Schriftsetzer, Varitypesetzer, verschiedene andere Berufe, Volontär
1964 Malereistudium bei Waluscha Friedrich in Berlin
1972 Regiediplom an der Hochschule für Film- und Fernsehen Potsdam-Babelsberg, Arbeit als Regieasssistent/Regisseur beim Fernsehen
1972 Silberner Lorbeer
1975 freiberuflicher Schriftsteller, Regisseur und Maler
Studienaufenthalte in Frankreich, Holland, Israel, Ukraine, Polen, Großbritannien
1991 Stipendiat der Villa Massimo (Casa Baldi in Olevano Romano)
1991 arbeitslos, Weiterbildung zum Fernsehjournalist
1993 Hans-Fallada-Hörspielpreis
1994 freiberuflicher Fernsehjournalist, Regisseur, Schriftsteller und Maler
1994 Wolfener Literaturpreis
Veröffentlichungen (Auszug):
Romane
Unterm Hut in der Sonne oder das neue Buch Nickel, 1980, Eulenspiegelverlag Berlin,
Trauergesellschaft, 1990, Mitteldeutscher Verlag Halle.

Erzählungen
Wie auf einer Wolke, 1973,
Die Hülle Zebaoths, 1978,
Auszug der verletzten Kinder, 1991

Hörspiele für Erwachsene und Kinder
Mögen Sie Stiefmütterchen? 1974,
Nachmittag am Telefon, 1976,
Die erste Brücke, 1977,
Die saubere Armella, 1978,
Einmal werde ich die Glocken läuten,1980,
Die Laubhütte, 1982,
Katschelap,1983,
Eine unmögliche Person, 1985,
Die Prinzessin und das Tiergesicht, 1986,
Bring es nach Hause, Baby, 1994,
Der Prinz, die Fee und der Traum vom Leben, 1995.

Hörfunkfeature
Der Botschafter, 1990,
Biografien in Wax, 1991.

Stücke für Theater und Fernsehen
Rumpelstilz, 1983,
Hof ohne Zaun, 1989.

Dokfilme
Einfach eine Probe, 1969,
Wer die Erde liebt, 1972,
Auskunft über Pludra, 1976,
Hausbesetzer - Innenansichten, 1994,
Wer ist hier eigentlich verrückt? 1996,
Insel-Leben, 2001.

Magazinbeiträge fürs Fernsehen ab 1992

Ausstellungen in Berlin, London, Potsdam
Dem Kreissekretär tropft das Wasser ins Bett, weil der Kulak von der Ziegelei bei Leuchtewitz die Ziegel verschoben und Geschäfte gemacht hat. Nun gehört die Ziegelei zwar den Arbeitern, aber Florian kriegt noch immer kein neues Dach.
Fjodor wirft die zerbrochenen Ziegel durch das Loch unter seinen Beinen auf den Trockenboden, nimmt einige Hiebe Wodka aus der Flasche und schiebt sich Speckhappen in den Mund, während er von seiner Familie erzählt, die jetzt endlich eine Wohnung bekommen hat. In einem der drei Zimmer lebt der ältere Bruder mit Frau und Kind, im zweiten sind die vier anderen Brüder untergebracht, und im dritten wohne die alte Mutter. Alle arbeiten sie im Motorenwerk, und wenn abends die Mädchen zu den Brüdern kommen, gibt es Tränen, so eng ist das. Fjodor flucht auf die Kulaken in Leuchtewitz, die alles wegschleppen. Und das große russische Volk gibt Kredite und verzichtet auf die Kriegsrubel, bei der Heiligen Jungfrau, das ist nicht gerecht!
„Ach, wenn’s nur das Gesindel wäre“, meint Florian. Er denkt an Erich, der im Gefängnis sitzt, aber ungeschoren bleiben wird, weil Nickel den Schlag mit dem Hammer verharmlost. Sie nicken kummervoll, ihre Gesichter glänzen vom Schweiß, vom Wodka und vom fetten Speck.
„Ja, siehst du“, sagt der müde Florian. „Nun können wir den Kindergarten bauen, der Nickel kriegt neue Zähne, besser als die alten, die ihm die Amis rausgehauen haben, und die Blechbude zahlt zu, die Löhne erhöhen wir auch ... Aber er, dankt er uns das?“
Fjodor blinzelt schräg ins Sonnenlicht. Er öffnet eine zweite, kleinere Flasche, die er unter den Ziegeln hervorzieht, und sagt sich, dass ein Haus ohne Frau nicht gut ist für Florian, das macht krank und ungerecht.
Florians Rücken schmerzt gelegentlich, wenn er sich geraderückt, und er muss heftig atmen, wenn es bergauf geht. Eigentlich ist es ihm gleich, ob es durchregnet oder der Hagel die Scheiben einschlägt. Es ist ein anderer Schmerz, der ihn quält. Seit Zilla aus dem Haus ist, fehlt etwas an seiner Brust. Dazu die Ungewissheit, ob Nickel so gedeiht, wie Zilla ihn braucht, wenn sie später einmal an Florians Stelle Sekretär sein soll - wenn er Kara auf den Knien schaukeln und sie „Opa“ zu ihm sagen wird.
Er nimmt einen gewaltigen Schluck aus Fjodors Flasche, und der schlägt Florian auf den Schenkel. „Prachtkerl!“, schreit er und schwankt übers Dach. Aufgeregt kaut er an den Schnauzbartenden. Seine Schweinsäuglein werden klein und listig.
Er ermuntert Florian, sich eine starke Frau zu suchen. Eine, die gegenhalten und mit dem Nudelholz hauen kann. Denn um Hurerei fernzuhalten, soll jeder Mann ein eignes Weib und jedes Weib einen eignen Mann haben.
Sie prusten sich ins Gesicht und halten einander am Unterhemd, um nicht vom Dach zu fallen. Nach Luft schnappend, wiederholen sie immer wieder den Satz, jeder in seiner Sprache.
Trocken knallt plötzlich ein einzelner Schuss, die Flasche zerspringt in Florians Fingern, er stiert erschrocken auf das Blut an seiner Hand und rutscht langsam über die Ziegel. An der Regenrinne bleibt er hängen. Die zweite Kugel pfeift vorbei, wo eben noch Fjodors Glatze war, doch der liegt bereits unterm Dach und schreit nach den Soldaten, die mit zwei Mädchen in Blauhemden bei Milch und Brot in der Küche sitzen.
Der kleine, sommersprossige Fahrer und der breitschultrige Sergeant stürzen fast gleichzeitig mit Fjodor auf die Straße. Mit einem Besenstiel, den er auf der Treppe erwischt hat, zeigt Fjodor in den Wald, wo eine Gestalt zwischen den Fichten verschwindet. Die Soldaten kriechen wieselflink die steile Böschung aufwärts und schießen in die Luft.
Zähneknirschend schreitet Fjodor ums Haus, bis ihm einfällt, dass ein Arzt her muss, und er schickt die Mädchen, die eben herauskommen und die Falten ihrer Röcke glätten, damit sie ihn holen.
„Fjodor, hilf mir mal ’runter“, sagt Florian von oben. Er sitzt am Rand des Daches und lässt die Beine baumeln.
Fjodor schleppt aus dem Schuppen die lange Leiter heran. Sprosse um Sprosse drückt er sie zum Dach. Florian steigt ab und hält sich, unten angekommen, schwankend an Fjodor fest.
„Das war der Wodka“, sagt er und blickt schuldbewusst in Fjodors blaue Augen. Der wiegt ungläubig den dicken Schädel und sucht an Florians Armen, Schultern, Rücken einen Einschuss, vergebens.
Die Nachricht ist schneller durch Sparka als ein Bier durch den Magen. Der Florian wurde erschossen, tuschelt man. Mit einem Ziegel erschlagen, heißt es. Zu den Schlossern in der Blechbude dringt das Gerücht, eine Bande aus den Bergen sei dabei, alle Genossen umzulegen.
In kriegerischen wie in friedlichen Zeiten kann einer auf tausendfache Art sterben, aber nur auf eine geboren werden. Nickel packt die Wut, als er die Leute an der Bushaltestelle mit Bedauern, Eifer oder Schadenfreude den Vorfall erörtern hört: Die Russen hätten keinen erwischt, die Polizei durchkämme die Büsche und verhafte alles, was im Wald sei, sogar den Schäfer. War es nicht Florian, der Nickel half, wiedergeboren zu werden und die Dinge neu zu sehen, als er geschlagen aus dem Krieg heimkehrte?

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