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Trauergesellschaft


Trauergesellschaft

Wie Josef der Zimmermann die Geschichte erlebte
1. Auflage

von: Rainer Lindow

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 23.05.2014
ISBN/EAN: 9783863946197
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 348

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Wenn eine Idee zur Staatsdoktrin erstarrt und alles ausgrenzt und bekämpft, was ihr nicht dient, gerät sie früher oder später in eine Krise und kehrt sich gegen sich selbst.
Im Herbst 1989 setzt ein Volk seine Regierung gewaltlos ab. Noch nie gab es in der deutschen Geschichte einen derartigen Vorgang. Dieses Buch, sieben Jahre davor geschrieben und von Verlagen der DDR aus politischen Gründen abgelehnt, berichtet mit tragikomischen, dokumentären und fantastischen Mitteln von den Ursachen, die das Volk auf die Straße brachten. Josef der Zimmermann ist einer aus der jungen Generation, der an den Lügen der traurigen Gesellschaft zu zerbrechen meint. Gezwungen von seiner polnischen Freundin Zofia, kommt Josef der wahren Geschichte seines ertrunkenen Vaters, die verwoben ist mit der Geschichte des polnischen und des jüdischen Volkes, auf den Grund. Darüber vergehen dem Josef drei Leben, die er die Zeit der Finsternis, die Zeit der Zweifel und die Zeit der Heiterkeit nennt. Der Junge erkennt, dass sein Vater schon zum Untergang, zum Abtreten verurteilt war, als er nach seiner Heimkehr aus den Lagern und der polnischen Gefangenschaft Wahrheit zu verschweigen begann. Dass nach der schändlichen Leidenschaft für die Schwester Siglinde, nach dem Zusammenstoß mit der Staatslimousine, nach den Schikanen beim Militär, nach der Liebe zur Frau eines Solidarnosc-Führers, nach dem Leben mit dem auferstandenen Vater und mit dem rachsüchtigen Szymon, der nicht sterben kann, aus Josef dem Narren kein Weiser wird, ist der Wahrhaftigkeit dieses parabelhaften Romans geschuldet.
Das Buch durfte erst acht Jahre nach seiner Vollendung 1990 im Mitteldeutschen Verlag erscheinen. Der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ist daran ein gewisser Anteil nicht abzusprechen. Das Erscheinen des Romans ging jedoch in den Vereinigungswirren unter.
1942 in Berlin geboren, 1960 Abitur
1962 Schriftsetzer, Varitypesetzer, verschiedene andere Berufe, Volontär
1964 Malereistudium bei Waluscha Friedrich in Berlin
1972 Regiediplom an der Hochschule für Film- und Fernsehen Potsdam-Babelsberg, Arbeit als Regieasssistent/Regisseur beim Fernsehen
1972 Silberner Lorbeer
1975 freiberuflicher Schriftsteller, Regisseur und Maler
Studienaufenthalte in Frankreich, Holland, Israel, Ukraine, Polen, Großbritannien
1991 Stipendiat der Villa Massimo (Casa Baldi in Olevano Romano)
1991 arbeitslos, Weiterbildung zum Fernsehjournalist
1993 Hans-Fallada-Hörspielpreis
1994 freiberuflicher Fernsehjournalist, Regisseur, Schriftsteller und Maler
1994 Wolfener Literaturpreis
Veröffentlichungen (Auszug):
Romane
Unterm Hut in der Sonne oder das neue Buch Nickel, 1980, Eulenspiegelverlag Berlin,
Trauergesellschaft, 1990, Mitteldeutscher Verlag Halle.

Erzählungen
Wie auf einer Wolke, 1973,
Die Hülle Zebaoths, 1978,
Auszug der verletzten Kinder, 1991

Hörspiele für Erwachsene und Kinder
Mögen Sie Stiefmütterchen? 1974,
Nachmittag am Telefon, 1976,
Die erste Brücke, 1977,
Die saubere Armella, 1978,
Einmal werde ich die Glocken läuten,1980,
Die Laubhütte, 1982,
Katschelap,1983,
Eine unmögliche Person, 1985,
Die Prinzessin und das Tiergesicht, 1986,
Bring es nach Hause, Baby, 1994,
Der Prinz, die Fee und der Traum vom Leben, 1995.

Hörfunkfeature
Der Botschafter, 1990,
Biografien in Wax, 1991.

Stücke für Theater und Fernsehen
Rumpelstilz, 1983,
Hof ohne Zaun, 1989.

Dokfilme
Einfach eine Probe, 1969,
Wer die Erde liebt, 1972,
Auskunft über Pludra, 1976,
Hausbesetzer - Innenansichten, 1994,
Wer ist hier eigentlich verrückt? 1996,
Insel-Leben, 2001.

Magazinbeiträge fürs Fernsehen ab 1992

Ausstellungen in Berlin, London, Potsdam
Zofia blieb stehen und sagte zögernd: Manchmal frage ich mich, ob wir das auch aushalten könnten - Krieg und Lager und Bergwerk.
Was mein Alter ausgehalten hat, halte ich auch aus! rief ich.
Nach einem skeptischen Seitenblick sagte sie, das Bitterste für meinen Vater war der Berg. Er spricht nicht gern darüber.
Ich verstand nur Berg und wurde hellwach. Allerdings mahnte mich der Reinfall mit der Badewanne zur Vorsicht. Außerdem konnte der Spaß nur größer werden, wenn ich mich blöd stellte.
Verstehst du - Berg, sagte sie drängend.
Ich schlug die Augen nieder und schüttelte betrübt den Kopf. Sie seufzte mitleidig. Wir waren inzwischen, nach den anderen, am See angelangt und hörten das Geschrei der Badenden. Die Wurzeln, die von beiden Seiten über den Weg wuchsen, umgingen wir behutsam. Zofias Hackenschuhe schienen mir ungeeignet für unseren Wald. Zuerst versehentlich, dann stärker von der Notwendigkeit meines Armes überzeugt, griff sie nach mir und stolperte zu meiner Rechten durch den deutschen Wald. Ungeachtet der akrobatischen Verrenkungen, die sie vollführen musste, erklärte sie, was ich unbedingt zu verstehen hätte: Ihr Vater wäre mitnichten ein Bergmann gewesen.
Was denn sonst?
Er war damals Schüler. Mathematik eins. Ein Musterschüler. Sein Vater versetzte ihm einen Stoß. Lauf! Und er ist gerannt. Die deutschen Gendarmen schossen, aber er entkam über die Hinterhöfe. Seine Eltern und seine Großeltern hat er nie mehr wiedergesehen. In den Wäldern um Krakow traf er Szymon, der im Lastwagen dem ausgebrannten Getto den Rücken gekehrt und sich den Partisanen angeschlossen hatte. Szymon war stolz auf die deutsche Maschinenpistole, die er einem polnischen Polizisten im Kampf abgerungen hatte.
Einmal gerieten sie in einen Hinterhalt, und Szymon trug Zofias Vater bis zum Morgengrauen stundenlang durch den Wald. Als der Arzt die Wunde säuberte, lachten alle. Ein Durchschuss. Schreck und Angst, den Deutschen in die Arme zu rennen, hatten Eryks Beine unbeweglich gemacht.
Zofias Vater!
In unserem Alter waren sie. Wer weiß, was für eine Zofia auf dem Weg um den See an meinem Arm hinge, wäre ihr Vater nicht der rundlichen Krankenschwester Helga begegnet. Ich musste lachen, und Zofia unterbrach irritiert ihre Geschichte. Es kostete mich etliche Worte, bis ich sie so weit hatte, mir zu glauben, dass es zwischen meinem Lachen und der Verwundung keinen Zusammenhang gab.
Aus der Partisanengruppe wurde einer zum Verräter. Nach und nach fielen sie alle der Gestapo in die Hände. Aber der Verräter irrte sich, wenn er glaubte, dadurch sein Leben erkauft zu haben. Als seine ehemalige Geliebte aus dem Lager kam, erschoss sie ihn. Das war eine traurige Geschichte, denn der Verräter hatte inzwischen eine hübsche, junge Frau und zwei niedliche Kinder.
Musste diesem Mann das Leben nicht zur Qual geworden sein, ständig in Furcht, einer könnte Gestapo und Lager überleben ?
Ich wollte über Zofias Mitleid herziehen. Hör mal, wollte ich sagen, ein Verräter bleibt ein Verräter. Was gehen mich dessen Qualen an. Sie erwartete diesen Zwischenruf und hätte sicherlich einen weisen Spruch hergebetet, wie: Gott ist Gott und Schnaps ist Schnaps. Vielleicht glich tatsächlich ein Verräter dem anderen nicht, und dieser war einst ein guter Kamerad gewesen, der seiner Geliebten die Folter ersparen wollte. Bestimmt hätte Zofia die Taten der Verräter gegen die Untaten der Nazis aufgewogen und die ersten zu den Opfern eines kriminellen Systems geschlagen, dem zu widerstehen nur wenige die Kraft hatten.
Ich hielt es für angebracht zu schweigen und entrann einer Lektion.
Beide kamen ins Lager, sagte Zofia. Mein Vater und Szymon. Beide übel zugerichtet. Aber die Gestapo wusste schon alles, so kamen sie glimpflich davon. Szymon starb, mein Vater lebte. Und nach dem Krieg kam die Einsamkeit.
Und ich dachte, der Berg.

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