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Spiel gegen sich selbst


Spiel gegen sich selbst

Feuilletons & Geschichten
1. Auflage

von: Jürgen Borchert

7,99 €

Verlag: Edition Digital
Format: EPUB
Veröffentl.: 31.01.2014
ISBN/EAN: 9783863946951
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 297

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Dieses Buch ist eine freundliche Einladung, eine Einladung zu Jürgen Borchert und zu seinen Texten. Das „Spiel gegen sich selbst“, das mit ebenso überraschend kombinierten wie lesenswerten „Auskünften zur Person“ eröffnet wird, versammelt seine schönsten Feuilletons, Geschichten und Miniaturen aus seinen Bänden „Klappersteine“ (1977), „Elefant auf der Briefwaage“ (1979) und „Efeu pflücken“ (1982) sowie bis dahin unveröffentlichte Texte und Arbeiten für regionale Publikationen.
Das bringt Aufklärung über den Schriftsteller selbst und seine Art zu schreiben, über das Feuilleton und über die Kollegen, denen er sich verwandt fühlte. Dazu lese man vor allem seinen wunderbaren Text „Wie ich Auburtinist wurde“, in dem er auch erklärt, aus welchem persönlichen Gründen ihm Victor Auburtin schon ein Begriff war, ehe er auch nur ein einziges Feuilleton geschrieben hatte.
Und noch immer bemerkenswert ist nicht zuletzt der Schluss seiner „Auskünfte zur Person“, in denen Jürgen Borchert in dem erstmals 1987 im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig erschienenen Auswahlband schrieb: „Ich bin alt genug, um zu wissen, wohin ich gehöre. Ich mag es nicht, wenn man mir erklärt, wie ich denken soll. Ich schätze Brecht nicht sonderlich, halte aber seinen Satz aus dem Galilei, dass das Denken das größte Vergnügen der menschlichen Rasse sei, für einen der wichtigsten Sätze, die in diesem Jahrhundert gesagt worden sind. Ich wünsche, dieses Vergnügen würde zu einem allgemeinen Bedürfnis.“ Das Jahrhundert, von dem bei Borchert die Rede, ist allerdings inzwischen das vorige Jahrhundert.

INHALT:
Auskünfte zur Person
Der noch andere Kleist
Wie ich Auburtinist wurde
Mein Schiller ist aus Gips
Arnold in Werben
Kleinstädtische Charaktere
Medaillons in der Manier Spitzwegs
Kindersegen
Dr. Carl Ganzel (1799-1888)
Braun
August Höpfner (1830-1901)
24 senkrecht: Erfinder der Schuhcreme
Lotte Lehmann
Frau Paulick
Vollst. Haush. vorh.
Dr. S.
Ach, wie ist’s möglich dann
Geschichten mit und ohne Titel
Die Reliquie
Im Prinzip wahr
Vom groben Otto
Unbedeutende Mitteilungen
Geschichten ohne Titel
Bethke, der unfromme Pastor
Fähre zu verkaufen
Die Inkas im Ballon
Labyrinthe
Beiläufige Beobachtung
Mitteilungen über den Pfeilstorch
Schneegestöber
Hexenhaus
Der Kahlbutz und ich
Fähre zu verkaufen
Carpe diem
Aber wir Nichtraucher ...
Vorschlag, ein Feuilleton über das Luftschiff zu schreiben
Grigorescu
Sir Williams Lichtmühle
Lesebuchgeschichte I
Lesebuchgeschichte II
Wegelagerer
...
Auskünfte zur Person
Der noch andere Kleist
Wie ich Auburtinist wurde
Mein Schiller ist aus Gips
Arnold in Werben
Kleinstädtische Charaktere
Medaillons in der Manier Spitzwegs
Kindersegen
Dr. Carl Ganzel (1799-1888)
Braun
August Höpfner (1830-1901)
24 senkrecht: Erfinder der Schuhcreme
Lotte Lehmann
Frau Paulick
Vollst. Haush. vorh.
Dr. S.
Ach, wie ist’s möglich dann
Geschichten mit und ohne Titel
Die Reliquie
Im Prinzip wahr
Vom groben Otto
Unbedeutende Mitteilungen
Geschichten ohne Titel
Bethke, der unfromme Pastor
Fähre zu verkaufen
Die Inkas im Ballon
Labyrinthe
Beiläufige Beobachtung
Mitteilungen über den Pfeilstorch
Schneegestöber
Hexenhaus
Der Kahlbutz und ich
Fähre zu verkaufen
Carpe diem
Aber wir Nichtraucher
Vorschlag, ein Feuilleton über das Luftschiff zu schreiben
Grigorescu
Sir Williams Lichtmühle
Lesebuchgeschichte I
Lesebuchgeschichte II
Wegelagerer
Ein Platz zum Leben
Mein Freund Balduin
Frau im blauen Kleid
Der Nabel der Welt
Vestmannaeyjar (für Polgar)
Spiel gegen sich selbst
Kunsthandlung Pielog
Das eintönige Leben
Feuer, Wasser, Sturm und Regen
Heute mir / morge dir
Verborgene Perspektiven
Ludwigsluster Merkwürdigkeiten
Ein Platz zum Leben
Das Leben geht weiter
Mein lieber Hennemann! oder Die Ziege als Säugamme.
Bach überquert die Elbe bei Werben. 1705
Brinckman in Amerika
Gottfried Hansen - eine Wilsnacker Legende
Karl Wilhelm Liebke - Präsident der Prignitz
Eine Alt-Havelberger Legende
Psychiater und Poet
Jürgen Borchert wurde 1941 in Perleberg geboren. Er erlernte den Fotografenberuf und studierte Bibliothekswesen in Berlin und Leipzig.
Seinen dritten Beruf, die freie Schriftstellerei, übte er seit 1980 aus. Sein Thema war Norddeutschland. Insbesondere lag ihm Mecklenburg am Herzen: Kulturgeschichte, Biografisches, das Verhältnis von Mensch und Landschaft...
Er lebte bis zu seinem Tode im Jahre 2000 in Schwerin.
Er bekam den Fritz-Reuter-Preis (1982; 1988) und den Johannes-Gillhoff-Preis (1994).
Unter dem Birnbaum saß Tante Marianne. Sie sog an ihrer Zigarette, legte sie zielsicher, ohne hinzugucken, mit der Glut nach außen auf die Kante des Gartentisches und griff nach dem Lexikon (falls nicht gerade Tante Amelie darin beschäftigt war). Tante Amelie nämlich saß auch unter dem Birnbaum, der Tante Marianne gegenüber, und das Lexikon lag in der Mitte zwischen den beiden alten Damen auf dem Tisch. Ja, Tante Marianne und Tante Amelie waren meist mit der Lösung von Kreuzworträtseln beschäftigt. Sobald das Wetter es irgend zuließ, wurde »die Laube« bezogen, ein weinlaubumrankter, sehr sympathischer Platz, den ein alter verkrüppelter Birnbaum überschattete. Das Lexikon war ein »Großer Volksbrockhaus« in einem Bande, der noch aus »großer Zeit« stammte, längst seiner Einbanddecken verlustig gegangen war und vor dem endgültigen Auseinanderfallen von ein paar derben Heftpflasterstreifen bewahrt wurde. Als die Tanten Geburtstag hatten (sie waren Zwillinge), schenkte ich ihnen ein neues Lexikon, das selbstredend gebührende Bewunderung fand. Die Tanten stellten das teure Stück in den Glasschrank neben die Bibel, das Auermeyerschc Kochbuch und den vierbändigen Bongschen Schiller in grünem Pressleinen. Auf dem Gartentisch blieb der Volksbrockhaus, und Tante Marianne begründete das damit, dass die Verfasser der Rätselzeitung »Puck« (oder war’s der »Kobold«?), auf die sie abonniert waren, wohl zur Verfertigung der Rätsel ebenfalls den »Großen Volksbrockhaus« benützten, denn sie kämen sehr gut damit zurecht.
Was nun den Bongschen Schiller angeht, so teilte er wohl das Schicksal des niemals angerührten Lexikons, jedoch aus anderen Gründen: Tante Marianne kannte ihren Schiller und war so sehr mit ihm vertraut, dass sie den Bong höchstens bei Streitfragen hervorholte. Nicht, dass sie Streit mit ihrer Zwillingsschwester gehabt hätte - so etwas kam niemals vor, denn die Lebensaufgaben der Schwestern waren bestens geteilt, eine jede hatte ihre Kompetenzen: Amelie besorgte das Kochen und den Garten, Marianne war mehr für die wissenschaftlichen und finanziellen Fragen zuständig. Sie hatte das Lyzeum besucht und eine Handelsschule und sodann fünfzig Berufsjahre im Büro eines Strafverteidigers zugebracht: deswegen kannte sie Schiller, das Bürgerliche Gesetzbuch und die Bankgeschäfte.
Amelie hingegen hatte in einem frommen Stift den Haushalt und das Kochen gelernt und fünfzig Jahre der Küche eines Altersheimes vorgestanden. So konnte nun jede der beiden das Ihre einbringen beim Lösen der Rätsel und der Rätsel des Lebens.
Nein, um nun endlich auf Schillern zu kommen: Streit gab es eher mit ihrem naseweisen Neffen, der natürlich von Marianne abgefragt werden musste, wenn Quasimodo ihm entsprechende Exerzitien auferlegt hatte. Entweder: ich hatte Zeilen verwechselt und beharrte auf meinem Standpunkt (»... Doch dir wird die Strafe erlassen, und er muss statt deiner erblassen ...«), oder ich machte aus Dionys einen Doinios, oder es unterlief mir »... des Wanderers Keule in drohend geschwungener Eile«; oder ich stellte wirklich dämliche Fragen, warum der König in der vorletzten Strophe, wenn er ein menschliches Rühren verspüre, die beiden anderen auf den Thron führen ließe, denn ich für mein Teil ginge, wenn ich ein solches ... »Pscht! Dummer Bengel!« sagte Tante Marianne in solchen Fällen entrüstet und holte den grünen Bong aus dem Glasschapp, um mir schwarz auf weiß meine Irrtümer nachzuweisen. Sie war es auch, die mir geduldig den Unterschied zwischen einem Erb-lasser und einem Er-blasser erklärte, wobei sie jedoch nicht umhinkonnte, die aus fünfzigjähriger Erfahrung an den Fleischtöpfen Justitias stammende Erkenntnis einzuräumen, dass natürlich der Erb-lasser gleichzeitig auch einer gewissen fahlen Gesichtsfarbe nicht entgehen könne, nebbich. Und an diesem hundertfachen Lapsus sei Schiller schuld, der Gute, der habe, des Reimes wegen, das Wort »erblassen« für »sterben« verwendet, und zwar akkurat in der zwanzigsten Zeile der »Bürgschaft«. Da schlug auch ich den Bong auf und kontrollierte, aber da war nichts daran zu tippen, wenn Tante Marianne »Zeile zwanzig« sagte, dann war’s auch Zeile zwanzig: das war eben die Lyzeumsbildung.
Was mir damals nicht in den Schädel wollte, war, weshalb jemand »diesen Scheiß«, um meinen Banknachbarn Boddin zu zitieren, freiwillig und mit Lust sich hatte ins Gehirn hämmern können, und zwar so fest, dass die Gehirnzellen einer fast achtzigjährigen alten Dame (während sie andererseits auf den Kalender sehen musste, um festzustellen, dass Donnerstag sei) auf bloßes Antippen hin den ganzen Schiller oder das, was sie für den ganzen Schiller hielt, denn zum Beispiel seine Kriminalgeschichte »Der Verbrecher aus verlorener Ehre« hatte sie nie gelesen und ahnte vielleicht nicht einmal von ihrer Existenz, ihren ganzen Schiller also zu reproduzieren in der Lage waren. Oh, wenn Tante Marianne zum Beispiel den »Taucher« rezitierte oder »Die Kraniche des Ibykus«, die sie besonders liebte und, bei vorkommenden Familienfeiern, als Höhepunkt des Programms auf vielfachen Wunsch darbot! Dann legte Tante Amelie das Strickzeug weg und den weißen Kopf träumerisch in den Nacken: Da war die Schwester Meister! Oh, wie des Ibykus Auge brach! Wie die Stimme der Tante hauchend des Mörders Blut verlangte, oh, wie Schlangen und Nattern ihre giftgeschwellten Bäuche blähten! Und wie schließlich der Rache Strahl die Bösewichter traf!
Auch meinen Bruder und mich traf der Rache Strahl, um es genau zu sagen, trafen uns zwei gewaltige, von unserem Vater ausgeteilte Knallschoten, als wir bei der Hochzeit unserer Cousine während des Vortrages der Tante Marianne uns schon mehrfach, die Hand vor dem Mund, über den Tisch hinweg kichernd angesehen hatten und es bei dem nackten Leichnam in der neunundvierzigsten Verszeile einfach nicht mehr aushielten, sondern röhrend herausplatzten. Tante Marianne indes war weniger rachsüchtig; sie befreite uns nach angemessenem halbstündigem Exil aus der Küche, fuhr uns beidhändig und gegen den Strich durch die Haare und sagte, mit sanftem Tonfall und ohne Vorwurf: »Was wisst ihr schon von Schiller, ihr Rotznasen!«

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